14. Februar 2025
Eine Abschiebung kostet oftmals Hunderttausende Euro pro Person. Trotzdem fordern inzwischen fast alle Parteien eine Abschiebeoffensive, anstatt Geflüchteten eine Perspektive zu bieten. Wie die Migrationsdebatte so entgleisen konnte und worum es dabei tatsächlich geht, erklären Valeria Hänsel und Kerem Schamberger.
Syrische Geflüchtete landen auf der griechischen Insel Lesbos, 17. März 2023.
Migration ist zum vorherrschenden Wahlkampfthema geworden. Nicht nur die CDU setzt mit ihrem Zustrombegrenzungsgesetz auf Abschottung, auch Parteien wie die Grünen präsentieren Maßnahmen, die Grundrechte infrage stellen – und das, obwohl die Anzahl der Asylanträge seit 2023 stark zurückgegangen ist.
Die Panikmache, die im Zusammenhang mit Migration nach Deutschland geschürt wird, ist bei nüchterner Betrachtung der Zahlen kaum begründbar. Valeria Hänsel und Kerem Schamberger arbeiten für die Menschenrechtsorganisation medico international im Bereich Flucht und Migration und erklären, worum es bei der überhitzen Migrationsdebatte tatsächlich geht: einen sicherheitspolitischen Staatsumbau. Warum das hochgerüstete Grenzregime der EU nicht nur unmenschlich, sondern auch ineffektiv und teuer ist, und weshalb es der Linken so schwerfällt, eine überzeugende Vision für eine gerechtere Migrationspolitik zu entwickeln, darüber sprachen sie mit Mandy Tröger für JACOBIN.
Aktuell wird viel über das Einreißen der Brandmauer diskutiert. Wo seht ihr diese Brandmauer?
KS: Diese Diskussion ist eine Ablenkung. Es wird skandalisiert, wenn sich Parteien der AfD annähern. Was jedoch noch viel mehr skandalisiert werden müsste, sind die Inhalte der Gesetze – sei es bei Merz oder den Grünen. Eine Brandmauer sollte nicht nur in Abgrenzung zur AfD bestehen, sondern auch zu einer grundrechtsfeindlichen Politik. Doch genau diese Politik setzen andere Parteien nun schrittweise um. Forderungen, die die AfD vor drei Jahren stellte, finden sich heute in den Papieren der Grünen wieder.
Deshalb liest man in Habecks Zehn-Punkte-Plan von Begriffen wie »Vollstreckungsoffensive« – ein erschreckend technokratisches und menschenverachtendes Bürokratendeutsch, das entmenschlicht und damit Gewalt gegen die vermeintlich Anderen legitimiert. Gleichzeitig gibt es den Fünf-Punkte-Plan von CDU und CSU und – zugespitzt gesagt – einen »88-Punkte-Plan« der AfD. Doch sie alle gehen in dieselbe Richtung. Sie alle erklären Migration zum Problem. Man diskutiert über die symbolische Abgrenzung zur AfD, um nicht zugeben zu müssen, dass inhaltlich bereits große Übereinstimmung besteht. Die Brandmauer schützt Geflüchtete nicht. Für sie gibt es stattdessen reale Mauern – an denen sie sterben oder vor denen sie ertrinken.
Welche Inhalte hat der sogenannte Fünf-Punkte-Plan von Friedrich Merz?
VH: Einer der zentralen Punkte ist die faktische Abschottung der deutschen Grenzen. Das Aufenthaltsgesetz sollte entsprechend geändert werden, um eine gesetzliche Begrenzung des Zuzugs zu verankern. Doch faktisch würde dies auch Asylsuchende betreffen, die einen legitimen Anspruch auf Schutz haben. Das wäre ein klarer Bruch mit europäischen und völkerrechtlichen Grundprinzipien. Sollte man das europarechtlich durchsetzen wollen, wäre das nur durch fortlaufende Notstandsverordnungen möglich – ein Modell, das an autoritäre Regime erinnert.
»Eine Brandmauer sollte nicht nur in Abgrenzung zur AfD bestehen, sondern auch zu einer grundrechtsfeindlichen Politik. Doch genau diese Politik setzen andere Parteien nun schrittweise um.«
Ein weiterer gravierender Punkt ist die massive Ausweitung der Kompetenzen der Bundespolizei. Sie sollte alleinige Zuständigkeit für »aufenthaltsbeendende Maßnahmen« erhalten, nicht nur an Grenzen, sondern auch an Bahnhöfen. Zudem sollte sie eigenständig Haftanträge stellen können, eine Aufgabe, die normalerweise Staatsanwaltschaften und Gerichten obliegt. Das wäre ein tiefgreifender Bruch mit rechtsstaatlichen Prinzipien und der Gewaltenteilung, die aus der historischen Erfahrung des Nationalsozialismus gezogen wurden. Zudem sollte der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige ausgesetzt werden, was bedeutet, dass der Staat bewusst Familien auseinanderreißt.
Was fordern die anderen Parteien in der Migrationspolitik?
VH: Kürzlich legten die Grünen mit einem eigenen Zehn-Punkte-Plan nach. Im Vergleich zum CDU-Plan erscheint er zwar moderater, bleibt aber dennoch massiv repressiv und bewegt sich in eine ähnliche Richtung. So sollen sogenannte Gefährder abgeschoben werden – also Menschen, die keine Straftat begangen haben, aber von staatlichen Stellen als potenzielle Bedrohung eingestuft werden. Dabei geht es fast ausschließlich um Menschen, die ohnehin von rassistischen Strukturen betroffen sind. Das ist eine klare Ungleichbehandlung vor dem Gesetz und ein massiver Rückschritt für rechtsstaatliche Prinzipien.
KS: Außerdem beinhaltet der Plan Maßnahmen wie biometrische Gesichtserkennung im Netz und eine engere Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten. Angesichts der Tatsache, dass die Grünen einst als Bürgerrechtspartei galten, ist dieser Wandel hin zu einer Law-and-Order-Partei erschreckend.
Aber es gibt doch einen nicht bestreitbaren Zustrom von Geflüchteten nach Europa.
KS: Um das mal festzuhalten: 80 bis 85 Prozent aller Geflüchteten weltweit sind nicht auf dem Weg nach Europa oder in die USA, sondern fliehen innerhalb ihres Landes oder in Nachbarländer. Nur ein vergleichsweise kleiner Teil kommt nach Deutschland. Dennoch wird oft suggeriert, alle Geflüchteten würden hierher wollen – das entspricht nicht der Realität. Die allermeisten Menschen werden von Ländern des globalen Südens aufgenommen.
»Die Migrationsdebatte wird instrumentalisiert, um rechtsstaatliche Grundprinzipien auszuhöhlen.«
Ist vor zehn Jahren zum »Sommer der Migration« etwas schiefgelaufen, das sich heute anhand der Migrationsdebatte zeigt?
VH: Ein bewusst gesetztes rechtes Narrativ ist die Behauptung, Angela Merkel habe 2015 die Grenzen geöffnet. Das ist faktisch falsch. Die Schengen-Regelungen existierten lange vor 2015. Damals wäre es eine humanitäre Katastrophe gewesen, Asylsuchende abzuweisen oder Migration auf diese Weise zu stoppen.
KS: Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass Merkel auch den EU-Türkei-Deal eingefädelt hat – ein Abkommen, das Hunderttausenden Menschen Rechte entzog. Die Grundlagen der heutigen repressiven Migrationspolitik wurden damals gelegt. Die Politik vermag es nicht, grundlegende gesellschaftliche Krisen anzugehen, geschweige denn zu lösen.
Migration wird für alles verantwortlich gemacht: Wohnungsmangel, lange Wartezeiten beim Arzt oder Probleme im öffentlichen Nahverkehr. Doch Migration ist eine Realität dieser Gesellschaft und nicht die Ursache struktureller Probleme. Diese Schuldzuweisungen lenken davon ab, dass die Politik keine Antworten auf fehlende Investitionen in Infrastruktur oder die Schuldenbremse hat. Statt sich diesen Herausforderungen zu stellen, wird ein Sündenbock gesucht – Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan oder sonstwoher, die am wenigsten dafür können, dass ständig die Bahn zu spät kommt oder es zu wenig Kita-Plätze gibt.
Warum ist Migration so ein zentrales Thema der politischen Debatte?
VH: Die Migrationsdebatte wird instrumentalisiert, um rechtsstaatliche Grundprinzipien auszuhöhlen – vor allem, weil Migration zunehmend unter dem Aspekt der inneren Sicherheit verhandelt wird. Über die Migrationspolitik werden demokratische Grundprinzipien abgebaut und ein sicherheitspolitischer Staatsumbau vorangetrieben. Ich glaube, das wird viel zu wenig erkannt.
KS: Außerdem hat es in Deutschland Tradition, Migration als Problem darzustellen – unabhängig davon, wie viel Migration tatsächlich stattfindet. Die Slogans, die wir heute von der Union bis zu den Grünen hören, gab es in ähnlicher Form schon vor zwanzig Jahren, als die Zahl der Asylanträge noch viel geringer war.
Die Zahl der Asylanträge heute ist im Vergleich zu 2023 stark zurückgegangen. Trotzdem bleibt Migration ein Dauerthema – nicht, weil die Zahlen das rechtfertigen, sondern weil die Politik ihre Krisen selbst kreiert und sie als Vorwand für den Staatsumbau verwendet. Ein Beispiel dafür ist die Bezahlkarte, die letztes Jahr für Geflüchtete eingeführt wurde. Kaum war sie beschlossen, wurde bereits diskutiert, ob sie auch für Bürgergeldempfänger eingeführt werden sollte.
»Die gesellschaftliche Linke muss neben der Kapitalismuskritik auch eine grundlegende Kritik am Nationalstaat entwickeln, um eine kohärente linke Migrationspolitik zu formulieren.«
Diese Mechanismen des Autoritarismus setzen immer bei den schwächsten Gliedern der Gesellschaft an – heute bei Geflüchteten und sozial benachteiligten Menschen. Doch von dort aus weiten sie sich schrittweise auf die gesamte Gesellschaft aus.
Wie beeinflussen Medien diese Wahrnehmungen?
KS: Zwei aktuelle Beispiele: Kürzlich gab es in Schweden einen Massenmord an elf Menschen in einer Schule. Wie lange wurde darüber berichtet? Gab es Sondersendungen? Nein. Warum? Weil der Täter nicht Mohammed hieß, sondern Rickert. Er soll »Verpisst euch aus Europa« gefordert haben. Der Angriff galt einer Schule, in der Geflüchtete unterrichtet wurden. Vieles deutet auf rechten Terror hin.
Wie viele Geschichten gibt es über vermeintlich kriminelle Geflüchtete? Unzählige. Aber wann haben wir einen Geflüchteten als Individuum mit Namen, Gesicht und Geschichte in einer Talkshow gesehen? Nie. Niemand fragt, ob er Folter erlebt hat oder was er heute macht.
Dazu kommt, dass Medien bewusst das Bild einer unsicheren Gesellschaft erzeugen. Eine Studie des Journalismusforschers Thomas Hestermann zeigt, wie verzerrt diese Darstellung ist: 2018 erfasste die Polizei doppelt so viele deutsche wie ausländische Tatverdächtige. In Fernsehberichten tauchen jedoch mehr als acht ausländische Tatverdächtige auf einen deutschen auf, in Zeitungen sogar vierzehn. Beim Thema Migration in Deutschland werden Eingewanderte oder Geflüchtete in 34,7 Prozent der Berichte als mutmaßliche Gewalttäter dargestellt.
Wie könnte eine emanzipierte linke Migrationspolitik aussehen?
VH: Der erste Schritt wäre, Migration überhaupt als politische und soziale Realität anzuerkennen. Wir sind alle Teil der Migrationsgesellschaft – Migrationspolitik ist Gesellschaftspolitik. Wir müssen akzeptieren, dass die eigentliche Gefahr nicht an der Staatsgrenze liegt, sondern dass wir es mit einem massiven autoritären Staatsumbau und einem starken Rechtsruck zu tun haben. Diese Entwicklungen sind die größere Bedrohung für unsere Gesellschaft und aufs engste mit der ständigen Problematisierung von Migration verbunden.
Der Autor Behzad Karim Khani sagte kürzlich: »In zwanzig Jahren werden mehr Menschen in Deutschland meinen Namen richtig aussprechen können als Fleischhauer, und das gefällt mir.« Könnte sich der Rechtsruck nicht von selbst erledigen?
KS: Ich schätze Behzad Karim Khan sehr! Seine Annahme ist, dass die Migrationsgesellschaft eine unumkehrbare Realität ist. Aber ich glaube, hier steckt ein Denkfehler. Der Fehler liegt in der Vorstellung, dass Rassismus ein feststehendes System ist – eine einfache Dichotomie von »Thomas gegen Kerem«. In Wirklichkeit ist Rassismus ein dynamisches Regime der Ausgrenzung, das sich historisch immer wieder gewandelt hat. Es ist ein Herrschaftsmittel, das unter anderem dazu dient, Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt oder in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu rechtfertigen, zu legitimieren und zu normalisieren.
»Viele Migrantinnen und Migranten bleiben nur deshalb dauerhaft, weil sie etwa fürchten, nach einer Reise zurück zur Familie nicht wieder legal nach Europa zurückkehren zu können. «
Die ersten Anzeichen dafür sind bereits sichtbar: Die Zustimmung zu Migrationsbegrenzung und Abschottung wächst – auch unter Menschen mit eigener Migrationsgeschichte. Das ist ein Phänomen, über das wir in Zukunft leider noch mehr sprechen müssen. Systeme der Ausgrenzung, Segregation und Diskriminierung werden sich weiterentwickeln – nur in neuen Formen.
Was könnte die Politik tun, um konkret dagegen vorzugehen?
VH: Erstmal heißt das, aufhören, Probleme politisch selbst zu schaffen. Beispielsweise sollte niemand länger in einem unsicheren Aufenthaltsstatus wie einer Duldung festgehalten werden. Zudem dürfen soziale Infrastrukturen nicht weiter kaputtgespart werden. So könnte man Menschen Sicherheit und eine Perspektive bieten.
Darüber hinaus muss unser Migrationssystem grundlegend hinterfragt werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert Fluchtgründe zu eng, insbesondere mit Blick auf den Klimawandel. Wir sollten darüber nachdenken, wie das Konzept von Staatsbürgerschaft neu gestaltet werden kann. Langfristig könnte das bedeuten, dass Staatsbürgerschaft allen Menschen zugänglich gemacht wird, die auf europäischem Boden leben.
Bereits heute gibt es viele Initiativen, die in diese Richtung arbeiten, wie die Solidarity Cities. Zahlreiche Städte haben sich bereit erklärt, Geflüchtete aufzunehmen, doch oft scheitert es an gesetzlichen Hürden. Ein erster Schritt wäre, solche Initiativen gezielt zu fördern – beispielsweise durch nationale oder EU-weite Finanzierungsprogramme.
Wenn es diese Ideen gibt, warum ist es so schwer, emanzipierte linke Migrationspolitik zu gestalten?
KS: Die gesellschaftliche Linke hat Schwierigkeiten, eine eigene Migrationspolitik zu entwickeln, weil sie – wie alle politischen Akteure – zu stark in den Kategorien des Nationalstaats denkt. Der Nationalstaat bedeutet aber immer Grenzen, und Grenzen bedeuten Selektion.
Die zentrale Frage lautet also: Wer entscheidet über Grenzübertritte – die Menschen innerhalb oder außerhalb dieser Grenzen? Ich glaube, die gesellschaftliche Linke muss neben der Kapitalismuskritik auch eine grundlegende Kritik am Nationalstaat entwickeln, um eine kohärente linke Migrationspolitik zu formulieren.
Habt ihr konkrete Vorschläge?
KS: Es stimmt, dass viele Menschen nach Europa kommen, um eine würdige Arbeit zu finden und nicht unbedingt, weil sie politisch verfolgt werden. Anstatt diesen Menschen nur den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer zu lassen, könnte man ein Visasystem einführen, das mehrfache Einreisen ermöglicht. So etwas wird als zirkuläre Migration bezeichnet und funktioniert bereits – zum Beispiel innerhalb des ECOWAS-Systems (der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft). Tatsächlich hatte ECOWAS die Freizügigkeit für seine Mitglieder bereits anerkannt, bevor die Europäische Union ihre eigene Personenfreizügigkeit eingeführt hat.
Dieses Modell könnte übernommen werden, ohne gleich das gesamte europäische Migrationssystem zu verändern. Es wäre eine pragmatische Lösung, die sowohl Migrantinnen und Migranten als auch europäischen Gesellschaften zugutekäme. Viele Migrantinnen und Migranten bleiben nur deshalb dauerhaft, weil sie etwa fürchten, nach einer Reise zurück zur Familie nicht wieder legal nach Europa zurückkehren zu können. Das lässt sich ändern.
»Eine progressive Migrationspolitik ist nicht nur menschenrechtlich geboten, sondern auch ökonomisch sinnvoll.«
VH: Ein weiteres Problem ist, dass Menschen, die temporär in ihre Herkunftsländer zurückkehren, ihren Asylstatus verlieren. Ein neuer Gesetzesentwurf sieht vor, dass Geflüchtete, die beispielsweise nach Syrien reisen, ihren Schutzstatus verlieren sollen – mit der Begründung, dass es dort wieder sicher sei. Das ist eine absurde und gefährliche Politik.
Wo führt es hin, wenn die Politik die Abschottung weiter vorantreibt?
VH: Wenn wir keine progressive Migrationspolitik entwickeln, werden die Probleme größer. Die aktuelle Abschottungspolitik funktioniert nicht. Menschen finden Wege nach Europa, und Fluchtursachen nehmen durch Kriege und Klimawandel zu.
Gleichzeitig sind die Grenzen mittlerweile so stark militarisiert, dass kaum noch eine weitere Verschärfung denkbar ist. Beispielsweise gibt es in Griechenland täglich gewaltsame Pushbacks. Menschen werden systematisch auf hoher See zurückgedrängt – oft mit tödlichen Folgen. Trotzdem schaffen es weiterhin viele nach Europa. Die Vorstellung, dass sich Migration durch Abschottung verhindern lässt, ist eine Illusion.
Klingt das nicht etwas realitätsfern? Immerhin steigt der ökonomische und politische Druck auf alle Länder in Europa.
VH: Eine progressive Migrationspolitik ist nicht nur menschenrechtlich geboten, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Die rigide Abschottungspolitik ist teuer und ineffizient. Zudem fördert sie ein repressives Kontrollsystem, das Menschen in unzählige Kategorien einteilt, reglementiert und kriminalisiert.
Ein Beispiel ist die Kriminalisierung sogenannter Schleuser. Menschen, die anderen bei der Flucht helfen, werden zu hohen Haftstrafen verurteilt. Dabei dient das System nicht nur der Abschreckung, sondern der Aufrechterhaltung eines ineffizienten Kontrollapparats.
Oft heißt es, Bewegungsfreiheit sei eine unerreichbare Utopie. Doch wenn man sich anschaut, wie viele Ressourcen in Grenzabschottung fließen und wie oft diese Maßnahmen scheitern, wäre ein System mit mehr Freizügigkeit oft einfacher umzusetzen.
KS: Für Abschiebungen werden oft Hunderttausende Euro pro Person ausgegeben, anstatt pragmatisch zu überlegen: Wie können wir Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren? Statt Geld in Abschottung und Abschiebung zu stecken, sollten wir in ein System investieren, das Menschen Perspektiven gibt.
Dr. Kerem Schamberger ist Referent für Flucht und Migration bei medico international, politischer Aktivist und Autor. Kürzlich erschien gemeinsam mit Alexander Glasner-Hummel und Monika Morres das Buch Geflohen, Verboten, Ausgeschlossen – Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird.
Valeria Hänsel ist Migrationsforscherin und Referentin für Flucht und Migration bei medico international.