15. Juni 2023
Die Wahl des linken Außenseiters zum Vorsitzenden weckt Hoffnungen, dass die SPÖ zu ihren Wurzeln zurückkehrt und wieder Politik für arbeitende Menschen macht. Jetzt kommt es darauf an, ob er sich gegen den ihm feindlichen Parteiapparat durchsetzen kann.
Andreas Babler ist neuer Parteivorsitzender der SPÖ.
IMAGO / photonews.atEs war eine Wendung des Schicksals, die niemand hätte vorhersehen können: Erst schien die Kampagne des linken Außenseiters Andreas Babler um den Vorsitz der SPÖ nach zehn Wochen ein enttäuschendes Ende zu nehmen. Sein leidenschaftlicher Wahlkampf hatte zwar viele Menschen mobilisiert und eine Aufbruchsstimmung in ganz Österreich ausgelöst, aber auf dem Parteitag am 3. Juni in Linz sah es so aus, als hätte all das nicht gereicht. Nachdem die knapp mehr als 600 anwesenden Delegierten ihre Stimme zur Wahl des neuen Bundesparteivorsitzenden abgegeben hatten, wurde verkündet, dass Babler sein Ziel mit 47 Prozent der Stimmen knapp verfehlt habe. Sein Gegner Hans Peter Doskozil, das Gesicht des rechten Parteiflügels, wurde zum Sieger erklärt.
Dann platzte allerdings eine regelrechte Bombe. Kurz nach Bekanntgabe des vollständigen Ergebnisses wies ORF-Fernsehmoderator Martin Thür auf Twitter darauf hin, dass die Summe der gültigen und ungültigen Stimmen nicht der Gesamtanzahl der abgegebenen Stimmen entsprach. Zwei Tage später, am Montagnachmittag, gab die SPÖ-Wahlkommissionsleiterin Michaela Grubesa in einer Pressekonferenz bekannt, dass bei einer Neuauszählung der Stimmen ein gravierender Fehler aufgedeckt wurde: Die Stimmenanzahlen der beiden Kandidaten seien bei deren Übertragung in eine Excel-Tabelle vertauscht worden.
Am nächsten Tag kündigte Grubesa – Abgeordnete im steirischen Landtag und Lebensgefährtin von Max Lercher, dem Wahkampfmanager von Bablers Gegner Doskozil – ihren Rücktritt als Leiterin der Wahlkommission an. Daraufhin wurden die Stimmen zum dritten Mal ausgezählt. Dann kam die offizielle Bestätigung: Babler hatte auf dem Parteitag tatsächlich mit 53 Prozent der Stimmen die SPÖ-Vorsitzwahl gewonnen.
So unglaublich diese Geschichte auch sein mag – noch unglaublicher ist die bloße Tatsache, dass ein Politiker mit dem Profil eines Andi Babler nun an der Spitze der SPÖ steht.
Babler, der 50-jährige Bürgermeister des Wiener Vorortes Traiskirchen (mit nur knapp 19.000 Einwohnerinnen und Einwohnern), gilt als das österreichische Pendant zu Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn. Als ehemaliger Bundessekretär der Sozialistischen Jugend sowie Vizepräsident der International Union of Socialist Youth – der SPÖ-Jugendorganisation beziehungsweise deren Internationale – wurde er im jungen Erwachsenenalter als Marxist sozialisiert. Doch anders als viele heutige Führungspersönlichkeiten innerhalb der Sozialdemokratie, die sich nach einer radikalen Jugendphase von ihrer Vergangenheit distanzierten und nach rechts rückten, blieb Babler seinen ideologischen Überzeugungen treu.
Während seine Partei spätestens seit den 1990er Jahren einen neoliberalen Kurs verfolgt, der keinerlei Perspektive für grundlegenden gesellschaftlichen Wandel anbietet, bezeichnet sich Babler noch heute als Sozialist und bezieht sich gelegentlich auf den Marxismus – etwa als »eine gute Brille, um auf die Welt zu schauen«. Er betont auch in Reden und Interviews die traditionsreiche Geschichte der SPÖ als Arbeiterpartei sowie seine eigene Biographie als Kind einer Arbeiterfamilie und ehemaliger Maschinenschlosser und Fabrikarbeiter. Solche Erfahrungen bilden den Kontext für seinen eigenen politischen Ansatz, den er als eine Art Rückkehr zu den radikalen Wurzeln der Sozialdemokratie darstellt.
Unter normalen Umständen wäre es kaum vorstellbar gewesen, dass eine Figur wie Babler jemals Vorsitzender der SPÖ werden könnte, denn in der Regel werden neue Vorsitzende nicht auf Parteitagen gewählt – sie werden hinter den Kulissen von anderen Insidern ernannt und auf Parteitagen, wo es fast nie Gegenkandidaten gibt, lediglich bestätigt. Nachdem die SPÖ aber zu Beginn dieses Jahres schwere Verluste in den Landtagswahlen in Niederösterreich und Kärnten erlitten hatte, traf die Partei Mitte März eine historisch beispiellose Entscheidung: Im Vorfeld des für den 3. Juni angesetzten Parteitages würde sie ihre Mitglieder selbst darüber abstimmen lassen, wer die Partei künftig führen soll.
Mit dieser Mitgliederbefragung sollte eigentlich der jahrelange und sehr öffentliche Fraktionszwist zwischen der seit 2018 amtierenden Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner und dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil endlich beigelegt werden. Doch Babler nutzte die Gunst der Stunde und kündigte seine eigene Kandidatur an. Plötzlich wurde aus dem lang ersehnten Duell ein Triell – und die Chancen des Außenseiters schienen nicht schlecht zu stehen. Denn während der brodelnde »Richtungsstreit« zwischen der habilitierten Epidemiologin Rendi-Wagner und dem Ex-Polizeidirektor des Burgenlands Doskozil eher wahltaktischer als programmatischer Natur war, sah es so aus, als könnte der ehemalige Fabrikarbeiter Babler unzufriedenen SPÖ-Mitgliedern eine echte Alternative anbieten.
Seit Jahren verkörperte Rendi-Wagner den Versuch der SPÖ, durch ein liberal-technokratisches Auftreten Österreichs städtische, gebildete Mittelschicht stärker anzusprechen, während Doskozil darauf zielte, durch kritische Aussagen zur Migration und eine Recht-und-Ordnungs-Politik diejenigen Teile der autochthonen Arbeiterklasse zurückzugewinnen, die der SPÖ den Rücken gekehrt haben und nun die rechtsextreme FPÖ wählen. Dabei stellten sich jedoch weder Rendi-Wagner noch Doskozil gegen den neoliberalen Kurs ihrer Partei. Und tatsächlich sind die beiden auf programmatischer Ebene kaum zu unterscheiden – weder wirtschaftspolitisch noch beim Thema Migration.
»Babler nimmt sich vor, die Kinderarmut in Österreich abzuschaffen, eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich durchzuführen und Grundbedürfnisse wie Wohnen und Energie dem Markt zu entziehen.«
Babler hingegen steht sowohl mit seinen Forderungen als auch mit seinem Pochen auf die Notwendigkeit eines wirtschaftlichen Systemwandel in deutlichem Kontrast sowohl zu Rendi-Wagners »Linksneoliberalismus« als auch zu Doskozils »Rechtsneoliberalismus«. »Es ist an der Zeit, Systemfragen zu stellen. Wir brauchen neue Spielregeln für Wirtschaft und Gesellschaft. Das System muss für alle funktionieren«, heißt es etwa auf Bablers Wahlkampf-Website.
Diesem Bild einer »Politik von unten« entsprechend setzte Babler in seinem Wahlkampf um den Vorsitz auf die Mobilisierung der SPÖ-Basis. In den wenigen Tagen zwischen der Ankündigung der Mitgliederbefragung und dem Stichtag für die Teilnahme daran für Neumitglieder traten knapp 10.000 Menschen der SPÖ bei, vermutlich vor allem wegen Bablers Kandidatur. Während die Mitgliederbefragung Ende April und Anfang Mai lief, reiste Babler durch ganz Österreich und hielt Reden vor Tausenden von begeisterten Anhängerinnen und Anhängern. Er sprach über sein Vorhaben, die Kinderarmut in Österreich abzuschaffen, eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich durchzuführen und Grundbedürfnisse wie Wohnen und Energie dem Markt zu entziehen. Sein Wahlkampf entfachte eine hoffnungsvolle Stimmung unter österreichischen Linken – sowohl innerhalb als auch außerhalb der SPÖ.
Als das Ergebnis der Mitgliederbefragung am 22. Mai verkündet wurde, hatten Babler, Doskozil und Rendi-Wagner erstaunlicherweise jeweils etwa ein Drittel der Stimmen erreicht. Babler lag auf dem zweiten Platz mit 31,51 Prozent – zwei Prozentpunkte hinter Doskozil mit 33,68 Prozent, aber immerhin knapp vor der Parteichefin Rendi-Wagner mit 31,35 Prozent. Da die letztere trotz Unterstützung von bedeutenden Teilen des Parteiapparats die Hegemonie innerhalb der Basis offensichtlich verloren hatte, ging sie aus dieser Pattsituation als einzige klare Verliererin hervor und trat am nächsten Tag als Vorsitzende zurück. Babler hingegen kündigte an, seine Kampagne fortsetzen zu wollen, um auf dem Parteitag gegen Doskozil anzutreten.
Obwohl ein Sieg Bablers alles andere als eine ausgemachte Sache zu sein schien, hoffte er darauf, einerseits von der Aufbruchstimmung seines Wahlkampfs zu profitieren, aber andererseits auch »pragmatische« Delegierte aus dem Rendi-Wagner-Lager überzeugen zu können, ihre Stimmen dem Erzfeind Doskozil zu verweigern. Und dieses Kalkül ging tatsächlich auf.
Wenn Babler die SPÖ wirklich zu ihren Wurzeln als Arbeiterpartei zurückführen will, wird seine Wahl zum Vorsitzenden aber bloß der Anfang eines viel längeren Kampfs gewesen sein, der sich über Jahre hinziehen könnte.
Die SPÖ ist eine äußerst bürokratische Partei mit verschiedenen Ebenen von gewählten Politikerinnen und professionellen Funktionären. In der Regel steigt man innerhalb ihres riesigen Parteiapparates nicht weit auf, wenn man die (neoliberale) Parteilinie offen kritisiert. Es versteht sich von selbst, dass viele höherrangige SPÖ-Persönlichkeiten vor allem um ihren eigenen Machterhalt bemüht sind und weder Bablers Verständnis von Sozialdemokratie noch seine Vision für die Partei teilen. Darauf deutet auch Bablers äußerst knapper Sieg auf dem Parteitag hin: Er hätte nie auch nur annähernd 50 Prozent der Delegierten erreichen können, würde sein Gegner nicht von Teilen des Parteiapparates aus persönlichen Gründen geradezu geächtet.
Aber der größte Hürde für Bablers Versuch, die SPÖ zu transformieren, könnte die Parteibasis selbst sein. Auch wenn ein Drittel der Mitgliedschaft für ihn stimmte, erreichten letzten Endes zwei Varianten des Neoliberalismus gemeinsam zwei Drittel. Nun heißt das keineswegs, dass die Mehrheit der Basis den Neoliberalismus stark befürwortet; vielmehr ist die fast perfekte Dreiteilung der Stimmen zwischen Doskozil, Rendi-Wagner und Babler Zeichen einer allgemeineren ideologischen Orientierungslosigkeit. Diese hat die Parteiführung selbst kultiviert, indem sie über Jahrzehnte hinweg keine kohärente politische Vision vertrat.
»Viele höherrangige SPÖ-Persönlichkeiten sind vor allem um ihren eigenen Machterhalt bemüht und teilen weder Bablers Verständnis von Sozialdemokratie noch seine Vision für die Partei.«
Die Depolitisierung der Basis könnte nun Bablers politisches Projekt gefährden. Denn sie wird es seinen innerparteilichen Gegnern leichter machen, mithilfe der bürgerlichen Medien besonders heikle Themen zu lancieren, um seine Anhängerschaft zu spalten – ähnlich wie es bei Jeremy Corbyn mit der Brexit-Problematik gemacht wurde. Genau diese Strategie zeigte sich bereits in der Woche vor dem Parteitag, als verschiedene Medien plötzlich über ein Podcast-Interview aus dem Jahr 2020 berichteten, in dem Babler die EU als »aggressivstes außenpolitisches militärisches Bündnis, das es je gegeben hat« und »schlimmer als die NATO« kritisierte.
Obwohl diese Aussagen wohl etwas übertrieben waren, müssen wir uns über eines im Klaren sein: Die Funktion solcher medialen Angriffe besteht darin, Persönlichkeiten wie Babler und politischen Positionen, die dem neoliberalen Grundkonsens widersprechen, jegliche Legitimität zu nehmen. Das war offensichtlich auch das Ziel der verschiedenen Meinungsartikel, die sich über Bablers Aussagen empörten: Diese setzten sich nämlich nicht in erster Linie mit der Frage auseinander, inwieweit diese zutreffen oder nicht, sondern nur mit der, inwieweit sie Babler als potenziellen SPÖ-Vorsitzenden disqualifizieren.
Angesichts der undemokratischen und wirtschaftsliberalen Grundsätze der EU ist eine Kritik an ihr geradezu unverzichtbar für europäische politische Parteien, die eine fortschrittliche gesellschaftliche Transformation ernsthaft anstreben – unabhängig davon, welche konkreten Forderungen solche Parteien aus dieser Kritik ableiten. Nur weil EU-Kritik im heutigen Diskurs oft von rechtsextremen Kräften aufgegriffen wird, heißt das nicht, dass fortschrittliche Parteien davor zurückschrecken sollen, die EU von links zu kritisieren. Im Gegenteil: Es wäre fatal, dieses wichtige Themenfeld den Rechten zu überlassen.
Wenn Babler wegen seiner Ansichten zu diesem und ähnlich heiklen Themen von zynischen Akteuren angegriffen wird, darf er nicht einfach nachgeben. Das würde seine Gegner eher ermutigen als befrieden. Stattdessen muss er in der Lage sein, Rückgrat zu zeigen und seine Haltung seinem eigentlichen Publikum – also der arbeitenden Mehrheit der österreichischen Gesellschaft – ruhig und gelassen zu erklären. Wenn ihm das gelingt, könnte er auch die SPÖ-Mitgliedschaft repolitisieren und damit eine echte Machtbasis kultivieren, die als Gegengewicht zum feindlich gesinnten Parteiapparat und zur ähnlich voreingenommenen vierten Gewalt dienen könnte.
Die Wahl Bablers zum SPÖ-Vorsitzenden erfolgt zu einem Zeitpunkt, der aus mehreren Gründen einzigartig in der Geschichte der österreichischen Politik ist. Erstens erlebt die rechtsextreme FPÖ einen Höhenflug in den Umfragen, wo sie seit Monaten mit knapp 30 Prozent als stärkste Partei rangiert. An und für sich ist das nichts Ungewöhnliches für österreichische Verhältnisse, doch angesichts der spätestens im Herbst 2024 anstehenden Nationalratswahlen war eine FPÖ-Kanzlerschaft noch nie so wahrscheinlich.
Das letzte Mal, dass die FPÖ ähnliche Umfragewerte hatte, war im Frühjahr 2017 – kurz bevor der junge und polierte Anti-Migration-Hardliner Sebastian Kurz die Führung der bürgerlich-konservativen ÖVP übernahm und einen großen Teil der FPÖ-Wählerschaft absorbierte. Jetzt ist Kurz aber weg, nachdem er vor zwei Jahren aufgrund einer Reihe von Skandalen zum Rücktritt gezwungen wurde. Und es ist nicht davon auszugehen, dass sich bei der ÖVP bis zur nächsten Wahl noch einmal eine ähnliche Situation wie 2017 einstellen wird.
Eine Kanzlerschaft des FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl, der seit Jahren als Chefideologe seiner Partei gilt, hätte katastrophale Folgen für die Arbeiterklasse, die Rechte von Frauen und Migranten und womöglich auch für die Demokratie in Österreich. Babler könnte allerdings genau der richtige Kandidat sein, um Kickl und seine FPÖ zu untergraben, denn er spricht auf eine authentische und bodenständige Art und Weise genau die Lebensrealitäten an, die den wachsenden Unmut der Bevölkerung gegenüber der etablierten Politik befeuern.
Dieser Unmut lässt manchen die angriffslustige FPÖ als plausible Alternative erscheinen, doch die Rechtsextremen haben der breiten Mehrheit in Österreich keine Lösungen anzubieten, was etwa die aktuelle Lebenshaltungskostenkrise angeht. Diese Einsicht wird von ideologisch gefestigen Linken immer gern wiederholt. Sie könnte aber für ein viel größeres Publikum offensichtlich werden, wenn Babler die öffentliche Debatte auf Themen wie steigende Miet-, Lebensmittel- und Energiepreise lenkt.
Als Chef einer der größten Parteien Österreichs ist Babler in einer optimalen Position, eine diskursive Verschiebung im ganzen Land zu bewirken. Wichtige Medien müssen nun seine Forderungen nach tiefgreifenden wirtschaftlichen Umverteilungsmaßnahmen diskutieren. Gewiss werden die gewöhnlichen Meinungsmacher weiterhin versuchen, diese Forderungen als eine »rote Wunschtüte« abzutun. Aber wenn Babler dem Druck widersteht, sein Programm abzuschwächen, könnte er für viele Menschen den Horizont des politisch Möglichen erweitern. Und das würde auch der breiteren Linken zugutekommen.
»Obwohl Babler ähnliche klassenpolitische Themen wie die KPÖ anspricht, könnte diese langfristig davon profitieren: Jedenfalls schadete es der FPÖ nie langfristig, wenn die ÖVP ihre Positionen übernahm.«
Dieser Punkt ist umso wichtiger angesichts eines weiteren Faktors, der die aktuelle politische Situation in Österreich historisch einzigartig macht: der Renaissance, die die KPÖ seit mehreren Jahren erlebt. Nach ihrem Überraschungssieg in der 2021 Gemeinderatswahl in Graz sowie ihrem erstaunlichen Einzug in den Salzburger Landtag im April dieses Jahres genießt die KPÖ zum ersten Mal seit ihrem Ausscheiden aus dem Nationalrat im Jahr 1959 überregionale Relevanz.
Da die Partei zunehmend an öffentlichem Profil gewinnt und zugleich ihre Mitgliedschaft wächst, ist zu erwarten, dass sie auch 2024 in verschiedenen Gemeinderats- und Landtagswahlen stark zulegen wird. Zudem liegt die KPÖ seit der Salzburger Landtagswahl in nationalen Umfragen zwischen 3 und 7 Prozent, was ihr eine realistische Chance gibt, die 4-Prozent-Hürde zu übertreffen und nach 65 Jahren Abwesenheit wieder in den Nationalrat einzuziehen.
Falls es Babler langfristig gelingt, sich trotz aller Widerstände gegen seine Parteigegner durchzusetzen und die SPÖ als Arbeiterpartei zu erneuern, würde die KPÖ in ihm einen passenden Bündnispartner auf Bundesebene haben. Aber für die absehbare Zukunft besteht die Aufgabe der KPÖ immer noch darin, eine unabhängige, ideologisch konsequente Kraft links der Sozialdemokratie aufzubauen, die nicht nur den Kapitalismus in seiner neoliberalen Form kritisiert, sondern sich für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem stark macht, in dem nicht mehr das Profitstreben, sondern die Bedürfnisse der Menschen im Zentrum stehen.
Auch für den rein rechnerisch gesehen nicht ganz unvorstellbaren Fall, dass die Babler-SPÖ bei der Nationalratswahl den ersten Platz belegt und eine Koalition mit den Grünen und wirtschaftsliberalen NEOS oder gar mit der ÖVP eingeht, wird die KPÖ mehr denn je im österreichischen Nationalrat gebraucht, um glaubwürdige linke Oppositionsarbeit zu betreiben. Andernfalls wird die FPÖ sich weiterhin als einzige Alternative zum Status quo inszenieren können und weiter an Stärke gewinnen.
Der gängigen Meinung zufolge wäre es für die KPÖ besser gewesen, wenn Doskozil und nicht Babler zum Vorsitzenden gewählt worden wäre: Oft wird behauptet, der Ex-Polizist hätte linke SPÖ-Wählerinnen und -Wähler der KPÖ in die Hände getrieben und ihr den Wiedereinzug in den Nationalrat gesichert. Aber dieser Fall ist weniger eindeutig, als es scheint. Selbst wenn Doskozil unter SPÖ-Linken unbeliebt ist, hätten viele von ihnen ihre Partei höchstwahrscheinlich trotzdem gewählt, um einen FPÖ-Sieg zu verhindern.
Obwohl Babler ähnliche klassenpolitische Themen wie die KPÖ anspricht, könnte diese langfristig davon profitieren, dass die Bevölkerung anhand dieser Themen politisiert wird: Jedenfalls schadete es der FPÖ nie langfristig, wenn die ÖVP ihre Positionen übernahm. Im Kontext der kommenden Nationalratswahl muss die KPÖ betonen, dass sie die Interessen der arbeitenden Bevölkerung schon lange glaubwürdig vertritt und viele konkrete Verbesserungen für sie erzielt hat – sowohl als Regierungspartei auf Gemeindeebene als auch als oppositionelle Kraft. Damit könnte sie viele der Wählerinnen und Wähler, die aus welchem Grund auch immer der SPÖ keinen Glauben schenken wollen, für sich gewinnen – und damit das linke Lager in Österreich sogar noch erweitern.
Sowohl die KPÖ als auch die SPÖ-Linke stehen nun vor schwierigen Kämpfen, die nicht von heute auf morgen entschieden werden. Aber wer hätte noch vor wenigen Jahren geahnt, dass ausgerechnet in Österreich – ein Vorreiter des europäischen Rechtspopulismus – eine solche linke Erneuerung auch nur annähernd möglich sein könnte?