25. Januar 2022
Die Umweltbewegung entstand nicht erst in den 1970er Jahren. Ein Streik von 1888 zeigt, wie ein »Umweltschutz der Armen« aussehen kann.
Arbeiter in den Minen von Riotinto, 1892.
Umweltschutz ist ein Anliegen der wohlstandsverwöhnten Mittelschicht. Dieses Argument bringen Kommentatoren und Sozialwissenschaftlerinnen seit dem Aufkommen der Umweltbewegung vor rund fünfzig Jahren immer wieder vor.
Gegen diese Ansicht entwickelten unter anderem die Forscher Ramachandra Guha und Joan Martínez-Alier bereits in den 1980er Jahren den Begriff des »Umweltschutzes der Armen«. Statt um die Wahrung der Natur an sich oder deren Schutz für kommende Generationen stellen diese ökologischen Bewegungen die sehr realen, materiellen Interessen unterdrückter und diskriminierter Bevölkerungsgruppen in den Fokus: Wasser-, Boden- und Luftverschmutzung, Zugang zu Land und Ressourcen. Guha und Martínez-Alier beschrieben damit in erster Linie Kämpfe im Globalen Süden sowie Bewegungen für Umweltgerechtigkeit in den USA, wo sich vor allem Communities of Colour gegen Umweltverschmutzung einsetzen. Wie Joan Martínez-Alier in seinen Texten zeigt, gab es jedoch auch in Europa historische Vorläufer eines Umweltschutzes der Armen: eine Streikbewegung von 1888 in Andalusien.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die andalusische Provinz Huelva zu einer zentralen Minenregion in Europa. Nach einer Liberalisierungswelle in den 1870er Jahren befeuerten ausländische und vor allem britische Unternehmen den Kupferabbau in der Region. Die größte Mine befand sich im Umkreis der Gemeinde Riotinto, die ab 1873 vom gleichnamigen britischen Unternehmen Rio Tinto betrieben wurde, der auch heute noch für Umweltzerstörung berüchtigt ist. Erst kürzlich ereigneten sich in Serbien heftige Proteste gegen die Regierung, die mit einer unternehmerfreundlichen Gesetzgebung Rio Tinto zum umweltschädlichen Lithiumabbau anreizen wollte.
Vor 130 Jahren war die Kupfergewinnung in Andalusien besonders umwelt- und gesundheitsschädlich: Das aus dem Boden gewonnene Pyrit wurde zu kegelförmigen Haufen aufgetürmt und unter freiem Himmel angezündet. Die Pyrit-Haufen brannten fünf bis sechs Monate lang vor sich hin, bis sich daraus Kupfersulfat bildete, aus dem in einem weiteren Schritt Kupfer gewonnen wurde. Diese Methode wurde als »Kalzination unter freiem Himmel« bezeichnet.
Große Mengen an Schwefeldioxid gelangten dadurch in die Luft. Ein Zeitzeuge berichtete, »dass man Personen aus zehn Metern Entfernung nicht mehr erkennen konnte und von der Sonne nur noch einen brennend-rötlichen Ring erblickte«. Das Gas griff außerdem Lunge und Verdauungstrakte an und zog gesundheitliche Schäden nach sich. In Kontakt mit feuchter Luft bildete sich zudem Schwefelsäure, die Böden und Gewässer verschmutzte.
Dieser saure Regen hatte katastrophale Folgen für die Landwirtschaft: Einige sprachen von »verbrannten« Wiesen, Weideflächen und Gärten. Bienenvölker verendeten, Obstbäume warfen ihre Blüten ab und die Eichen färbten sich rot und trugen fast keine Eicheln mehr. Im Umkreis der Minen brach die landwirtschaftliche Produktion regelrecht zusammen. In einer Gemeinde stürzte die Produktion von Weizen um 88 Prozent ein, während die Ziegenhaltung um 91 Prozent und die Schafhaltung um 80 Prozent abnahm. In Großbritannien war »Kalzination unter freiem Himmel« aufgrund ihrer Auswirkungen bereits verboten, in Andalusien wurden diese von Regierung und Unternehmen schlicht geleugnet.
Besonders die Minenarbeiter bekamen die Luftverschmutzung am eigenen Leib zu spüren. Der Rauch griff nicht nur ihre Lungen an, sondern sorgte auch für finanzielle Unsicherheit. Die Minenarbeiter verdienten zwar mehr als etwa Landarbeiter, doch wenn sich an gewissen Tagen und bei bestimmter Witterung derart viel Rauch entwickelte, dass die Arbeit eingestellt werden musste, erhielten sie entweder gar keine oder nur sehr geringe Entschädigung. Erkrankten sie an den Folgen der Luftverschmutzung, mussten sie einen unternehmenseigenen medizinischen Dienst aufsuchen. Dieser erkannte Berufskrankheiten nur ungern an, und die Arbeiter mussten die Behandlung darüber hinaus mit Lohnabzügen selbst finanzieren.
Jahrzehntelang taten die Landbewohnenden mit Briefen und Petitionen erfolglos ihren Unmut kund. Als um 1880 die Minenaktivitäten noch einmal deutlich verstärkt wurden, gründeten sie die »Liga gegen den Rauch«. Diese klassenübergreifende Allianz von lokalen Politikern sowie Klein- und Großbauern versuchte, ein Verbot dieser umweltschädlichen Methode der Kupfergewinnung durchzusetzen.
In den 1880er Jahren verbreitete sich in der Minenregion von Huelva die Bewegung des Anarchismus. Eine führende Figur unter den Minenarbeitern war der aus Kuba stammende Anarchist Maximiliano Tornet, der ab 1883 in der Mine von Rio Tinto arbeitete. Rasch nach seiner Ankunft hatte er mit gesundheitlichen Beschwerden zu kämpfen. Wegen seiner aufrührerischen und propagandistischen Aktivitäten geriet er außerdem schnell in Konflikt mit der Unternehmensleitung. Denn Tornet verstand es, die Anliegen der »Liga gegen den Rauch« mit jenen der Arbeiter zu verknüpfen.
Ausgelöst durch eine geplante Lohnsenkung kam es Anfang 1888 zu einem Arbeitskampf, der sowohl von den Mitgliedern der Liga als auch der Dorfbevölkerung unterstützt wurde. Am 01. Februar traten rund 5.000 Arbeiter in den Streik. »Die proletarische Klasse wird von den Ausbeutern bedroht«, schrieben sie in einem Dokument. Zu ihren Forderungen zählten: keine Lohnabzüge für medizinische Versorgung, eine Verringerung der täglichen Arbeitszeit von zwölf auf neun Stunden, keinen Akkordlohn, keine Bußgelder und keine Lohnabzüge an Tagen, an denen der Rauch die Arbeit verunmöglichte. Sie unterstrichen ihre Kritik an der Kalzination unter freiem Himmel, da sie »jeden Tag Erstickungsopfer zu beklagen« hatten.
An ihren Forderungen wird deutlich, wie die Luftverschmutzung ganz direkt die Gesundheit und Arbeitsbedingungen der Minenarbeiter beeinträchtigte. Den Arbeitern gelang es, ihre alltäglichen Sorgen in Forderungen an Unternehmen und Behörden zu überführen.
Drei Tage später, am 4. Februar, demonstrierten in Riotinto 12.000 Menschen für das Anliegen der Arbeiter. »Nieder mit dem Rauch«, »Es lebe die Landwirtschaft« und »Wir wollen Gerechtigkeit« sollen sie gerufen haben. Der Protest wurde durch die Armee gewaltsam niedergeschlagen, auf Demonstrierende wurde geschossen. Die Armee richtete ein regelrechtes Blutbad an. Neueren Schätzungen des Historikers Gérard Chastagnaret zufolge tötete die Armee rund 200 Demonstrierende. Maximiliano Tornet gelang die Flucht nach Portugal, von wo er sich bald darauf nach Argentinien absetzte.
Weitere Solidarität erhielten die Minenarbeiter von ihren anarchistischen Genossinnen und Genossen. Die anarchistische Zeitung El Productor aus Barcelona schrieb eine Woche nach dem Massaker: »Felder, die früher für ihr üppiges Leben und ihre glänzende Schönheit gepriesen wurden, wurden zu Ödland wegen der stinkenden Atmosphäre, die entsteht, weil ein Unternehmen den Ruin eines Landkreises in Reichtum für einige wenige verwandelt.« Die anarchistische »Federación libertaria« von Barcelona startete eine Spendenaktion für ihre getöteten »Brüder« und deren Familien.
Das Massaker in Riotinto, das als »Jahr der Schüsse« in die Geschichte eingehen sollte, wurde zu einer breit diskutierten Staatsaffäre. Das Parlament debattierte über den Vorfall, während Minenlobbyisten sich in der Öffentlichkeit bemühten, die Gesundheitsschäden kleinzureden. Schließlich sah sich die Regierung aufgrund des öffentlichen Drucks gezwungen, einen Ausstieg aus der Kalzination unter freiem Himmel zu beschließen. Doch ihr Dekret wurde nie rechtskräftig – die Unternehmen sabotierten die vorsichtigen Verbotsbemühungen der Regierung. Und so erlosch der letzte Pyrithaufen in der Mine von Riotinto erst 1907.
Der Minenarbeiterstreik von Riotinto ist ein eindrückliches Beispiel eines Umweltschutzes der Armen. Er illustriert, wie soziale und ökologische Forderungen in den materiellen Bedürfnissen der Menschen zusammenlaufen. Bei dem Streik der Minenarbeiter ging es nicht um eine abstrakte Umweltethik, sondern um die konkreten Interessen derjenigen, die täglich verdreckte Luft einatmen und die Verwüstung ihrer landwirtschaftlichen Flächen mitansehen mussten. Ein ökologisches Bewusstsein der Armen entsteht auch dort, wo Menschen für ihre Gesundheit und würdevolle Bedingungen am Arbeitsplatz und in ihren Gemeinschaften kämpfen. Denn die Zerstörung der Umwelt und die Ausbeutung der Menschen haben einen gemeinsam Auslöser und sind nicht etwa voneinander isolierte Anliegen.
Unsere Gegenwart unterscheidet sich in vielen Aspekten von den Gegebenheiten, die in den 1880er Jahren in Andalusien vorherrschten. Aber dennoch sterben heute weltweit jährlich Millionen an den Folgen der Luftverschmutzung, die auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe zurückgeht. Arbeit macht viele Menschen krank. Die Klimabewegung sollte Umwelt- und Klimaschutz deshalb mit den konkreten Belangen der Arbeitenden verbinden. Sie sollte sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, eine Reduzierung der Arbeitszeit und einen Ausbau der sozialen Sicherheit stark machen. Ein solcher Umwelt- und Klimaschutz zieht seine Kraft nicht aus der Angst vor der Klima-Katastrophe, sondern auch aus der Sorge um die eigenen Mitmenschen und sich selbst.
Milo Probst ist Historiker und in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Er ist Autor des Buches Für einen Umweltschutz der 99%. Eine historische Spurensuche (Edition Nautilus, 2021).