06. Dezember 2024
Abtreibungsgegner in Deutschland klingen inzwischen wie evangelikale Prediger aus den USA. Dort sprechen Abtreibungsgegner hingegen schon wie TED-Talker und Risikokapitalisten. Was ist da passiert?
»War die alte republikanische Abtreibungspolitik mehr oder weniger eine Ausnahmeerscheinung unter den Rechten in der westlichen Welt, schwimmt die trumpistische Version der Partei mehr und mehr im Mainstream der rechtspopulistischen Internationalen mit.«
US-amerikanische Kulturkämpfe werden von der deutschen Rechten immer schneller und mit einer manchmal frappierenden Direktheit übernommen. Vielleicht ist es die Scheinnähe, die die globale Vernetzung und der Kontextkollaps in den sozialen Netzwerken schaffen kann. Vielleicht handelt es sich um eine Orientierung an illiberalen Strömungen, die im internationalen Vergleich erfolgreicher sind. Aber gerade, was das Recht auf Abtreibung betrifft, ist die Übernahme einigermaßen bemerkenswert: Die deutschen Rechten bedienen sich einer Rhetorik, von der sich die amerikanischen gerade verzweifelt zu distanzieren versuchen.
Die AfD greift nämlich klar die Sprache der US-amerikanischen »Christian Right« auf. Im Wahlprogramm der Partei kann man lesen, »dass seit Jahren in Deutschland jährlich rund 100.000 ungeborene Kinder getötet werden« – ein Framing, das ziemlich genau der Rhetorik der amerikanischen Pro-Life-Bewegung entspricht. Auch die Taktik, die sich im Programm der Partei abzeichnet, ist klar vom amerikanischen Vorbild inspiriert: die AfD ruft nach »Schwangerschaftsberatungen mit transparenten Qualitätsstandards«, die »explizit über den Entwicklungsstand der ungeborenen Kinder« sowie über »mögliche Spätfolgen einer Abtreibung«, »wie z.B. das Post-Abortion-Syndrom (PAS)« aufklären sollen.
Dieser Katalog orientiert sich klar an der Salamitaktik, vermittels derer die Pro-Life-Bewegung in jener Zeit (1973–2022), in der das Urteil »Roe v. Wade« des Obersten Gerichtshofs das Recht auf Abtreibung als Grundrecht garantierte, versuchte, dieses Recht immer undurchsetzbarer zu machen. Pro-Lifer konfrontierten etwa Frauen mit Fotos von Föten oder schikanierten Praxen durch exzessive und willkürliche Regulierung. Generell betrachtet das Wahlprogramm der Partei Abtreibungen als etwas, worüber eine Frau nicht selbst entscheiden kann. Um diese grundlegende Botschaft zu unterstreichen, fordert die AfD etwa die »Einbeziehung der Väter« und anderer Familienmitglieder. Der Körper einer Frau gehört im Moment der Schwangerschaft der Gemeinschaft, so die Botschaft. Keineswegs dürfe man die »Tötung Ungeborener zu einem Menschenrecht« erklären.
Auch das »Post-Abortion-Syndrom«, das von der Weltgesundheitsorganisation nicht als echte Diagnose anerkannt wird, ist, wie die Historikerin Jennifer Holland schreibt, eine Erfindung von Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern. Frauen, die abgetrieben hatten, dichteten sie »eine neue Opferrolle« an, als Strafe für »ihre unwissentliche Begehung eines moralischen Verbrechens« – die Frau als Opfer ihres Arztes.
Die Tatsache, dass die AfD das Recht auf Abtreibung ablehnt, ist im Grunde genommen nicht sonderlich überraschend. Ähnliches kennt man aus Ungarn, wo sich Frauen, die eine Abtreibung wünschen, seit 2022 zuerst den Herzschlag des Fötus anhören müssen. Nein, es ist die Direktheit der Übernahme christlich fundamentalistischer Strategien im Kampf gegen die Abtreibung, die aus amerikanischer Warte überrascht. An möglichen Vorbildern im internationalen Kampf gegen die Selbstbestimmung der Frau mangelt es weiß Gott nicht – insofern fällt zwischen der Warnung davor, die »Tötung Ungeborener zu einem Menschenrecht [zu] erklären«, und dem Verweis auf das »Post-Abortion-Syndrom« auf, wie spezifisch hier aus den USA kopiert wird.
Denn eigentlich ist die amerikanische Rechte ja im internationalen Vergleich in ihrer fundamentalistisch christlichen Ausprägung ein Sonderfall. Viele Eigenarten der europäischen Rechtspopulisten, die sich aus amerikanischer Perspektive ergeben – etwa die große Zahl schwuler und lesbischer Politikerinnen und Politiker in den Führungsriegen rechter Parteien oder die Einstellung zur Sexualität –, verdanken sich diesem Sonderstatus. Was nicht bedeutet, dass Religion oder Christentum im europäischen Rechtspopulismus weniger betont würden. Die Verwerfung verläuft lediglich entlang einer anderen Achse: In den USA heißt diese Christentum/Säkularismus, in Europa hingegen Christentum/Islam.
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Adrian Daub ist Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University und freier Autor.