30. August 2023
Die UFO-Anhörungen im US-Kongress haben keine Beweise über abgestürzte Raumschiffe zutage gefördert. Dass die Regierung die Existenz von Außerirdischen vertuscht, ist eher unwahrscheinlich. Dennoch sollte ihre Geheimniskrämerei misstrauisch stimmen.
Weitaus bedrohlicher als diese Alien-Darsteller auf der Gamescom ist ein militärisch-industrieller Komplex, der fernab von demokratischer Aufsicht über riesige Budgets verfügen kann.
IMAGO / Sven SimonHat die faschistische Regierung von Benito Mussolini in den 1930er Jahren ein abgestürztes außerirdisches Raumschiff geborgen? Gelangte das Schiff daraufhin in die Obhut des Vatikans, der es wiederum am Ende des Zweiten Weltkriegs an die USA übergab? Wurden bei neueren Abstürzen »nichtmenschliche biologischen Substanzen« geborgen?
Das alles klingt wie der Plot einer fantastischen Folge von Akte X. In diesem Fall hat es jedoch der »Whistleblower« David Grusch als Fakten präsentiert. Ende Juli war er einer der Hauptzeugen bei den Anhörungen des US-Kongresses zu dem, was man früher unidentifizierte Flugobjekte nannte. Inzwischen wurden sie in unidentifizierte Luftphänomene (Unidentified Aerial Phenomena, kurz: UAP) umbenannt – vermutlich, weil »UFO« dann doch etwas peinlich klingt.
Selbst wenn man nicht glaubt, dass kleine grüne Männchen (oder graue Außerirdische wie in Akte X) im faschistischen Italien eine Bruchlandung gemacht haben, macht es doch Sinn, all dem auf den Grund zu gehen, und zwar aus weitaus banaleren Gründen. Sollten wir wirklich darauf vertrauen, dass das Militär und die Geheimdienste verlässlich Geld für die »Untersuchung von UAPs« ausgeben, ohne dass die Öffentlichkeit genau erfährt, was sie vorhaben und wie dies mit dem Rest ihrer Aktivitäten zusammenhängen könnte?
»Die US-Regierung hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu verspielen. Der einzige Weg, es zurückzugewinnen, wäre echte Transparenz.«
Gruschs Geschichte scheint sehr unwahrscheinlich. In den USA gibt es jeden Tag 45.000 Inlandsflüge, und kaum einer davon stürzt ab. Wie der Wissenschaftsjournalist Mick West anmerkt, wäre es sehr seltsam, wenn intergalaktische Raumschiffe, die einen ungleich größeren Hindernisparcours bewältigen mussten, um überhaupt zur Erde zu gelangen, viel häufiger abstürzen würden.
Dennoch zeigen Umfragen, dass eine Mehrheit der Menschen in den USA den offiziellen Dementis misstraut und vermutet, dass an den Behauptungen zu den UAPs etwas dran sein könnte. Skeptiker wie ich könnten angesichts der Umfragezahlen versucht sein, über die Leichtgläubigkeit der Amerikanerinnen und Amerikaner zu lachen. Das wäre jedoch ein Fehler – und zwar nicht nur, weil es sich sehr wohl um Vertuschung handeln könnte. Auch wenn das, was vertuscht wird, wahrscheinlich keine »nichtmenschlichen biologischen Substanzen« sind, von denen Grusch behauptet, sie wären an den Absturzstellen gefunden worden, sondern die alltäglichen Machenschaften des militärisch-industriellen Komplexes.
Die Wahrheit ist, dass die US-Regierung alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu verspielen. Der einzige Weg, es zurückzugewinnen, wäre eine dramatische Wende hin zu echter Transparenz.
Bisher ist noch kein einziger direkter Beweis für irgendeine dieser Behauptungen veröffentlicht wurde. Einige von ihnen sind zudem nur schwer mit den uns bekannten physikalischen Gesetzen in Einklang zu bringen und sie alle von Haus aus unplausibel. Gruschs Argument lautet derzeit: »Vertraut mir.«
Bis jetzt klingt das lächerlich – und, um es klar zu sagen, ich denke, dass es ausgezeichnete Gründe gibt, seine Behauptungen zurückzuweisen. Aber Grusch und die Menschen, die ihn Unterstützen, können mit Recht darauf verweisen, dass es nicht seine Schuld ist, dass er die Beweise, die sich in seinem Besitz befinden könnten, nicht weitergeben kann. Würde er anfangen, geheime Informationen zu veröffentlichen, würde er wie Julian Assange in einer Gefängniszelle landen. Warum also lässt die Regierung nicht zu, dass er alles, was er hat, freigibt, sodass wir alle uns selbst ein Bild machen können?
Wenn ich sage, dass sich in meinem Schlafzimmerschrank ein interdimensionales Portal befindet, das in eine Welt führt, in der jeder Mensch ein drittes Ohr mitten auf der Stirn hat, ich aber niemanden in mein Schlafzimmer lassen will ist das eine Sache. Wenn jemand vom Ministerium für Innere Sicherheit auftaucht und sagt, dass niemand mein Schlafzimmer betreten darf – nicht einmal ich – und dass man aufhören soll, Fragen zu stellen, dann kann man sich zu Recht fragen, was hier los ist.
»Natürlich könnte sich Albert Einstein in Bezug auf die Lichtgeschwindigkeit geirrt haben. Aber die Frage ist, ob Beweise, die auf persönlichen Aussagen beruhen, alle Beweise unserer besten aktuellen Physik aufwiegen können.«
In diesem Fall gibt es jedoch noch ein paar andere, ziemlich offensichtliche Erklärungen für das Verhalten der Regierung. Zum einen neigen Militär- und Geheimdienstbürokratien, sobald sie genügend Macht erlangt haben, um Dinge vor der Öffentlichkeit geheim zu halten, dazu, Geheimhaltung um der Geheimhaltung willen zu schätzen, unabhängig davon, ob eine bestimmte Information tatsächlich wichtig ist oder nicht. Riesige Mengen an völlig harmlosen Informationen werden sinnloserweise geheim gehalten.
Zum anderen hat der militärisch-industrielle Komplex in diesem Fall – selbst wenn man Grusch das Raumschiff des Vatikans, die gefundenen nichtmenschlichen Biologika und den Rest nicht abkauft – möglicherweise viel zu verbergen. Die Budgets für die Erforschung von UFOs – Entschuldigung, UAPs – sind Black Boxes ohne sinnvolle Aufsicht. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass das Pentagon und die Geheimdienste geheime Waffenprogramme, peinliche Geschenke an militärische Auftragnehmer und alle Arten von anderem, durch und durch irdischem Fehlverhalten vertuschen wollen.
Es ist auch durchaus möglich, dass Grusch tatsächlich jedes Wort glaubt, das er sagt. Er behauptet nicht, Raumschiffe oder Biologika mit eigenen Augen gesehen zu haben, sondern nur durch geheime Informationen überzeugt worden zu sein, die andere ihm gezeigt hätten. Wer weiß, mit welchen falschen Informationen er gefüttert worden sein könnte, oder mit welchen Absichten? Ich hätte darauf gern einige Antworten, aber das würde ein Maß an Transparenz von offizieller Seite erfordern, das derzeit nicht in Aussicht steht.
Als Gruschs »Enthüllungen« zum ersten Mal an die Öffentlichkeit gelangten, bestand ein wesentlicher Teil seiner Anziehungskraft darin, dass man ihn nur schwer als Spinner abtun konnte. Als Geheimdienstoffizier der Air Force hatte er eine äußerst beeindruckende Karriere hingelegt, bevor er versuchte, die angebliche Wahrheit über Außerirdische aufzudecken. In der vergangenen Woche wurde diese Darstellung jedoch durch den Enthüllungsreporter Ken Klippenstein erschüttert, der das Gesetz über die Informationsfreiheit nutzte, um potenziell peinliche Teile von Gruschs Geschichte aufzudecken – einschließlich eines Aufenthalts in einer psychiatrischen Anstalt.
Gruschs zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer argumentieren, dass dies irrelevant sei, und es mit früheren Versuchen verglichen, Whistleblower zu diskreditieren. Etwa befahl Richard Nixon seinen Schlägertrupps, das Büro von Daniel Ellsburgs Psychiater zu durchwühlen, nachdem Ellsburg die Pentagon Papers durchsickern ließ. Sie sagen, dass Gruschs Einweisung in die Psychiatrie vor vielen Jahren nichts mit einem wahnhaften Bruch mit der Realität zu tun gehabt habe, sondern mit seinen Problemen mit Alkoholkonsum, Depressionen und posttraumatischer Belastungsstörung. Viele Menschen, die das Militär verlassen, hätten mit solchen Problemen zu kämpfen, und es sei nicht fair, dies zu benutzen, um Grusch zu diskreditieren.
»Wenn wir davon ausgehen, dass die Regierung keine kleinen grünen Männchen vertuscht, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit dramatisch, dass sie ihr eigenes, weitaus banaleres Fehlverhalten verheimlicht.«
Vielleicht haben sie Recht – man muss aber darauf hinweisen, dass die beeindruckenden Leistungen, für die er zuvor gepriesen wurde, für die Glaubwürdigkeit von Gruschs Behauptungen kaum größere Relevanz haben, als solche Versuche der Diskreditierung. Treten wir einen großen Schritt zurück und denken wir darüber nach, was er eigentlich sagt.
Wir wissen genug über unsere unmittelbare kosmische Nachbarschaft, um sagen zu können, dass außerirdischer Besuch aus Entfernungen kommen müssten, die eine Reise in Überlichtgeschwindigkeit erfordern. Die relativistische Physik, die uns sagt, dass dies unmöglich ist, stützt sich auf Berge von Beweisen. Sogar die Satelliten, die unseren Telefonen helfen, uns den Weg zum Kino zu zeigen, müssen winzige relativistische Effekte berücksichtigen.
Natürlich könnte sich Albert Einstein in Bezug auf die Lichtgeschwindigkeit geirrt haben. Aber die Frage ist, ob Beweise, die auf persönlichen Aussagen beruhen, alle Beweise unserer besten aktuellen Physik aufwiegen können. Wie der Philosoph David Hume im 18. Jahrhundert in seiner klassischen Diskussion über Wunder feststellte, ist schwer vorstellbar, dass es weniger wahrscheinlich sein könnte, dass selbst eine äußerst vertrauenswürdige Person etwas Falsches sagt, als dass Naturgesetze, deren Funktionsweise wir ständig bestätigen, nicht zutreffen.
Es stimmt, dass es nicht Gruschs Schuld ist, dass er die Beweise, die er hat, nicht weitergeben kann – sie sind geheim. Aber das ist eine andere Frage. Wenn ich behaupte, ein Video auf meinem Telefon zu haben, das die Existenz von Telekinese beweist, und mein Telefon gestohlen wird, sollte man mir nicht einfach Glauben schenken, nur weil ich beweisen kann, dass mein Telefon wirklich gestohlen wurde.
Heißt das, dass wir uns nicht um Transparenz scheren sollten? Nein, ganz im Gegenteil. Erstens sollte jeder Mensch, der die Behauptungen von den UAPs als Unsinn entlarven will, ein weitaus höheres Maß an Transparenz anstreben, sowohl in dieser Angelegenheit als auch allgemein. Denn die lange Geschichte der US-Regierung bei der Vertuschung von realem Fehlverhalten verleiht denjenigen Glaubwürdigkeit, die sagen, dass sie die Existenz von Außerirdischen vertuscht. Militär- und Geheimdienstbeamte sind immer wieder beim Lügen und beim Vertuschen dieser Lügen ertappt worden, vom Golf von Tonkin über irakische »Massenvernichtungswaffen« bis hin zum Massenüberwachungsprogramm, für dessen Aufdeckung Edward Snowden das Land verlassen musste. Echte »Whistleblower« werden verfolgt.
»Die übliche Erklärung, dass die US-Regierung eine ›Massenpanik‹ vermeiden wolle, hat noch nie Sinn ergeben. Der militärisch-industrielle Komplex liebt Massenpanik.«
Julian Assange droht die Auslieferung, weil er Informationen veröffentlicht hat, die für die US-Regierung peinlich sind. Unter diesen Umständen ist es wenig überraschend, dass 57 Prozent der Befragten in einer Umfrage, die letzten Monat für Newsweek durchgeführt wurde, glauben, dass »die US-Regierung mehr Informationen über UFOs und außerirdisches Leben hat, als sie öffentlich preisgibt«.
Auf dem Poster an der Wand in Mulders Büro in der Serie Akte X stand: »I want to believe«. In diesem Fall geht es aber vielleicht weniger darum, dass man glauben will, dass die Regierung wieder einmal lügt, als darum, dass man Schwierigkeiten hat, nach dieser beschämenden Bilanz nicht daran zu glauben.
Zweitens, wenn wir davon ausgehen, dass die Regierung keine kleinen grünen Männchen vertuscht, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit dramatisch, dass sie ihr eigenes, weitaus banaleres Fehlverhalten verheimlicht. Die übliche Erklärung dafür, dass die US-Regierung angeblich die Existenz von Außerirdischen vertuscht, lautet, dass sie eine »Massenpanik« vermeiden wolle. Das hat noch nie Sinn ergeben. Der militärisch-industrielle Komplex liebt Massenpanik. Sie ist gut für seine Budgets. Wenn er etwas vertuschen will, hat er weitaus weniger edle Gründe. So oder so: Wir haben ein Recht darauf, es zu erfahren.
Ben Burgis lehrt Philosophie und ist der Autor des Buches »Give Them an Argument: Logic for the Left« (Zero Books, 2019) sowie Host des Podcasts Give Them an Argument.