14. Dezember 2023
Das Problem mit abgehobenen Politikern ist größer als die FDP. Reiche und Akademiker sind in den Parlamenten überrepräsentiert.
»Im Parlament sitzen keine Handwerkerinnen oder Friseure und erst recht niemand, der für Gorillas Lebensmittel geliefert hat.«
Ria Schröder, die bildungspolitische Sprecherin der FDP, stellte im Oktober dem Spiegel eine Frage, die mehr FDP nicht hätte sein können: »Warum gehen manche Leute nicht neben dem Studium arbeiten?« Sie selbst habe die Arbeit neben dem Studium als »große Bereicherung« erlebt, in Kanzleien Einblicke in das Berufsbild erhalten und sei während ihrer Arbeit in einem Café mit unterschiedlichen Leuten ins Gespräch gekommen. Der Ton des Interviews: Studierende, die sich über zu geringe Bafög-Sätze beschweren, sollen sich mal nicht so haben, Mehrfachbelastung neben dem Studium ist am Ende auch nur eine dornige Chance.
Es ist einfach, sich über FDP-Abgeordnete lustig zu machen, die solche Sätze von sich geben. Es ist besonders einfach, wenn es sich um Ria Schröder handelt, deren Lebenslauf vor Klischees nur so strotzt: Internatssprecherin in einer Privatschule, Jura-Studium an der Bucerius Law School im Hamburg (aktueller Kostenpunkt: 5.200 Euro pro Trimester) und nebenher Praktika in Großkanzleien. Das ist weit entfernt von der Lebensrealität der meisten Studierenden. Interessanterweise ist Schröders Lebenslauf aber repräsentativ für eine andere Gruppe: Sie hat den typischen Hintergrund einer Politikerin.
Weder das deutsche noch das österreichische Parlament ist sonderlich repräsentativ für die Bevölkerung – besonders auffällig ist das, wenn es um den Bildungs- und Klassenhintergrund der Abgeordneten geht. Wie Schröder haben ganze 21 Prozent der Mitglieder des Bundestags einen Abschluss in Jura, 15 Prozent haben Wirtschaftswissenschaften studiert und 8 Prozent kommen aus der Politikwissenschaft. Während nur etwa 15 Prozent der Deutschen einen akademischen Abschluss haben, sind es im deutschen Parlament fast 90 Prozent. In Österreich ist der Unterschied nicht ganz so groß, aber trotzdem hat weit mehr als die Hälfte der Abgeordneten eine Hochschule besucht. In der Gesamtbevölkerung sind es um die 12 Prozent. In beiden Parlamenten sitzen kaum Menschen, die den Alltag der klassischen arbeitenden Klasse selbst erlebt haben: keine Handwerkerinnen oder Friseure und erst recht niemand, der für Gorillas Lebensmittel geliefert hat.
Das ist keine Besonderheit des deutschsprachigen Raums, sondern ein globales Phänomen. Unsere Parlamente werden immer akademischer, immer reicher und kennen die Interessen der Menschen, die sie eigentlich vertreten sollen, immer weniger. Besonders krass ist es – wie so oft – in den USA. Rund die Hälfte des US-amerikanischen Kongresses besitzt mehr als eine Million Dollar, in der Bevölkerung sind es weniger als 7 Prozent. Die Guardian-Kolumnistin Arwa Mahdawi hat den US-Kongress zuletzt treffend als einen »gemütlichen Club für alternde Multimillionäre« bezeichnet.
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Magdalena Berger ist Assistant Editor bei JACOBIN.