09. Juli 2024
Nancy Faeser will Ausländer ausweisen, die in den Sozialen Medien »Terror« verherrlichen. Schon ein Like kann zu einer Abschiebung führen. Das ist ein erschreckender Angriff auf die Meinungsfreiheit und bezeichnend für die autoritäre Wende der Ampel.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser beim Pressestatement zur Gesetzesänderung zu Ausweisungen in Berlin, 26.Juni 2024.
Innenministerin Faeser will die Nutzung von Sozialen Medien verstärkt überwachen lassen und das Ausweisungsrecht verschärfen. So sollen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die durch einen Kommentar oder das Posten eines Beitrages der Zustimmung zu »Terrorverherrlichung« bezichtigt werden können, mit einer Ausweisung rechnen müssen.
Was als »terrorverherrlichender« Inhalt gewertet wird, ist nicht näher definiert und obliegt der Entscheidung der jeweiligen Ausländerbehörde. Diskutiert wurde zudem, ob auch das enorm niedrigschwellige Liken eines Beitrags bereits zu einer Abschiebung führen könne. Faeser hatte dies in einem Pressestatement vergangene Woche dementiert. Wie glaubwürdig das ist und warum dieses Gesetz bezeichnend für eine breitere autoritäre Tendenz der Ampel ist, erklärt Alexander Gorski, Experte für Migrationsstrafrecht, im JACOBIN-Interview.
Der Gesetzesentwurf zur Änderung des Ausweisungsrechts wurde vom Kabinett vor einer Woche beschlossen und soll jetzt im Bundestag beraten werden. Welche Aussichten hat das Gesetz?
Der Stand ist der, dass das Kabinett ganz klar den politischen Willen signalisiert hat, das durchzubringen. Da es von keiner der führenden Politikerinnen und Politikern der Ampelregierung Widerspruch gab, wird diese Verschärfung des Ausweisungsrechts relativ sicher Gesetz werden – womöglich mit ein paar kleinen Abänderungen, Konkretisierungen oder juristischen Anpassungen, aber ich gehe davon aus, dass im Gesetzgebungsverfahren und auch in der öffentlichen Debatte nichts mehr schieflaufen wird, denn die Ampel scheint sich sehr einig darüber zu sein. So sagte zum Beispiel auch Robert Habeck, dass er hinter Faesers Vorschlag steht.
Habeck hat verkündet, wer »die liberale Grundordnung verhöhnt, indem er Terrorismus bejubelt, furchtbare Morde feiert, verwirkt sein Recht zu bleiben«. Wie verhält sich dieser Gesetzesvorschlag, Leute wegen eines Likes abzuschieben, zur liberalen Grundordnung?
Das Grundproblem bei dieser Gesetzesreform des Ausweisungsrechts ist ein Problem der Definitionsmacht. Abstrakt heißt das: Was ist eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung? Das ist immer eine Grundvoraussetzung für die Ausweisung. Und ganz konkret: Was ist denn die Billigung einer terroristischen Straftat? Womit billige ich etwas? Was ist Terrorismus und was sind terroristische Akteure?
Durch diese Reform des Ausweisungsrechts ist es so, dass der Staat seine Definitionsmacht auf den Bereich der Sozialen Medien ausdehnt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass Debatten vereinfacht werden und Zustimmung auf eine sehr oberflächliche Art und Weise signalisiert wird. Das geschieht sehr schnell und oft auch unbedacht. Hier wird aber unterstellt, dass immer, wenn ich Inhalte konsumiere und sie dann weiterverbreite oder mit einem Emoji kennzeichne, ich mir in der Folge etwas zu eigen mache. Vor diesem Hintergrund ist es sehr besorgniserregend, dass der Staat seine Definitionsmacht über diese Begriffe jetzt zur Kontrolle von Meinungsäußerungen nutzt.
Es war unklar, ob bereits das Liken eines Beitrags eine Abschiebung zur Folge haben könnte. In einem Pressestatement hatte Nancy Faeser das jüngst verneint, es gehe nur um das Posten und Kommentieren. Ist das glaubwürdig?
Wenn man den aktuellen Gesetzesentwurf liest und so wie sich die bisherige Praxis von Ausländerbehörden darstellt, ist das Retweeten und Liken von Inhalten auf jeden Fall umfasst. Denn bereits jetzt ist es so, dass es verwaltungsgerichtliche Entscheidungen gibt, die besagen, dass man ausgewiesen werden kann, wenn man terroristische Vereinigungen unterstützt. Das Unterstützen von terroristischen Vereinigungen kann eben auch durch Liken und Retweeten von Inhalten in den Sozialen Medien gegeben sein. Deswegen ist es völlig abwegig zu sagen, ein einzelner Like sei davon nicht umfasst.
Ich selbst habe gerade Verfahren bei Ausländerbehörden, wo Leute wegen Likes und Kommentaren in Sozialen Medien ausgewiesen wurden, weil ihnen vorgeworfen wird, dass sie niedrigschwellige Unterstützungen von terroristischen Vereinigungen vornehmen. Deswegen halte ich dieses Statement von Nancy Faeser für entweder bewusst irreführend oder erschreckend uninformiert.
Es gab bereits einen Fall, in dem der Rücktritt der Präsidentin der TU Berlin gefordert wurde, nachdem sie einen vermeintlich antisemitischen Beitrag geliked hatte. Kurz darauf wurde auf Twitter die Funktion ausgeschaltet, durch die für alle User ersichtlich war, wer was gelikt hat. Wir haben in Bezug auf Palästina jüngst immer weiter um sich greifende Einschnitte in die Meinungsfreiheit gesehen – so auch der von einigen geforderte Rücktritt der Präsidentin der TU-Berlin oder auch das Einreiseverbot gegen Ghassan Abu-Sittah im Zuge des Palästina-Kongresses, das im Nachhinein als rechtswidrig eingestuft wurde. Warum kommt ein solcher Gesetzesvorschlag gerade jetzt?
Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf Ausdruck von verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland ist. Als erstes sehen wir eine immer repressiver werdende Migrationspolitik. Aus meiner Sicht ist die Ampelregierung in Hinsicht auf Migration eine der rechtesten Regierungen, die Deutschland jemals hatte. Sie hat es innerhalb der drei Jahre, die sie nun an der Macht ist, geschafft, in praktisch allen Bereichen des Migrationsrecht Verschärfungen durchzusetzen.
Während die Einwanderung und Einbürgerung von Fachkräften begünstigt wird, wird das Leben von Leuten, die hier Schutz suchen und nach Europa kommen, weil sie vor Krieg, Elend oder Hunger fliehen, immer schwerer gemacht. Es finden wieder Abschiebungen nach Syrien, Afghanistan und jetzt auch Libyen statt. Die Ampelregierung hat der GEAS-Reform zugestimmt, hat die Möglichkeiten zum Abschiebegewahrsam deutlich erweitert, hat Moldau und Georgien zu sicheren Herkunftsländern erklärt, hat prozessuale Änderungen vorgenommen im Asylgesetz, die die Rechte von Geflüchteten beschneiden und hat das Ausweisungsrecht bereits verschärft. Dass das Ausweisungsrecht nun weiter verschärft wird, reiht sich da nahtlos ein.
»Wie zynisch und von Doppelstandards geprägt dieser Diskurs ist, merkt man jetzt, wo auch in Deutschland für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit eine verschärfte Überwachung in den Sozialen Medien stattfindet.«
Die zweite Entwicklung, die ich sehe, ist ein grundsätzlicher autoritärer Staatsumbau, der gerade an dem Themenkomplex Palästina sehr gut zu beobachten ist. Gesellschaftliche Konflikte werden immer mehr mit Versicherheitlichung und polizeilichen Maßnahmen gelöst. Wir haben nach dem 7. Oktober beispiellose Versammlungsverbote, Einschnitte in die Meinungsfreiheit, öffentliche Diffamierung von Stimmen, die der Staatsräson widersprechen, und Ähnliches gesehen. Auch hier ist das Ausweisungsrecht einfach die logische Fortführung dieser Politik.
Als drittes muss man sehen, dass Deutschland mit dieser Entwicklung nicht allein ist. Ich bin im Kontakt mit Anwältinnen und Anwälten aus Frankreich, Italien und Großbritannien und überall sind diese Entwicklungen in Europa zu sehen. Deutschland bildet da keine Ausnahme. Auch unter der vermeintlich liberal-progressiven Ampelkoalition geht man mit dem Trend der Zeit zu mehr Autoritarismus.
Das ist die internationale Entwicklung in der Migrationspolitik. Es wird eine sehr starke Selektion von Migrantinnen und Migranten vorgenommen: Wer ist nützlich für den Wirtschaftsstandort, und wer ist es nicht? Für die, die als nützlich erachtet werden, gibt es Möglichkeiten der legalen Einreise und Gesetzeserleichterungen. Das gilt aber nur für eine ganz kleine privilegierte Gruppe. Für die zweite Gruppe, die große Anzahl der Menschen im globalen Süden, werden die Regeln immer weiter und weiter verschärft. Diese Selektion ist der ideologische Kern des migrationspolitischen Projekts der Ampelregierung.
Verliert die deutsche Regierung, die sich gerne als Hüterin der Meinungsfreiheit und der Demokratie inszeniert, dadurch ihre Glaubwürdigkeit?
Der Punkt, der für mich besonders hervorsticht bei der Reform des Ausweisungsrechts, ist, dass Leute, die sich mit Asylrecht beschäftigen und Menschen aus der Türkei vertreten, diese Situation sehr gut kennen. In der Türkei werden häufig linke und kurdische Menschen dafür verfolgt, was sie in Sozialen Medien teilen, und sind dort dann von strafrechtlichen Sanktionen bedroht. Das wird ja häufig auch in der deutschen Berichterstattung über die Türkei als ganz schlimmes Übel dargestellt. Und wie zynisch und von Doppelstandards geprägt dieser Diskurs ist, merkt man jetzt, wo in Deutschland für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit eigentlich das gleiche eingeführt wird. Da wird auch gesagt: Wir schauen uns ganz genau an, was ihr in den Sozialen Medien von euch gebt und wenn das nicht zu dem passt, was Deutschland will, ob im Konflikt mit der Ukraine oder in Gaza, dann nehmen wir euch euer Aufenthaltsrecht weg. Da zeigt sich einfach klar die Tendenz der Bundesrepublik im Hinblick auf die Meinungsfreiheit.
Nach der Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete wurde spekuliert, ob das irgendwann ausgeweitet werden könnte, zum Beispiel auch auf Leute, die Bürgergeld beziehen. Könnte dieses Gesetz auch auf andere Personengruppen erweitert werden?
Ja, ich glaube, grundsätzlich ist es so: Der Staat operiert immer mit der Logik, dass gewisse Verschärfungen zuerst an Gruppen ausprobiert werden, die praktisch keine gesellschaftliche Lobby haben. Das sind häufig Menschen, die Sozialleistungen beziehen, Geflüchtete Menschen oder gesellschaftliche Randgruppen, wie zum Beispiel Fußball-Ultras oder radikale Klimaaktivistinnen. Um zu zeigen, dass die Regierung etwas tut, werden drakonische Gesetze wie die Ausweitung des Präventivgewahrsams, die Einschränkung von Versammlungsgesetzen und ähnliches verabschiedet. Das richtet sich dann erst gegen eine bestimmte Gruppe aber im Endeffekt trifft es dann ziemlich schnell alle.
Gerade die repressiver werdende Migrationspolitik – und die Bezahlkarte ist ein gutes Beispiel dafür – ist dann ein Testfeld, auf dem man ausprobiert, wie weit gegangen werden kann. Der Schritt, das dann auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen, ist dann nicht weit. Und das Erschreckende an diesen Entwicklungen ist, dass der gesellschaftliche Widerstand in Deutschland viel zu gering ist, um ihnen standzuhalten. Der Aufschrei der Zivilgesellschaft, der Medien, der breiten Masse der Gesellschaft bleibt eher aus. Vor dem Hintergrund ist es dann natürlich auch leichter, repressive Maßnahmen auf größere Bereiche auszudehnen.
Du hast gesagt, dass Du solche Fälle bereits vertrittst. Die Umsetzung scheint für deutsche Behörden also kein technisches Problem darzustellen?
Grundsätzlich ist es so, dass die deutschen Behörden viel versuchen. Ich habe unter anderem Ghassan Abu Sittah und Yanis Varoufakis vertreten und gerade bei ersterem hat man ja gut gesehen, wie schnell die deutschen Behörden dann von beispielsweise den Gerichten zurückgepfiffen werden, weil es so offensichtlich rechtswidrig war. Der Staatsapparat ist noch nicht an dem Punkt, an dem er alle bürgerlichen Freiheiten aufgegeben hat. Ich glaube, dass die Sicherheitsbehörden sehr viel versuchen, auch an Recht und Gesetz vorbei. In Teilen ist es aber noch möglich, den Rechtsweg zu begehen und sich dagegen zu wehren. Ich habe die Sorge, dass das immer schwieriger wird.
Zuletzt hat sich das an der Auslieferung von Maja T. an Ungarn gezeigt. Hier hatte das Verfassungsgericht in der Nacht noch untersagt auszuliefern, während die deutschen Behörden das trotzdem bereits getan hatten. Ich denke, dass wir Sicherheitsbehörden haben, die sich deutlich weniger um Recht und Gesetz scheren, als sie das eigentlich tun sollten. Natürlich reicht dann der Rechtsweg nicht immer als Schutz für die Leute aus. Der beste Schutz wäre eine gesellschaftliche Organisierung von links, die politischen Druck aufbaut, damit solche Dinge nicht passieren.
In den letzten Jahren wurde das Ausweisungsrecht bereits immer weiter verschärft. Gibt es Zahlen die belegen, dass Straftaten dadurch abnehmen?
Mir ist in keiner Art und Weise bekannt, dass die Verschärfung von jedweden Gesetzen dazu führt, dass es weniger Kriminalität gibt. Die Ursachen von Kriminalität sind gesellschaftlich, haben mit sozialer Ungleichheit zu tun. Gerade die Verschärfung des Ausweisungsrechts ist aus meiner Sicht und aus der beruflichen Erfahrung gesprochen nichts, was Leute von der Begehung von Straftaten abhält.
»Wir sehen jetzt schon, dass die Ampelkoalition bereits viel tut, was der AfD die Arbeit dann erleichtern würde, die diese Dinge dann nicht mehr machen muss. Aber sie handelt jetzt schon in ihrem Interesse.«
Der Effekt ist aber natürlich, dass ein Teil der Bevölkerung – nämlich nicht-deutsche Menschen, die in Deutschland leben – unter Generalverdacht gestellt wird und sich besonders beobachtet fühlt. Mich fragen immer häufiger Mandantinnen und Mandanten, ob sie die Sozialen Medien noch nutzen oder ob sie ihre Accounts auf privat stellen sollen. Und ich empfehle immer öfter, das zu tun, obwohl ich natürlich nicht will, dass die Leute sich selbst zensieren. Eigentlich bin ich der Auffassung, dass man seine Meinung kundtun sollte – auch und gerade, wenn sie kontrovers ist und von staatlichen Maßgaben abweicht.
Für diese Leute steht aber relativ viel auf dem Spiel und gerade jede Äußerung zum Krieg gegen Gaza hat das Potenzial, Probleme in Form eines Strafverfahrens oder migrationsrechtliche Probleme auszulösen. Das verbreitet in den Communities Angst und schwächt das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat, das ebendort durch einschlägige Erfahrungen sowieso schon nicht besonders ausgeprägt ist.
Kann dieses Gesetz als Präzedenzfall gewertet werden, um politisch unliebsame Positionen zu unterdrücken? Erleben wir gerade einen autoritären Shift? Könnte man das vergleichen mit der Art von Repression, die es in den USA während der McCarthy-Ära gab?
Ich habe neulich mit einer Wissenschaftlerin gesprochen, die meinte, dass dieser Vergleich mit der McCarthy-Ära immer schwierig ist, weil es dabei um ganz spezifische gesellschaftliche Umstände geht, im Bezug darauf, welches Feindbild wie markiert wird. Trotzdem glaube ich, dass das, was wir gerade erleben – speziell seit 2015 und dann nochmal seit Corona und dem Ausbruch des Ukrainekriegs und seit dem 7. Oktober – dazu führt, dass ein autoritärer Staatsumbau vor den Augen der Öffentlichkeit stattfindet und das Gesetzesverschärfungen und Einschränkung von Rechtsstaatlichkeit erfolgen, die es so in der bundesrepublikanischen Geschichte selten gegeben hat.
Ich glaube, die einzige historische Parallele könnte eventuell die »Terrorgesetzgebung« Anfang der 1970er Jahre sein, oder die Sicherheitsgesetze nach 9/11. Nichtsdestotrotz ist der Unterschied, dass der jetzige autoritäre Trend sich vor einem ganz anderen gesellschaftlichen Hintergrund abspielt, nämlich dem, dass rechte Parteien und rechte Positionen – jedenfalls in Teilen des Landes – absolut hegemonial und mitunter eigentlich die stärkste Kraft sind. Das heißt, dass man sich bei den Gesetzen, die man jetzt verabschiedet, immer fragen muss, was passieren würde, wenn beispielsweise die AfD regiert. Da sieht man schon, dass die Ampelkoalition bereits viel tut, was der AfD die Arbeit dann erleichtern würde, die diese Dinge dann nicht mehr machen muss. Aber sie handelt jetzt schon in ihrem Interesse.
Vor diesem Hintergrund denke ich, dass man schon von klaren autoritären Tendenzen in der BRD sprechen muss, die dem Kampf gegen den Rechtsruck in keiner Weise nützen, sondern eher dafür sorgen, dass rechte Positionen gesellschaftsfähiger werden.
Alexander Gorski ist Rechtsanwalt in Berlin und arbeitet außerdem für das European Legal Support Center (ELSC).