13. August 2021
Seitdem Amazon 2014 nach Polen expandierte, ist das Land zum Versuchslabor für gewerkschaftsfeindliche Unternehmensstrategien des Konzerns geworden. Die Picker und Packer in den Lagerhallen lassen sich das nicht gefallen und haben sich organisiert. JACOBIN hat mit zwei von ihnen gesprochen.
Amazon-Werk Gduńsk in Polen.
Zwar hat Amazon seinen Sitz in den Vereinigten Staaten, der Konzern beschäftigt inzwischen aber Menschen auf der ganzen Welt. Die globale Expansion nutzt das Unternehmen, um Löhne zu drücken und über den verschärften Konkurrenzkampf die Produktivität zu steigern. Doch Beschäftigte in ganz Europa verbünden und organisieren sich, um dieser Strategie entgegenzuwirken. Leicht ist das nicht, denn Amazon schließt für jeden Standort individuelle Verträge ab, um die Belegschaften gegeneinander auszuspielen. Doch die Gewerkschaften und Beschäftigten arbeiten weiter an Strategien für die zukünftige internationale Organisierung.
In einer kürzlich erschienen Folge des neuen JACOBIN-Podcasts Primer sprach Alex N. Press mit Magda Malinowska und Agnieszka Mroz, die in Polen bei Amazon arbeiten und bei Amazon Workers International (AWI) organisiert sind. Anders als etablierte, institutionalisierte Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbände hat die AWI weniger formale Strukturen und ist vor allem auf Betriebsebene aktiv. Malinowska arbeitet seit fünf Jahren im Logistikzentrum Poznán, Polen, erst als Pickerin und dann an der Seite von Agnieszka Mroz als Packerin. Agnieszkas erster Job bei Amazon war in Poznán, dem ersten Amazon-Lager, das in Polen im Jahr 2014 eröffnet wurde. Seither hat der Konzern in Polen stetig expandiert.
AM: In unserem Lager arbeiten etwa 10.000 Menschen. Amazon gibt das natürlich nicht zu. Das Unternehmen sagt schlichtweg, dass es nur 3.000 Arbeitende mit der blauen Plakette [gemeint sind Festangestellte] beschäftigt. Aber zusätzlich arbeiten bei uns noch einmal doppelt so viele Zeitarbeiterinnen, Reinigungskräfte ohne feste Verträge und Beschäftigte im Sicherheitsdienst. Und so sind es dann zusammen genommen 10.000 Beschäftigte – es ist ein wirklich großes Lager.
Warum ist Polen zu einem so wichtigen Standort für Amazon geworden?
AM: Darauf gibt es eine einfache Antwort: billige Arbeitskräfte. Beschäftigte in Polen verdienen ein Drittel von dem, was in westeuropäischen Ländern üblich ist. Aber die Eröffnung von polnischen Standorten diente auch dazu, die Beschäftigten, die in Deutschland Streiks organisierten, unter Druck zu setzen. Denn die polnischen Standorte beliefern den deutschen Markt – wir beliefern Amazon.de.
2014 war für Amazon in Deutschland aufgrund der Streiks ein kritisches Jahr. Der Konzern hat uns als zusätzliches Druckmittel gegen die Organisierung der Arbeitenden eingesetzt. Das wiederum hat auch uns unter Druck gesetzt, weil die polnischen Beschäftigten die Streiks nicht brechen wollten. Aber aufgrund unterschiedlicher Regulierungen, nationaler Gesetze usw. verläuft die Organisierung in Polen und Deutschland unterschiedlich. In Polen hat Amazon mehr Möglichkeiten, um den Beschäftigten mehr abzuverlangen. Die niedrigen Arbeitskosten und die Prekarität der Beschäftigten sind also ausschlaggebend für die Expansion nach Polen.
Viele Beschäftigte in Deutschland und Polen sind sich bewusst darüber, dass sie gegeneinander ausgespielt werden, um Kosten zu senken. Aber sie wissen auch, dass sie das nicht einfach hinnehmen müssen. Die Gewerkschaft in Poznán wurde von Arbeitenden gegründet, die im Ausland ausgebildet worden waren und gesehen hatten, unter welchen Bedingungen und mit welchen Zusatzleistungen die Beschäftigten in Ländern wie England oder Deutschland arbeiten. Wie entstand der Austausch zwischen dem Lager in Poznán und den Beschäftigten in Deutschland?
MM: 2016 erfuhren wir, dass die deutschen Beschäftigten in den Streik getreten waren. Die polnischen Belegschaften wollten jedoch nicht zu Streikbrecherinnen werden, deshalb organisierten wir Bummelstreiks. Dafür haben wir einen hohen Preis gezahlt: Manche Beschäftigte wurden sogar entlassen, weshalb einige jetzt noch mehr Angst haben, solche Aktionen durchzuführen. Aber wir organisieren uns weiter, auch gemeinsam mit den deutschen Arbeitenden. Zum Beispiel haben wir kürzlich ein gemeinsames Flugblatt verfasst, in dem wir gleiche Löhne fordern.
»Bei uns wird der Schrott aus ganz Europa abgeladen.«
Der Aspekt der Bezahlung ist für uns sehr wichtig. Die polnischen Arbeitenden verdienen so wenig, dass sie Überstunden machen müssen. Statistiken zufolge sind wir eine der Nationen in Europa mit den längsten Arbeitszeiten. Deshalb fordern wir höhere Löhne, und unsere Kolleginnen in Deutschland unterstützen uns dabei. Sie wissen, dass die polnischen Beschäftigten aufgrund ihrer ökonomischen Lage gezwungen sind, Überstunden zu machen, wenn in den Lagern in Deutschland gestreikt wird. Und sie wissen auch, dass das ihre Streiks weniger wirksam macht.
Die AWI steht außerdem in Kontakt mit Beschäftigten in Frankreich, Italien, Spanien, der Tschechischen Republik und der Slowakei. Wie sieht Eure gemeinsame Arbeit aus?
MM: Amazon kann Retouren nicht verwerten, deshalb werden sie aus anderen Ländern nach Polen verschickt. Die polnischen Beschäftigten sind damit nicht einverstanden, weil sie im Prinzip nur Müll sortieren. Untereinander sagen sie sich: Bei uns wird der Schrott aus ganz Europa abgeladen.
Wir tauschen solche Informationen aus, stellen gemeinsame Forderungen auf und versuchen, zusammen Aktionen zu organisieren sowie uns gegenseitig bei Streiks zu unterstützen. Aufgrund der unterschiedlichen nationalen Gesetzeslagen nutzen wir im Arbeitskampf unterschiedliche Strategien, dessen zum Trotz setzen wir uns gemeinsam für dieselbe Sache ein: In einigen Ländern haben Menschen Blockaden organisiert, und wir haben im vergangenen Jahr Unterstützung von der Kampagne »Make Amazon Pay« bekommen, die ebenfalls unser Lagerhaus blockiert hat. In anderen Ländern, in denen die Arbeitenden streiken können, tun sie das auch. So versuchen wir, Amazon unter Druck zu setzen.
Die Zusammenarbeit war vor allem während der Pandemie sehr effektiv, weil wir gemeinsame Forderungen hatten. Amazon konnte uns nicht ignorieren. Als wir eine Gefahrenzulage für die Arbeit unter sehr unsicheren Bedingungen forderten, konnten sie nicht nein sagen. Auch unsere Forderungen nach Sicherheitsvorkehrungen konnten sie nicht ignorieren. In dieser Zeit haben wir erlebt, wie mächtig wir sind, wenn wir uns verbünden. Deshalb versuchen wir jetzt, daran anzuknüpfen – unbürokratisch, auf betrieblicher Ebene und indem wir über unsere Lage als Beschäftigte diskutieren. Wir müssen uns besser organisieren, sonst wird Amazon immer viel, viel stärker sein als wir.
Die bei der AWI organisierten Arbeitenden sind Teil einzelner lokaler Gewerkschaftsgruppen, aber die Gruppe ist eher lose organisiert. Sie wird zur Kommunikation und Unterstützung genutzt, aber die eigentliche Kraft – genauso wie die Strategien – kommt aus den Lagerhäusern. Wie würdet Ihr die AWI beschreiben?
AM: Amazon Workers International ist keine formelle Organisation, und dabei soll es auch bleiben. Wir haben unsere Arbeit als Netzwerk begonnen, in dem wir uns austauschen, unterstützen und solidarisch sind. Amazon ist sehr flexibel – just-in-time – und kann dadurch Engpässe gut überbrücken. Um zu wissen, wann für eine Aktion ein guter Moment gekommen ist, muss man also direkt in die betrieblichen Arbeitsprozesse eingebunden sein. Für Außenstehende ist schwer einzuschätzen, wann sich Belegschaften organisieren, weil der Widerstand oft eher spontan entsteht.
Im November letzten Jahres sprach sich beispielsweise in einem der großen Lagerhäuser im Süden Polens, in dem einige unserer Mitglieder arbeiten, während einer Frühschicht herum, dass Zeitarbeiterinnen, deren Bedingungen besonders prekär sind, vor der Hochsaison eine zusätzliche Prämie bekamen, die Festangestellte jedoch nicht erhielten.
Diese Information geriet innerhalb weniger Stunden in Umlauf und die Leute begannen, sich darüber auszutauschen. Und sie sagten: Warum sollten nur die Zeitarbeiter den Bonus bekommen? Wir sollten alle Boni bekommen. Es geht nicht darum, dass sie schlechter bezahlt werden; wir sollten alle gleich behandelt werden. Die Gabelstaplerfahrer organisierten sich, Dutzende von ihnen weigerten sich einige Minuten lang, in der Frühschicht zu arbeiten, und skandierten Parolen in der Verladeabteilung.
»Wir können nicht zulassen, dass das Unternehmen uns in Deutsche, Polen und Franzosen spaltet und miteinander in Konkurrenz treten lässt, und wir wehren uns dagegen.«
In der Nachtschicht wurde die Arbeit für eine Stunde niedergelegt. Amazon wurde daraufhin richtig unruhig. Der Geschäftsleiter kam mitten in der Nacht, was sonst nie passiert. Die Geschäftsführung ging mit unseren Vertrauensleuten ins Gespräch, weil sie wussten, dass die Hochsaison bevorstand und dass 1.000 organisierte Gablerstaplerfahrer das Lager – ein großes Lager für große Artikel – lahmlegen könnten.
Das alles geschah in einem sehr kurzen Zeitraum und hat uns gezeigt, dass man wirklich in den Betrieben sein muss; man muss wissen, wann sich Möglichkeiten auftun, in denen die Organisierung von Beschäftigten dem Unternehmen wirtschaftlich schaden kann. Denn das sind die Momente, in denen Amazon unseren Forderungen Folge leisten wird. Das wird nicht durch größere Kampagnen oder Politikerinnen und Politiker geschehen, die sich im Europäischen Parlament zu Wort melden und sich über Amazons Geschäftspraktiken beschweren. Wir haben das erst kürzlich erlebt und unsere Situation hat sich dadurch nicht verbessert.
Amazon Workers International entstand aus der Idee heraus, Beschäftigte international zu vernetzen. Wir können nicht zulassen, dass das Unternehmen uns in Deutsche, Polen und Franzosen spaltet und miteinander in Konkurrenz treten lässt, und wir wehren uns dagegen.
Aber das Unternehmen versucht natürlich, solche Spaltungen zu befeuern; es profitiert davon, die Arbeitenden in Zeitarbeiterinnen und Festangestellte, Polen und Deutsche, Arbeiterinnen vom Land und Arbeiter aus der Stadt zu unterteilen. Bei unserer letzten Aktion haben wir unser Flugblatt auch auf Russisch veröffentlicht. Denn während in Westeuropa polnische Migrantinnen und Migranten für Amazon arbeiten, arbeiten bei uns immer mehr Menschen aus der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern.
In Polen setzt Amazon außerdem auf billigere Arbeitskräfte aus den kleinen Dörfern, denen das Unternehmen kostenlose Firmenbusse zur Verfügung stellt, damit sie zu den Lagerhäusern pendeln können.
Welche Forderungen stellt Ihr?
AM: Erstens fordern wir höhere Löhne, zweitens stabile, dauerhafte Arbeitsverhältnisse: Wir wollen zunächst die Zeitarbeitsfirmen abschaffen. Es gibt eigentlich kein Argument, warum ein Unternehmen wie Amazon bei einer Zeitarbeitsfirma Personal rekrutieren sollte. Denn im polnischen Recht wurde die Möglichkeit der Beschäftigung von Zeitarbeitern eingeführt, um Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu helfen. Aber Amazon expandiert. Wir wollen, dass alle Beschäftigten einen unbefristeten Vertrag bekommen. Unsere dritte Forderung betrifft das Arbeitstempo und die Quoten.
Diese drei Themen sind in verschiedenen Ländern unterschiedlich ausgeprägt: In Deutschland fordern die Beschäftigten vor allem unbefristete Verträge. Personalagenturen sind bei der deutschen Belegschaft kein Thema, aber die Vertragslänge ihrer Anstellung ist auf zwei Jahre befristet. Hier in Polen liegt der Fokus hingegen auf der Zeitarbeit. Es geht also um unterschiedliche Beschäftigungsformen. Der Kern der Forderung bleibt jedoch derselbe.
Amazon hat die Ressourcen, um den Beschäftigten unbefristete Arbeitsverträge anzubieten, mehr zu zahlen und auch das Arbeitstempo runterzufahren. Auch dank der AWI sind wir uns bewusst, dass diese drei Probleme nicht nur die Probleme der Beschäftigten von Amazon in Polen sind, sondern auch globale Probleme der arbeitenden Klasse.
MM: Die Ignoranz, mit der Amazon agiert, vor allem in Bezug auf Gesundheit und Sicherheit, ist wirklich beispiellos. Es liegt auf der Hand, was geändert werden müsste, um die Arbeitsbedingungen in den Lagerhallen zu verbessern, doch sie stellen sich blind und taub.
»Wir glauben, dass sich das Unternehmen nicht durch Verhandlungen hinter verschlossenen Türen verändern wird, sondern nur durch die Arbeitenden, die sich in den Betrieben organisieren.«
Sie wollen nicht auf uns hören. Deshalb müssen wir sie ständig unter Druck setzen. Es gibt keinen Dialog – Verbesserung wird es nur geben, wenn wir ununterbrochen darauf drängen. Wir arbeiten in 10-Stunden-Schichten. Wir verbringen also den Großteil unserer Zeit an unserem Arbeitsplatz. Deshalb sollten wir ein Mitspracherecht darüber haben, wie unsere Arbeit organisiert ist und wie unsere Zeitpläne aussehen. Amazon gesteht uns das nicht zu. Wir werden also weiter diesen Konflikt führen und Druck ausüben, nicht nur lokal, sondern weltweit.
Europa hat den Ruf, in Bezug auf Arbeitsrechte wesentlich weiter zu sein als die USA. Aber wenn man ein wenig genauer hinsieht, stellt man fest, dass viele der Probleme der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung auch in Europa existieren. Eines dieser Probleme ist das, was Magda »Bürokratie« bezeichnet.
Es geht dabei um die politischen Beziehungen der großen Gewerkschaften untereinander. In einem Artikel über die Organisierung in den polnischen Amazon-Lagern, der 2016 bei JACOBIN veröffentlicht wurde, schreibt der Autor, dass viele Beschäftigte dort glaubten, dass die Solidarność, Polens größte Gewerkschaft, »weitgehend passiv und mehr an nationalistischen und religiös-konservativen Themen als an den Kämpfen der Belegschaften interessiert« sei und sie deshalb dort keine Unterstützung suchten. Demnach »hielten jüngere Mitglieder der Amazon-Belegschaft, einige mit höherer Bildung und Arbeitserfahrung in Westeuropa, die Solidarność für unnahbar, für einen Haufen ›alter Gewerkschafter mit Schnurrbart‹.«
AM: Ja, von Kolleginnen und Kollegen in den USA höre ich oft, dass die Gewerkschaften in Europa stark und die Arbeitsbedingungen deshalb besser seien. Deshalb möchte ich etwas zu Amazons Rolle im Rahmen des sogenannten Sozialdialogs in Europa anmerken. Dieses Modell funktionierte etwa so, dass der Big Boss, die Unternehmen, mit der kapitalfreundlichsten Gewerkschaft in Dialog traten. Die Gewerkschaft wiederum fungierte dann als Manager der Beschäftigten und kontrollierte möglichen Widerstand, und oft vertraten die Gewerkschaftsfunktionärinnen und -funktionäre dabei vor allem ihre eigenen Interessen.
Die traditionelleren deutschen Unternehmen, die in Polen tätig sind, folgen diesem Modell. Amazon spielt da nicht mit; statt sich eine große Gewerkschaft auszuwählen und mit ihr einen sogenannten Sozialdialog zu führen, bei dem alle, die eine andere Strategie, andere Meinungen oder eine kritische Haltung gegenüber dem Unternehmen haben, ausgeschlossen werden, ignoriert das Unternehmen die Gewerkschaften einfach komplett. Amazon tut nur das, was durch die örtlichen Gesetze vorgeschrieben ist und nicht mehr.
Beispielsweise besagt das polnische Gesetz, dass die Gewerkschaft über die Löhne verhandeln darf, weil Lohn kein individuelles Recht ist, sondern Verhandlungsgegenstand zwischen Unternehmen und Gewerkschaften. Um diesen Tarifverhandlungsprozess zu umgehen, fügt Amazon in Polen den Arbeitsverträgen einen individuellen Anhang bei.
Das ist gesetzlich erlaubt. Um also noch einmal auf die Gewerkschaften zurückzukommen: Wir kommen aus einer eher basisdemokratischen Tradition, bei der es in erster Linie um die Selbstorganisation der Belegschaft auf betrieblicher Ebene geht. Aber auch die konservativeren Gewerkschaften sind zunehmend gezwungen, ihre Strategien anzupassen. Sie müssen auf betrieblicher Ebene aktiv werden, weil es keine Verhandlungen auf höherer Ebene mehr gibt. Die gewerkschaftliche Führungsebene kann nicht mehr einfach hinter dem Rücken anderer Beschäftigter mit den Firmenbossen verhandeln.
»Wir halten nicht viel davon, Arbeitende zu Opfern von Spionage oder schlechten Managementpraktiken zu erklären.«
Unsere Gewerkschaft ist eine Basisgewerkschaft und die größte Gewerkschaft in Polen. Die zweite große Gewerkschaft Solidarność, die traditionell die Verhandlungspartnerin im Sozialdialog war, dürften einige noch aus den 1980er Jahren kennen. Bei Amazon arbeiten wir zusammen, weil Amazon auch sie in die Defensive gedrängt hat.
Deswegen sind wir und die Solidarność dazu gezwungen, in den Betrieben zu organisieren und die Wut unserer Kolleginnen und Kollegen zum Ausdruck zu bringen; Kampagnen zu organisieren und Kritik zu üben, ohne gleichzeitig faule Deals mit dem Unternehmen abzuschließen. Ich halte das für eine positive Entwicklung. Denn wir glauben, dass sich das Unternehmen nicht durch Verhandlungen hinter verschlossenen Türen verändern wird, sondern nur durch die Arbeitenden, die sich in den Betrieben organisieren.
Wie blickt Ihr auf die Organisierung der Amazon-Beschäftigten in den USA?
MM: Im vergangenen Jahr standen wir in Kontakt mit US-Beschäftigten. Durch ihre Arbeitsniederlegungen, beispielsweise in New York und Chicago, haben sie viel erreicht, sogar ohne eine Gewerkschaftsstruktur im Rücken. Selbst in Polen hat sich einiges verändert, als die streikenden Beschäftigten in den USA Temperaturkontrollen und einige Sicherheitsmaßnahmen einforderten.
Infolge der Streiks wurden auch in den Lagerzentren in Deutschland, in Polen etc. Temperaturkontrollen eingeführt. Die Gewerkschaften hier hatten es zuvor nicht geschafft, ihre Forderung nach Temperaturkontrollen durchzusetzen. In Chicago ist es den Beschäftigten durch ihre Proteste auch ohne eine formale Struktur gelungen, ausreichend Druck auf Amazon auszuüben. Wir müssen lernen, wo unsere Stärken liegen und wie wir sie nutzen können.
Die schlechten Arbeitsbedingungen in den Amazon-Lagern finden aktuell große mediale Beachtung. So wird beispielsweise berichtet, dass Arbeitende in Flaschen urinieren müssen, weil sie keine Zeit haben, auf die Toilette zu gehen. Es gab zudem Berichte darüber, dass das Unternehmen Pinkerton-Spione in den Lagerhäusern in Polen beschäftigt. Wie findet Ihr diese mediale Berichterstattung?
AM: Wir halten nicht viel davon, Arbeitende zu Opfern von Spionage oder schlechten Managementpraktiken zu erklären. Natürlich sind solche Geschehnisse die Realität, die wir in unseren Lagerhäusern erleben. Aber in der Rolle als Opfer haben wir keine Macht, daran etwas zu ändern. Berichte über Arbeitende, die in Flaschen pinkeln, mögen für die großen Medien eine gute Story hergeben, aber sie bringen unsere Kolleginnen und Kollegen nicht dazu, zu streiken oder der Gewerkschaft beizutreten.
Dazu bringt sie viel eher die alltägliche Erfahrung der eigenen Ausbeutung, wenn ihnen beispielsweise das Management damit droht, eine längere Pause als Fehlzeit zu berechnen. Das macht die Arbeitenden natürlich wütend, aber sie müssen sehen, dass sie keine Opfer sind. Die Arbeitenden sollten nicht als Sklavinnen und Sklaven portraitiert werden, denn wer versklavt ist, kann sich nicht so einfach wehren. Insofern hilft uns diese Art von Berichterstattung nicht besonders.
Wir werden ausgebeutet, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht in der Lage sind, uns selbst zu äußern. Das sind wir. Wir können Flugblätter und Zeitungen schreiben, und Pläne entwerfen, wie sich Amazon verändern sollte. Wer die Arbeitenden unterstützen will, sollte sich nicht nur auf das verlassen, was die Medien über uns berichten. Denen zufolge sind wir nur arme Opfer, die dem Algorithmus im digitalen Kapitalismus hilflos ausgeliefert sind. Aber das ist schlicht nicht wahr.
Der größte Teil der Arbeit bei Amazon ist körperliche Arbeit; es geht darum, seinen Körper zu bewegen, die eigenen Muskeln zu benutzen, viel zu laufen. Wir stehen nicht unter der Tyrannei des Algorithmus. Das ist nicht unsere Erfahrung. Es stimmt natürlich, dass Amazon ein Heer von Juristinnen und Soziologen hat, die beobachten, was wir täglich in den Lagerhallen tun. Aber in der Lagerhalle selbst sind immer noch wir in der Überzahl. Wir sind Tausende von Arbeitenden, und wenn wir uns zusammentun, können wir das Kräfteverhältnis verändern.
Was würdet Ihr Leuten sagen, die mit sich hadern, weil sie bei Amazon einkaufen?
AM: Ich wurde in letzter Zeit – vor allem rund um den Prime Day – oft gefragt, ob ich als Beschäftigte denke, dass man noch bei Amazon bestellen dürfe.
Ich glaube nicht an den Verbraucherboykott. Wenn Ihr bei Amazon einkaufen wollt, spendet für einen Streikfonds; seid Euch bewusst, dass es dort Arbeitende gibt, die sich zu Wort melden können und in der Lage sind, Forderungen aufzustellen. Unterstützt sie, denn nur durch sie wird sich etwas ändern. Es gibt verschiedene Gewerkschaften und Initiativen in unterschiedlichen Ländern. Wenn Du also bei Amazon einkaufst und mit der Ausbeutung nicht einverstanden bist, dann finde einen Weg, die Arbeitenden zu unterstützen, die sich in dem Lagerhaus, in dem Du einkaufst, selbst organisieren.
Magda Milanowska und Agnieszka Mroz sind Beschäftigte beim Amazon-Standort in Poznán, Polen, und organisieren Arbeitende für Amazon Workers International (AWI).
Alex N. Press ist Redakteurin bei JACOBIN. Sie schreibt u.a. für die Washington Post, Vox, the Nation und n+1.
Magda Milanowska und Agnieszka Mroz sind Beschäftigte beim Amazon-Standort in Poznán, Polen, und organisieren Arbeitende für Amazon Workers International (AWI).
Magda Milanowska und Agnieszka Mroz sind Beschäftigte beim Amazon-Standort in Poznán, Polen, und organisieren Arbeitende für Amazon Workers International (AWI).