12. April 2021
In Alabama hat Amazon alles unternommen, um die Gründung einer Gewerkschaft zu verhindern. Die Niederlage wiegt schwer.
Amazon ist für besonders aggressive Anti-Gewerkschaftskampagnen berüchtigt.
Bei den Gewerkschaftswahlen im Amazon-Warenlager in Bessemer, Alabama, konnte sich das Unternehmen eine Mehrheit von Nein-Stimmen sichern und so die Gründung einer Interessenvertretung seiner Arbeiterinnen und Arbeiter verhindern. Hätte das Vorhaben Erfolg gehabt, wären sie die ersten gewerkschaftlich organisierten Amazon-Angestellten in den USA geworden.
Wie die zuständige Behörde, das National Labour Relations Board (NLRB) bekannt gab, nahmen 3.215 von rund 5.800 stimmberechtigten Beschäftigten an der Briefwahl teil. Im Vorfeld der öffentlichen Auszählung wurden 505 Stimmen in einem nichtöffentlichen Verfahren angefochten. Laut der Gewerkschaft Retail, Wholesale and Department Store Union (RWDSU) kamen die meisten Anfechtungen von Amazon, was darauf schließen lässt, dass die Mehrzahl dieser Stimmen die Gewerkschaftsgründung begünstigt hätten. Aber selbst wenn man diese angefochtenen Stimmen berücksichtigt, überwiegen die Nein-Stimmen: Von den nicht angefochtenen Wahlunterlagen waren 1.798 gegen die Gewerkschaft, während 738 für die Gründung stimmten.
Nach der Auszählung können sowohl Amazon als auch die RWDSU beim Regionaldirektor der NLRB Einspruch gegen das Verhalten der Gegenseite während der Wahl einlegen oder die Entscheidung auf Bundesebene bei der NLRB in Washington, D.C., anfechten. Die RWDSU kündigte bereits an, dies zu tun. Die Gewerkschaft sagte, sie würde beim NLRB-Regionaldirektor eine Anhörung beantragen, »um festzustellen, ob das Wahlergebnis aufgehoben werden sollte, weil das Verhalten des Arbeitgebers eine Atmosphäre der Verwirrung, des Zwangs und der Angst vor Repressalien geschaffen und somit die Wahlfreiheit der Mitarbeiter beeinträchtigt hat.« Außerdem will sie Beweise für eine Klage wegen unlauterer Praktiken gegen Amazon vorlegen: Das Unternehmen wird beschuldigt, unrechtmäßig in das geschützte Recht der Mitarbeiter auf gewerkschaftliche Betätigung eingegriffen zu haben.
»Wir werden Amazons Lügen, Täuschungen und illegale Aktivitäten nicht unwidersprochen lassen. Deshalb werden wir formell Anklage gegen die ungeheuerlichen und offenkundig illegalen Handlungen von Amazon während der Gewerkschaftsabstimmung erheben«, sagte Stuart Appelbaum, der Präsident der RWDSU. »Amazon wusste ganz genau, dass seine Arbeiterinnen und Arbeiter die Gewerkschaft unterstützen würden, wenn das Unternehmen nicht alles in seiner Macht stehende dagegen tun würde, einschließlich illegaler Aktivitäten.«
Die Anklage wird wahrscheinlich beanstanden, dass Amazon das US-Postamt dazu drängte, rechtzeitig vor Beginn der Briefwahl einen Postkasten auf dem Firmengelände zu installieren. Zuvor hatte Amazon versucht, trotz Pandemie auf der persönlichen Stimmabgabe zu bestehen, was jedoch abgelehnt wurde. Die Gewerkschaft könnte argumentieren, dass das Unternehmen den Postkasten aufstellen ließ, um seine Beschäftigten bei der Stimmabgabe überwachen zu können. Appelbaum äußerte sich dazu wie folgt: »Das NLRB hatte den Antrag des Unternehmens auf einen Postkasten auf dem Firmengelände abgelehnt, aber Amazon fühlte sich über das Gesetz erhaben und arbeitete mit der Post zusammen, um trotzdem einen zu installieren. Amazon tat das, um die Beschäftigten einzuschüchtern.« Auf diese Anschuldigungen werden wahrscheinlich Anhörungen folgen. Der Beschluss wird womöglich Monate auf sich warten lassen.
Es mag für viele überraschend sein, dass die Abstimmung so stark zu Gunsten von Amazon ausfiel. Ist Amazon nicht dafür bekannt, ein besonders unangenehmer Arbeitgeber zu sein? Gab es nicht gerade noch Berichte darüber, dass viele der Beschäftigten in Flaschen pinkeln müssen, weil die Pausenregelungen ihnen keine andere Wahl lassen?
Aber so einfach ist das nicht. Wie die Arbeitssoziologin Rebecca Givan gegenüber Vice erklärte, spiegeln die Ergebnisse der NLRB-Wahlen weniger, »ob die Beschäftigten eine Interessenvertretung haben wollen oder nicht, sondern zeigen vielmehr das Ungleichgewicht zwischen dem Arbeitsrecht einerseits und den Ressourcen des Arbeitgebers andererseits«. In den USA ist jeder Schritt des gewerkschaftlichen Organisierungsprozesses zu Ungunsten der Arbeiterinnen und Arbeiter ausgestaltet. Es ist ein Wunder, dass es überhaupt Fälle gibt, die von Erfolg gekrönt sind. In Umfragen sagt etwa die Hälfte der nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen und Arbeiter in den USA, dass sie einer Gewerkschaft beitreten würden, wenn sie könnten; doch es gibt unzählige Hindernisse, die das verhindern, und die Bessemer-Kampagne ist ein Beispiel dafür.
Nachdem die RWDSU im November 2020 einen Antrag auf eine Gewerkschaftswahl gestellt hatte, hielt Amazon »Captive Audience Meetings« ab, obligatorische Sitzungen, in denen das Management den Arbeiterinnen und Arbeitern erklärte, warum sie sich nicht gewerkschaftlich organisieren sollten. Auf vielen solcher Meetings werden Lügen verbreitet, und Bessemer ist keine Ausnahme. Das Unternehmen schickte seinen Beschäftigten mehrmals täglich SMS, in denen sie dazu gedrängt wurden, mit Nein zu stimmen. In den Toiletten wurden gewerkschaftsfeindliche Flugblätter ausgelegt. Die Arbeitskleidung von Zeitarbeitern, die zwar für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht berechtigt, aber für den Druck des Managements besonders anfällig sind, wurde mit »Vote No«-Ansteckern ausgestattet, um im Betrieb gewerkschaftsfeindliche Propaganda zu verbreiten.
Diese Taktiken sind in den USA im Kampf gegen gewerkschaftliche Organisierung durchaus üblich, wurden im Fall von Amazon dank seiner schier unendlichen Ressourcen aber noch verstärkt. Alle diese Methoden sind gesetzlich erlaubt. Aber es überrascht auch nicht, wenn ein Unternehmen während einer Gewerkschaftskampagne gegen das Gesetz verstößt – denn die gerichtlichen Strafen für die Verletzung von Arbeitnehmerrechten sind minimal. Nach Gewerkschaftswahlen werden etwa 40 Prozent der Arbeitgeber wegen Gesetzesverstößen angeklagt.
Nicht weniger bedeutend war Amazons Erfolg bei der Festlegung des Umfangs der Gewerkschaftswahlen. Während der NLRB-Anhörungen vor der Wahl argumentierte das Unternehmen, dass die Abstimmung 5.800 Personen umfassen sollte, anstatt die 1.500 Beschäftigten, für die der Antrag ursprünglich gestellt worden war. Nach geltendem Recht entscheidet der Arbeitgeber welche seiner Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft sein sollten und welche nicht. Amazon zählte eine Vielzahl temporärer Saisonarbeiter dazu und vergrößerte damit die Zahl der Menschen, die die Gewerkschaftsorganizer in begrenzter Zeit hätten erreichen müssen. Diese Arbeiterinnen und Arbeiter zu kontaktieren, sie zu überzeugen und gegen die Panikmache des Managements zu festigen, erfordert einen immensen Zeit- und Energieaufwand, der andernfalls darauf hätte verwendet werden können, eine Mehrheit der ursprünglichen 1.500-Personen-Arbeitseinheit zu gewinnen.
Dass Amazon das alles tun kann, ist ein Beweis dafür, wie das bestehende Arbeitsrecht die Arbeitgeberseite begünstigt. Warum sollte der Chef hinsichtlich der Größe und Zuständigkeit einer Gewerkschaft überhaupt Mitspracherecht haben? Warum kann ein Unternehmen seine Beschäftigten zur Teilnahme an gewerkschaftsfeindlichen Propaganda-Meetings zwingen? Nach dem PRO Act, einem Gesetzentwurf zur Reform des Arbeitsrechts, der kürzlich im Repräsentantenhaus verabschiedet und an den Senat übergeben wurde, wäre keine dieser Aktionen legal. Appelbaum unterstrich: »Wir müssen hart für eine Arbeitsrechtsreform kämpfen.«
Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist jede Ja-Stimme ein Hoffnungsschimmer. In gewissem Sinne hat jeder Betrieb, in dem Hunderte von Beschäftigten für eine Gewerkschaft gestimmt haben, eine organisierte Arbeiterschaft – ganz gleich, ob diese formell anerkannt ist oder nicht. Doch das Ziel war eine Mehrheit. Vor diesem Hintergrund sollte das Ergebnis eine kritische Reflexion anstoßen.
Angesichts der kommenden juristischen Auseinandersetzungen ist diese Geschichte zwar noch nicht zu Ende, dennoch stehen Fragen im Raum, denen begegnet werden muss. Auf die Frage, was man an der Strategie in Bessemer hätte ändern können – ob man zum Beispiel den Wahltag hätte verschieben sollen, als sich die Größe der Verhandlungseinheit fast vervierfachte –, antwortete Appelbaum: »In gewisser Weise gab es keine Alternative. Wir hatten Angst, dass auf einen Antrag auf Verschiebung der Wahl eine Vielzahl von Einsprüchen seitens Amazon folgen würde, und die Rechtsstreitigkeiten so lange gedauert hätten, dass wir ewig keine Wahl bekommen würden.« Es überrascht nicht, dass der RWDSU-Vorsitzende in Bezug auf seine Kampagne standhaft bleibt – das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass eine Debatte über verschiedene Organisierungsansätze aussteht.
Es ist bekannt, dass Amazon rücksichtslose gewerkschaftsfeindliche Taktiken anwendet, dass seine Warenlager eine hohe Fluktuationsrate haben und dass es besonders die Gesetze in den Südstaaten der USA schwierig machen, eine Gewerkschaftsabstimmung in einem großen Betrieb zu gewinnen. Was sind angesichts dieser bekannten Schwierigkeiten die effektivsten Organisierungsstrategien? Wie lassen sich die Verbindungen zwischen den Belegschaften an den verschiedenen Unternehmensstandorten stärken? Wie sollen sich die Gewerkschaften zu bestehenden Organisationen verhalten, die keine traditionellen Gewerkschaftskampagnen sind? Wie können Gewerkschaften und Organisationen, die die unterschiedlichen Berufsgruppen von Lagerarbeiterinnen, Lieferfahrern und Softwareentwicklerinnen vertreten, besser an einem Strang ziehen, anstatt aneinander vorbei zu arbeiten?
Auch an anderen Amazon-Standorten organisieren sich die Arbeitenden, denn die Gründe dafür bleiben bestehen. Vor kurzem streikten die Beschäftigten eines Amazon-Standorts im Großraum Chicago im Kampf gegen die dort angesetzte Nachtschicht von zehneinhalb Stunden. Ein Teil dieser Organisierung geschieht unter dem Banner von Amazonians United Chicagoland, einer Organisation, die sich von einer traditionellen Gewerkschaft unterscheidet. Wie Vice schreibt, beinhalten die Forderungen des Protests »Zeitplananpassungen für Beschäftigte, die nicht nachts arbeiten können, 2 Dollar Aufschlag auf den Nachtschicht-Stundenlohn, kostenlose Lyft-Fahrten zu und von der Arbeit (wie sie in Amazons Lieferstation in New York City angeboten werden) und das Einhalten der bezahlten 20-Minuten-Pausen.«
The Intercept berichtete kürzlich, dass Amazon im vergangenen Jahr dem NLRB zufolge illegale Vergeltungsmaßnahmen gegen seine Arbeiterinnen und Arbeiter ergriff, als diese in einem anderen Warenlager im Großraum Chicago aus Protest gegen unzureichende Covid-19-Sicherheitsmaßnahmen Arbeitsniederlegungen organisierten. Anfang des Jahres gab Amazon bekannt, diesen Standort schließen zu wollen. Ted Miin, einer der Arbeiter, dessen Rechte verletzt worden waren, sagte gegenüber The Intercept: »Es wäre wirklich naiv zu glauben, dass die Schließung in keiner Weise damit zu tun hat, dass wir uns organisiert haben.«
»Es ist okay, deprimiert und frustriert zu sein«, antwortet Emmit Ashford, ein Arbeiter im Bessemer-Warenlager, auf die Frage, was er den Amazon-Beschäftigten an anderen Standorten sagen würde, die durch den heutigen Rückschlag entmutigt sind. »Dass wir dieses Gefühl haben, lässt uns wissen, dass hier irgendwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Nehmt dieses Gefühl zur Motivation, stark zu bleiben und weiterzumachen.«
Alex N. Press ist Redakteurin bei JACOBIN. Ihre Beiträge erschienen unter anderem in der »Washington Post«, »Vox«, »the Nation« und »n+1«.