28. Januar 2022
Die Tabaksteuer bringt mehr Steuereinnahmen als die Erbschaftsteuer? Das klingt verrückt, ist aber so. Denn es gibt zu viele Privilegien für Reiche.
Wer profitiert von welchen Steuern?
Die Steuereinnahmen aus 2021 zeigen: Die Erbschaftssteuer ist löchriger als ein schweizer Käse. Sie hat zwar mit 5-50 Prozent ordentliche Steuersätze. Die wirken aber nicht, da es zu viele Ausnahmen gibt. Wenn Milliardenerben ein paar Bedingungen erfüllen, gehen sie größtenteils steuerfrei aus. Das führt soweit, dass kleine Millionenerben einen höheren Steuersatz als Milliardenerben zahlen. Unter anderem wurde es so ermöglicht, dass mehr als die Hälfte des heute existierenden Betriebsvermögens vor 1918 entstand – und seitdem vererbt wird:
Quelle:ECONtribute Policy Brief No. 001: The Distribution of Wealtch in Germany 1895-2018, Seite 53
Damit nicht genug: Die Tabaksteuer nimmt mit rund 15 Milliarden Euro mehr Geld ein als die Abgeltungsteuer oder der Solidaritätszuschlag. Das sieht man bereits am Aufkommen. Denn die 9,8 Milliarden Euro der Erbschaftsteuer, die 11 Milliarden Euro des Solidaritätszuschlags oder die 10 Milliarden Euro der Abgeltungsteuer, sind nur ein Hauch an Belastung für die Reichen. Im Vergleich zum Lohnsteueraufkommen von 218 Milliarden Euro oder dem Umsatzsteueraufkommen von 250 Milliarden Euro ist das ein Witz. Eine ordentliche Vermögensteuer hingegen würde Multimillionäre und Milliardäre um über 50 Milliarden Euro im Jahr erleichtern.
Die Bundesregierung müsste also alle drei Steuern (Erbschaftsteuer, Abgeltungsteuer und Solidaritätszuschlag) unbedingt reformieren – sofern sie ein Interesse an Steuergerechtigkeit hat. Bei der Erbschaftssteuer müssten die Privilegien für Superreiche abgeschafft werden. Bei der Abgeltungsteuer fehlt die Progression. Denn Bezieher von Millionendividenden zahlen den gleichen Steuersatz wie Kleinaktionäre (oberhalb des geringen Freibetrags). Kapitalerträge müssen endlich wieder mit dem individuellen Steuersatz der Einkommensteuer versteuert werden und dieser am oberen Ende erhöht werden.
Während Lindner kurz nach Amtsantritt schon verpennt hat, die Einkommensteuer um die Inflation auszugleichen, droht mit der Abschaffung des Solis der nächste (geplante) Unfall: Der Soli droht vom Verfassungsgericht gekippt zu werden. Falls das passiert, muss die Steuer dort, wo der Soli anfiel (Unternehmensgewinne, Kapitalerträge, Arbeitseinkommen), erhöht werden. Wenn das nicht geschieht, wäre das die größte Steuersenkung für Dax-Manager, Unternehmensbesitzer und Beziehern von Millionendividenden.
Der Jahresbericht zu den Steuereinnahmen zeigt eins: Die deutsche Steuerpolitik ist mehr als ungerecht. Doch genau sie wäre der größte Hebel, um Geringverdiener und die Mittelschicht zu entlasten und gleichzeitig leistungslose Einkommen und Vermögen zu belasten. Die drei Ampel-Parteien haben mit Steuerentlastungen und Steuergerechtigkeit geworben. Beides bleibt die Regierung den Menschen bisher schuldig.
Lukas Scholle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag für Finanzpolitik und betreibt den Podcast Wirtschaftsfragen.
Lukas Scholle ist Ökonom und Kolumnist bei JACOBIN.