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01. November 2025

Die Algerische Revolution hat die Welt zum Besseren verändert

Am 1. November 1954 begann die Algerische Revolution, die das Land vom französischen Imperialismus erlösen und auf einen sozialistischen Kurs führen sollte. Heute weitgehend vergessen, war sie eines der Schlüsselereignisse des 20. Jahrhunderts.

Algerier und Algerierinnen demonstrieren für die Unabhängigkeit ihres Landes auf den Straßen von Algiers, 12. Dezember 1960.

Algerier und Algerierinnen demonstrieren für die Unabhängigkeit ihres Landes auf den Straßen von Algiers, 12. Dezember 1960.

IMAGO / United Archives Keystone

Algerien zeigt sich heute der Welt gegenüber verschlossen und misstrauisch. Obwohl sein revolutionärer Staat das chaotische Ende des 20. Jahrhunderts überlebt hat, ist das Land geplagt von Grenzkonflikten, islamistischen Aufständen und großen Jugendprotesten. Dabei ist das Vermächtnis des algerischen Volkes und seines Befreiungsstaates so dynamisch, internationalistisch und couragiert, wie selten in der Welt – ebenbürtig mit revolutionärem Heroismus von Kuba und Vietnam.

Vor einem Jahrhundert befand sich Algerien im Herzen von Frankreichs Imperium, so zentral für das französische imperiale Projekt wie es Indien für das britische war. Algerien war teilweise von weißen Siedlern besiedelt, die es als ihr Heimatland betrachteten und sich nicht als Kaste der imperialen Administration sahen. Frankreich erhielt eine juristische Fiktion aufrecht, die Algerien als integralen Teil der Nation ansah, so wie jede andere heimische Provinz, getrennt vom Festland durch das Mittelmeer, wie Paris durch die Seine geteilt ist.

Die große Mehrheit der arabischen Bevölkerung hatte einen zweitklassigen Status als Untertanen statt als Bürger. Obwohl es einer winzigen Minderheit erlaubt wurde, die französische Staatsbürgerschaft anzunehmen, wenn sie die arabische Kultur ablegte, insbesondere ihren muslimischen Glauben, waren die französischen Siedler nicht an ihr interessiert. Sie wurden so weit wie möglich segregiert und man nahm keine Notiz von ihnen, abgesehen von ihrem Nutzen als Hausbedienstete, Farmarbeiter oder als Kanonenfutter in Kriegszeiten. Sogar die industrielle Arbeiterklasse in Französisch-Algerien setzte sich größtenteils aus weißen Siedlern zusammen, wodurch die starke französische Arbeiterbewegung auf Distanz blieb zur wirtschaftlichen Not, unter der die muslimische Bevölkerungsmehrheit litt.

Der frühe Nationalismus

Die Algerier hatten seit Anbeginn der Kolonisierung in den 1830ern einen langen und wütenden Kampf gegen sie geführt. Im späten 19. Jahrhundert wurden alle Überreste ihres Widerstands unterdrückt. Wie in anderen Teilen der alten Imperien führte die Erfahrung, während der zwei Weltkriege in den imperialen Armeen zu kämpfen, sowie die wechselseitige Migration zwischen der Kolonie und dem industrialisierten Mutterland dazu, dass die Algerier mit neuen ideologischen Perspektiven in Kontakt kamen. Wilsonischer Liberalismus, sowjetischer Sozialismus und die islamischen Reformbewegungen bildeten die Grundlage für ein neues algerisches Nationalbewusstsein.

In den 1920ern griffen die liberalen Strömungen in der algerischen Politik Woodrow Wilsons antikoloniale Deklarationen auf und argumentierten auf dieser Basis für eine gleiche Staatsbürgerschaft und begrenzte Autonomie. Sie wurden jedoch verfolgt und ihre Hoffnung, in den Vereinigten Staaten endlich einen Verbündeten gefunden zu haben, wurde schnell enttäuscht. Die »Wilsonische« Selbstbestimmung war nur für die weißen Völker Europas gedacht. Der Widerstand gegen die Teilnahme der Muslime am demokratischen Leben war unter den Siedlern besonders stark. Sie dachten nicht daran, den Eroberten eine gleichberechtigte Koexistenz zu ermöglichen.

»Eine neue Generation von Unabhängigkeitsführern entstand aus den Rängen der demobilisierten muslimischen Soldaten der Freien Französischen Armee. Viele davon hatten Frankreich mit Auszeichnung gedient und hatten nicht vor, in ihrem Land weiter ein Leben in gewaltvoller Unterwerfung zu führen.«

Am 8. Mai 1945, dem Tag des Sieges in Europa, brachen in der Stadt Sétif Massendemonstrationen aus. Da Frankreich nun befreit war, wurde erwartet, dass bald eine Kolonial-Reform folgen würde. Während des Krieges standen die Siedler entschieden an der Seite der Vichy-Faschisten. Ihr Widerstand gegen jegliche Reformbestrebungen nahm zu, der Demonstration wurde sofort mit Brutalität begegnet. Soldaten schossen ohne zu zögern in die Menge, was Krawalle auslöste, die fünf Tage enormer Repression nach sich zogen. Ebenso folgten Luftbombardements nahegelegener Dörfer und sogenannte »Rattenjagd«-Pogrome gegen muslimische Siedlungen, bei denen bis zu 30.000 Menschen starben.

Das Massaker von Sétif löste eine Schockwelle im Land aus und radikalisierte die liberale Unabhängigkeitsbewegung. Eine neue Generation von Unabhängigkeitsführern entstand aus den Rängen der demobilisierten muslimischen Soldaten der Freien Französischen Armee. Viele davon hatten Frankreich mit Auszeichnung gedient und hatten nicht vor, in ihrem Land weiter ein Leben in gewaltvoller Unterwerfung zu führen.

Krieg an zwei Fronten

Die algerische Front de Libération Nationale (FLN), die sich daraufhin bildete, war eine Organisation, die Aktionen über theoretische Nuancen und Einheit über Unterschiede stellte. Am 1. November 1954 erklärte die FLN Frankreich einseitig den Krieg. Der Krieg begann, bevor die FLN überhaupt eine konkrete politische Form angenommen hatte. Die zentrale Führung setzte darauf, sofort die Unterstützung der Bevölkerung für den Kampf zu gewinnen. Diese Wette beruhte auf dem Wunsch der FLN-Führung, die zumeist aus Soldaten und nicht aus Gelehrten bestand, wirkungslose Rhetorik in entschlossenes Handeln umzusetzen – und sie funktionierte.

Die Franzosen reagierten auf die Herausforderung, wie sie es in der Vergangenheit immer getan hatten: mit rascher, brutaler Repression. Im neuen internationalen Kontext führten die alten Methoden jedoch zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen. Die Algerier spürten, dass in der kolonisierten Welt ein neuer Wind wehte, und strömten zunächst zu Tausenden, dann zu Millionen auf die Seite der FLN. Die Franzosen reagierten mit einer verschärften Aufstandsbekämpfung, bei der Folter, Konzentrationslager und die Ermordung von Zivilisten zur offiziellen Politik wurden.

Die FLN erkannte schnell die Bedeutung der neuen internationalen Dynamik und eröffnete einen Krieg an zwei Fronten. Vor Ort übernahm sie eine leninistisch-maoistische Parteiorganisation, die für einen langwierigen Guerillakrieg geeignet war. Sie griff zu Attentaten und Terror, wobei sie insbesondere französische Verwaltungsbeamte und muslimische Kollaborateure ins Visier nahm, um die Polarisierung des Konflikts bewusst zu verschärfen und die Bevölkerung zu einer eindeutigen Entscheidung für eine der beiden Seiten zu zwingen.

Außerdem bediente sie sich intensiver politischer Agitation, insbesondere unter der ländlichen Bevölkerung, auf deren Schutz und Unterstützung sie angewiesen war. Die politischen Kommissare der FLN betonten den sozialrevolutionären Aspekt des Krieges und etablierten die Bewegung als Schattenstaat unter den Augen der Franzosen. Ähnlich wie der Vietcong, von dem sie sich inspirieren ließ, begann die FLN, der ländlichen Bevölkerung, die von Subsistenzwirtschaft lebte, Gesundheitsversorgung, Sozialleistungen und Bildungsangebote zur Verfügung zu stellen.

Die zweite Front war international, mit einem diplomatischen Kader, an dessen Spitze charismatische Revolutionäre wie Ahmed Ben Bella standen. Der Kampf wurde vom offenen Land in die Debattenräume der Vereinten Nationen übertragen. Obwohl die FLN noch keinen eigenen Staat repräsentierte, entsandte sie Delegationen zu international bedeutenden Zusammenkünften, darunter die Bandung-Konferenz in Indonesien. In den Vereinten Nationen, in Bandung und anderswo drängten sie ihre Sache den Supermächten sowie den Großen und Guten der aufstrebenden Dritten Welt auf, darunter Indiens Jawaharlal Nehru, Chinas Zhou Enlai und Ägyptens Gamal Abdel Nasser.

Im Zentrum der Welt

Nasser, ein Panarabist, der sich selbst als politische Galionsfigur der gesamten arabischen Welt inszenierte, war besonders daran interessiert, seine Unterstützung für die FLN zu bekunden. Er wurde wiederum von den Algeriern hochgeschätzt, die in ihm den lebenden Beweis dafür sahen, dass eine revolutionäre Selbstbefreiung in der arabischen Welt möglich war. Der in Kairo ansässige Radiosender Sawt al-Arab (»Stimme der Araber«) verbreitete die Propaganda der FLN im gesamten Nahen Osten und Nordafrika, verschaffte ihr eine außerordentlich große globale Präsenz und stärkte die Legitimität ihrer Revolution in den Augen der Araber und Afrikaner überall.

Die Ägypter fungierten auch als Vermittler für Waffenverkäufe an die FLN und lieferten tschechische, jugoslawische und chinesische Waffen an die algerischen Mudschaheddin. Diese wurden zusammen mit Guerilla-Militärstrategien eingesetzt, die sie von den chinesischen und nordvietnamesischen Kommunisten gelernt hatten, mit denen die Algerier engen Kontakt pflegten. Marokko und Tunesien, Algeriens Nachbarn im Westen und Osten, erlaubten der FLN, ihr Territorium als Operationsbasis für ihr militärisches Oberkommando zu nutzen.

Die Saudis, die Nasser verabscheuten, weil sie ihn als gottlosen Sozialisten und direkte Bedrohung für ihren eigenen Anspruch auf die Führungsrolle in der arabischen Welt betrachteten, wetteiferten darum, finanzielle Unterstützung anzubieten. Sie boten auch die Verwendung saudischer Pässe an, mit denen man frei um die Welt reisen konnte, darunter auch nach New York, um an Sitzungen der Vereinten Nationen teilzunehmen. Dort hatte die FLN ein ständiges Büro eingerichtet, um ihren Anspruch auf einen unabhängigen Staat geltend zu machen.

»In den FLN-Lagern erhielten Revolutionäre aus ganz Afrika militärische und politische Ausbildung. Noch bevor sie ihr eigenes Heimatland befreit hatten, hatten sich die Algerier bereits in den Mittelpunkt der panafrikanischen und globalen Politik der Dritten Welt gestellt.«

Während die Grausamkeiten des Krieges weiter eskalierten, tat das prominent besetzte diplomatische Team der FLN alles, was in ihrer Macht stand, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf den Konflikt zu lenken. Selbst als sich die militärische Lage im Land verschlechterte, verstärkte sich der diplomatische Druck auf Frankreich, sodass die FLN ihre Hoffnungen auf eine politisch vermittelte Beendigung des Konflikts setzte.

Abane Ramdane, Kommandeur der Front in Algier und einer der führenden Ideologen der FLN, versuchte, den Krieg an zwei Fronten zu beenden, indem er einen spektakulären, groß angelegten Aufstand in der Hauptstadt inszenierte. Die Schlacht um Algier, die später stark mythologisiert wurde, hatte jedoch nicht den gewünschten Effekt und führte zur fast vollständigen Zerschlagung der Untergrundorganisation in der Stadt. Ramdane floh kurz darauf nach Marokko und wurde dort von seinen eigenen Mitstreitern im Oberkommando ermordet.

Während die weltweite Faszination für den algerischen Kampf ihren Höhepunkt erreichte, eskalierten die Spannungen innerhalb der geheimnisumwitterten FLN-Führung. Die Kommandeure der ländlichen Sektionen, die tief im Hinterland lagerten, waren verärgert über die schweren Verluste, die sie hinnehmen mussten, während ihre eher luxuriös untergebrachten Genossen die diplomatische Kampagne führten. Als Frankreich sowohl die marokkanische als auch die tunesische Grenze befestigte und begann, die ländliche Bevölkerung in Umsiedlungslagern zusammenzutreiben, wurde die Fähigkeit der Armeen im Feld, Verstärkung und Nachschub zu erhalten, drastisch eingeschränkt. Doch selbst als die Franzosen begannen, aus diesen Taktiken militärischen Vorteil zu ziehen, schürte ihre wahllose Gewalt, einschließlich der Bombardierung tunesischer Dörfer jenseits der Grenze, neue Empörung auf der Weltbühne.

Die terroristischen Methoden, die die FLN als Reaktion darauf anwandte, wurden in den Schriften von Frantz Fanon theoretisch begründet. Fanon war ein Psychiater von Frankreichs Karibikinsel Martinique, der sich während seiner Arbeit in Algerien den Reihen der Befreiungskräfte angeschlossen hatte. Fanon beschrieb den Imperialismus eloquent als extremen Rassismus, schilderte die Entmenschlichung der unterworfenen Völker und befürwortete nachdrücklich revolutionäre Gewalt als Form der Massenbefreiung. Fanons Ansichten deckten sich mit den vorherrschenden sozialistischen und nationalistischen Strömungen der Befreiungsbewegung und trugen dazu bei, das ideologische Feld des gesamten Dritte-Welt-Projekts zu definieren.

In den FLN-Lagern in Marokko, Tunesien und Mali erhielten Revolutionäre aus ganz Afrika – darunter auch Nelson Mandela – militärische und politische Ausbildung. Noch bevor sie ihr eigenes Heimatland befreit hatten, hatten sich die Algerier bereits in den Mittelpunkt der panafrikanischen und globalen Politik der Dritten Welt gestellt.

Tabula Rasa

In Frankreich war die Öffentlichkeit bereits kriegsmüde. In einer Zeit dramatischer wirtschaftlicher Fortschritte im Inland verlor der durchschnittliche Franzose zunehmend das Interesse an der kolonialen Machtvergrößerung der herrschenden Klasse. Die hartnäckigen Pied-Noirs (wie die Kolonisten oft genannt wurden) waren zu einer peinlichen und destabilisierenden Kraft in der Innenpolitik geworden und versuchten sogar einen Putsch gegen Präsident Charles de Gaulle, der demokratisch gewählt wurde, um den Krieg zu beenden.

1962 brach die französische Position trotz ihrer überwältigenden militärischen Überlegenheit im Inneren der Sahara zusammen. Die Franzosen waren gefangen zwischen den unerbittlichen diplomatischen Angriffen der FLN, die sowohl in Algerien als auch in Frankreich zu anhaltenden Unruhen in den Städten geführt hatten, und einer gut ausgerüsteten algerischen Armee unter dem Kommando des skrupellosen Oberst Houari Boumédiène, die sich hinter den Grenzzäunen versammelt hatte.

Ahmed Ben Bella, der gerade aus einem französischen Gefängnis entlassen worden war, etablierte sich schnell als populärer und energischer nationaler Führer, der von Boumédiène und dem Militär unterstützt wurde. Der Krieg hatte den alten französischen Kolonialstaat und die traditionelle algerische Lebensweise hinweggefegt, sodass Ben Bella und die FLN sich daran machten, ihre Revolution in einen neuen Nationalstaat zu übersetzen.

»Die Algerier machten keinen Hehl daraus, dass sie subversive Kräfte in ganz Afrika unterstützten und den Austausch von Ideen wie auch Waffen erleichterten.«

Ben Bella passte perfekt in das Schema eines revolutionären Staatsmannes der Dritten Welt. Mit seiner persönlichen Ausstrahlung und seiner ideologischen Flexibilität verpflichtete er Algerien zu einer sozialen Revolution im Inland und einer aktivistischen Politik im Ausland. Als die Pied-Noirs mit den Füßen abstimmten und das Land in Scharen verließen, wurden ihre riesigen landwirtschaftlichen Güter, Fabriken und Unternehmen von der arabischen Bevölkerung besetzt. Ben Bella erkannte, dass sich in weiten Teilen des Agrar- und Industriesektors de facto Arbeiterkontrolle etablierte, und hielt die FLN an der Spitze der revolutionären Welle, indem er diese Volksübernahmen offiziell anerkannte und befürwortete.

Der rasche Übergang zu einer vollständig sozialisierten Wirtschaft begeisterte die Sowjets, die sahen, dass Algerien auf den Spuren Kubas einen Entwicklungsweg einschlug, der den Kapitalismus gänzlich umging. Auch unter intellektuellen Linken im weiteren Sinne sorgte dies für große Begeisterung, da sie Ben Bellas Anerkennung und Förderung der Kontrolle der Industrie durch das Volk als Verwirklichung der demokratischeren Bestrebungen des Sozialismus betrachteten.

Algier entwickelte sich auch rasch zu einem boomenden diplomatischen Zentrum für alle revolutionären Strömungen der Welt. Die engen Beziehungen, die die FLN während ihrer Jahre des Kampfes zu anderen Befreiungsbewegungen aufgebaut hatte, wurden formalisiert, und Gruppen wie der Vietcong, der African National Congress und sogar die Black Panthers eröffneten Büros und Botschaften. Die Algerier machten keinen Hehl daraus, dass sie subversive Kräfte in ganz Afrika unterstützten und den Austausch von Ideen wie auch Waffen erleichterten. Algier war in den 1960er Jahren ein Ort, an dem arabische Nationalisten, angolanische Guerillakämpfer, französische Trotzkisten und jugoslawische Diplomaten auf den Straßen aneinander vorbeigingen, in Cafés miteinander plauderten und heimliche Treffen in Hotelbars abhielten.

Endspiel

Am 19. Juni 1965 erwachte die Bevölkerung des freien Algiers zum Anblick von Panzern auf den Straßen. In den letzten Wochen hatte sich die Stadt auf die Ausrichtung einer hochkarätigen Konferenz afrikanischer und asiatischer Staatschefs vorbereitet. Der als Bandung II angekündigte Gipfel sollte den Ton für die nächste Phase der Weltrevolution im Globalen Süden angeben. Nur wenige Tage vorher, während ausländische Würdenträger bereits eintrafen, schlug Boumédiène gegen seinen ehemaligen Verbündeten Ben Bella zu.

Die Reaktion der Bevölkerung war verhalten. Der Putsch stellte sie vor vollendete Tatsachen. Ben Bella wurde aus seiner bescheidenen Stadtwohnung entführt, während er noch schlief. Die stark sichtbare Militärpräsenz auf den Straßen schreckte jeden Versuch spontaner Proteste ab.

Aber was genau war geschehen? Trotz der Überschwänglichkeit der Algerischen Revolution brodelte es, wie bei allen Revolutionen, unter der Oberfläche vor Widersprüchen. Ben Bellas Bestrebungen, eine echte Kontrolle der Industrie durch das Volk zu fördern, scheiterten an den Forderungen nach einer staatlich gelenkten Modernisierung. Kleinbauern, die gerade erst begonnen hatten, echte Autonomie auszuüben, sahen sich einerseits mit Forderungen nach einer raschen Mechanisierung der Produktion konfrontiert – und andererseits mit ebenso starken Forderungen, große Mengen an Überschüssen zu produzieren, die in die industrielle Entwicklung, insbesondere im Öl- und Gassektor, zurückfließen sollten.

Darüber hinaus wurde der Kosmopolitismus der Regierung Ben Bella von konservativen Kräften in der algerischen Gesellschaft, darunter auch innerhalb der FLN-Koalition selbst, zunehmend mit Feindseligkeit betrachtet. Obwohl Ben Bella sich zu einer Form des revolutionären Nationalismus bekannte, der die arabische Identität mit dem Sozialismus in Einklang bringen wollte, war es offensichtlich, dass der Modernismus des Regimes den Islamismus als reaktionäre Kraft betrachtete, die es zu unterdrücken galt.

Die Ausländer, die ins Land strömten, seien es ideologische Mitstreiter, Journalisten oder Vertreter befreundeter Regierungen, wurden zunächst hinter verschlossenen Türen, später dann auch offener in den konservativen Teilen der Presse verächtlich als Pied-Rouges bezeichnet. Vor allem innerhalb der Armee nahm der Nationalismus zunehmend fremdenfeindliche Züge an.

»Geografisch an der Schnittstelle zwischen Europa, Afrika und dem Nahen Osten gelegen und politisch zwischen dem kommunistischen und dem kapitalistischen Weltordnungssystem positioniert, übertraf Algeriens internationaler Status bei weitem das, was man von einem vom Krieg zerrütteten Land mit einer so kleinen und verarmten Bevölkerung erwarten konnte.«

Der geplante afro-asiatische Gipfel brachte diese unterschwelligen Spannungen innerhalb des algerischen Machtsystems zum Vorschein. Aus Ben Bellas Sicht würde die Konferenz seine Position als wahrhaft internationalen Staatsmann festigen und es ihm ermöglichen, seine Autorität sowohl über die Algerische Revolution als auch über seine Gegner innerhalb dieser zu behaupten. Für Boumédiène, de facto Algeriens zweiter Mann, war dies der letzte Zeitpunkt, an dem Ben Bella herausgefordert werden konnte, bevor er einen gottgleichen Status à la Castro erlangte.

Im selben Jahr, in dem Ben Bella gestürzt wurde, wurde Kwame Nkrumah in Ghana seines Amtes enthoben, und auch in Nigeria, Kongo und weiteren afrikanischen Ländern wurden Regierungen durch Staatsstreiche gestürzt. Kurz darauf wurde Nasser im katastrophalen Krieg gegen Israel 1967 gedemütigt, was das Ende der idealistischsten und pluralistischsten Ära der Dritten Welt einläutete.

Obwohl viele in der Dritten Welt befürchteten, dass Boumédiènes Militärputsch eine dramatische Wende hin zur Konterrevolution und zur Annäherung an den Westen bedeutete, war dies tatsächlich nicht der Fall. Die Sozialisierung der Wirtschaft wurde fortgesetzt, jedoch mit einer stärkeren Ausrichtung auf eine zentralistische Planung nach sowjetischem Vorbild, die auf die Erschließung der enormen Kohlenwasserstoffvorkommen des Landes ausgerichtet war. Auf internationaler Ebene blieb Algerien der Blockfreiheit verpflichtet und setzte sich bei den Vereinten Nationen nachdrücklich für eine globale wirtschaftliche Neuordnung zugunsten der Entwicklungsländer ein.

Doch auch dieser Internationalismus nahm zunehmend staatsorientierte Formen an und gipfelte in der Beteiligung Algeriens an der Gründung der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC). Dem OPEC-Kartell gelang es, die Weltwirtschaft durch Manipulation der Rohölpreise zu lähmen, was unbeabsichtigt eine rasante Ausbreitung des Neoliberalismus im sich auf einmal deindustrialisierenden Westen auslöste, der sich jedoch schnell auf die Dritte Welt und den kommunistischen Block ausweitete.

Die Algerische Revolution war von zentraler Bedeutung für die politische Landschaft der Mitte des 20. Jahrhunderts. In ihrem Rahmen spielten sich die Dynamiken der Entkolonialisierung und des Kalten Krieges in einem sichtbaren Spektakel ab. Geografisch an der Schnittstelle zwischen Europa, Afrika und dem Nahen Osten gelegen und politisch zwischen dem kommunistischen und dem kapitalistischen Weltordnungssystem positioniert, übertraf Algeriens internationaler Status bei weitem das, was man von einem vom Krieg zerrütteten Land mit einer so kleinen und verarmten Bevölkerung erwarten konnte.

Obwohl es in den letzten Jahrzehnten aus dem globalen Rampenlicht verschwunden ist, bleibt es sowohl in Bezug auf seine Infrastruktur als auch seine Kultur einer der modernsten Staaten der arabischen Welt. Der Kampf Algeriens war lang und hart, aber deshalb nicht weniger heroisch.

Robert Maisey ist Aktivist der Labour Party und Vertrauensmann der Eisenbahnergewerkschaft RMT. Zwischen den Zügen lehrt er an der Birkbeck University über das kurze 20. Jahrhundert.