11. Juli 2023
Die Geschichte des Makkaroni-Aufstands von 1914 zeigt: Unternehmen nutzen Inflationserwartungen in der Bevölkerung aus, um ihre Produkte künstlich zu verteuern. Doch organisierter Widerstand der Menschen kann die Preise auch wieder senken.
Eine Werbung von 1916 für Makkaroni der Marke De Angelis.
Wikimedia Commons / US National Archives and Records AdministrationDie Preise für Teigwaren sind in Italien stark gestiegen: Sie lagen im März um 17,5 Prozent, im April um 15,7 Prozent und im Mai um 14 Prozent höher als im Vorjahr. Die Unternehmen behaupten, die Preissteigerung sei lediglich auf die höheren Kosten aufgrund des Krieges in der Ukraine zurückzuführen. Doch italienische Verbraucherschutzgruppen kaufen ihnen das nicht ab.
Der Verband Assoutenti macht die Unternehmen und ihre Profitinteressen verantwortlich. Daher rief er die Verbraucherinnen und Verbraucher im Juni zu einem »Pasta-Streik« auf, woraufhin die Unternehmen die Preise wieder senkten. Der Präsident von Assoutenti, Furio Truzzi, weist darauf hin, dass die Weizenpreise seit ihrem Höchststand im März 2022 deutlich gesunken sind und sich auf dem niedrigsten Stand seit Juli 2021 befinden. Die heutigen hohen Pasta-Preise sind laut Truzzi auf etwas anderes als auf hohe Produktionskosten zurückzuführen: auf die Profitgier der Unternehmen.
Wie können sich einfache Menschen gegen Preistreiberei wehren? Assoutentis Aufruf erinnert an einen früheren, ebenfalls erfolgreichen Versuch, der 1914 vom Italian Socialist Club in Providence in den USA angeführt wurde und durch den Historiker Joseph Sullivan gut dokumentiert ist. Damals – wie auch heute in Italien – schossen die Pasta-Preise in die Höhe. Damals wie heute machten die Unternehmen den Krieg für die Preissteigerungen verantwortlich. Und damals wie heute entlasteten die politischen Beschützer des Kapitals die Wirtschaftseliten von jeglicher Schuld an den Preiserhöhungen: Der Bürgermeister von Providence gab eine Untersuchung in Auftrag, die zu dem Schluss kam, dass es keine Preistreiberei gab.
Allerdings gab es in Providence in den frühen 1900er Jahren eine starke, organisierte Arbeiterschaft und sozialistische Bewegung. Die Zeitung Labor Advocate, die den Industrial Workers of the World nahestand, prangerte die Untersuchung des Bürgermeisters als »Schönfärberei« an und beschuldigte den örtlichen Monopolisten, den »Makkaroni-König« Frank Ventrone, der Profitmacherei. (Ventrone war zuvor bereits dabei erwischt worden, wie er Fake-Pasta vertrieb, die gelb eingefärbt war, um nach echten Grießnudeln auszusehen. Während Mainstream-Ökonomen gern jeden, der sich für Qualitätsprodukte interessiert, als urbanen Hipster verhöhnen, schätzten auch diese italienisch-amerikanischen Arbeiterinnen und Arbeiter das Authentische.)
Der Italian Socialist Club organisierte Proteste gegen die seiner Meinung nach überhöhten Preise von Ventrone. Am 29. August wurde eine Kundgebung mit zweitausend Teilnehmenden im italienischen Viertel Federal Hill zu einem Protest vor Ventrones Laden. Einige begannen zu randalieren, schlugen Schaufenster ein und verstreuten Nudeln auf der Straße.
Die Polizei, bei der es sich überwiegend um gebürtige Yankees und Iren handelte, lieferte sich im Laufe des Tages Scharmützel mit den Demonstrierenden. In den folgenden Wochen führte die Wut der Bevölkerung über die Brutalität der Polizei zu noch mehr Protesten. Die Zeitungen bezeichneten die daraus resultierenden Unruhen als »Makkaroni-Aufstände«.
Handelte es sich dabei um die Aktionen eines verrückten Mobs, der unschuldige Händler zum Sündenbock für das natürliche Funktionieren von Angebot und Nachfrage machte, wie unter anderem das Providence Journal behauptete? Wieder einmal gibt es enge Parallelen zwischen damals und heute. In unserer Zeit haben Mainstream-Ökonominnen und Kommentatoren die letzten zwei Jahre damit verbracht, die Idee, dass Marktmacht und Profitstreben für Preissteigerungen verantwortlich sein können, als »Gierflation« zu verlachen – ein angeblich irrationaler Glaube, der einer Verschwörungstheorie gleiche.
»Die Gegner der Gierflations-These meinen: Die Preise sind hoch, weil es den einfachen Leuten zu gut geht.«
Nach ihrer Ansicht suchten Populisten, die der »Unternehmensgier« die Schuld geben, nach einem Sündenbock, den sie für das Wirken der unpersönlichen Kräfte des Marktes verantwortlich machen könnten. Zu Unrecht würden sie Unternehmen ins Visier nehmen. Catherine Rampell, eine Kolumnistin der Washington Post, fasst diese Einstellung mit der folgenden rhetorischen Frage kurz und bündig zusammen:
»Warum können Unternehmen, die schon immer ›gierig‹ (oder, wie man sagen könnte, ›gewinnmaximierend‹) waren, jetzt die Preise erhöhen? Was hat sich zwischen Anfang 2020, als die Unternehmensgewinne und die Inflation drastisch zurückgingen, und heute, wo beide Kennzahlen ›unverschämt‹ gestiegen sind, geändert?«
In Rampells lehrbuchmäßigem Angebots- und Nachfragemodell handeln Unternehmen permanent gewinnmaximierend, das heißt sie bestimmen stets einen Punkt auf der Nachfragekurve, der die Einnahmen aus der letzten verkauften Einheit mit den Grenzkosten gleichsetzt. Da es, wie sie richtig feststellt, unwahrscheinlich ist, dass die Führungskräfte im Jahr 2020 noch gieriger geworden sind, müssten die Preiserhöhungen durch eine externe Kraft verursacht worden sein. Nach ihrem Wirtschaftsmodell muss diese Kraft entweder eine Verschiebung der Nachfrage oder eine Verschiebung des Angebots gewesen sein.
Für die Gegner der Gierflations-These liegt die Schuld ganz klar auf der Nachfrageseite, da die Rettungspakete während der Pandemie die Wirtschaft überhitzt hätten. In der Folge habe der zu angespannte Arbeitsmarkt die Löhne in die Höhe getrieben, was zu einer Lohn-Preis-Spirale geführt hätte. Mit anderen Worten: Die Preise sind hoch, weil es den einfachen Leuten zu gut geht. Die einzige Lösung bestehe darin, die Zinssätze zu erhöhen, was die Nachfrage abkühlen, die Arbeitslosigkeit erhöhen und die Löhne senken würde.
Aber das Lehrbuchmodell ist unvollständig. Um zu verstehen, warum das so ist, sind die Arbeiten von Alan Blinder ein guter Ausgangspunkt. Blinder ist ehemaliges Mitglied des Council of Economic Advisers im Weißen Haus und ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Federal Reserve Board of Governors. Er und sein Team wollten verstehen, wie Unternehmen Preise festsetzen. Sie beschlossen, einfach Führungskräfte nach ihrer Preispolitik zu fragen. Ungewöhnlich für diesen Berufsstand, der in der Regel lieber Regressionsanalysen durchführt, als mit Menschen zu sprechen. Was sie herausfanden und 1998 in dem Buch Asking About Prices veröffentlichten, überraschte sie selbst.
Zunächst erfuhren sie, dass die Unternehmen ihre Preise nur selten änderten – nur etwa viermal im Jahr. Sie waren weit davon entfernt, ihre Preise ständig zu optimieren, indem sie den gewinnmaximierenden Preis auf ihrer Nachfragekurve ansetzten, sondern hielten die Preise über lange Zeiträume konstant, trotz der täglichen Veränderungen bei Angebot und Nachfrage. Zweitens stellten sie fest, dass die größte Einschränkung für Preiserhöhungen nicht Angebot und Nachfrage oder der Wettbewerbsdruck waren. Vielmehr war es die Angst, die Kundschaft gegen sich aufzubringen. Die Unternehmen nannten dies unabhängig voneinander als den häufigsten Grund dafür, die Preise nicht zu erhöhen, selbst wenn eine Preiserhöhung die »gewinnmaximierende« Maßnahme wäre.
Im Lehrbuchmodell von Angebot und Nachfrage ist der Wettbewerb mit anderen Unternehmen der Faktor, der die Unternehmen davon abhält, die Preise zu erhöhen. In einer der ersten Formulierungen dieser Theorie behauptet Adam Smith, wenn zum Beispiel ein Bäcker versuche, die Preise zu erhöhen, entstünde ein Wettbewerb, der ihn zwinge, die Preise wieder zu senken. Der Wettbewerb mit anderen Bäckern war jedoch nie die einzige Beschränkung der Preissetzungsmacht.
»Außer dem Strohmann, den Mainstream-Ökonomen aufgestellt haben, behauptet niemand, dass die ›Gier‹ plötzlich in die Höhe geschossen sei.«
Wie der Historiker E. P. Thompson hervorhebt, war die »moralische Ökonomie« der Brotaufstände eine weitere. Aus Angst, die Menschen zu verärgern und einen Aufstand auszulösen, konnten selbst Bäcker mit lokalen Monopolen ihre Preissetzungsmacht nicht voll ausschöpfen und taten dies auch nicht. (Dies ist vergleichbar mit der Lohnfestsetzung in Unternehmen: Unternehmen haben im Allgemeinen eine »Monopolmacht« gegenüber den Arbeiterinnen und Arbeitern, die Löhne festzulegen. Aber sie können sie nicht vollständig ausnutzen und tun es auch nicht. Fairnessnormen, die Notwendigkeit, die Beschäftigten kooperativ zu halten, und die Angst vor gewerkschaftlicher Organisierung halten die Unternehmen davon ab, die Löhne so weit wie möglich zu drücken.)
Ein plausibler externer Schock – wie eine Pandemie, ein Krieg oder ein Umfeld allgemein steigender Preise – kann es den Verbraucherinnen und Verbrauchern jedoch schwer machen, zu erkennen, welche Preiserhöhungen begründet und welche übertrieben sind, und damit die moralökonomische Beschränkung schwächen.
Außer dem Strohmann, den Mainstream-Ökonominnen aufgestellt haben, behauptet niemand, dass die »Gier« plötzlich in die Höhe geschossen sei. Vielmehr sahen Unternehmen die plötzliche Aufweichung des moralökonomischen Zwangs als Gelegenheit, die latente Marktmacht auszuüben, die sie ohnehin innehatten. Wenn genügend Unternehmen dies tun, kann dies zu einer marktmacht- und gewinngetriebenen Inflation führen, oder zu dem, was die Ökonomen Isabella Weber und Evan Wasner als »Verkäuferinflation« bezeichnen. Wenn sich die Preise erst einmal auf dem neuen, höheren Niveau eingependelt haben, können die Unternehmen außerdem stillschweigend Absprachen treffen, um sie auf diesem Niveau zu halten – zum Beispiel durch öffentliche Gewinnmitteilungen, wie Lindsey Owens vom Groundwork Collaborative betont.
Um auf die »Makkaroni-Aufstände« zurückzukommen: Was war das Ergebnis? Wenn die Preise tatsächlich durch Angebot und Nachfrage bestimmt würden, hätte Ventrone die Preise nicht senken können, da sie tatsächlich die höheren Kosten widerspiegelten. Doch nach den Protesten vom 29. August traf er sich mit dem Italian Socialist Club. Er erklärte sich bereit, seine Preise zu senken, und zwar von 1,60 Dollar auf 1,40 Dollar pro Packung. Das entspricht einer Preissenkung von 12 Prozent.
Ventrone wurde 1914 nicht »plötzlich« gieriger oder nach dem Treffen weniger gierig. Wahrscheinlicher ist, dass er bei Kriegsausbruch die Gelegenheit sah, die Preise zu erhöhen und seiner latenten Gier (oder der Gewinnmaximierung, wenn man so will) freien Lauf zu lassen. Als er jedoch mit ausreichend sozialem Druck in Form eines lokalen Protests konfrontiert wurde, ließ er sich dazu überreden, die Preise wieder zu senken. Die Schlagzeile im Labor Advocate sagte alles: »Organisierter Protest bringt die Händler zur Vernunft«.
»Hätten die italienisch-amerikansichen Arbeiterinnen und Arbeiter in Providence einfach die Rechtfertigungen der Mainstream-Ökonomie akzeptiert, hätten sie nie versucht, niedrigere Preise zu fordern, und sie hätten sie auch nie bekommen.«
So kam es, dass kollektive Verhandlungsführung durch eine sozialistische Organisation die Monopolmacht eines örtlichen Einzelhändlers abschwächte und die Preise näher an den »Wettbewerbspreis« heranbrachte. Dieser lag jedoch unter dem gewinnmaximierenden Preis, den neoklassische Ökonomen aus Ventrones Angebots- und Nachfragekurven abgelesen hätten. Der Labor Advocate drückte es so aus: »Die Ereignisse der letzten Tage in Federal Hill waren eine ernste Lektion für diejenigen, die sich nicht mit den üblichen Gewinnen zufrieden geben.« Die Preise reflektierten die ganze Zeit über ebenso sehr die gesellschaftliche Verhandlungslage wie Angebot und Nachfrage.
Die Lehre daraus ist, dass Preise und Inflation keine mechanischen Naturkräfte sind, sondern immer das Ergebnis verschiedener sozialer Kräfte. Hätten die italienisch-amerikansichen Arbeiterinnen und Arbeiter in Providence einfach die Rechtfertigungen der Mainstream-Ökonomie akzeptiert, hätten sie nie versucht, niedrigere Preise zu fordern, und sie hätten sie auch nie bekommen.
Heute sind an die Stelle lokaler Monopolisten wie Ventrone multinationale Konzerne getreten, die für den Druck der lokalen Bevölkerung weniger empfänglich sind. Um sie in die Schranken zu weisen, muss die Macht der moralischen Ökonomie in größerem Maßstab zum Tragen kommen. Eine Lösung ist, die Elastizität des Angebots zu erhöhen, indem man die Wirtschaft dekonzentriert. Eine zweite ist ein weiterer skandalöser Vorschlag, den heterodoxe Stimmen aus der Wirtschaftswissenschaft wie Weber und Andrew Elrod unterstützen: Preiskontrollen.
Brian Callaci ist der Chefökonom des Open Markets Institute.