10. November 2020
Donald Trump wurde abgewählt – jetzt ist die Erleichterung groß. Zeit für eine Verschnaufpause bleibt trotzdem nicht. Denn die etablierten Demokraten haben dem linken Flügel den Kampf angesagt.
Die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez sprach in einem kürzlich veröffentlichten Interview in der New York Times über die Angriffe gegen Links innerhalb der Demokratischen Partei.
Wir sind alle erschöpft, und das ist verständlich. Es war ein unaussprechlich schreckliches Jahr. Die Präsidentschaftswahl hat alle psychisch ausgelaugt, und wir hätten eine Pause bitter nötig. Aber die Sache ist die: Das Kapital schläft nie, und es setzt jetzt schon alles daran, dass sich in der Politik nichts grundlegend ändern wird – und wenn sich in Washington nichts grundlegend ändert, dann wird sich in der realen Welt alles zum Schlechteren wenden.
Seit Joe Bidens Sieg ausgerufen wurde, wird eine vielschichtige Strategie verfolgt, um die enttäuschenden Wahlergebnisse auf die Progressiven zu schieben, auch wenn die Nachwahlbefragungen und die Wahlergebnisse zeigen, dass gerade die progressiven Bewegungen die Demokraten vor einer Niederlage gerettet haben. Während das Land den Sieg über Trump feierte, hat die Interessenvertretung des großen Geldes seit der Wahl Folgendes getan:
Die Führungsriege der Demokraten besteht darauf, dass die Partei die sehr moderaten fortschrittlichen Forderungen zur öffentlichen Gesundheitsversorgung aufgeben muss, um die Chancen der Partei im Bundesstaat Georgia zu verbessern, auch wenn die Umfragen genau das Gegenteil besagen.
Der Republikaner John Kasich – der vom Team-Biden Redezeit beim Parteitag der Demokraten erhielt und ihnen dennoch nicht dabei helfen konnte, seinen Heimatstaat Ohio zu gewinnen – ging auf CNN gegen die Progressiven auf Attacke und bestand darauf, dass Bidens oberste Priorität die Beschwichtigung der Trump-Wähler sein sollte.
Joe Scarborough, ehemaliger Republikaner und Fernsehmoderator der Polit-Talkshow Morning Joe, behauptete, die Wahl beweise, dass sich die Demokraten von der Linken distanzieren müsse, obwohl Joe Bidens gesamter Wahlkampf darauf baute, sich von der Linken zu distanzieren. Und genau diese Strategie führte zu enttäuschenden Verlusten.
Ian Bremmer – gern gesehener Gast in Scarboroughs Sendung und ein zuverlässiges Stimmungsbarometer der Elite – schlug ähnlich wie Kasich vor, dass die Demokraten als Erstes die Trump-Anhänger erreichen und besänftigen sollten.
Politico veröffentlichte eine Liste mit mutmaßlichen Spitzenkandidaten für Sitze in Bidens Kabinett, die größtenteils mit unternehmensfreundlichen Demokraten und Republikanern besetzt war.
Das American Petroleum Institute und die US-Handelskammer bieten öffentlich an, mit der Biden-Regierung zusammenzuarbeiten, und äußern den Wunsch, »eine parteiübergreifende Politik zu unterstützen« und »den Stillstand zu durchbrechen«.
Während die republikanischen Strategen des Lincoln-Projekts versuchen, ihre Wahloperation in ein Medienimperium zu verwandeln, greifen sie verstärkt die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez an, eine der wenigen linken Stars der Partei mit einer großen nationalen Anhängerschaft.
Führende Politiker der Demokraten und die Blue Dog Coalition – der konservative, korporative Flügel der Partei – haben die vergangene Woche damit verbracht, Progressive anzugreifen und ihnen die Schuld für die bescheidenen Verluste einiger Neulinge im Gesetzgebungsverfahren zu geben – auch wenn die Daten beweisen, dass die Demokraten in den Swing-Wahlkreisen Stimmenanteile verloren haben, als sie immer weiter nach rechts rückten.
Vor der Wahl war ich mir schon sicher, dass die Linke unabhängig vom Wahlergebnis angegriffen werden würde. Das macht mich nicht zu einem Nostradamus – diese Wahrheit lag klar auf der Hand, auch wenn es tabu war, sie auszusprechen.
Genauso wie die Republikaner ihre Methode perfektioniert haben, um jede wirtschaftspolitische Neuerung für Steuersenkungen für die Reichen zu nutzen, haben die unternehmensnahen Demokraten und ihre Verbündeten eine Propagandamaschine entwickelt, die von einem fein abgestimmten Algorithmus angetrieben wird, der progressive Stimmen zum Schweigen bringen soll – ob es sich nun um AOC, Bernie Sanders oder irgendjemanden anderen handelt – und jedes Wahlergebnis als Aufforderung zum Schutz der Milliardäre und der Macht der Unternehmen sowie der Aufrechterhaltung des Status quo umdeuten soll.
Die Wahl zeigte jedoch, dass die Wählerinnen und Wähler alles andere als Stillstand fordern. Tatsächlich hätten die Demokraten beinahe verloren, weil sie wieder einmal zuließen, dass Trump sich als Kandidat des wirtschaftlichen Wandels darstellen konnte, und sie kamen damit nur davon, weil Corona und das massive Organizing von links Trumps Wiederwahl verhindert hatten. Wenn die Demokraten den gleichen Wahlkampf in einem Covid-19-freien Umfeld wiederholen würden, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie haushoch verlieren würden. In der Radiosendung All Things Considered des NPR (National Public Radio) habe ich mich bereits dazu geäußert:
»Der Schwerpunkt lag auf dem Versuch, sogenannte Biden-Republikaner anzuziehen. Das war ein Fehler. Und es hat nicht funktioniert. Die Daten zeigen, dass es strategisch klüger ist, die eigenen Wählerinnen zu mobilisieren und außerdem Nicht-Wähler anzusprechen. Und ich denke, dass die Demokraten dabei eine ganz gute Arbeit geleistet haben. Aber die Summe – und wir sprechen hier von zweistelligen Millionenbeträgen, die in den Versuch flossen, einen mythischen republikanischen Wechselwähler anzusprechen – die Daten dazu zeigen, dass das keine gute Strategie war ...
Selbst ein lebloses Ding hätte inmitten einer Pandemie und einer Wirtschaftskrise einen Erdrutschsieg gegen Donald Trump erringen können ... Außerdem zeigen die Umfragen, dass die Demokraten einen Preis dafür bezahlt haben, dass sie keine starke ökonomische Botschaft hatten. Ich denke, dass die Biden-Kampagne in mancher Hinsicht klug war, etwa indem sie sich auf die Pandemie und ähnliches konzentrierte. Aber ohne eine starke wirtschaftspolitische Botschaft konnte Donald Trump 82 Prozent der Wähler gewinnen, die sagten, dass die Wirtschaft für sie das wichtigste Thema sei.
Das ist ein riesiges Problem. Es war ein riesiges Problem bei der Wahl. Ich bin auf jeden Fall froh, dass Joe Biden gewonnen hat. Aber wenn die Demokraten keine starke populistische, fortschrittliche ökonomische Botschaft für die Jahre 2022 und 2024 haben, könnte uns etwas Schlimmeres als Donald Trump drohen.«
Es tut mir leid, dass ich derjenige bin, der die Nachricht überbringt, aber hier ist die Wahrheit: So erschöpft wir uns auch fühlen, so sehr wir alle diese ganze Scheiße leid sind, wir können uns jetzt nicht ausruhen. Wenn wir verhindern wollen, dass sich jetzt nichts grundlegend ändert, dann werden wir kämpfen müssen – und dafür müssen wir zuallererst einige fundamentale Wahrheiten kennen:
Sich jetzt zurückzulehnen und entspannt wieder zum Brunch zu gehen, ist die Formel für eine Wiederholung der Jahre 2010 und 2016. Wir sollten uns in Gruppen engagieren, die von den Gesetzgebern auf kommunaler, bundesstaatlicher und nationaler Ebene eine Politik verlangen, die das Leben der Menschen merklich verbessert.
Es ist wichtig, sich an Demonstrationen und Protesten zu beteiligen, die konkrete politische Forderungen stellen.
Es ist absolut destruktiv, Gruppen wie dem Lincoln-Projekt Geld zu spenden, damit sie es aus dem Fenster werfen oder für die Einrichtung eines konservativen Medienkanals verwenden. Wenn wir Ressourcen bereitstellen wollen, dann für Nachrichtensender und Plattformen, die Politikerinnen und Politiker zur Rechenschaft ziehen.
Wir brauchen viele Kandidierende bei den Zwischenwahlen 2022 – niemand sollte sich scheuen, in einer Vorwahl gegen einen Demokraten anzutreten, der Teil des Problems ist.
Das sind keine perfekten Lösungen, und jede und jeder wird selbst entscheiden müssen, in welchen Organisationen, Gruppen und Kampagnen er oder sie sich beteiligen wird. Aber der Punkt ist, dass die nächsten Wochen und Monate den Lauf der nächsten vier Jahre bestimmen werden.
Wenn Leute jetzt sagen, wir sollen einfach den Mund halten, feiern und uns eine Auszeit gönnen, dann ignorieren diese Leute, dass das Geld nie schläft. Die Interessen der Konzerne ruhen nicht – sie sind wie ein T-1000 Terminator, der endlos seine Weisung verfolgt. Und die lautet: die Milliardärsklasse weiter bereichern.
Die Wahl hat sie nicht abgeschreckt. Das bedeutet, wir schlafen auf eigene Gefahr.