21. Oktober 2022
Saudi-Arabien hat die Ölproduktion gedrosselt – entgegen dem Willen der USA. Seither kriselt es zwischen den Verbündeten. Was lange hartnäckig verhindert wurde, könnte jetzt erreicht werden: das Ende der US-Waffenlieferungen für den blutigen Krieg im Jemen.
Verkrachte Verbündete: Joe Biden trifft Kronprinz Mohammed bin Salman in Dschidda, 15. Juli 2022.
IMAGO / UPI PhotoWenn man schon auf Kuschelkurs mit einem brutalen Autokraten geht und damit die eigenen öffentlichen Äußerungen und angeblichen Werte Lügen straft, dann könnte man durchaus auch selbst etwas davon haben. Das ist eigentlich jedem klar, aber die Verantwortlichen in den USA realisieren offenbar erst jetzt, mit großer Verspätung, dass dies auch für die Beziehung zwischen ihnen und Saudi-Arabien gilt.
Diese »unzerstörbare« Beziehung macht derzeit die vielleicht schwerste Belastungsprobe überhaupt durch. Es fehlt nicht viel und die beiden langjährigen Verbündeten gehen sich gegenseitig an die Kehle. Der Auslöser dafür – und das ist ein makabrer, aber stimmiger Detailaspekt der aktuellen politischen Großwetterlage – ist aber nicht das immer länger werdende Sündenregister der Saudis inklusive der erwiesenen Mittäterschaft ihres Geheimdienstes an den Anschlägen vom 11. September 2001, bei denen Tausende amerikanischer Zivilisten getötet wurden, sondern die Tatsache, dass das saudische Herrscherhaus sich mit Blick auf den stetig eskalierenden Krieg in der Ukraine auf die Seite Russlands schlägt und sich damit gegen Washington stellt.
In der vergangenen Woche beschloss das Ölkartell OPEC+ (die um zehn Nicht-OPEC-Mitglieder erweiterte Organisation erdölexportierender Länder), das auf dem Weltmarkt ein Quasimonopol ausübt, auf Drängen der Saudis eine deutliche Drosselung der Fördermenge um 2 Millionen Barrel pro Tag und hat damit schon jetzt einen Anstieg der Kraftstoffpreise in den USA bewirkt, die in den Monaten zuvor nachgegeben hatten. In Washington, das ebenso energisch wie erfolglos gegen diese Entscheidung protestierte, wird dieser Schritt bereits als »feindseliger Akt« des Kronprinzen Mohammed Bin Salman gewertet. Viele Beobachter deuten die Fördermengendrosselung als Versuch des saudischen Regierungschefs, der Biden-Administration eine »Oktoberüberraschung« zu bereiten und gerade rechtzeitig zu den im November anstehenden US-Zwischenwahlen die Inflation in die Höhe zu treiben. Inzwischen redet Joe Biden bereits davon, das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu der brutalen Autokratie »neu zu bewerten«.
Nicht nur im Weißen Haus ist man über die Entwicklung unglücklich. Bob Menendez, Senator von New Jersey, ist der führende Demokrat im Auswärtigen Ausschuss des Senats und fordert, »alle Aspekte unserer Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien einzufrieren«, einschließlich aller Waffenkäufe und der gesamten Sicherheitsunterstützung, die »über das hinausgeht, was zur Verteidigung des Personals und der Interessen der USA erforderlich ist«.
»Im Kern geht es nicht um Russland und seinen Krieg gegen die Ukraine.«
Ein Gesetzentwurf, den einige Demokraten im Repräsentantenhaus einbrachten, sieht vor, dass die Truppen und Waffensysteme aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) abgezogen werden. Mitgetragen wird diese Position unter anderem von dem demokratischen Abgeordneten Ro Khanna aus Kalifornien und dem demokratischen Senator Chris Murphy aus Connecticut. Sie alle bezeichneten den Gesetzentwurf als angemessene Bestrafung der saudischen Führung, die sich ihrer Meinung nach im Ukraine-Krieg an der Seite Russlands und gegen den Westen positioniert.
Bernie Sanders, unabhängiger Senator aus Vermont, äußerte sich schon am vergangenen Mittwoch mit deutlichen Worten zum Thema. Der demokratische Senator Dick Durbin aus Illinois erklärte aufgebracht, die saudische Königsfamilie sei »nie ein vertrauenswürdiger Verbündeter unserer Nation« gewesen und die US-Außenpolitik müsse »ohne die Allianz mit diesen royalen Verrätern« neu konzipiert werden. Unter anderem verwies Durbin auf »nach wie vor offene Fragen den 11. September 2001 betreffend«. Durbin spricht sich dafür aus, dass Washington gesetzlich gegen die Preisfestlegungen der OPEC vorgeht. Sowohl ein republikanischer Amtskollege als auch der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, haben sich dieser Forderung angeschlossen.
Es hat etwas Absurdes, dass ausgerechnet dieser Punkt – die stillschweigende Unterstützung der Saudis für ein Land, das rechtswidrig ein kleineres Nachbarland angreift – bei den US-Verantwortlichen das Fass zum Überlaufen bringt, wenn man bedenkt, dass Saudi-Arabien seinerseits mit Unterstützung der USA einen längeren und noch brutaleren Krieg gegen den Jemen führt und die Saudis offenbar bei einem Angriff auf amerikanischem Boden ihre Finger im Spiel hatten. Doch im Kern geht es nicht um Russland und seinen Krieg gegen die Ukraine.
In Wahrheit geht es mit dem amerikanisch-saudischen Verhältnis schon seit Längerem bergab. Beschleunigt wurde der Abwärtstrend durch die Wahl von Joe Biden, der im Wahlkampf feierlich versprochen hatte, Saudi-Arabien wegen der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi und – in geringerem Maße – wegen des brutalen saudischen Vorgehens im Jemen zum »Paria« zu machen. In der Praxis fasste Biden das Regime dennoch weiterhin mit Samthandschuhen an, unterzeichnete eine sorgfältig formulierte Verfügung, die es ihm ermöglichte, die Kriegsanstrengungen der Saudis tatkräftig zu unterstützen. Des Weiteren lehnte er Sanktionen gegen den Kronprinzen ab, als die US-Geheimdienste ihn der Mitwirkung an Khashoggis Ermordung bezichtigten.
Der Balanceakt, an dem Biden sich seither versucht, hat den unberechenbaren und zur Gewalt neigenden Kronprinzen offenbar nicht zufriedengestellt. Er genießt es anscheinend, dem US-Präsidenten eine Nase zu drehen – insbesondere seit das Weiße Haus versucht, die Welt gegen die russische Invasion zu mobilisieren (und seit die US-Bevölkerung sich über die hohen Preise empört). Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate torpedierten gemeinsam Washingtons Versuche, Russland diplomatisch zu isolieren und lehnten die Forderungen der USA, die kriegsbedingte Inflation durch eine Steigerung der Ölfördermengen zu bremsen, ein ums andere Mal ab. Bin Salman ging nicht einmal ans Telefon, wenn Biden das Thema mit ihm erörtern wollte, während er mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sehr wohl sprach.
»Das Spiel, das Bin Salman spielt, ist gewagt.«
Die vielleicht größte Herabsetzung folgte im Juli, als Biden verzweifelt versuchte, eine Erhöhung der Ölproduktion zu erwirken und damit seiner schwächelnden Präsidentschaft aufzuhelfen, und wegen seines offiziellen Besuchs in Riad einhellig als Wendehals verurteilt wurde. Vor der Reise dachte Biden öffentlich darüber nach, den Saudis die Fördermengenerhöhung mit der Wiederaufnahme des Verkaufs »offensiver« Waffen schmackhaft zu machen. Wegen der Fotos, die ihn beim »Fistbump« mit dem saudischen Despoten zeigen, wurde Biden weithin bespöttelt. Bei dem anschließenden privaten Treffen will Biden den Kronprinzen wegen des Mordes an Khashoggi zur Rede gestellt haben – und all das, bevor er die Belieferung seiner Kriegskoalition mit angeblich »defensiven« Waffen wieder anlaufen ließ.
Gebracht hat das alles nichts: Der Kronprinz brüskierte Biden, indem er ihn von einem Regionalgouverneur am Flughafen abholen ließ. Saudische Quellen blamierten Biden damit, dass sie seine Version dessen, was bei dem Treffen geschehen war, dementierten. Und schließlich erteilte Bin Salman den Bitten des Präsidenten um höhere Fördermengen eine Abfuhr. Inzwischen geht er sogar noch einen Schritt weiter und macht das genaue Gegenteil dessen, worum Biden gebeten hat – und das weniger als einen Monat vor einer Wahl, bei der es für dessen Partei um alles oder nichts geht.
Das Spiel, das Bin Salman spielt, ist gewagt, ergibt aber für ihn durchaus Sinn: Man verschafft Saudi-Arabien kurzfristige Mehreinnahmen und schwächt den US-Präsidenten, der gegen die eigene Person opponiert hat. Dann wartet man die nächsten zwei Jahre ab, bis womöglich der Saudi-freundliche Donald Trump wieder auf dem Präsidentensessel Platz nimmt. Nebenbei erteilt man allen zukünftigen US-Präsidenten eine öffentlichkeitswirksame Lektion und führt ihnen vor Augen, warum sie sich mit Saudi-Arabien niemals anlegen sollten.
Ob diese Rechnung aufgeht, bleibt abzuwarten. Sofern die Empörung der Demokraten über die Brüskierungen der jüngsten Zeit anhält und sie ihre Drohung wahrmachen und die amerikanische Unterstützung tatsächlich einstellen, könnte dieser Konflikt sich jedoch als der entscheidende Faktor erweisen, welcher der frustrierend hartnäckigen Unterstützung der USA für den Krieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen, wo kürzlich eine Waffenruhe auslief, endlich ein Ende zu setzt.
Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden bis Ende 2021 in dem nunmehr acht Jahre währenden Konflikt rund 377 000 Menschen getötet. 70 Prozent von ihnen waren Kinder unter fünf Jahren. Millionen Menschen sind lebensbedrohlich unterernährt. Die meisten Todesopfer kamen nicht durch Kampfhandlungen, sondern durch indirekte Kriegsfolgen – Hunger und Krankheiten – ums Leben. Diese resultieren jedoch unmittelbar aus dem Vorgehen der Saudis, die eine Blockade gegen das Land verhängt haben und wahllos oder sogar gezielt Infrastrukturen wie Krankenhäuser, Lebensmittelversorgung, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zerstören. Wenn die USA aufhören, den Krieg durch ihre Unterstützung entscheidend zu befördern, wäre dies ein großer Schritt auf dem Weg zur Beendigung dieses Gemetzels, das nur dank Trumps Vetos bislang weitergeht.
Die neueste Nachricht lautet, dass Khanna und der demokratische Senator für Connecticut, Richard Blumenthal in beiden Kongresskammern einen Gesetzentwurf eingebracht haben, der ein sofortiges Ende der Waffenlieferungen in das Land vorsieht und der nach den jüngsten beleidigenden Aktionen Bin Salmans nach Aussage der beiden „in beiden Kammern bereits parteiübergreifend Unterstützer findet“. Es ist zu hoffen, dass dieser Gesetzentwurf Erfolg hat. Die russische Invasion löst in den USA große moralische Empörung aus, hat aber bislang kaum zu einer Selbstreflexion der US-Politik oder gar zu einer Änderung dieser Politik geführt, die eine Vielzahl gleich gearteter Verbrechen befördert. Vielleicht wird sich das bald ändern.
Diese Übersetzung erschien zunächst im »ipg-journal«.
Branko Marcetic ist Redakteur bei JACOBIN und Autor des Buchs »Yesterday’s Man: The Case Against Joe Biden«. Er lebt in Chicago, Illinois.