05. Februar 2024
Christian Lindners »Generationenkapital« macht unsere Renten abhängig von den Profiten des Finanzmarkts, das heißt: von der Ausbeutung von Beschäftigten in Aktiengesellschaften. Gute Renten schafft man in Wirklichkeit genau umgekehrt – durch gute Löhne.
Beim Wort »Zukunft« denkt Christian Lindner nicht an lebenswerte Löhne und Renten für alle, sondern an ein goldenes Zeitalter für Finanzhaie.
Christian Lindner will sich ausnahmsweise verschulden. Doch er tut dies nicht für große Investitionen in Deutschlands Infrastruktur oder Bildung, sondern um das Geld an den Finanzmärkten anzulegen. Es geht um das nun beschlossene »Generationenkapital«, mit dem Lindner die leeren deutschen Rentenkassen wieder stärker befüllen möchte.
Jährlich sollen zunächst 12 Milliarden Euro durch einen staatlichen Fonds an den Finanzmärkten angelegt werden – also in Aktien, aber auch in »illiquiden Anlagen« wie Unternehmen oder Immobilien. Die Rendite soll den Staat bei der Bezuschussung der Rente entlasten. Die 12 Milliarden Euro an Spekulationsgeld für die Aktienrente sind nun da, auch wenn es wegen der Schuldenbremse – ironischerweise einem anderen Lieblingsinstrument der FDP – länger gedauert hatte.
Lindners Hauptargument bei der ganzen Sache: Die Rentenkassen sind leer, weil die Gesellschaft altert. Daher muss das aktuelle System, in dem Junge für Alte zahlen, durch neue Geldströme unterstützt werden. Denn das derzeitige Konzept basiert darauf, dass heute Arbeitende für diejenigen bezahlen, die im Ruhestand sind. Die Aktienrente soll diesem Modell quasi eine Finanzspritze verpassen.
»Die Aktienrente wird das Casino-Spiel mit unseren Arbeitsplätzen weiter anheizen.«
Neben einer schrittweisen Erhöhung des Fonds auf 200 Milliarden Euro bis 2035 kann Lindner sich auch vorstellen, Beteiligungen des deutschen Staates an Unternehmen (wie etwa der Deutschen Bahn) in den Fonds zu überführen. In der Folge würden Tickets der Deutschen Bahn teurer werden, weil das Unternehmen im Rentenfonds einem größeren Profitzwang unterläge. Neben dem Fonds soll auch der gesetzlichen Rentenversicherung ermöglicht werden, ihre Reserven auf dem Kapitalmarkt anzulegen. Staatliche Geldtöpfe sollen also auf den Finanzmarkt umgeleitet werden. Doch das hätte immense Nebenwirkungen weit über Bahn-Tickets hinaus.
Nach Lindners Konzept soll die Aktienrente vom KENFO verwaltet werden – dem öffentlichen Fonds, der bisher vor allem damit betraut war, die Entsorgung von Atommüll zu finanzieren. Nun soll sich dieser Fonds auch um unsere Rentenbeiträge kümmern. Aktuell hat er das Ziel, zu 30 Prozent in »Private Equity, Private Debt und Infrastruktur« zu investieren.
Private Equity bezeichnet den Bereich der Finanzbranche, der Unternehmen aufkauft und umstrukturiert, um sie dann profitbringend weiterzubetreiben oder weiterzuverkaufen – meist an den nächsten Finanzhai. Kurz gesagt: Der Fonds soll für unsere Renten am Finanzmarkt spekulieren. Doch solche Spekulation hat fatale gesellschaftliche Folgen. Was Lindner als fortschrittliches Zukunftsprojekt darstellt, bedeutet für viele Beschäftigte in den gehandelten Unternehmen schon heute vor allem Personaleinsparungen, Lohneinbußen und erschwerte Arbeitsbedingungen.
Denn wer Private Equity sagt, spricht eigentlich von radikaler Profitmaximierung auf Kosten von Arbeitsbedingungen, Löhnen und Servicequalität – ob nun im Bereich der Pflege oder des Wohnens. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass Unternehmen im Besitz von Private-Equity-Firmen verglichen mit anderen Unternehmen nach vier Jahren 12,8 Prozent weniger Beschäftigte haben und 15 Prozent weniger für Personal ausgeben – also vor allem weniger Lohn zahlen.
Ein beispielhafter Verlauf solch einer »Investition« durch eine Private-Equity-Firma zeigt sich an der Pflegeheimkette Pflegen & Wohnen. Der Betriebsrat von Vitanas, einer Untergruppe des Unternehmens, beschrieb, wie sich die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern begannen, sobald die Übernahme durch den US-amerikanischen Finanzinvestor Oaktree beschlossen war. »Neu Eingestellte haben keinen tariflichen Schutz; die Kolleginnen und Kollegen haben schon seit vielen Jahren keine reguläre Lohnerhöhung mehr erhalten. Die Gehälter liegen um bis zu 1.000 Euro pro Monat unter denen anderer Einrichtungen«, berichtet die Gewerkschaft Verdi.
Dann verkaufte nach nur einem Jahr Oaktree seine Anteile wieder. Der nächste Finanzhai, der Vitanas übernahm, war die Deutsche Wohnen – ein Unternehmen, das allein im Jahr 2018 1,86 Milliarden Euro Profit machte. Die Deutsche Wohnen, die vor allem dafür bekannt ist, Menschen in maroden Wohnungen mit hohen Mieten auszubeuten, presst auch den Gesundheitssektor aus. Für die Beschäftigten und Bewohnenden im Pflegeheim bedeutete diese Übernahme vor allem eins: krasse Unsicherheiten zum Zweck kurzfristiger Profitmaximierung immer neuer Spekulantinnen und Spekulanten.
Die Aktienrente wird dieses Casino-Spiel mit unseren Arbeitsplätzen weiter anheizen. Auch hinter aktuellen Übernahmen im deutschen Gesundheitssektor stehen jetzt schon oft Pensionsfonds – etwa die Korian-Gruppe, die von französischen Versicherungen und einem kanadischen Rentenfonds getragen wird. Verdi beschreibt die Aktivitäten der Korian-Gruppe folgendermaßen:
»Lindner verschweigt, dass die Profite, die am Finanzmarkt abgestaubt werden, nicht vom Himmel fallen. Sie ergeben sich daraus, dass Beschäftigte entlassen, Tarifverträge aufgeweicht und Löhne gesenkt werden.«
»Durch diverse Übernahmen – zuletzt erwarb Korian 2016 den Pflegeheimbetreiber Casa Reha von der Beteiligungsgesellschaft Hg Capital – versechsfachte die Gruppe ihren Umsatz binnen zehn Jahren auf rund drei Milliarden Euro. 2021 sollen es schon 3,8 Milliarden sein. Im Interview mit der Branchenzeitschrift Care Invest betont Korian-Chef Ralf Stiller zwar, angesichts des Fachkräftebedarfs wolle man ›der attraktivste Arbeitgeber der Branche werden‹. Doch schon im nächsten Satz fordert er, die Fachkraftquote von 50 Prozent in Pflegeheimen aufzuweichen – also die Personalkosten durch den Einsatz schlechter qualifizierter Kräfte zu senken, was den Druck auf alle Beschäftigten erhöhen würde.« Schon bald könnte die Korian-Gruppe solche Aktivitäten auch im Namen des deutschen »Generationenkapitals« durchführen – ein Deal auf Kosten der Beschäftigten.
Lindner verschweigt beim Thema Aktienrente, dass die Profite, die am Finanzmarkt abgestaubt werden, nicht vom Himmel fallen. Sie ergeben sich daraus, dass Beschäftigte entlassen, Tarifverträge aufgeweicht, Löhne gesenkt und auch die Bedingungen für Patientinnen und Patienten im Gesundheitssektor oder von Mietenden auf dem Wohnungsmarkt verschlechtert werden. Lohnabhängige müssen dann doppelt hart arbeiten: für den Profit des Unternehmens und für den Profit der Spekulierenden.
Die Aktienrente bildet einen Teufelskreis: Ob sie später unsere Renten auszahlen kann, hängt dann auch davon ab, wie viel Profit Energie-, Wohnungs- oder Krankenhauskonzerne machen. Indem die Bundesregierung eine sozialstaatliche Leistung finanzialisiert, liefert sie den Spekulierenden dann auch eine neue Rechtfertigung für ihre Profitmaximierung: Sie machen dann nicht mehr nur für sich selbst oder das Unternehmen Profite, sondern für die Rente deutscher Bürgerinnen und Bürger. Profite zu erhöhen, wird zur Staatsräson.
Lindner sieht das Generationenkapital als den Startschuss für die Finanzialisierung in Deutschland: »Der Staat sendet damit ein deutliches Signal an die Menschen: Der Aktienmarkt ist keine unverantwortbare, gefährliche Spekulation. Man kann ihn privat nutzen, wenn der Staat das auch macht.« Auch der Grüne Finanzminister Baden-Württembergs Danyal Bayaz ruft Bürgerinnen und Bürger zum Börsengang für die Rente auf. Die Aktienrente soll den Anfang einer deutschen Anlegergesellschaft bilden. Laut beiden Politikern liegt die soziale Ungleichheit in Deutschland einfach nur an der fehlenden Finanzbildung der Massen. Die Auswirkungen der Finanzmärkte auf das Leben der Menschen blenden sie aus.
Zudem ist zu befürchten, dass das Generationenkapital in Zukunft noch zu einer »richtigen« Aktienrente ausgeweitet wird. Denn das jetzt verabschiedete Modell ist nur eine abgeschwächte Form des FDP-Vorschlags. Der FDP schwebt nämlich vor, dass zukünftig unsere Rentenbeiträge direkt an den Finanzmarkt fließen sollen.
Hinzu kommt, dass die gesamte Maßnahme für das Ziel voller Rentenkassen komplett ineffizient ist. Der DGB erklärt, dass die Aktienrente die Rentenkasse kaum befüllen wird. Um auch nur minimale Entlastungen bei Beitragszahlenden zu erzielen, müssten zwischen 308 und 550 Milliarden bis zum Jahr 2038 ins Generationenkapital fließen und selbst dann wären die Entlastungen für Rentenbeitragszahlende minimal.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die FDP alles dafür tun wird, immense Summen öffentlichen Geldes aus dem Fonds (oder später am liebsten direkt aus den Rentenbeiträgen) auf die Finanzmärkte zu leiten. Auch der geringfügige Widerstand der Grünen (vor allem aufgrund verfassungsrechtlicher Fragen in puncto Schuldenbremse und der Unsicherheit der Erträge) dürfte Lindner kaum stoppen. Und die SPD steht ebenfalls weitgehend an Lindners Seite, wenn es darum geht, dieses Projekt aufzublasen.
Statt gute Arbeit zu gewährleisten, wird ein Grundpfeiler des Sozialstaats – die gesetzliche Rentenversorgung – für die Profitlogik der Finanzmärkte geöffnet. Ist die Aktienrente erst einmal eingeführt, fällt es leicht, immer mehr Geld in sie abzuleiten – das zeigt bereits die angekündigte Erhöhung auf 200 Milliarden Euro. Auch steht zu befürchten, dass unsere Rentenbeiträge durch eine Reform in Zukunft direkt auf dem Aktienmarkt investiert werden könnten.
Maßnahmen wie die Aktienrente führen dazu, dass der Staat sich von seinen Aufgaben zurückzieht und uns alle noch abhängiger vom Finanzsektor macht. Solche Politik stärkt die Finanzwirtschaft und bindet unsere Gesellschaft immer mehr an den Erfolg von Spekulationsgeschäften. Zudem befeuert sie die Ideologie, der zufolge der Staat nicht selbst die nötigen Investitionen aufbringen könne, sondern wir auf den Finanzmarkt angewiesen seien.
»Warum stecken wir die 12 Milliarden Euro nicht einfach in Bildung und gute, klimagerechte Arbeitsplätze? Bessere Arbeit würde schließlich auch dafür sorgen, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite mehr in die Rentenkasse einzahlen.«
So erhält die ohnehin schon starke Finanzmarktlobby noch mehr politische Macht. Denn die Politik muss in Anbetracht der Aktienrente den Finanzmarkt noch stärker mitberücksichtigen. Aufgrund der Aktienrente dürfte das Ziel, gute Arbeitsbedingungen zu erhalten, in den Erwägungen deutscher Regierungen künftig stärker mit der Erhöhung der Kapitalrendite zur Erfüllung der Rentenleistung konkurrieren.
Die Logik der Aktienrente ist völlig verkehrt. Denn sie impliziert, man könne mit Aktienbesitz gesellschaftlichen Wohlstand fördern. Dabei hängen die Renten in Wirklichkeit davon ab, wie produktiv wir sind, wie viel gut bezahlte Arbeit es gibt und wie viel wir auf Grundlage dessen real umverteilen können.
Die eigentliche Frage ist nämlich: Warum sind unsere Rentenkassen eigentlich so leer? Warum sorgen wir nicht auf viel direkterem Wege für eine gute Rente – nämlich durch gut bezahlte Arbeit? Warum stecken wir die 12 Milliarden Euro nicht einfach in Bildung und gute, klimagerechte Arbeitsplätze? Bessere Arbeit würde schließlich auch dafür sorgen, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite mehr in die Rentenkasse einzahlen.
Was eine gute Rente ermöglicht, sind gute und vor allem gut bezahlte Jobs. Umwege über die Finanzmärkte zu gehen, ist reiner Klassenkampf für Finanzinvestorinnen und -investoren. Auch die Aktienrente zeigt es wieder: Der gesellschaftliche und vor allem gewerkschaftliche Einsatz für gute und nachhaltige Arbeit muss unser aller Priorität sein – auch um die Rentenfrage zu lösen.
Julia Bernard ist Politologin mit einem Schwerpunkt auf internationalen Wirtschaftsbeziehungen und Beisitzerin im Bundesvorstand der Grünen Jugend.