20. Februar 2023
Dass Elon Musk Gewerkschaften verachtet, ist kein Geheimnis. Doch die Löhne und Bedingungen in seiner Tesla-Gigafactory sind so schlecht, dass er für das Werk in Grünheide kaum Beschäftigte findet.
Ringt um Arbeitskräfte: Tesla-Gründer Elon Musk.
IMAGO / ZUMA WireDas letzte Jahr war kein gutes für Elon Musk. Seine etwas holprige Twitter-Übernahme sorgte für viel mediale Aufmerksamkeit und kostete ihn fast die Hälfte der Werbekunden. Musks autoritärer Stil und seine latente Verachtung gegenüber denjenigen, die für ihn arbeiten, kamen ungeschönt zum Vorschein: Er entließ schlagartig mehr als die Hälfte der Twitter-Beschäftigten, dem Rest verkündete er, sich auf 80-Stunden-Wochen einzustellen.
In Musks Tesla-Fabriken ist dieser Führungsstil schon lange gang und gäbe. Letztes Jahr haben Schwarze Beschäftigte die Führungskräfte des Fremont Werks in Kalifornien verklagt. Sie hätten über Jahre hinweg rassistische Beleidigungen erdulden müssen, wurden oft von dem Rest der Belegschaft abgespalten und mussten körperlich besonders belastende Arbeit verrichten. Im selben Werk musste im Jahr 2014 hundert Mal ein Krankenwagen gerufen werden, weil Angestellte zusammenbrachen. Tesla-Beschäftigte erzählen von langen Arbeitszeiten und extremem Leistungsdruck, auch bei körperlicher Verletzung.
Ähnliche Erfahrungen werden aus Teslas Batteriewerk in Nevada berichtet. In einer Zeitspanne von drei Jahren mussten Inspekteure der Bundesbehörde für Arbeitssicherheit (Occupational Safety and Health Administration, OSHA) neunzig Mal das Werk besichtigen. Im Durchschnitt wurden andere Betriebe in der Region in derselben Zeitspanne nur ein Mal aufgesucht. Hinzu kommt, dass Tesla nicht jede Verletzung am Arbeitsplatz meldet, auch wenn das Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet ist.
Im Jahr 2017 wurde Tesla in Nevada wegen Verstößen gegen die Sicherheitsvorschriften bestraft. Bei den vier Klagen, die eingereicht wurden, ging es in drei Fällen um schwere Verletzungen am Arbeitsplatz, die in Amputationen endeten. Bei einem chemischen Unfall im selben Jahr wurde der Feuerwehr sogar der Zugang zum Werk durch das Sicherheitspersonal erschwert. Beim Versuch einer Evakuierung wurde deutlich, dass Tesla für derlei Notfälle keinen Plan hatte. Hinzu kommt noch die Knappheit an Wohnraum in der Region um das Batteriewerk. Noch bis ins Jahr 2019 mussten Tesla-Beschäftigte in Wohnwagen und auf Parkplätzen leben, weil es an bezahlbaren Wohnungen mangelte. Die Vorfälle aus Fremont und Nevada spiegeln sich fast eins zu eins auch im Batteriewerk in Texas wieder.
Nicht überraschend also, dass bei Tesla im Vergleich zu allen anderen Automobilherstellern in den USA die meisten Verletzungen von Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz verzeichnet werden. Auch finanziell steht es nicht gut um das Unternehmen: Tesla-Aktien verloren in einem Jahr 64 Prozent an Wert und das Unternehmen verfehlte seine Absatzziele. Um dem entgegenzuwirken, senkte das Unternehmen die Preise seiner meistverkauften E-Autos kürzlich um bis zu 17 Prozent.
Bislang hatte Tesla Standorte in den USA und auch in China, dem größten E-Automarkt der Welt. Seit zehn Monaten steht auch auf europäischem Boden ein Tesla Werk, und zwar in Grünheide in der Nähe von Berlin. Allerdings ist Deutschland nicht die USA und die Arbeitsbedingungen in der Autoindustrie wurden hierzulande durch starke Gewerkschaften erkämpft. Musk müsste das eigentlich wissen.
Obwohl sich Musk erhoffte, in Grünheide jährlich etwa 500.000 Elektroautos zu produzieren, steht das Fließband teilweise still. Das Werk schafft etwa ein Drittel dessen. Grund dafür ist, dass der Gigafactory die Fachkräfte fehlen und diejenigen, die dort arbeiten, nicht lange bleiben. Die Produktion erfolgt dadurch in zwei, anstatt drei Schichten, wie es bei anderen Automobilherstellern üblich ist. Wie Wired kürzlich berichtete, fehlten Tesla im Dezember 5.000 Beschäftigte, mittlerweile fehlen etwa 3.000. Die Belegschaft berichtet von niedrigen Gehältern unterm Branchendurchschnitt, schlechten Arbeitsbedingungen und inkompetenten Führungskräften. Laut der IG Metall sind die Gehälter in Grünheide bis zu 20 Prozent niedriger als in tarifgebundenen Betrieben. Dies führt wiederum dazu, dass viele sich entscheiden, nicht bei Tesla zu arbeiten, was den Mangel an Arbeitskräften im Betrieb verschärft.
Der Fachkräftemangel ist in Deutschland ein bekanntes Problem. In einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung gaben Betriebsräte an, dass 65,2 Prozent der Betriebe im produzierenden Gewerbe ihre Stellen nicht besetzen können. Die IG Metall schreibt den Arbeitgebern die Verantwortung zu. Diese würden an der Personalentwicklung sparen, junge Auszubildende oft nur befristet übernehmen und anschließend in die Leiharbeit entlassen. Regionale Wettbewerbe um Auszubildende und qualifizierte Fachkräfte sind die Folge – für Tesla eine schwierige Ausgangssituation.
Hinzu kommt die Frage der Tarifbindung. Da die Gewerkschaften in der Automobilindustrie vergleichsweise gut organisiert sind, ist die Tarifbindung in der Branche hoch. Als nicht-tarifgebundener Automobilhersteller bildet Tesla eine Ausnahme und ist für Beschäftigte ein eher unattraktiver Arbeitgeber. Es ist daher kaum verwunderlich, dass das Werk es nicht schafft, Beschäftigte von anderen Automobilherstellern abzuwerben und neue langfristig an das Unternehmen zu binden. Das Werk wollte ursprünglich 12.000 Mitarbeitende einstellen, bis vor einigen Wochen waren nur 9.000 Arbeitsplätze besetzt.
Trotzdem ist die Situation in Grünheide bemerkenswert. Teslas Entscheidung, in Brandenburg eine Fabrik zu eröffnen, war kein Zufall. Die Webseite des Landes Brandenburg betont die günstige geographische Lage »am Schnittpunkt der transeuropäischen Verkehrsachsen zwischen West- und Osteuropa«. Durch die Produktion in Europa versucht Tesla seine Wettbewerbsfähigkeit im Kontinent zu sichern. Vor einigen Jahren erwähnte Musk, dass ihn auch die Nähe zu Berlin und die niedrigen Mieten in Brandenburg zu seiner Entscheidung bewogen hätten.
Im Osten Deutschlands herrschen bis heute noch andere Bedingungen als im Westen. Nach dem Zusammenbruch der DDR erlitt die Region eine rapide Deindustrialisierung. Die ostdeutsche Wirtschaftsstruktur produziert deshalb auch heute eher für lokale Märkte. Zusätzlich sind die Lohnniveaus im Osten wegen der geringeren Tarifgebundenheit niedriger – nur 47 Prozent der Beschäftigten im Osten arbeiten unter Tarifverträgen.
In Foren wie Kununu, in denen Beschäftigte ihre Arbeitgeber bewerten, warnen Arbeiterinnen und Arbeiter vor den Zuständen in Grünheide. Dort würden amerikanische Zustände herrschen: körperlich besonders belastende Arbeitsprozesse, Alu-Staub in der Luft, autoritärer Führungsstil, Toilettenpausen auf Dixie-Klos wegen mangelnder Infrastruktur. Angestellte berichten zudem von hohen Temperaturen in den Produktionshallen während der Sommerzeit und zu kalten Temperaturen im Winter. Konkurrenz und die Förderung einer Ellenbogenmentalität im Werk werden ebenfalls oft erwähnt. Ein ehemaliger Beschäftigter schreibt etwa: »Wer pünktlich geht wird mit ›unmotiviert‹ betitelt und muss sich Gedanken machen, ob aus ihm was wird«. Ein anderer beklagt: »Kein Zusammenhalt, jeder denkt an sich selbst«. In den Einträgen wird auch von extremem Leistungsdruck und hoher Personalfluktuation berichtet: »Rausschmeißen können sie dich immer. Wenn du deine Zahlen nicht lieferst, fliegst du raus und es wird jemand Neues gesucht«.
Die niedrigen Mieten in Brandenburg, die Musk als einen der Gründe für die Niederlassung seines Unternehmens nannte, sind ein Scheinargument. »Es gibt relativ wenige Wohnungen in der Umgebung … und die, die noch verfügbar sind, sind mit dem Gehalt nicht zu bezahlen … Lebst mitten im Wald zahlst aber 40–50 Prozent deines Gehaltes für die Miete.«
Außerdem versucht Tesla die neuen Mitarbeitenden einzuschüchtern und lässt sie Geheimhaltungserklärungen unterzeichnen. Die IG Metall in Berlin weist darauf hin, dass Mitarbeitende daher zögern, mit der Gewerkschaft über ihre Gehälter zu sprechen. Erst zuletzt berichteten ehemalige Mitarbeitende von langen Arbeitszeiten, die bis in das Wochenende hineinreichten und nicht vertraglich vereinbart gewesen waren.
In den deutschen Automobilkonzernen (und in anderen großen Industriebetrieben) sind Betriebsräte gut verankert und besitzen Mitspracherecht. Ausdrücklich bekannt ist die Mitbestimmung bei Volkswagen, wo der Organisationsgrad der IG Metall bei über 90 Prozent liegt. Aufgrund des Schichten-Systems spielt der Faktor Arbeitszeit für Beschäftigte der Automobilindustrie eine wichtige Rolle. Das System teilt die Arbeitszeit in je eine Woche Früh-, Spät- und Nachtschicht, sodass Werke 24 Stunden produzieren können. Daher greift die Gewerkschaft während der Tarifrunden oft beim Thema Arbeitszeit ein.
Ende der 1980er kämpften westdeutsche Metaller und Metallerinnen unter dem Motto »Leben, Lieben, Lachen« für eine 35-Stunden-Woche, streikten wochenlang und wurden sogar aus den Betrieben ausgesperrt. Der historische Kampf zog sich in der westdeutschen Elektro- und Metallindustrie über mehrere Jahre – bis sich die Gewerkschaft im Jahr 1995 mit der Forderung durchsetzte. Im Osten kämpfen Beschäftigte seit etwa zwanzig Jahren für eine 35-Stunden-Woche. Außerdem können Mitglieder der IG Metall aus der Metall- und Elektroindustrie seit 2019 auch auf die sogenannte verkürzte Vollzeit umsteigen und somit bis zu 24 Monate lang 28 Stunden pro Wochen arbeiten.
Gewerkschaften konnten sich bis heute noch in keinen von Teslas Standorten erfolgreich organisieren. Aufgrund der gewerkschaftsfeindlichen Gesetzgebung und des weit verbreitetem Union Busting ist die Gründung einer Gewerkschaft in den USA besonders schwer. Der Standort in Fremont Kalifornien ist dafür ein gutes Beispiel. In dem Tesla-Werk in Fremont brodelt es schon seit einigen Jahren um die Frage gewerkschaftlicher Organisierung. Dort entließ Tesla 2017 einen Mitarbeiter, der versuchte seine Kolleginnen und Kollegen zu organisieren. Zwei Jahre später wurde diese Maßnahme von der amerikanischen Arbeitnehmerschutzbehörde, dem National Labor Relations Board (NLRB), für rechtswidrig erklärt. Erst letztes Jahr entschied das NLRB, dass Tesla in einem anderen Fall erneut rechtswidrig gehandelt hatte. Das Unternehmen hatte seinen Mitarbeitenden verboten, Kleidung mit einem Slogan der Gewerkschaft auf dem Gelände zu tragen.
Musk wiederum provoziert die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) gezielt. Letztes Jahr versicherte Musk der UAW per Twitter, er würde Wahlen im Werk willkommen heißen. Vier Jahre zuvor hatte er seinen Mitarbeitenden noch damit gedroht, ihnen ihre Aktienpakete zu entziehen, sollten sie sich für eine Gewerkschaft entscheiden. Seit über fünfzehn Jahren versucht UAW, auch Beschäftigte anderer Automobilhersteller zu organisieren: Nissan in Mississippi, Mercedes-Benz in Alabama, VW in Chattanooga und Toyota in Kentucky. Bis heute blieben alle Bemühungen erfolglos.
Die Gigafactory in Grünheide besitzt seit 2022 einen Betriebsrat. Allerdings wurde dieser gewählt, als das Werk nur 2.000 Angestellte hatte. Diese wiederum gehörten eher dem mittleren Management an und waren dementsprechend nicht repräsentativ für die Interessen aller Beschäftigten, vor allem nicht für die hinzukommenden Mitarbeitenden in der Produktion. Teslas Entscheidung, die Wahl möglichst früh zu organisieren, beruhte vermutlich auf Kalkül. Zwischen der IG Metall und den jetzigen Betriebsräten kam es bereits zu Auseinandersetzungen.
Die einzige Möglichkeit, Löhne, Arbeitszeiten und alle anderen Bedingungen zu verbessern, liegt letztendlich in den Händen der Beschäftigten des Werkes. Sie müssen sich jetzt zusammentun, neue Betriebsratswahlen fordern, einer Gewerkschaft beitreten und Tesla den Arbeitskampf ankündigen. Musk hat sich geirrt, wenn er glaubt, er könnte amerikanische Bedingungen in Deutschland durchsetzen. Wenn sich Tesla-Beschäftigte in Grünheide organisieren, wären sie die ersten der Welt, die Musk beweisen, dass man Gewerkschaften nicht den Krieg erklären sollte.
Nicole Kleinheisterkamp-González ist Geographin und promoviert zum Thema Gewerkschaften und Transformation in der Automobilindustrie und im rheinischen Kohlerevier an der Syracuse University in USA.