01. Mai 2020
Deutschlands reichste Familien sitzen nicht nur auf einem Haufen Geld, sie verstecken ihre Milliarden obendrein in Stiftungen und in gekauftem Land. Damit entziehen sie dem Gemeinwesen dringend benötigte Steuereinnahmen.
Zu ihren Lebzeiten gehörten die Aldi-Brüder Karl und Theo Albrecht der Milliardärsklasse an. Sie bildeten in Deutschland die Spitze der Reichtumspyramide. Karl Albrechts Vermögen wurde zuletzt auf 20 Milliarden Euro geschätzt, bevor er 2014 das Zeitliche segnete. Das Vermögen seines Bruders Theo belief sich auf rund 16 Milliarden Euro, als er im Jahr 2010 verstarb.
Deutschland ist ein reiches, aber sehr ungleiches Land. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sind die Vermögen in keinem Land der Eurozone ungleicher verteilt als in Deutschland. 2017 verfügten Westdeutsche im Schnitt über ein Nettovermögen von 121.500 Euro, während Ostdeutsche nur auf durchschnittlich 55.000 Euro kamen. Männer besaßen mehr als Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund nur etwa halb so viel wie Deutsche ohne Migrationshintergrund, die 45 reichsten Haushalte dagegen fast ebenso viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung.
Karl und Theo Albrecht hatten Anfang der 70er Jahre Familienstiftungen ins Leben gerufen und ihre Anteile am Aldi-Imperium auf diese Stiftungen übertragen. Theo gründete die Markus-Stiftung; Karl die Siepmann-Stiftung. Beide haben sie nur einen Zweck: die Wahrung und Förderung der Interessen der Angehörigen der Familie Albrecht sowie der Aldi-Unternehmensgruppen. Die Aldi-Patriarchen hatten große Angst davor, dass ihre nächsten Angehörigen mit dem, was ihnen nach der Besteuerung durch den Staat von ihrem Erbe übrig geblieben wäre, allzu leichtfertig umgehen könnten. Noch größer war ihre Aversion gegen den zwangsläufig mit ihrem Tod einhergehenden Kontrollverlust über ihr Firmenimperium. Neben den beiden Haupt-Familienstiftungen, die allein das Familieninteresse befördern, gründeten sie auch kleine gemeinnützige Stiftungen, die die Anteile der Familienstiftungen einst übernehmen sollen, wenn es keine Angehörigen mehr gibt. Damit haben die misstrauischen Brüder die Umlaufbahnen ihrer Vermögen nicht nur über ihren eigenen Tod hinaus, sondern auch für den Fall des Aussterbens der Familie Albrecht für alle Zeiten vorgezeichnet.
Die Stiftungen kontrollieren nicht nur das Geflecht von über 60 Aldi-Regionalgesellschaften und den Tausenden Filialen mit ihren Zehntausenden Angestellten, sondern versorgen die nächsten Familienangehörigen mit regelmäßigen Geldzuwendungen. Es ist bekannt, dass die Familie des 2012 verstorbenen Berthold Albrecht, Sohn von Theo Albrecht, jährlich 25 Millionen Euro bekommt. Von dem Geld, das die Angehörigen Jahr für Jahr von den Familienstiftungen erhalten, versucht sich der Staat über die Abgeltungssteuer 25 Prozent zu sichern. Früher hieß diese Steuer noch Kapitalertragssteuer und lag bei 42 Prozent. Peer Steinbrück, sozialdemokratischer Bundesfinanzminister a. D., hatte 2009 die Abgeltungssteuer eingeführt, um Kapitalistinnen und Kapitalisten davon abzuhalten, ihr Vermögen ins Ausland zu schaffen. »Lieber 25 Prozent von X als 42 Prozent von nix«, entgegnete er auf die Kritik, die in der Abgeltungssteuer eine Bevorteilung der Reichen zu Ungunsten von Arbeiterinnen und Arbeitern sah, die für gewöhnlich eine Steuerlast von 45 Prozent ihres Einkommens zu tragen haben.
»Für Superreiche ein Segen: Sie haben jedes Mal 30 Jahre Zeit, ihr Vermögen umzuschichten.«
Die Kapitalistinnen und Kapitalisten, die dadurch die Vorteile des Finanzplatzes Deutschland einsehen sollten, erfüllten Steinbrück seinen Wunsch jedoch nicht. Im Gegenteil schafften sie in den darauffolgenden Jahren noch mehr Milliarden am Fiskus vorbei. Die Gründung von Familienstiftungen im Tandem mit gemeinnützigen Stiftungen ist für Superreiche eine wunderbare Möglichkeit, ihr Vermögen effektiv vor einer Besteuerung durch den Staat zu schützen. Da das Vermögen den Stiftungen noch zu Lebzeiten übertragen wird, gibt es für den Staat später nichts, das er der Erbschaftssteuer unterwerfen könnte. Dabei ist die Erbschaftssteuer für Deutschland spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein wichtiges Instrument, der Konzentration von Kapital und Macht in einzelnen Familien entgegenzuwirken. Stiftungsmodelle, wie sie von den Aldi-Brüdern in Deutschland zum ersten Mal zum Einsatz gebracht wurden, untergraben die Wirksamkeit dieses Instruments und helfen, die herrschende Ungleichheit in Deutschland weiter zu zementieren. Auf diese besondere Form der Steuerungerechtigkeit wurde 1974 mit der Einführung der Erbersatzsteuer in der BRD reagiert. Die Erbersatzsteuer sorgt alle 30 Jahre für eine Besteuerung des Stiftungsvermögens. Im Gegensatz zur Erbschaftssteuer ist die Erbersatzsteuer zeitlich abzusehen und damit betriebswirtschaftlich kalkulierbar. Für Superreiche ist das ein Segen: So haben sie jedes Mal 30 Jahre Zeit, ihr Vermögen derart umzuschichten und ihre Bilanzen auf den Stichtag hin zu frisieren, um möglichst wenig von ihrem Vermögen an den Staat abtreten zu müssen.
Seit mindestens zehn Jahren investieren insbesondere in Ostdeutschland orts- und branchenfremde Unternehmen massiv in Agrarland oder in die Gesellschaften, denen der Grund und Boden gehört. Damit folgen sie dem weltweiten Trend der »neuen Landnahme« – auch »Landgrabbing« genannt – bei der es um die Erschließung von Agrarland und landwirtschaftlichen Betrieben als Investitions- und Renditeobjekte geht.
Mittlerweile gehört mehr als ein Drittel der Agrarfläche in Ostdeutschland solchen Unternehmen. Vielerorts bedienen sich diese Investoren sogenannter Share-Deals, bei denen sie anstelle des Bodens einfach die Gesellschaft kaufen, der der Boden gehört. Damit umgehen sie sowohl die Grunderwerbsteuer als auch das Vorkaufsrecht, das Landwirte gegenüber branchenfremden Unternehmen geltend machen können. Für diese mit massivem Kapital ausgestatteten Unternehmen lohnt sich der Erwerb von Agrarflächen bzw. Agrarbetrieben in vielerlei Hinsicht: Sie profitieren von steigenden Bodenpreisen, kassieren von den Landwirten hohe Pachten und können sich mit dem Anbau von Nahrungsmitteln, Holzkulturen oder Agrarkraftstoffen – oder auch der Einrichtung von sogenannten CO2-Senken als Beitrag zum Klimaschutz – über satte EU-Subventionen freuen. Auch die Familienstiftungen der Aldi-Brüder beteiligen sich an der neuen Landnahme, indem sie in landwirtschaftliche Gesellschaften investieren, wie unlängst etwa eine Recherche des MDR in Thüringen zeigte. Damit tragen sie ihren Teil zur Finanzialisierung und Deregulierung der Land- und Agrarwirtschaft bei. Ging es den Landwirten bisher darum, ihren Grund und Boden zu bewirtschaften, um für sich einen stetigen Einkommensstrom zu generieren, geht es den Finanzinvestoren allein um die Steigerung des Kapitalwerts ihrer Anlage und den profitablen Wiederverkauf.
Für die Aldi-Familienstiftungen bieten ihre Investitionen in die Land- und Agrarwirtschaft zudem die Gelegenheit, ihr Vermögen mit Blick auf den Stichtag 2033 in von der Steuer verschontes Betriebsvermögen umzuwandeln. Dann nämlich wird das Stiftungsvermögen nach 2003 wieder der Erbersatzsteuer unterworfen. Dass bis zu 85 Prozent eines landwirtschaftlich genutzten Betriebsvermögens von der Besteuerung ausgenommen werden können, wurde so eingerichtet, um kleine bis mittelgroße landwirtschaftliche Familienbetriebe nicht übermäßig zu belasten. Für Familienstiftungen sind solche Gesetze jedoch nur weitere Schlupflöcher im Steuerrecht, die sie bereitwillig ausnutzen, um ihr immenses Vermögen auf Kosten des Gemeinwesens weiter zu vermehren.
Aktuelle Umfragen belegen, dass die massiv ungleiche Verteilung der Vermögen in Deutschland von den Menschen durchaus wahrgenommen wird. Sie sehen, dass sie es sind, die mit ihrer Arbeit und ihren Einkommen sowohl den Sozialstaat als auch das Vermögen einer Klasse von Superreichen sichern, die sich um die Überlebens- und Verwirklichungschancen des Großteils der Bevölkerung einen feuchten Kehricht schert. Sie sehen, dass dem Staat unter anderem für den Aufbau und Erhalt wichtiger Infrastruktur, den Ausbau erneuerbarer Energien, die Bildung und das Gesundheitswesen das Geld fehlt. Sie sehen, wie sich der Reichtum der Gesellschaft nach und nach in das Kapital einiger Weniger verwandelt und damit in für sie unerreichbare Ferne entschwindet.
Hinter Doppelstiftungsmodellen und Immobilienwerten, komplexen Finanzinstrumenten und Landnahmen verborgen, verkommt der Nutzen des gesellschaftlichen Reichtums in den Händen der besitzenden Klasse zu der offen zur Schau getragenen Obszönität reiner Geldmacherei. Es ist allerhöchste Zeit, die Reichen aus ihren Lebensgondeln zu schubsen und sie auf die ebene Erde zurückzuholen.
Zum Autor
Ilker Eğilmez ist Programmierer und mitarbeitender Redakteur bei Jacobin.
Erratum: Eine frühere Version dieses Beitrags gab an, die Hälfte der Agrarfläche in Deutschland läge in der Hand orts- und branchenfremder Unternehmen. Tatsächlich sind es mehr als ein Drittel des ostdeutschen Agrarlands.