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05. Oktober 2025

Rechte Parteien normalisieren Grausamkeit

Rassismus, sexualisierte Gewaltbilder und Behindertenfeindlichkeit sind eng miteinander verflochten. Im Gespräch mit Jacobin erklärt die Historikerin Dagmar Herzog, wie Rechte in den USA und in Deutschland damit mobilisieren.

Kristi Noem, Donald Trumps Ministerin für Innere Sicherheit, ließ sich am 26. März 2025 vor einer Gefängniszelle mit oberkörperfreien mutmaßlichen Gang-Mitgliedern ablichten.

Kristi Noem, Donald Trumps Ministerin für Innere Sicherheit, ließ sich am 26. März 2025 vor einer Gefängniszelle mit oberkörperfreien mutmaßlichen Gang-Mitgliedern ablichten.

IMAGO / UPI Photo

Die US-amerikanische Historikerin Dagmar Herzog zeigt in ihrem neuen Essay Der neue faschistische Körper, wie eng Rassismus, Pornografie und Behindertenfeindlichkeit historisch miteinander verbunden sind – und wie stark diese alten Muster in der Gegenwart wieder aufscheinen. Schon im Nationalsozialismus wurde Lust politisiert, einerseits durch die Förderung heterosexueller Kontakte unter »Ariern«, andererseits durch pornografisch aufgeladene Feindbilder von »gefährlichen« jüdischen Männern. Parallel dazu stand die Abwertung und Vernichtung von Menschen mit Behinderungen im Zentrum der eugenischen Politik.

Im Gespräch mit Jacobin erläutert sie, was der »neue faschistische Körper« bedeutet und dass dieser keineswegs bloß ein historisches Konzept ist, sondern in beunruhigender Weise wieder gegenwärtig wird. Herzog macht deutlich, dass genau diese doppelte Logik heute von der AfD neu aufgegriffen wird: Flüchtlinge erscheinen als sexualisierte Bedrohung, während Menschen mit Behinderung wiederholt diffamiert und von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden sollen.

In Ihrem Essay charakterisieren Sie die AfD als »faschistisch«, weil sie Gleichheit und Solidarität ablehnt, rassifizierende Erklärungen anbietet und ein narzisstisches Verlangen nach Größe bedient. Sind das für Sie zentrale Kriterien, um eine Bewegung oder Partei als faschistisch zu bezeichnen – oder wie würden Sie den Begriff grundsätzlich fassen?

Zumindest bedient sich die AfD faschistischer Strategien – genauer gesagt postmoderner faschistischer Strategien. Primo Levi hat bereits 1974 darauf hingewiesen, dass jede Epoche ihren eigenen Faschismus hervorbringt. Heute begegnet er uns in einer Form, die augenzwinkernd, scheinseriös und performativ auftritt.

Wenn ich an die Standarddefinitionen des Nationalsozialismus oder Faschismus der 1930er und 40er Jahre zurückdenke, dann beinhalten diese extremen Nationalismus, Rassismus, Gewalt gegen politische Gegner und unerwünschte Minderheiten sowie den Einsatz von Propaganda und Zensur. Das alles sind bis heute Kernkennzeichen. In den USA sehen wir das jetzt: Demokratie und Faschisierungsprozesse existieren nebeneinander, wir erleben das jeden Tag.

»Die Sexualpolitik der Nationalsozialisten war alles andere als prüde. Sie beförderte und befeuerte das heterosexuelle Glück. Für nicht-behinderte, nicht-homosexuelle ›Arier‹.«

Diese Kennzeichen sind wichtig, aber die bloße Checkliste vermittelt nicht das Entscheidende. Damit ist das Lustversprechen gemeint, also die besondere Freude am Tabubruch, die Aufwertung der eigenen Gruppe und eine aggressive Verweigerung von menschlicher Gleichheit und Solidarität. Das ist letztlich ein Angriff auf die Werte der Französischen Revolution: Liberté, Égalité, Fraternité.

Vor allem diese aggressive Verweigerung der Gleichheit der Menschenrechte ist heute ein zentrales Kennzeichen. Hinzu kommt eine Enthemmung, ein Erlaubnisgeben, auf Schwächere zu treten und die Regeln der Mitmenschlichkeit zu missachten.

Sie sprechen in Ihrem Buch viel vom »neuen faschistischen Körper«, womit Sie sich sowohl auf die Gegenwart als auch auf die NS-Zeit beziehen. Wie grenzen Sie das vom »alten« faschistischen Körper ab?

Ich weiß nicht, ob ich vom »alten« Faschismus reden würde, vielleicht mit Umberto Eco vom »Urfaschismus« – obwohl man durchaus argumentieren könnte, dass der allererste Faschismus der Ku-Klux-Klan war – eine Terrororganisation weißer Rassisten, die in den 1860er Jahren nach der Niederlage des Südens im US-Bürgerkrieg gegründet wurde.

Die relevante Vorgeschichte des deutschen Faschismus liegt aber in den 1890er Jahren. Beispielhaft hier ist der Rassentheoretiker Alfred Ploetz, der ein Buch über Die Tüchtigkeit unsrer Rasse schrieb. Darin wandte er sich gegen den Schutz der Schwachen und prägte den Begriff »Rassenhygiene«, das deutsche Wort für Eugenik. Ploetz ist auch horrend rassistisch, erklärt, warum weiße Menschen weiter entwickelt waren als Schwarze, und Schwarze weiter entwickelt als Gorillas, und auch, dass der »germanische Zweig« der »Westarier« am allerweitesten entwickelt ist. Es ist ein umfangreiches Werk. Aber schon auf den ersten Seiten geht es auch um Sex.

Ploetz verweist auf die Spartaner, die die kränklichen, schwachen oder behinderten Kinder töteten. Gleichzeitig beschreibt er ihre sexuellen Praktiken: Sie tanzten nackt, hatten auch außerehelichen Sex. Wenn ein älterer, wohlhabender Mann eine junge Frau hatte und ein junger, »wackerer« Mann ihm gefiel, erlaubte er ihm, ihr »beizuwohnen« und durch seinen »edlen Samen« mit ihr ein Kind zu zeugen, und der Ehemann nahm das Kind als sein eigenes an.

»Himmler war besessen homophob und setzte eine rigorose homosexuellenfeindliche Politik durch.«

Ploetz entwarf eine Fantasie, wie eine rassenhygienische Utopie aussehen könnte – eine Blaupause, die später die Nazis aufgriffen. Lustversprechen und Todeswünsche, »euthanatische« Praxis und transgressive, libidinöse Erregung: Das war alles affektiv verschmolzen. Ein erotisch aufgeladener Traum von einer behindertenfreien, leistungsstarken Nation. Die Sexualpolitik der Nationalsozialisten war alles andere als prüde. Sie beförderte und befeuerte das heterosexuelle Glück. Für nicht-behinderte, nicht-homosexuelle »Arier«. Und Ploetz war nicht der Einzige. Auch bei Ernst Haeckel, einem weiteren deutschen Biologen, lassen sich derartige Ideen finden.

Allerdings wurden im Dritten Reich – anders als bei den Spartanern – Homosexuelle ebenfalls ermordet.

Anfangs hatte Hitler Freunde, die homosexuell waren. Später wollte er aus verschiedenen Gründen die SA ausschalten, um sich die Unterstützung des Militärs, der Wehrmacht, zu sichern. Ernst Röhm, der Chef der SA, musste aus politisch-taktischen Gründen eliminiert werden, und es stellte sich heraus, dass das homophobe Argument dabei sehr gut funktionierte, es kam im Volk am einfachsten an.

Dann kam Heinrich Himmler an die Macht – hier zeigt sich die Kontingenz: Himmler war besessen homophob und setzte eine rigorose homosexuellenfeindliche Politik durch. Diese Politik war zudem verankert in der bereits vorhandenen Homophobie in der Bevölkerung. Wenn wir jetzt sehen, wie manche homosexuelle Männer von der extrem Rechten umworben werden (ob von der AfD oder bei J.D. Vance, wenn er von »normal gays« spricht), während zugleich der Krieg gegen transgender und gendernonkonforme Menschen erklärt wird, dann sieht man, wie es zutrifft, was Theodor W. Adorno schon 1950 sagte: Die Objekte des Hasses sind austauschbar. Das eigentliche Problem liegt eben nicht beim Objekt, sondern bei den psychischen Bedürfnissen und machtpolitischen Kalkülen der Hassenden selbst.

Das heißt, man könnte es sich so vorstellen, dass der »urfaschistische« Körper in den 1890er Jahren erträumt wurde, der »neue« in den 1930er und 40er Jahren – und das, was wir bei der AfD oder bei Trump und Co. sehen, könnte man als die »postfaschistische« Version bezeichnen?

Ja. Es ist offensichtlich eine wiederkehrende Möglichkeit innerhalb von Demokratien. Wir hätten gedacht, solche absurden Hässlichkeiten seien überwunden, und wenigstens nicht mehr salonfähig. Aber nein: Here we are again.

Sie sprechen im Zusammenhang mit der AfD von einem »sexy Rassismus«, der Gefühle von Angst und Wut, aber auch von Dominanzlust freisetzt und visuell an antisemitische und eugenische Bildwelten des Dritten Reichs erinnert. Würden Sie sagen, dass diese Verbindung von Begehren, Gewalt und Reinheitsfantasien ein zentrales Element rechter Politik ist?

Ich würde sagen, das Reinheitselement spielt heute nicht mehr die zentrale Rolle. Teilweise werden Menschen anderer Hautfarbe in die neue In-Group einbezogen, und ein Hauch sexueller »Unartigkeit« wird sogar als Teil der Lust inszeniert. Es geht also nicht nur um Konservativismus oder Tradition. Das dominierende Element ist eher das Macht- und Dominanzgehabe.

»In NS-Propaganda wie dem Stürmer wurden nackte Frauen als von jüdischen Männern bedroht dargestellt. Damals war es antisemitische Pornografie – heute begegnen wir in solchen Bildern antimuslimischer Pornografie.«

Die AfD hat auch eine Entwicklung in ihrer Bildsprache vollzogen. Erst gab es eine witzig-heitere Phase – also schon implizit rassistisch, aber eher spielerisch erotisiert – mit Bildern von schönen Frauen am Strand, Sprüchen wie »Burkas? Wir steh’n auf Bikinis« oder »Burka? Ich steh’ mehr auf Burgunder«. Oder »Neue Deutsche? Machen wir selber«, inszeniert mit einem sexy-sinnlichen Schwangerenbauch.

Dann kam die Phase der Angstmacherei: Die Warnung vor »braunen« und »schwarzen« Männern als sexuelle Bedrohung – ein Topos, den auch andere Parteien bedienen – aber der bei der AfD bezeichnenderweise mit der Zurschaustellung unbekleideter Frauenkörper einhergeht. Das ist definitiv »sexy Rassismus«. Zum Beispiel: Die Silhouette eines Mannes mit Messer bedroht eine nackte, an einen Heizkörper gebundene Blondine, wie in einem Horrorfilm.

2019 zeigte die AfD ein Großplakat mit der Botschaft: »Damit aus Europa kein ›Eurabien‹ wird.« Das Motiv ging auf ein kolonialistisches Bild von Jean-Léon Gérôme zurück: Braune Männer prüfen die Zähne einer nackten Frau – ein Gemälde, das im 19. Jahrhundert als Pornografie für weiße Männer funktionierte, weil es zugleich Lust und Empörung erlaubte. Genau diese Logik fand sich auch in NS-Propaganda wie im Stürmer, wo nackte Frauen als von jüdischen Männern bedroht dargestellt wurden. Damals war es antisemitische Pornografie – heute begegnen wir in solchen Bildern antimuslimischer Pornografie.

Die neueste Entwicklung geht weit über Angstmache hinaus, jetzt sind wir bei der AfD bei der puren Schadenfreude. Zum Beispiel das KI-Video zum Lied »Remigration Hit«, mit dem stolzen Ohrwurm-Refrain »Hey, jetzt geht’s ab, wir schieben sie alle ab«. Es zeigt überhaupt nicht bedrohliche, sondern vollkommen bedrückte, erniedrigte Männer mit mutmaßlichem migrantischem – afrikanischem oder arabischem – Hintergrund, die von »arischen« Piloten und tanzenden Stewardessen in hunderte Flugzeuge gepfercht und weit weg in den blauen Himmel geflogen werden. Das ist Triumphgehabe.

Bedienen auch andere Parteien diesen Topos?

Ich würde sagen, andere deutsche Parteien machen immer mal wieder mit bei dem Angstmache-Topos. Aber sie sind in ihrer Bildsprache weit weniger »sexy«. Wer der AfD-Strategie ähnelt, ist die US-Ministerin für Innere Sicherheit, Kristi Noem. Etwa, als sie sich in einer Dominanzpose vor in Käfige gesperrten – und speziell für das Foto hemdlos gemachten – migrantischen Männern fotografieren ließ.

Elon Musk teilte letztes Jahr einen Post, wonach nur »high T[estosteron] alpha males« zu unabhängigem Denken fähig seien. Donald Trump inszeniert sich seit Langem als ein solcher »testosterongesteuerter« Führer. Gleichzeitig warnen Rechte vor muslimischen Migranten, die Frauen unterdrücken würden, während ihre eigene Rhetorik Geschlechterhierarchien reproduziert. Wie passt diese Fixierung auf Testosteron und Frauen in Ihr Konzept des »neuen faschistischen Körpers«?

Hetero-Männlichkeit steckt weltweit in der Krise. Grund dafür ist zentral das Stadium des Kapitalismus, in dem wir leben. Viele Menschen fühlen sich unsicher, haben das Gefühl, nicht voranzukommen, und stellen elementare Fragen: Wozu ist mein Leben gut? Was gehört mir? Was kann ich erreichen? Die Zukunft wirkt verbaut, und das erzeugt eine existenzielle Bedrohung.

»Jetzt erleben wir wieder einen Angriff auf diese mitmenschliche Empathie – man soll sich nicht mehr für Flüchtlinge oder für Menschen mit Behinderung einsetzen oder mit ihnen solidarisch sein. Und natürlich hilft es, wenn man gezielt Ekel gegenüber beiden schürt.«

Diese Sorge verankert sich im Selbstverständnis von Geschlecht und Existenz. Wenn Arbeit und Sexualität schwierig werden, wenn man keinen Partner findet oder kein sinnvolles Leben führen kann, entsteht eine tiefe Krise. Einfache Antworten wirken daher besonders verlockend. Die »Manosphäre«, wie Simon Strick sie beschreibt, zeigt, wie Männer in rechtslastige Politik rutschen: Sie suchen auf Self-Help-Websites Tipps zu Bodybuilding, Ernährung, Vitaminen und Selbstoptimierung, aber auch Antworten auf Fragen wie »Wie komme ich an Frauen?« oder »Wie komme ich beruflich voran?«. Überall gibt es Angebote zur Lebensoptimierung, die den Einstieg in rechtspopulistische und extremistische Ideologien erleichtern.

Durch diese Angebote rutschen Menschen leichter in rechtslastige Botschaften: »Die braunen Männer nehmen dir alles weg« oder »Sie sind faul, bekommen Sozialgeld, du musst arbeiten«. Existenzielle Verunsicherungen bekommen scheinbar einfache Antworten.

Dann kommen Figuren wie Elon Musk ins Spiel, psychisch auffällig, aber unglaublich erfolgreich – ein Idealbild, das viele nachahmen möchten: viel Geld, Macht, Frauen, Kinder, angeblicher Genius. Gleichzeitig verstößt er gegen konventionelle Werte und inszeniert sich je nach Bedarf mal als kluger Visionär, mal als Opfer, der Autismus und Depressionen hat. Er nutzt dabei jede Möglichkeit, um zu manipulieren.

Sie zeigen, wie die AfD in einer Bundestagsanfrage 2018 die Behauptung von »inzestuösen Ehen« in migrantischen Familien aufgriff – ein Motiv, das schon in antisemitischen Diskursen der 1920er Jahre auftauchte und angeblich zu mehr geistig behinderten Kindern führen würde. Was sagt dieser Rückgriff auf spezifische historische Stereotype über die Funktionsweise heutiger rechter Rhetorik aus?

Bereits Karl Binding, ein Jurist, und Alfred Hoche, ein Psychiater, haben 1920 mit Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form ein Werk veröffentlicht, das den Nazis als Blaupause diente und noch Jahrzehnte danach als Referenzpunkt fungierte. Darin wurde die Ermordung von Menschen mit Behinderungen propagiert – mit zwei zentralen Argumenten: Ekel (»Das sind keine Menschen, sie sind widerwärtig«) und Ökonomie (»Die sind zu teuer«).

Beide Argumentationsstränge waren nicht nur eine tödliche Bedrohung verletzlicher Menschen. Der Text funktionierte auch als Angriff auf die menschliche Kapazität für Empathie für von Hilfe abhängige oder schwächere Mitmenschen. Jetzt erleben wir wieder einen Angriff auf diese mitmenschliche Empathie – man soll sich nicht für Flüchtlinge oder für Menschen mit Behinderung einsetzen oder mit ihnen solidarisch sein. Und natürlich hilft es, wenn man gezielt Ekel gegenüber beiden schürt.

In den 1920er Jahren war dies ebenso der Fall, nur waren das Feindbild damals die Juden, die angeblich so viele inzestuöse »Verwandtenehen« hatten. Der Verweis auf jüdischen Inzest war ebenfalls eine Strategie, diese als etwas Minderwertiges und Abartiges zu betrachten – aber eben zugleich einen gewissen voyeuristischen Frisson zu vermitteln. Dabei gibt es und gab es in großen Teilen der Erde immer wieder Verwandtenehen zwischen Cousinen und Cousins, ersten und zweiten Grades.

»Menschen leugneten, dass Juden getötet wurden, und behaupteten gleichzeitig, sie seien selbst schuld gewesen – beides zugleich kann nicht stimmen, wurde aber als selbstverständlich und richtig dargestellt.«

Ähnliche Argumente beobachten wir auch in der Berichterstattung westlicher, vor allem deutscher Medien zu Gaza. Bilder hungernder Kinder werden mit Hinweisen auf genetische Krankheiten oder Verwandtenehen relativiert – und so den Palästinensern selbst zugeschrieben, statt Israels Aushungerungspolitik. Welche Rolle spielen Medien in der Reproduzierung rassistischer Stereotype und in welchem Verhältnis steht dies zu dem von Ihnen beschriebenen »neuen faschistischen Körper«?

Wenn genetische oder andere Krankheiten bereits bestehen, brauchen die Betroffenen mehr Nahrung, medizinische Hilfe und Fürsorge – nicht weniger. Dennoch wurde enorme Energie darauf verwendet, Kausalitäten zu verdrehen und das Leid der Palästinenser in Gaza zu rechtfertigen. Das ist grausam. Die neuen Medien erzeugen massive Desorientierung, verwischen die Wirklichkeit und ermöglichen täglich die Verbreitung von Aggression. Viele dachten, Gewalt sei jetzt nicht mehr vertuschbar, weil sie filmbar ist. Stattdessen wird alles neu verpackt und verteidigt, Gegenargumente erscheinen in einem Wirrwarr widersprüchlicher Darstellungen.

Ähnliche Mechanismen lassen sich bereits in Adornos Arbeit fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg beobachten. Menschen leugneten, dass Juden getötet wurden, und behaupteten gleichzeitig, sie seien selbst schuld gewesen – beides zugleich kann nicht stimmen, wurde aber als selbstverständlich und richtig dargestellt. Diese Mischung aus Leugnung, Rechtfertigung und fehlender Verantwortung offenbart einen völlig verlorenen moralischen Kompass. Die Kapazität für Empathie scheint ausgelöscht. Solche Mechanismen – Verharmlosung, Schuldzuweisung und moralische Orientierungslosigkeit – zeigen sich auch heute noch und sind katastrophal.

Sie zeigen, dass Begriffe wie »Remigration« gezielt in die Debatte eingespeist werden, bis sie ihre Schockwirkung verlieren, und schließlich sogar international von Figuren wie Donald Trump aufgegriffen und konkret in die Tat umgesetzt werden. Was verrät dieser Prozess über die Funktionsweise rechter Sprachpolitik, und wo liegen die größten Gefahren dieser Normalisierung?

Viele Dinge werden heutzutage absichtlich in übertriebenen, ungeheuerlichen Formen dargestellt. Der Effekt: Grausamkeit wird normalisiert. Trump inszenierte sich vor Kurzem als tougher Lieutenant in Apocalypse Now und kündigte regelrecht »Krieg« gegen Chicago an, mit massenhaften Deportationen: »Ich liebe den Geruch von Deportationen am Morgen …«

Ein weiteres Beispiel ist das »Trump-Gaza«-Video, ursprünglich wohl als politische Satire und KI-Experiment gedacht. Der Kontext: Trump hatte vorgeschlagen, eine »Riviera des Nahen Ostens« in Gaza zu bauen, die USA würden das Gebiet übernehmen und die Palästinenser dauerhaft exilieren. Nach globaler Entrüstung tat er so, als sei es nur eine kleine kreative Idee gewesen, und zog den Vorschlag zurück.

»Viele Dinge werden heutzutage absichtlich in übertriebenen, ungeheuerlichen Formen dargestellt. Der Effekt: Grausamkeit wird normalisiert.«

Drei Wochen später postete Trump das Video selbst auf seiner Plattform Truth Social, wodurch die sanfte Ironisierung seiner Macken eine neue Bedeutung erhielt. Sein Faible für kitschiges Gold, schöne Frauen und die Freundschaft mit Netanjahu – sie präsentieren sich machtherrlich und konsumfreudig, mit dicken Bäuchen am Strand – wirkte nun wie souveräne Prahlerei. Zwischendurch treten bärtige arabische Männer als Bauchtänzer auf, was einerseits an Trumps Anti-Trans-Kampagnen erinnert und andererseits orientalistische Klischees reproduziert. Die Männer werden entmenschlicht und dienen als Objekte, während der Humor die Dominanzbotschaft verschleiert.

Durch das erneute Teilen des Videos rückte Trumps Plan zur Übernahme und Umgestaltung des Gazastreifens wieder ins Gespräch. Kurz danach endete die kurze Waffenruhe, und die Blockade führte zu einer massiven Hungersnot. Vor wenigen Wochen, passend zu Netanjahus Warnung, dass Gaza-Stadt zerstört werden könnte, wurde Trumps Plan erneut diskutiert: Zwei Millionen Menschen könnten umgesiedelt werden, acht neue KI-geplante »Smart Cities« unter US-Verwaltung entstehen. Währenddessen geht die Zerstörung in Gaza täglich weiter. Die Botschaft des Videos ist, dass man über all das lachen darf. Es ist grotesk und verzerrt die Realität, in der wir leben.

Dagmar Herzog ist eine US-amerikanische Historikerin und Professorin für Geschichte an der City University of New York. Ihr Buch Der neue faschistische Körper ist 2025 bei Wirklichkeit Books erschienen.