20. März 2023
Am 20. März 2003 begann die US-Invasion des Irak. Der Terroranschlag auf die Twin Towers lieferte der US-Regierung einen Vorwand für einen Krieg, der bereits lange geplant war – und der den Irak als politisch instabiles Ödland zurückgelassen hat.
US-Soldat neben irakischen Kindern im Stadtteil Sadr, Bagdad, 2004.
IMAGO / UPI PhotoDie Invasion des Irak, die am 20. März 2003 begann, und die anschließende Besetzung des Landes waren die wohl schwerwiegendste Konsequenz aus dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001. 9/11 war nicht der Grund für die Invasion des Irak – die Bush-Regierung hatte diese bereits geplant, bevor die beiden entführten Flugzeuge in die Twin Towers stürzten. Doch der Anschlag schuf die politische Atmosphäre, die nötig war, um eine unprovozierte Invasion zu rechtfertigen.
»Gleich auf der ersten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats nach Bushs Amtsantritt wurden Pläne für eine Invasion erörtert – sieben Monate vor dem 11. September.«
Die Regierung von George W. Bush stützte sich auf das erschütterte Gefühl der Unverwundbarkeit der USA und plädierte für einen vorgeblichen Präventivangriff auf den Irak. Dabei war der Vorwand, dass man Saddam Hussein davon abhalten wollte, »Massenvernichtungswaffen« zu bauen und diese in naher Zukunft gegen die USA einzusetzen, vollkommen erfunden.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1989 setzte sich ein immer größerer Kreis politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Eliten dafür ein, dass die USA ihren rechtmäßigen Platz als Hegemon in einer »unipolaren« Welt einnehmen sollten. Das beinhaltete auch, direkte Kontrolle über Länder auszuüben, die diese Führung infrage stellten. Für diese am sichtbarsten im Nationalen Sicherheitsrat konzentrierten Imperialisten und ihre Cheerleader in den Medien bildete der Irak den Dreh- und Angelpunkt, um die Kontrolle der USA über den Nahen Osten wiederherzustellen.
Die USA hatten seit ihrer Niederlage in Vietnam versucht, durch lokale Stellvertreter zu agieren: Länder mit ausreichend Schlagkraft, um die Drecksarbeit zu übernehmen, unkooperative Regierungen in ihren Regionen einzuschüchtern und notfalls militärisch einzuschreiten. Präsident Richard Nixon, der diese Strategie entwickelt hatte, sah den Iran als einen solchen Stellvertreter im Nahen Osten. Die USA und Großbritannien hatten den Schah, einen äußerst repressiven Herrscher, 1953 durch einen Staatsstreich gegen den demokratisch gewählten, säkularen Premierminister Mohammad Mosaddegh eingesetzt, nachdem dieser Versucht hatte, britisches Eigentum an iranischen Ölvorkommen zu verstaatlichen. Diese zunächst erfolgreiche Strategie scheiterte jedoch, als die islamische Revolution von 1979 den Schah stürzte.
»Hussein erwies sich als inkompetent und unberechenbar – eine schlechte Wahl als Handlanger der USA im Nahen Osten.«
Dies veranlasste die Reagan-Administration, den Irak unter Hussein als die nächstbeste Alternative zu kultivieren. Andere plausible Kandidaten im Nahen Osten hatten aus Sicht der USA größere Nachteile. Saudi-Arabien zum Beispiel blieb trotz seiner massiven Waffenkäufe militärisch schwach. Das Land war nicht in der Lage, Streitkräfte aufzustellen, die ohne ständige Hilfe der USA kampffähig wären (das zeigt auch heute noch sein vergeblicher Versuch, eine eher schwache Rebellentruppe im Jemen zu besiegen). Und Israel ist zwar ein loyaler und fähiger Verbündeter, würde aber bei den islamischen Ländern der Region zu großen Widerstand hervorrufen.
Hussein erwies sich als inkompetent und unberechenbar – eine schlechte Wahl als Handlanger der USA im Nahen Osten. Er war nicht in der Lage, den Iran in dem 1980 vom Irak begonnenen Krieg zu schlagen, nicht einmal mit verdeckter Hilfe der USA und Chemiewaffen aus Frankreich. Nach diesem Misserfolg marschierte Hussein in Kuwait ein, was die USA als ein gefährliches Zeichen von Unabhängigkeit und Ehrgeiz werteten. Die Regierung von George Bush senior entschied sich für eine direkte Intervention, um die Invasion rückgängig zu machen. Der Golfkrieg von 1991 schwächte Husseins Regime erfolgreich, ließ die USA jedoch ohne einen brauchbaren Stellvertreter in der Region zurück.
Bill Clinton widersetzte sich als Präsident wiederholt dem starken und überparteilichen politischen Drängen auf eine umfassende Invasion und Besetzung des Irak. Er beharrte darauf, dass drakonische Sanktionen und massives Bombardement ausreichen würden, um einen Regimewechsel hin zu einer tauglichen Klientenregierung im Irak zu erreichen. Auf die Frage nach dem Tod von einer halben Million irakischer Kinder infolge der Sanktionen antwortete Clintons Außenministerin Madeline Albright: »Wir denken, das war es wert.«
Republikanische Politiker, die in den 1990er Jahren nicht mehr im Amt waren, vor allem Dick Cheney und Donald Rumsfeld, sprachen sich dagegen aus, die Stellvertreterstrategie fortzusetzen. Die USA sollten Hussein stürzen und eine Regierung einsetzen, die sie vollständig kontrollieren konnten. In ihren Augen würde eine Invasion Washington die Kontrolle über die zweitgrößten Ölreserven im Nahen Osten verschaffen. Außerdem könnten die USA Militärstützpunkte im Irak einrichten, von denen aus sie die Nachbarländer einschüchtern und notfalls angreifen könnten.
Mit dem Irak unter ihrer Fuchtel wären die USA imstande, den ökonomischen Kurs des Nahen Ostens vorzugeben – insbesondere, was die Ölförderung und die Verteilungspolitik angeht. Wie Immanuel Wallerstein, der Begründer der Weltsystemanalyse, bereits vor der Invasion feststellte, glaubten diese Kriegstreiber außerdem, dass ein schneller und einfacher Sieg die zunehmend eigenständigen Verbündeten in Europa und Ostasien dazu bewegen würde, sich dem Diktat der USA wieder stärker unterzuordnen. Sie wollten die militärische Vormachtstellung ihres Landes nutzen, um ihre schwindende ökonomische Vorherrschaft zu revitalisieren.
Als George W. Bush Präsident wurde, gelangten die Befürworter eines solchen Krieges in höchste Regierungskreise. Gleich auf der ersten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats nach Bushs Amtsantritt wurden Pläne für eine Invasion erörtert – sieben Monate vor dem 11. September. Die Anschläge lieferten dann die Gelegenheit, diese Pläne in die Tat umzusetzen.
Für diejenigen, die die Vorherrschaft der USA im Nahen Osten sichern wollten, war die Invasion Afghanistans im Herbst 2001 ein notwendiger Nebenschauplatz – schließlich hatte Osama bin Laden von dort aus die Anschläge auf New York und Washington geplant. Als die USA und ihre Verbündeten über die Taliban triumphiert zu haben schienen, rückte der Irak wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Auch die Invasion im Irak von 2003 schien ein schneller Erfolg zu sein: Weniger als einen Monat nach dem Einmarsch der US-Truppen in den Irak wurde Hussein entmachtet. Sein Regime hatte den Luftschlägen der USA nichts entgegenzusetzen, seine Armee war hoffnungslos unterlegen. Bald erklärte Bush, das US-Militär habe gesiegt. Regierungsbeamte ließen durchblicken, dass der Iran das nächste Ziel sein würde: »Jeder will nach Bagdad. Echte Männer wollen nach Teheran.«
Innerhalb weniger Monate sahen sich die USA jedoch mit heftigem bewaffneten Widerstand gegen ihre Präsenz im Irak konfrontiert, der sich immer weiter ausbreitete. Warum startete die irakische Zivilgesellschaft, die dem von den USA durchgeführten Regimewechsel anfangs zumindest gleichgültig – wenn nicht sogar wohlwollend – gegenüberstand, auf einmal Massenproteste und bewaffnete Aufstände? Warum haben die Irakerinnen und Iraker nicht zumindest abgewartet, ob der versprochene Abzug der US-Streitkräfte tatsächlich stattfinden würde, anstatt ihr Leben zu riskieren, indem sie Truppen herausforderten, die ihnen in Sachen Feuerkraft haushoch überlegen waren?
»Die Besetzung des Irak verwandelte das Land in eine praktisch staatenlose Kleptokratie, in der eine kleine Elite korrupter Kollaborateure über eine verarmte Bevölkerung herrscht.«
Die erste Antwort der Bush-Regierung bestand darin, den Widerstand als eine Taktik der abgesetzten irakischen Regierung darzustellen, die angeblich für einen langwierigen Guerillakrieg vorgesorgt hatte, den die USA nicht kommen sahen. Diese Erklärung verlor schnell an Glaubwürdigkeit, da der Widerstand in den schiitischen Gemeinschaften, die vom Hussein-Regime unterdrückt worden waren, nicht weniger heftig ausfiel. Eine andere Denkschule machte umgekehrt den Iran für den Widerstand verantwortlich, was aber wegen der Unterstützung der Sunniten genauso unlogisch war.
Die US-Medien – inklusive der ehemaligen Militäroffiziere, die sie in wachsender Zahl als Berater anstellten – schoben schließlich Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Schuld zu: Er habe die Besatzungsstrategie verpfuscht. Rumsfeld hatte versucht, das US-Militär durch die Entwicklung von Hightech-Waffen und Informationstechnologie zu transformieren und neue Einsatzstrategien zu entwickeln, die diese neuen Mittel nutzten. Außerdem hatte er darauf bestanden, dass das US-Militär die Invasion mit einer viel kleineren Truppe durchführte, als von den Generälen gefordert wurde.
Zunächst schien diese Strategie aufzugehen, dann reichte die Zahl der US-Truppen jedoch nicht aus, um den aufkeimenden Widerstand abzuschrecken oder zu zerschlagen. Rumsfeld leugnete, dass er sich verkalkuliert hatte, und spielte die Vorgänge im Irak mit Kommentaren wie »Dinge geschehen« und »Freiheit ist unordentlich« herunter. Diese Verteidigung war offensichtlich unzureichend. Doch auch die These, dass der Umfang der US-Besatzungsarmee die Ursache aller Probleme sei, konnte nicht erklären, warum sich der Widerstand derart ausbreitete.
Die wahre Ursache des Aufstands waren die von den Besatzern auferlegten politischen und ökonomischen Maßnahmen. Diese führten zu einem katastrophalen wirtschaftlichen Abschwung mit einer Arbeitslosigkeit von vielerorts über 50 Prozent. Gegen Demonstrierende wurde mit brutaler militärischer Gewalt vorgegangen. Im Gegensatz zu Afghanistan sollte die Besetzung des Irak das Land in einen zuverlässigen Klientenstaat verwandeln, der die Vorherrschaft der USA in der Region durchsetzen würde. In Wirklichkeit transformierte sie den Irak auf ganz andere Weise, nämlich aus einem »Entwicklungsland« in eine praktisch staatenlose Kleptokratie, in der eine kleine Elite korrupter Kollaborateure über eine verarmte Bevölkerung herrscht.
Nach dem Sturz Husseins ernannte Bush Paul Bremer zum Leiter der Koalitions-Übergangsverwaltung. Bremer, der über praktisch unbeschränkte Autorität verfügte, verabschiedete als erstes ein weitreichendes Dekret, das die irakische Armee auflöste und Mitglieder der Baath-Partei von der Beamtentätigkeit ausschloss. Da die Parteimitgliedschaft zuvor praktisch obligatorisch gewesen war, wenn man für den Staat arbeiten wollte, demontierte Bremer mit dieser Maßnahme den gesamten Polizeiapparat, legte das Bildungs- und Krankenhaussystem lahm und stellte zugleich sicher, dass es keine systematischen Anstrengungen zum Wiederaufbau der beschädigten Infrastruktur geben würde.
Ein zweiter Schub von Dekreten ordnete an, dass sämtliche staatlichen Unternehmen geschlossen und verkauft werden sollten. Das führte sogleich zu einer Depression in den meisten lebensfähigen Industrien – mit Ausnahme jener, die mit der Ölproduktion zusammenhingen. Damit schrieb die Übergangsverwaltung vor, dass die Irakerinnen und Iraker entweder für private, hauptsächlich ausländische Unternehmen arbeiten und deren Produkte und Dienstleistungen kaufen mussten oder auf beides verzichten sollten.
Die Motivation für dieses Vorgehen entsprang teilweise der Ideologie des Thatcherismus. Allerdings ging Bremer weiter als Margaret Thatcher selbst, indem er ein staatlich finanziertes Krankenhaussystem zerstörte und darauf bestand, dass die gesamte medizinische Versorgung außerhalb der Krankenhäuser in ein System privater Kliniken »transferiert« werden müsse, das jedoch niemals aufgebaut wurde. Ein Drittel des Krankenhauspersonals verließ das Land, um in anderen Ländern zu arbeiten – ein bedeutender Faktor für die bis heute andauernde Krise des irakischen Gesundheitswesens.
Als diese Maßnahmen in Kraft traten, waren zwei Drittel der irakischen Familien de facto arbeitslos und auf die unzureichenden Sozialhilfen angewiesen, die unter Hussein eingeführt worden waren. Bremer begann daraufhin, auch diese Mittel zu kürzen, und unterdrückte die sich daran entzündenden Proteste mit tödlicher Gewalt. Die brutale Zerschlagung gewaltfreier Proteste trieb immer mehr Menschen in den bewaffneten Aufstand, dem ein riesiges potenzielles Arsenal zur Verfügung stand. Bremer hatte den aus der irakischen Armee entlassenen Soldaten nämlich erlaubt, ihre Waffen zu behalten.
Während die Kämpfe eskalierten, trieben Bremer und die sorgfältig aus Kollaborateuren rekrutierten Nachfolgeregierungen das neoliberale Projekt im Irak weiter voran. Die Schließung staatlicher Unternehmen eröffnete ausländischen (hauptsächlich US-amerikanischen) Firmen die Möglichkeit, (anfangs durch die US-Regierung subventionierte) Waren und Dienstleistungen anzubieten, die die irakische Wirtschaft einst selbst gestellt hatten. US-Unternehmen bauten – oder importierten und installierten – Stromgeneratoren, Kläranlagen und medizinische Einrichtungen. Damalige Medienberichte zeichneten ein rosiges Bild von modernen Technologien und gut bezahlten Arbeitsplätzen für die irakische Bevölkerung, die die Zerstörung der Infrastruktur und den wirtschaftlichen Niedergang des Landes rückgängig machen würden.
»Von den zig Milliarden Dollar, die man zur Verfügung stellte, wurde ein Großteil innerhalb der USA für Ausrüstung oder Dienstleistungen ausgegeben, die den Irak nie erreichten.«
Die Realität war eine Gemengelage aus Korruption und systemischer Arbeitslosigkeit. Die Gesetzgebung des US-Kongresses sorgte dafür, dass die ohnehin unzureichenden Gelder für den Wiederaufbau an US-Konzerne und ihre internationalen Partner gingen, wobei die Regulierung den Vertragsunternehmen selbst überlassen wurde. Von den zig Milliarden Dollar, die man zur Verfügung stellte, wurde ein Großteil direkt abgezweigt, um die Gewinne der Unternehmen zu steigern, oder innerhalb der USA für Ausrüstung oder Dienstleistungen ausgegeben, die den Irak nie erreichten.
Wenn das Geld doch im Irak ankam, gaben die Unternehmen es für »Sicherheitsdienste« aus, die von Söldnern angeboten wurden, oder vergaben Unteraufträge an korrupte und inkompetente irakische Kollaborateure, die die Projekte nur selten abschlossen, nachdem sie ihren Anteil an den Erlösen kassiert hatten. Die wenigen Infrastrukturprojekte, die tatsächlich fertiggestellt wurden, taten nur kurzfristig ihren Zweck und verfielen bald.
In den USA hergestellte Stromgeneratoren, Kläranlagen und andere grundlegende Infrastruktur sollten die vor dem Embargo in den 1990er Jahren gekaufte Technologie französischer oder sowjetischer Herkunft ersetzen. Die irakischen Ingenieure und Techniker hatten diese alten Anlagen mit viel Sachverstand repariert, bevor Paul Bremer die staatlichen Unternehmen schloss, die sie beschäftigten. Die neue Infrastruktur hätte ihnen gut bezahlte neue Arbeitsplätze bieten sollen – wären sie denn nur für die Wartung dieser Maschinen ausgebildet worden.
Die US-Unternehmen verlangten für solche Umschulungen zusätzliche Finanzmittel, die jedoch niemals bereitgestellt wurden. Die kleptokratische Klientelregierung des Iraks weigerte sich außerdem, Mittel für die Wartung zur Verfügung zu stellen. Die Ingenieure mussten sich in der Ölindustrie oder in den Nachbarländern nach Arbeit umsehen und die neuen Anlagen dem Verfall überlassen.
Wie vorherzusehen war der einzige etablierte Wirtschaftssektor, den die US-Besatzung zu erhalten und auszubauen versuchte, die Öl- und Gasförderung. Anders als bei allen anderen staatlichen Unternehmen sah Bremers Erdöl-Plan vor, die Arbeit solange fortzusetzen, bis internationale Ölgesellschaften sie übernehmen konnten. Doch die Anlagen waren anfällig für Sabotageakte der bewaffneten Aufständischen.
Zugleich kam es wiederholt zu Streiks der gut ausgebildeten und hoch bezahlten Arbeitskräfte im Ölsektor. Wann immer Privatisierung drohte, legten sie die Produktion lahm. Daher verabschiedete das irakische Parlament nie ein Gesetz zur Liberalisierung des Ölsektors, obwohl es von den USA dazu gedrängt wurde.
Die Bush-Regierung gab vor, sie wolle ein solches Gesetz, um eine stabile Aufteilung der Öleinnahmen zwischen den sunnitischen, schiitischen und kurdischen Regionen des Landes zu erreichen. In Wirklichkeit schürte Washington die Spannungen zwischen diesen drei Gruppen, um den Widerstand zu schwächen und die Unterstützung der ölreichen kurdischen Region für die Privatisierung der Ölfelder zumindest in diesem Landesteil zu gewinnen. Auch ist es den Besatzern nicht gelungen, die Produktion deutlich zu steigern, was Rumsfelds Stellvertreter Paul Wolfowitz zufolge dem Irak ermöglichen sollte, »seinen Wiederaufbau selbst zu finanzieren«.
Das wichtigste militärische Ziel von Bush und seinem Team war es, fünf sündhaft teure Stützpunkte zu errichten, um eine permanente Besatzung zu gewährleisten. Auf diese Weise wollte man die Etablierung einer Klientelregierung im Irak garantieren und den gesamten Nahen Osten dominieren. Diese Militärbasen wurden zwar gebaut, was Dutzende Milliarden von Dollar verschlang, jedoch wurden sie durch das Abkommen über den Status der Streitkräfte, das Bush zum Ende seiner Präsidentschaft mit der irakischen Regierung abschloss, für ihren angedachten Zweck unbrauchbar gemacht.
»Die Zahl der Krebserkrankungen in der vom US-Militär zerstörten Stadt Falludscha hatte sich bis 2010 vervierfacht, unter Kindern war die Rate zwölfmal höher als vor dem Krieg.«
Dieses Abkommen spiegelte die schwache militärische Position der USA und das Durchsetzungsvermögen jener irakischer Gesetzgeber wider, die im Widerstand verankerte Parteien vertraten. Die Vereinbarung, die erst wenige Tage vor der Abstimmung im Kongress in englischer Übersetzung erschien, legte fest, dass die USA die Stützpunkte ohne Genehmigung des irakischen Parlaments nicht für Angriffe auf ein anderes Land nutzen dürfen. Dabei garantierten die politischen Kräfteverhältnisse im Irak, ganz zu schweigen von der schwindenden Glaubwürdigkeit der USA in der Region, dass eine solche Genehmigung niemals erteilt werden würde.
Dennoch war das Abkommen eine politische Meisterleistung, denn es ermöglichte Bush und den Republikanern, den Krieg für gewonnen zu erklären und später Barack Obama zu beschuldigen, als dieser Ende 2011 die US-Streitkräfte aus dem Irak abzog – zu der Frist, die Bush selbst ausgehandelt hatte. Die gleiche Dynamik sollte sich 2021 beim Abzug aus Afghanistan zwischen Donald Trump und Joe Biden abspielen.
Die USA haben ihre Niederlage im Irak niemals akzeptiert. Vor der Umsetzung des Abkommens hatten sie auf jeden Rückschlag mit größerer Brutalität reagiert. Seitdem haben sie sporadische, aber tödliche Luftangriffe und Spezialoperationen durchgeführt. Nachdem klar wurde, dass die Pläne der USA für den Irak nicht einmal im Ansatz funktionieren würden, begnügten sich die auf Bush folgenden Regierungen damit, den Irak daran zu hindern, eine auch nur einigermaßen produktive Volkswirtschaft zu entwickeln. Die US-Präsenz im Irak hat ihn in ein unregierbares Ödland verwandelt.
Die US-Regierung hat sich nie die Mühe gemacht, die Opfer auf irakischer Seite zu zählen. Eine in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie geht jedoch davon aus, dass bis Juni 2006 650.000 Menschen – sowohl Zivilistinnen als auch Kämpfer – durch den Krieg ums Leben gekommen sind. Eine ein Jahr später durchgeführte Erhebung ergab eine Spanne von 946.258 bis 1,12 Millionen Todesopfern. Spätere Schätzungen erhöhten die Zahl bis 2010 auf 1,5 Millionen.
Die Zahl der indirekten Todesopfer des Krieges wird noch lange Zeit ansteigen. Das US-Militär hat fast zehntausend mit abgereichertem Uran gehärtete Geschosse abgefeuert, die Krebs und Geburtsschäden verursachen. Die Zahl der Krebserkrankungen in der vom US-Militär zerstörten Stadt Falludscha hatte sich bis 2010 vervierfacht, unter Kindern war die Rate zwölfmal höher als vor dem Krieg – bei Leukämie sogar 38 mal höher.
»Aufstände, die durch die Besatzungspolitik angefacht wurden, kosten weiterhin Menschenleben und machen das Land unregierbar.«
Der Aufstand im Irak hat die Pläne der USA für eine privatisierte, von amerikanischen Unternehmen kontrollierte Wirtschaft durchkreuzt. Dennoch wurden die Industrien, von denen die irakische Bevölkerung vor der Invasion lebte, dauerhaft zerstört. Trotz der brutalen Herrschaft Saddam Husseins betrieb der Irak vor dem Krieg das beste Gesundheitssystem im Nahen Osten. Auch verfügte das Land über funktionierende Wirtschaftsbereiche wie die Lederindustrie, die exportorientierte Landwirtschaft (insbesondere von Dattelpalmen) und die Fischerei, in denen ein großer Teil der Bevölkerung Arbeit fand und die wichtige Devisen einbrachten.
Das Land verfügte über eine beachtliche Mittelschicht, deren Mitglieder bei staatlichen Unternehmen beschäftigt oder wirtschaftlich von ihnen abhängig waren (wenn auch überwiegend Sunniten und fast alle mit der Baath-Partei verbunden). Das Land bot Männern und Frauen eine allgemeine Schulbildung und verfügte über ein angesehenes Universitätssystem. Alle Familien erhielten vom Staat einen mageren, aber dennoch wichtigen Nahrungsmittelkorb, der sie vor Unterernährung schützte.
Diese Sozialleistungen wurden größtenteils durch Öleinnahmen finanziert. Doch ihre Existenz beweist, dass der Irak unter Hussein nicht unter dem klassischen »Ölfluch« litt – der Tendenz, dass ölreiche Länder wenig oder gar nicht wirtschaftlich entwickeln, weil ausländische Firmen und inländische Korruption die Einnahmen aus dem Ölgeschäft abschöpfen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die herrschende Elite des Irak vor dem Krieg den Ölreichtum in Privatvermögen umgemünzt und in das übergroße Militär gesteckt hat, das mörderische Angriffe auf irakische Bürgerinnen und Bürger – insbesondere Kurdinnen und Schiiten – verübte. Die Besatzung hat die Lebensbedingungen der Bevölkerung jedoch nicht verbessert. Im Gegenteil, sie verschlimmerte die Situation in allen Bereichen des täglichen Lebens und führte zu enormer Arbeitslosigkeit, Ernährungsunsicherheit, Obdachlosigkeit und Vertreibung. Im Jahr 2006 hatte der von den USA begonnene Krieg bereits doppelt so viele Zivilisten getötet, wie das Hussein-Regime in einem Vierteljahrhundert brutaler Herrschaft.
In politischer Hinsicht hat die Invasion eine mörderische Autokratie beseitigt, die einen großen, ölfinanzierten staatlichen Sektor im Rahmen einer lebensfähigen Volkswirtschaft unterhielt, und sie durch eine inkompetente Kleptokratie samt dysfunktionalem Wirtschaftssystem ersetzt. Große Teile des Landes fielen unter die Kontrolle von Warlords. Aufstände, die sich aus religiösen und ethnischen Konflikten speisen, die durch die Besatzungspolitik angefacht wurden, kosten weiterhin Menschenleben und machen das Land unregierbar (mit Ausnahme der gut bewachten Erdölanlagen).
Die Invasion des Irak fügt sich ein in ein umfassenderes Muster der US-Außenpolitik. Die USA wollen zwar andere Länder kontrollieren, aber noch mehr sind sie daran interessiert, ihre Rivalen – vor allem China und Russland – um Ressourcen und Einfluss zu bringen. Der Irak ist heute nicht in der Lage, seiner eigenen Bevölkerung ein menschenwürdiges Leben zu bieten, geschweige denn Ressourcen für andere Länder bereitzustellen. Seine angeschlagene Ölindustrie ist nicht mehr die große Trophäe, für die man sie vor zwei Jahrzehnten hielt.
Auch wenn es die USA nicht geschafft haben, die Kontrolle über die Förderung oder Verteilung des irakischen Öls zu erlangen, so ist es ihnen doch gelungen, den Hahn zuzudrehen und es damit ihrem Hauptkonkurrenten China schwieriger zu machen, genügend Öl zu beziehen, um seinen Energiebedarf zu decken. Diesen Ansatz verfolgen die USA auch heute im Nahen Osten und in Afrika: Wenn sie sich nicht selbst die Kontrolle über wertvolle Ressourcen sichern können, begnügen sie sich damit, Zerstörungen anzurichten, die ihren Rivalen eine Gelegenheit versperren.
Der 11. September 2001 hat keine neue US-Außenpolitik hervorgebracht. Er hat lediglich den innenpolitischen Widerstand so weit gedämpft, dass Bush die seit langem geplanten Kriege im Nahen Osten in die Tat umsetzen und seine Nachfolger diese Kriege fortsetzen und auf Afrika ausweiten konnten. Der »Krieg gegen den Terror« war in erster Linie ein Deckmantel für die Bemühungen der USA, ihre militärische Macht einzusetzen, um Ressourcen zu kontrollieren (oder ihren Gegnern diese Kontrolle zu verweigern). Er wird erst dann enden, wenn die Bevölkerung der USA einen kraftvollen Widerstand mobilisiert, um ihre Regierung und ihr militärisches Establishment zu zwingen, dieses Elend und Tod bringende Streben nach globaler Vorherrschaft aufzugeben.
Michael Schwartz ist emeritierter Professor für Soziologie an der Stony Brook University. Er ist Co-Autor des Buches Levers of Power: How the 1% Rules and What the 99% Can Do About It.
Richard Lachmann ist Soziologieprofessor an der University at Albany. Er ist der Autor von »First Class Passengers on a Sinking Ship: Elite Politics and the Decline of Great Powers«.
Michael Schwartz ist emeritierter Professor für Soziologie an der Stony Brook University. Er ist Co-Autor des Buches »Levers of Power: How the 1% Rules and What the 99% Can Do About It«.