14. Dezember 2023
Deutschland steckt in der Vergangenheit fest. Es sieht nicht danach aus, dass die Ampel daran etwas ändern wird.
»Lindner sieht nach Jahrzehnten des Wartens die Gelegenheit gekommen, den Sozialstaat endgültig einzustampfen.«
»Wenn es wieder so wäre wie vor 25 Jahren – das wäre ideal.« In letzter Zeit muss ich immer wieder an diese resignierte Aussage eines Mittfünfzigers denken, die ich vor einigen Jahren in einem ICE-Bordrestaurant gehört habe, irgendwo zwischen Fulda und Göttingen. Schon damals fand ich sie nachvollziehbar, aber kurzsichtig. Doch wenn ich ein Psychogramm des postpandemischen Deutschlands erstellen müsste, nach fünf Jahren Stagnation, zwei Jahren Ampel und fast genauso lange Krieg in der Ukraine, würde ich vermutlich hier beginnen.
Die Bundesrepublik der frühen 1990er ist eine fragwürdige Utopie – der Konformitätsdruck und die grassierende Arbeitslosigkeit jener Zeit scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Doch selbst wenn es wirklich wünschenswert wäre, die damalige Gesellschaft wiederaufleben zu lassen, gäbe es dafür einen plausiblen Pfad? Die Probleme des Landes mögen zu einem Gutteil selbstverschuldet sein – einen objektiven Zwang, den Sozialstaat zu zerstören, die Infrastruktur verrotten zu lassen und die Industriepolitik zu vernachlässigen, gab es nie. Dies ändert aber nichts daran, dass keine politische Kraft derzeit glaubhaft versprechen kann, diese Fehler wiedergutzumachen.
»Ein Konservativer ist jemand, der sich quer zur Geschichte stellt und ›Stopp‹ ruft, zu einer Zeit, wenn niemand sonst es tut, oder der viel Geduld mit denen aufbringt, die solche Mahnungen vorbringen«, so William F. Buckley, der es als Mitbegründer des US-Neokonservatismus wissen musste. Auch wenn es gefährlich und vereinfachend ist, von einem »rechten Land« zu sprechen, ist die konservative Weltsicht in diesem Sinn in der heutigen Bundesrepublik offenbar hegemonial geworden: Kaum jemand wünscht sich, dass sich das Rad der Geschichte weiterdreht. Denn kaum jemand glaubt an eine bessere Zukunft.
Das hat auch damit zu tun, dass mit der Ampel vor unseren Augen das letzte Modernisierungsprojekt scheitert, das unter den gegebenen sozialen Kräfteverhältnissen plausibel schien: der progressive Neoliberalismus. Die ökologische und gesellschaftspolitische Erneuerung steckt fest, weil nur eine Abkehr von herrschenden ökonomischen Paradigmen die Voraussetzungen dafür schaffen könnte. Doch die ist nicht in Sicht.
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Alexander Brentler ist Journalist und Übersetzer.