15. Juli 2024
Donald Trump selbst hat sich immer klar gegen eine stärkere Regulierung des Waffenrechts gestellt. Das versuchte Attentat auf ihn sollte den Republikanern Anlass genug sein, die längst überfällige Verschärfung der Waffengesetze zu fordern.
Die Glorifizierung von Waffen gehört bei der Anhängerschaft von Trump zum guten Ton.
Das haben die USA absolut nicht gebraucht. Schon vor dem Attentatsversuch auf den früheren Präsidenten Donald Trump erlebten wir eine der elendesten und turbulentesten Wahlkampfperioden seit langem. Auf der Trump-Kundgebung in Butler im Bundesstaat Pennsylvania wurde eine teilnehmende Person getötet, zwei weitere verletzt und der Kandidat selbst von einer Kugel am Ohr getroffen. Das politische Klima in den USA ist schon seit längerer Zeit gefährlich überhitzt. Nun sind noch einmal ein paar Grad hinzugekommen; wir bewegen uns immer näher an der Kernschmelze.
Die kommenden Tage und Wochen werden von wilden Spekulationen, Verschwörungserzählungen und Lügen geprägt sein. Wir müssen vorsichtig bleiben. Wir wissen bisher nur wenig über den Täter, den 20-jährigen Thomas Matthew Crooks. Was wir wissen, lässt keine einfachen Schlussfolgerungen zu, wie sie von unverantwortlichen Stimmen schon jetzt verbreitet werden. Der Schütze hat in seinem jungen Leben ein einziges Mal an eine politische Partei gespendet: 15 US-Dollar an eine demokratische Wählergruppe am Tag von Joe Bidens Amtseinführung. Acht Monate später ließ er sich als Republikaner registrieren. Berichten zufolge trug er ein T-Shirt mit dem Logo eines beliebten Youtube-Kanals eines Waffennarren. Laut FBI ist das Motiv für die Tat noch unklar.
Eines ist jedoch klar: Politische Gewalt ist falsch und führt zu nichts Gutem. Es ist moralisch falsch, Menschen zu töten. Dabei ist es vollkommen gleich, ob es sich um einen politischen Gegner, eine feindlich gesinnte Nachbarin, einen irgendwie unheimlichen Fremden mit Kapuzenpulli oder wen auch immer handelt, der einem im Leben irgendwie Unrecht getan haben könnte.
Auch wenn die Kugel des Schützen den Kopf des Ex-Präsidenten nicht um Haaresbreite verfehlt hätte, wäre es kein »erfolgreiches« Attentat gewesen. Denn so etwas gibt es nicht. Auf Mord als Lösung zurückzugreifen – ob in der Politik oder anderswo –, ist immer eine Niederlage: eine Niederlage der Vernunft, der Menschlichkeit, einer funktionierenden Gesellschaft und der Politik an sich.
»Es ist keine unzulässige Politisierung einer Tragödie, wenn man jetzt den Sinn von Waffengesetzen diskutiert.«
Politische Gewalt löst selten das Problem, das sie vorgibt, zu lösen. Was sie vielmehr bewirkt, ist die Schaffung eines angsterfüllten Klimas der Wut und der gegenseitigen Schuldzuweisungen, das sich dann wiederum für das Durchgreifen gegen Andersdenkende eignet – und das daher eine ideale Situation für Opportunisten bietet. Diejenigen, die politische Gewalt ausüben, halten sich oft für Kreuzritter, die für eine vermeintlich gerechte Sache kämpfen. Doch meistens bringen sie nur Unheil über sich selbst und das, wofür sie zu stehen vorgeben. Im schlimmsten Fall lösen sie einen Kreislauf der Gewalt aus, in dem Hunderte, Tausende oder sogar Millionen von Menschen sinnlos ihr Leben verlieren.
Es gibt keine einfache Erklärung für das, was am Samstagnachmittag geschah. Es ist aber keine unzulässige »Politisierung« einer Tragödie, wenn man die Logik und den Sinn von Waffengesetzen diskutiert. (Im Bundesstaat Pennsylvania, in dem die Tat begangen wurde, gibt es die Vorschrift, dass man 21 Jahre alt sein muss, bevor man eine Handfeuerwaffe kaufen darf; der Kauf eines halbautomatischen Gewehrs, wie es der Schütze benutzte, ist jedoch schon mit 18 Jahren erlaubt). Es ist auch nicht »politisierend«, sich zu fragen, warum die Vereinigten Staaten unter den wohlhabenden, entwickelten Ländern der Welt so ein ungewöhnliches Ausmaß und eine derartige Häufigkeit von Waffengewalt vorzuweisen haben – und ob das vielleicht etwas mit der problemlosen Verfügbarkeit von Schusswaffen zu tun hat.
Darüber hinaus ist es nicht »politisierend«, darauf hinzuweisen, dass Gewalt schon viel zu lange das Mittel der Wahl für die politische Auseinandersetzung und die Institutionen in den USA ist. So finden sich Gewalt und deren Rechtfertigung selbst in den Handlungen und Worten derjenigen politischen Stimmen, die wir vielleicht als vernünftig und besonnen bezeichnen würden.
Aktuell sind die Vereinigten Staaten mehr oder weniger direkt in zwei äußerst blutige Kriege auf zwei Kontinenten verwickelt, von denen einer von vielen Beobachterinnen und Beobachtern als »genozidal« bezeichnet wird. Der amtierende Präsident, der laut eigenen Aussagen »Kriege auf der ganzen Welt« führt, wird von Medien und Kommentatoren als »Meister der Außenpolitik« gelobt.
»Mit seinen zwanzig Jahren gehörte der Täter zu einer Generation, die das eigene Heimatland während ihrer gesamten Lebenszeit nur im Krieg kennt.«
In ähnlicher Weise wurde auch Ex-Präsident Trump sogar von politischen Gegnern dafür gefeiert, dass er Marschflugkörper in einem weit entfernten Land einsetzte. Unter anderem die ihm sonst sehr kritisch gegenüberstehende CNN erkannte darin eine »präsidiale« Herangehensweise. Politische Attentate und Morde sind offizielle Politik der USA, egal ob Barack Obama einen des Terrorismus verdächtigen US-Bürger und seinen Sohn per Drohne angreifen oder Donald Trump den höchsten Militärbeamten eines fremden Landes bombardieren lässt.
Ist es wirklich so verwunderlich und schockierend, dass ein verwirrter junger Mensch zu politischer Gewalt greift? Der US-amerikanischen Öffentlichkeit wird immer wieder vermittelt, Gewalt sei die angemessene, gerechte – und oft auch einzige – Lösung gegen die Übel der Welt. Was es in dieser Welt braucht, seien nun einmal Zeichen, dass man stark ist und dass man es ernst meint.
Die Vereinigten Staaten befinden sich seit mehr als zwei Jahrzehnten aktiv im Krieg. Mit seinen zwanzig Jahren gehörte Crooks somit zu einer Generation, die während ihrer gesamten Lebenszeit das eigene Heimatland nur im Krieg kennt.
Was am Wochenende passiert ist, sollte zum Innehalten und Nachdenken anregen. Viele erinnern jetzt an die Worte von Trump-Gegnern. Dazu gehören die bekannten Witze nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in diesem Monat, dass Biden seinen Wahlkampfgegner doch mit einer Drohne abschießen könnte; oder aber der Fakt, dass Biden selbst nichts sagte, als seine Anhängerschaft Journalistinnen und Journalisten ausbuhten, nachdem der Präsident sich über die Presseberichterstattung beschwert hatte.
»Anhängerinnen und Anhänger von Trump sollten gründlich über die zunehmend gewaltaffine Rhetorik aus den eigenen Reihen nachdenken.«
Diese Leute sollten sich gut überlegen, ob man gewisses Gerede einfach so unüberlegt in den Raum werfen muss. Was manchmal ein Scherz sein mag, macht die Aussage dahinter nicht weniger inakzeptabel.
Während sie den Vorfall verarbeiten, sollten auf der anderen Seite auch die Anhängerinnen und Anhänger von Ex-Präsident Trump lange und gründlich über die zunehmend gewaltaffine Rhetorik aus den eigenen Reihen nachdenken. Der von Trump unterstützte republikanische Gouverneurskandidat von North Carolina erklärte jüngst, dass »einige Leute getötet werden müssen«. Der Vorsitzende der von der Republikanischen Partei unterstützten Heritage Foundation verkündete seinerseits im Fernsehen, die Partei werde »die zweite amerikanische Revolution« vollziehen. Diese werde »unblutig bleiben, wenn die Linke das zulässt«. Mehrere republikanische Trump-Unterstützer haben in der Vergangenheit zur Hinrichtung ihrer Gegner aufgerufen.
Das geht bis hin zu Trump selbst, der sich mehrfach über den versuchten Mord am Ehemann einer führenden Demokratin lustig gemacht, bei Kundgebungen zu Gewalt gegen Demonstrierende aufgerufen sowie wiederholt damit gedroht hat, seine politischen Gegner strafrechtlich zu verfolgen. Seinen Anhängerinnen und Anhängern gegenüber erklärte er, man könne »nichts tun«, wenn ein demokratischer Präsident die Richterinnen und Richter des Obersten Gerichtshofs auswählt – »außer vielleicht«, wenn man an das Second Amendment denke.
Es ist immer einfach, mit dem Finger auf andere zu zeigen. In diesem politisch aufgeheizten Klima sollten die Anhängerinnen und Anhänger des Ex-Präsidenten aber erkennen, dass ihre Aussagen und ihre Kritik nichts wert sind, wenn sie nicht die gleichen Maßstäbe an sich selbst anlegen.
Das versuchte Attentat auf Donald Trump sollte ein Weckruf sein – für die Hardcore-Anhängerschaft der Parteien, für ihre jeweilige politische Führung und für die amerikanische Öffentlichkeit insgesamt. Die Attacke ist ein schlechtes Zeichen für den Zustand des politischen Diskurses in den USA – und für noch viel mehr: Das versuchte Attentat verdeutlicht, wie weit verbreitet und leicht zugänglich Waffen in der amerikanischen Gesellschaft sind; wie sehr Gewalt als politische Lösung verstanden wird; welche riesige Bedrohung beides darstellt. Diese Bedrohung betrifft die gesamte US-amerikanische Gesellschaft, unabhängig von Partei oder Ideologie.
Branko Marcetic ist Redakteur bei JACOBIN und Autor des Buchs »Yesterday’s Man: The Case Against Joe Biden«. Er lebt in Chicago, Illinois.