27. Januar 2022
Im letzten Jahr beeinflusste Amazon die Gewerkschaftswahl in einem Logistikzentrum in Alabama, um die Organisierung der Mitarbeitenden zu torpedieren. Nun wird die Abstimmung wiederholt.
Amazon-Warenlager in Bessemer, Alabama.
Gegenwärtig erleben wir, wie die Verhandlungsmacht für die US-amerikanische Arbeiterklasse zunimmt. Millionen kündigen und suchen sich neue, besser bezahlte Jobs. Diejenigen, die in einer Gewerkschaft organisiert sind, zeigen zunehmend mehr Bereitschaft, gegen frühere Zugeständnisse an die Unternehmen zu kämpfen. Ihre Zuversicht wird dabei durch die Erkenntnis bestärkt, dass die Arbeitgeber im Falle eines Streiks größere Schwierigkeiten haben werden, Arbeitskräfte zu finden, die sie ersetzen. Diese Arbeitskämpfe sind zwar kaum mit denen der 1970er Jahre vergleichbar, geschweige denn mit denen der 1930er Jahre – doch das macht sie nicht weniger bedeutend. Den Erneuerern innerhalb der Gewerkschaften gibt das Rückenwind. Das zeigt sich etwa in den Bemühungen, die Gewerkschaften der United Auto Workers und der Teamsters umzubauen – zwei nach wie vor mächtige Organisationen.
Inmitten dieser Entwicklungen wird nun eine weitere Gewerkschaftswahl in einem Amazon-Lager stattfinden. Am 4. Februar erhalten die Amazon-Beschäftigten in Bessemer, Alabama, Stimmzettel für eine Briefwahl. Dabei handelt es sich um die Wiederholung einer Abstimmung zur gewerkschaftlichen Organisierung innerhalb der Einzelhandels-, Großhandels- und Kaufhausgewerkschaft (RWDSU), die zuletzt verloren wurde – etwa zwei Drittel der Stimmen hatten ihr Kreuz gegen eine gewerkschaftliche Organisierung gesetzt. Sowohl Amazon als auch die Gewerkschaft präferierten dieses Mal eine Präsenzwahl – im letzten Jahr noch hatte sich die RWDSU für eine Briefwahl ausgesprochen, während Amazon forderte, dass die Abstimmung in Präsenz stattfindet. Doch das National Labor Relations Board (NLRB) – die Behörde, die Abstimmungen wie diese regelt und überwacht – entschied, dass die Wahl erneut per Briefwahl durchgeführt werden wird.
Die NLRB ordnete die Wiederholung der Wahl an, nachdem sie auf stichhaltige Befunde gestoßen war, welche die Vorwürfe der Beschäftigten bestärkten, wonach Amazon die erforderlichen Bedingungen für eine Wahl nicht eingehalten habe. Insbesondere sei der Eindruck erweckt worden, dass man die Beschäftigten überwache. So wurde der Einwurfkasten für die Wahlzettel vom United States Postal Service auf Drängen von Amazon direkt vor dem Lager aufgestellt – der Regionaldirektor der Behörde bezeichnete dies als »eklatante Missachtung« des Posteingangsverfahrens.
Amazons Schritt, Druck beim United Postal Service auszuüben, war kopflos: In einem Betrieb mit einer so hohen Fluktuation wie einem Amazon-Lager ist es ohnehin äußerst schwierig, eine Gewerkschaftskampagne zu gewinnen. Dem Unternehmen stehen davon einmal abgesehen auch eine Fülle von völlig legalen Mitteln zur Verfügung, um sie zu verhindern – etwa Meetings, bei denen die Beschäftigten dazu gezwungen werden, sich von Managern erzählen zu lassen, warum sie gegen die Gründung einer Gewerkschaft sind. Meist basieren diese Vorträge auf Skripten, die von gewerkschaftsfeindlichen Unternehmensberatern verfasst wurden. Am Standort Bessemer scheute Amazon keine Kosten und Mühen und heuerte im Vorfeld der Abstimmung ein wahres Heer solcher Berater an.
Im Vergleich zum letzten Mal, als Amazon alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzte, um die Gewerkschaftswahlen zu verzögern, zu beeinflussen oder anderweitig zu verhindern, hat das Unternehmen dieses Mal zumindest einige dieser Schritte unterlassen. Allerdings kann das Unternehmen auch nach der Abstimmung noch Einspruch gegen die Anordnung einer Neuwahl einlegen. Diese relative Zurückhaltung lässt sich mitunter damit erklären, dass die Führungsebene glaubt, es würde ihrem Image schaden, sich stur zu stellen, nachdem die Behörde öffentlich festgestellt hatte, dass Amazon gesetzwidrig gehandelt hatte. Plausibel wäre aber auch, dass die Führungskräfte bei Amazon überzeugt sind, die Abstimmung ohnehin zu gewinnen.
Diese Zuversicht ist auch begründet. Eine von der NLRB überwachte Gewerkschaftswahl zu gewinnen, ist beim zweiten Mal noch schwieriger als beim ersten Mal. Statistiken der Behörde zeigen, dass nur etwa 41 Prozent der Wiederholungswahlen in gewerkschaftlicher Organisierung enden, verglichen mit etwa 68 Prozent bei einmaligen Gewerkschaftswahlen (nach Daten aus dem Jahr 2021).
Viele derjenigen, die sich den Angriffen des Unternehmens widersetzten und trotzdem für die Gewerkschaft stimmten, werden nun bei der zweiten Wahl gar nicht mehr bei Amazon angestellt sein, weil die Fluktuation der Beschäftigten sehr hoch ist. Viele unter ihnen waren außerdem enormen Schikanen ausgesetzt. Die verbliebenen Beschäftigten mussten bereits gewerkschaftsfeindliche Kampagnen über sich ergehen lassen, und selbst neuere Beschäftigte wissen, wie entschlossen das Unternehmen die Bestrebungen im letzten Jahr niedergeschlagen hat.
All das soll die Erfolgsaussichten der Arbeitenden, die sich für ein grundlegendes demokratisches Mitspracherecht im Lager in Bessemer einsetzen, an dem sie einen Großteil ihres Lebens verbringen, nicht herunterspielen. Doch es ist wichtig, die Lage realistisch einzuschätzen und zu verdeutlichen, wie schwer die gewerkschaftliche Organisierung an Amazon-Standorten, von denen es inzwischen mehrere gibt, tatsächlich ist.
Die Beschäftigten in Bessemer wurden genauestens beobachtet, und zwar nicht nur von den Medien; auch Amazon selbst hat viel Energie und Ressourcen in das Lager gesteckt – man kann sich ausmalen, dass dies eine enorme Frustration bei den Beschäftigten ausgelöst hat, die sich letztlich in einem Sieg für die Gewerkschaft entladen könnte. Die jüngsten Todesfälle in der Anlage – Berichten zufolge zwei innerhalb von 24 Stunden – sind selbst ein Pulverfass. Man sollte niemals nie sagen.
Alex N. Press ist Redakteurin bei JACOBIN. Ihre Beiträge erschienen unter anderem in der »Washington Post«, »Vox«, »the Nation« und »n+1«.