07. November 2024
Nachdem Olaf Scholz Finanzminister Lindner gefeuert hat, ist klar: Im bevorstehenden Wahlkampf wird die Wirtschaft im Zentrum stehen. Eigentlich eine gute Ausgangslage für die politische Linke – wenn sie nicht so schwach wäre.
Nachdem Lindner gestern entlassen wurde, soll der Posten den Finanzministers schon heute nachbesetzt werden.
Scholz entlässt Lindner. Drei Worte, die es in sich haben, und ebenso folgenschwer sind: Regierungsblockade, Vertrauensfrage, Neuwahl – und das mitten in der Wirtschaftskrise. Das wird die Lage der Menschen und der Wirtschaft noch weiter verschlimmern. Denn bei der Rezession ist kein Ende in Sicht und mit Donald Trump stehen neue Handelskriege vor der Tür.
Die Ampel ist an dem zugrunde gegangen, weswegen sie schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt war: den Staatsfinanzen. Denn die Schuldenbremse blieb und Steuererhöhungen für Milliardäre blieben aus. Am Anfang konnte die Ampel sich noch mit Tricks von der Schuldenbremse befreien, doch mit Auslaufen der Krisenhöhepunkte, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der anhaltenden Rezession zog sich die Schlinge immer weiter zu. Bis zu dem Punkt, an dem die Regierung praktisch handlungsunfähig war. Initiativen sollten nichts kosten und mussten Steuereinnahmen generieren – etwa die Anreize, mit denen man Rentnerinnen und Rentner oder Teilzeitkräfte motivieren wollte, wieder oder mehr arbeiten zu gehen. Auf dieser Grundlage konnten alle Ampelparteien den Großteil ihrer Wahlversprechen vergessen. Auch die Bilanz ist miserabel – das Bürgergeld ist durchlöchert, die Wirtschaft ruckelt, die Infrastruktur bröckelt und die Kindergrundsicherung wurde aufgeschoben. Gleichzeitig sanken die Umfragewerte der Ampel immer weiter und die Opposition von Rechts und Rechtsaußen gewann.
Die Krise gipfelte in anhaltender Rezession, und jeweils einem Papier von SPD, Vizekanzler Habeck und Schattenkanzler Lindner. In denen erklärte jede Partei einmal, was sie gerne hätte, was aber nicht in der Koalition möglich gewesen wäre. Mit ein wenig Kompromissbereitschaft hätte die Ampel nochmal einen Kompromiss zum Machterhalt finden können. Doch laut Aussage des Bundeskanzlers, sei Lindner nicht kompromissbereit gewesen, obwohl dieser ihm weitreichende Kompromisse angeboten hatte. Wörtlich sagte er: »Ich sehe mich zu diesem Schritt gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden.« Eine heftige Aussage. Wenn man Olaf Scholz nicht kennen würde, könnte man denken, dass er Sozialdemokrat sei. Die Grünen haben das getan, was man von ihnen erwartet hatte: Infolge der Trump-Wahl forderten sie mehr finanzielle Unterstützung für die Ukraine.
Einige Minuten später versuchte Christian Lindner es mit der Schuldumkehr: Der Kanzler habe die ultimative Forderung nach der Aussetzung der Schuldenbremse erhoben. Das hätte Lindner nicht akzeptieren können, ohne seinen Amtseid zu verletzen. »Der zentrale Satz im Lindner-Statement war faktisch, schlicht und ergreifend, falsch«, stellt der Ökonom Jens Südekum richtigerweise fest. Lindner schlug Scholz daraufhin einen gemeinsamen Weg zu Neuwahlen vor. Doch Scholz entließ ihn. Das sei alles geplant gewesen – das zeige sich an dem vorbereiteten Statement von Scholz und dem Zeitpunkt, glaubt Lindner.
Scholz dürfte also den First-Mover-Advantage für sich beanspruchen können. Denn wer zuerst Rückgrat beweist, dürfte am meisten Lorbeeren ernten. Zwar forderte Lindner zuerst die Neuwahl, doch Scholz hat das Zepter übernommen. Der letzte Auslöser war wohl, dass die Bild über Lindners Neuwahloption informiert wurde.
Nach dem Plan von Scholz soll am 15. Januar die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt werden. Wenn er diese bewusst verliert, müssen Neuwahlen stattfinden. Die sind für März angesetzt. Bis Weihnachten sollen noch Gesetze im Bundestag verabschiedet werden, so Scholz, etwa der Abbau der kalten Progression für Gutverdiener und Unternehmensentlastungen. Das ist insofern bemerkenswert, als dass Scholz in seinem Abschlussstatement ein paar Sätze zuvor Lindner vorgeworfen hatte, nur an die Entlastung der Reichen zu denken.
Jetzt soll Jörg Kuckies, der vorher Staatssekretär im Kanzleramt war, den Job des Finanzministers übernehmen. Der promovierte Ökonom ist seit Jahrzehnten SPD-Mitglied, aber war auch fast ein Jahrzehnt Leiter der Goldman Sachs Niederlassung in Frankfurt am Main. Öffentlich zeigte er sich immer wieder hochinteressiert an milliardenschweren Industriesubventionen, die er sicherlich mitverhandelt hat. Seit über einem Jahrzehnt ist er der erste Ökonom auf dem Sessel des Finanzministers und gleichzeitig der erste ohne Mehrheit.
Das nächste halbe Jahr dürfte wirtschaftlich so schlecht weitergehen wie bisher. Denn für jede Initiative braucht es entweder eine Mehrheit mit der FDP (kaum vorstellbar) oder eine Mehrheit mit der Union (nur neoliberal vorstellbar). Auch die Union befindet sich in einem Dilemma: entweder etwas Gutes für das Land tun oder Scholz zu früheren Neuwahlen drängen. Beides haben sie bereits angekündigt, aber explizit ausgeschlossen, dass sie den Haushalt mittragen werden. Das bedeutet auch, dass es für die Menschen und die Unternehmen keine erheblichen Entlastungen geben wird.
Dieser Zustand dürfte praktisch bis nächsten Frühsommer anhalten, im schlimmsten Fall sogar bis zum nächsten Herbst. Denn Regierungen müssen erstmal gebildet und Gesetze geschrieben und verabschiedet werden. Das heißt im Klartext: Mindestens noch ein halbes Jahr Wirtschaftskrise und massive Verunsicherung für alle Akteure. Unternehmen schieben Investitionen auf und Bürgerinnen und Bürger werden ihren Notgroschen aufbrauchen. Im schlimmsten Fall führt Donald Trump im Januar weitere Zölle gegen die EU ein, was wiederum Massenarbeitslosigkeit und Turbo-Deindustrialisierung bei handlungsunfähiger Regierung zur Folge hätte.
Das bedeutet aber auch: Der Wahlkampf wird aller Wahrscheinlichkeit nach ein Wirtschaftswahlkampf werden. Neoliberal geführt von AfD, FDP und Union, zentristisch von SPD, Grünen und fortschrittlich von der Linken und dem BSW. Grundsätzlich wäre das eine gute Ausgangslage, um mit Wirtschaftspopulismus zu punkten. Doch der Linken fehlen die Personen dafür – Wirtschaftspolitik hatte bei der Partei schon immer einen schweren Stand, und mit dem Weggang von Fabio De Masi und dem Tod von Axel Troost hat sie ihre letzten tonangebenden Ökonomen verloren. Bei dem BSW, wo es gleich etliche Ökonomen gibt, fehlt wiederum der Fokus auf den Klassenstandpunkt.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.