22. Februar 2024
Bernie Sanders hat in seiner Rede auf dem Parteitag der Demokraten gegen Milliardäre gewettert und einen Waffenstillstand in Gaza gefordert – genau diese Positionen machen ihn so populär. Doch vieles davon ist mit der derzeitigen Parteiführung schlicht nicht umsetzbar.
Bernie Sanders bei seiner Rede auf dem DNC in Chicago, 20. August 2024.
Am Dienstag sprach Bernie Sanders beim Parteitag der Demokratischen Partei (Democratic National Convention, DNC) in Chicago. Es war seine dritte Rede bei einem DNC. Vor acht Jahren war er mit seiner kämpferischen Kandidatur gegen Hillary Clinton erstmals in den Fokus der nationalen [und auch internationalen] Politik gerückt. Damals, 2016, sprach Sanders als Anführer eines rebellischen und wachsenden Flügels innerhalb der Partei. Auf dem diesjährigen Parteitag hingegen trat er weitgehend als Verbündeter der Regierung von Joe Biden auf.
Sanders’ Rede enthielt insgesamt wenig Überraschendes; er sprach seine üblichen Themen an. So kritisierte er die Gier der Milliardärsklasse, die himmelschreiende ökonomische Ungleichheit im Land und die Verzweiflung vieler Amerikanerinnen und Amerikaner. Er wiederholte, das große Geld müsse aus der Politik herausgehalten, eine allgemeine Gesundheitsversorgung als Menschenrecht garantiert, der PRO Act endlich verabschiedet, die öffentliche Bildung komplett (und besser) finanziert und der Mindestlohn erhöht werden.
Diese unmissverständliche Haltung, die felsenfeste Disziplin, seine Botschaften immer und immer wieder unter die Menschen zu bringen, sein klarer Fokus auf Klassenfragen und verbesserte Lebensstandards für die arbeitende Bevölkerung waren und sind der Schlüssel zu Sanders’ Popularität. Diese Konsequenz ist auch ein politischer Segen in einer Zeit, in der sich andere Politikerinnen und Politiker allzu oft im Sumpf des Kulturkampfes verlieren und das Thema Klassenkampf tunlichst vermeiden.
Entsprechend folgte Sanders nicht dem aktuellen Standardjargon der Demokraten und bezeichnete Donald Trump einfach als »weird«. Stattdessen griff er Trumps Project 2025 direkt an: »Mehr Steuererleichterungen für Milliardäre. Kürzungen bei der Sozialversicherung, Medicare und Medicaid. Umweltverschmutzer weiter unseren Planeten zerstören lassen. Das ist radikal, und wir werden es nicht zulassen.«
Sanders lobte außerdem die innenpolitischen Erfolge der Regierung Biden. »In den letzten dreieinhalb Jahren haben wir gemeinsam mehr erreicht als jede Regierung seit [Präsident Roosevelt]«, betonte er. Dabei hob er insbesondere die umfangreichen (aber zeitlich begrenzten) Sozialmaßnahmen hervor, die 2021 mit dem American Rescue Plan (ARP) verabschiedet wurden. (Interessanterweise sagte er wenig über den Inflation Reduction Act oder andere große Vorhaben, wie den CHIPS Act oder die Bipartisan Infrastructure Bill, die viele demokratische Parteigänger bereits als wichtigstes Vermächtnis Bidens feiern.)
»Wenn wir ernsthaft daran interessiert sind, die Art von Veränderungen zu erreichen, für die sich Sanders seit langem einsetzt, müssen wir eine ehrliche Bilanz der Erfolge und Misserfolge der Biden-Führung ziehen.«
An diesem Punkt verwandelte sich die Rede in eine unkritische Lobhudelei auf Biden und die Demokraten im Kongress. Das ist für Bernie Sanders nach 2020 typisch. Zur Erinnerung: Noch bevor Biden gewählt wurde, sagte Sanders der Presse damals, Biden könne »der progressivste Präsident seit Roosevelt« werden, und er bekundete umgehend und enthusiastisch seine Unterstützung, als Biden im April 2023 seine erneute Kandidatur ankündigte.
Im Kontext eines DNC ist diese Art von Lob vielleicht zu erwarten – schließlich ist der Parteitag in erster Linie eine Mutmach-Versammlung für die Demokraten. Wenn wir aber ernsthaft daran interessiert sind, die Art von Veränderungen zu erreichen, für die sich Sanders seit langem einsetzt, müssen wir eine ehrliche Bilanz der Erfolge und Misserfolge der Biden-Führung ziehen.
Dabei lässt sich festhalten: Der wohl ambitionierteste Vorstoß Bidens, der Gesetzentwurf Build Back Better (BBB) – an dem Sanders und andere Progressive wie Alexandra Ocasio-Cortez mitgewirkt haben und der viele Merkmale des durch den ARP geschaffenen temporären Wohlfahrtsstaates in den USA dauerhaft gemacht hätte – ist im Senat gescheitert. Dabei hatte die Regierung Biden eine hauchdünne Mehrheit, verlor die entscheidende Abstimmung aber durch die Opposition der konservativen Demokraten Joe Manchin und Kyrsten Sinema. Doch anstatt als Reaktion darauf ihren Einfluss zu nutzen, um Druck auf die Abweichler zu machen, schienen Biden und die Fraktionsführer der Demokraten im Kongress klein beizugeben.
Schließlich verabschiedete die Regierung die klimarelevanten Bestimmungen des BBB in abgeschwächter Form im Inflation Reduction Act. Dies beinhaltete hauptsächlich Steuergutschriften für private Investitionen und umweltfreundliche Konsumentscheidungen. Das reicht aber bei weitem nicht aus, um eine rasche Dekarbonisierung der US-Wirtschaft zu erreichen. Selbst bei optimistischen Schätzungen wird das Gesetzespaket nur eine Emissionsreduzierung von 6 bis 10 Prozent im Vergleich zu einem Szenario ohne Inflation Reduction Act bewirken.
Am wichtigsten ist vielleicht, dass entgegen der Lobeshymnen auf die vermeintlich progressive Biden-Regierung deren Politik nicht dazu geführt hat, den Lebensstandard vieler amerikanischer Arbeiterinnen und Arbeiter wesentlich zu erhöhen – insbesondere nicht genug, um das Problem der seit Jahrzehnten stagnierenden Löhne auszugleichen.
»Obwohl Sanders seit langem als eine der stärksten Stimmen für ein Ende des Gemetzels in Gaza im Kongress gilt, wurde er zu Recht dafür kritisiert, dass er erst Monate nach Kriegsbeginn einen Aufruf zum Waffenstillstand startete.«
Zum Ende seiner Rede kritisierte Sanders indirekt Bidens Außenpolitik, indem er einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza forderte. Das war eine mutmachende Aussage. Denn obwohl der Senator seit langem als eine der stärksten Stimmen für ein Ende des Gemetzels in Gaza im Kongress gilt, wurde er von Aktivistinnen und Aktivisten zu Recht dafür kritisiert, dass er erst Monate nach Kriegsbeginn einen ersten Aufruf zum Waffenstillstand startete.
Sanders’ Forderung beim Parteitag bildete auch einen erfrischenden Kontrast zu Alexandra Ocasio-Cortez: Sie hatte dem DNC-Publikum am Montagabend versichert, die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten Kamala Harris arbeite »unermüdlich für eine Feuerpause in Gaza«. Diese Äußerung war überraschend. Schließlich hat Harris signalisiert, dass sie nicht bereit ist, das vermutlich Einzige zu tun, was Israel dazu bringen würde, einem Waffenstillstand zuzustimmen: nämlich, keine Waffen mehr zu liefern.
Mit seiner Tirade gegen Milliardäre, dem Aufruf zu einer arbeiterfreundlichen Wirtschaftspolitik und der Forderung nach einer humaneren Außenpolitik war Sanders’ Rede insgesamt eine gute Erinnerung daran, warum er einer der beliebtesten Politiker der Vereinigten Staaten ist.
Doch derartige Botschaften stehen im Widerspruch zum überschwänglichen Lob für die Regierung Biden und dem Glauben, dass die Demokratische Partei unter Kamala Harris tatsächlich eine Agenda im Sinne von Sanders umsetzen würde.
Bernie hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Millionen von Menschen Mut gemacht. Er hat sie an einen wirklich tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Wandel glauben lassen. Doch wie er selbst bereits anerkennen und einräumen musste, wird der Weg zu einem solchen Wandel nicht bei DNC-Versammlungen und in der aktuellen Führungsriege der Demokratischen Partei zu finden sein.
Nick French ist Redaktionsassistent bei JACOBIN.