19. Februar 2025
Der rechtsextremistische Anschlag von Hanau jährt sich heute zum fünften Mal. Ein Mahnmal soll entstehen – doch Armin Kurtovic, der seinen Sohn Hamza verlor, will den Namen seines Sohnes darin nicht verewigt sehen.
Armin Kurtovic ist überzeugt, wenn Polizei und Behörden ihre Arbeit richtig gemacht hätten, wäre sein Sohn noch am Leben.
Der Terroranschlag in der hessischen Stadt Hanau, bei dem neun Menschen aufgrund ihres Migrationshintergrundes von einem rechtsradikalen Extremisten ermordet wurden, jährt sich zum fünften Mal. Ein Mahnmal soll entstehen und inzwischen hat die Stadt auch nach langem Streit beschlossen, an welchem Standort es errichtet werden soll. Doch nicht alle Angehörigen der Ermordeten sind mit der Entscheidung zufrieden.
Armin Kurtovic, der Vater von Hamza Kurtovic, der in der Terrornacht des 19. Februars 2020 erschossen wurde, übt scharfe Kritik an Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und den städtischen Behörden, die bis heute keine Verantwortung für das verheerende Versagen in jener Nacht übernommen hätten – das sei viel wichtiger als die Errichtung eines Gedenkorts, so Kurtovic.
Vili-Viorel Păun, ein weiteres Opfer des Anschlags, hatte in der Tatnacht mehrmals versucht, die Polizei über den Notruf zu erreichen und verfolgte den Täter mit dem Auto. Keiner seiner Anrufe wurde von der Polizei entgegengenommen. Wenig später wurde er von dem rechtsradikalen Terroristen ermordet. Laut Recherchen des »ZDF Magazin Royal« wurde der Notruf wiederholt von zwei Polizeibeamten blockiert, die die Notrufnummer wählten, um Informationen über Personen zu erhalten, die sie kontrollierten. Die Kontrolle der Personen stand nicht mit dem rechtsextremistischen Anschlag in Verbindung, der zur selben Zeit stattfand. Der Polizeinotruf ist allerdings auch nicht dafür gedacht, dass Beamte Informationen aus dem Polizeicomputersystem abfragen, sondern eben für Notfälle.
Hinzu kam, dass die Technik des Notrufdienstes veraltet und die Polizeinotrufstelle personell unterbesetzt war. Die Überlastung des Notrufs, die Vili-Viorel Păun sein Leben kosten sollte, war bereits seit Jahren ein Problem. Auf Anfrage an das Polizeipräsidium Südosthessen zu den massiven Mängeln beim Notrufdienst gab der zuständige Pressesprecher JACOBIN gegenüber bekannt, dass der Notruf 110 mit Bezug des Neubaus des Präsidialgebäudes im Sommer 2021 zentralisiert wurde und weitere Vorkehrungen getroffen wurden, damit Notrufe nicht mehr ins Leere laufen können. Diese Maßnahmen wurden also erst ergriffen, nachdem der rechtsextremistische Terroranschlag schon über ein Jahr zurücklag.
Niculescu Păun, der Vater des ermordeten Vili-Viorel Păun, erstattete im Januar dieses Jahres Strafanzeige gegen den damaligen Polizeipräsidenten von Südosthessen, Roland Ullmann, wegen fahrlässiger Tötung. Für den katastrophalen Zustand des Notrufdienstes sei Ullmann verantwortlich gewesen. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen jedoch bereits am 13. Januar wieder ein. Konsequenzen gab es für Ullmann bis heute keine. Ganz im Gegenteil: Nach dem Anschlag wurde er zum Landespolizeipräsidenten befördert.
Für Armin Kurtovic steht fest, dass er den Notruf nicht mehr in Anspruch nehmen wird, wie er JACOBIN gegenüber erklärt: »Ich weiß, dass die Polizei mir nicht helfen wird.« Für ihn ist das Vertrauen gegenüber den Behörden gebrochen, aber nicht nur aufgrund der katastrophalen Mängel des Notrufs. Gegen mehrere Polizisten vom Spezialeinsatzkommando Frankfurt wurde wegen rechtsextremer Chatnachrichten ermittelt. Dreizehn von ihnen waren auch in der Terrornacht im Einsatz. »Das sind keine Einzelfälle, sondern 70 Prozent der SEK-Beamten, die [während der Terrornacht] im Einsatz waren«, sagt Armin Kurtovic.
»Beuth hatte eine umfassende Aufarbeitung versprochen und die Auflösung des Frankfurter SEK selbst beauftragt. Dennoch beschrieb er die Polizeiarbeit während der Terrornacht auch Jahre später noch als ›exzellent‹.«
Er erzählt von einem Treffen, dass er und die anderen Angehörigen der neun Opfer mit Hessens ehemaligem CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier hatten. »Wir haben ihn gefragt, ob er sich vorstellen könne, wie es sich anfühlt, wenn die Kinder von einem Rechtsextremen erschossen werden und man dann erfährt, dass rechtsextreme Polizeibeamte in derselben Nacht im Einsatz waren.« Wie Kurtovic berichtet, habe Bouffier im Laufe dieses Treffens davon gesprochen, dass eine möglicherweise rechtsextreme Gesinnung noch nichts darüber aussagen würde, ob diese Männer ihren Einsatz als Polizisten richtig gemacht hätten oder nicht.
Das Frankfurter SEK wurde 2021 wegen der rechtsextremen Chats auf Anweisung des ehemaligen hessischen Innenministers, Peter Beuth (CDU), aufgelöst. Als der Vorfall bekannt wurde, zitierte die Tagesschau Beuth noch wie folgt: »Für mich steht unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen fest, dass keine dieser Personen mehr für eine hessische Spezialeinheit tätig werden wird.« Auf eine schriftliche Anfrage von JACOBIN teilte das Polizeipräsidium Frankfurt am Main mit, dass die eingeleiteten Strafverfahren gegen die Beamten größtenteils rechtskräftig abgeschlossen seien – mit Ausnahme eines noch laufenden Strafverfahrens. Zwei Beamte, deren Verfahren abgeschlossen sind, gehören nicht mehr zur Hessischen Polizei, wobei aus dem Schreiben der Polizei nicht ersichtlich wird, ob die beiden Beamten entlassen oder versetzt wurden oder womöglich selbst gekündigt haben. Zwölf Beamte, gegen die ermittelt und deren eingeleitete Straf- und Disziplinarverfahren abgeschlossen wurden, sind jedoch weiterhin im Dienst. Für vier Beamte, deren Disziplinarverfahren noch andauert beziehungsweise vorübergehend ausgesetzt ist, wurde noch keine abschließende Entscheidung getroffen, wie das Polizeipräsidium mitteilte.
Beuth hatte eine umfassende Aufarbeitung nach dem Anschlag in Hanau versprochen und die Auflösung des Frankfurter SEK selbst beauftragt. Dennoch beschrieb er die Polizeiarbeit während der Terrornacht auch Jahre später noch als »gut« und »exzellent«. Unter derart widersprüchlichen Umständen kann keine ernstzunehmende Aufarbeitung gelingen. Das SEK mag aufgelöst worden sein. Doch die große Mehrzahl der Personen, gegen die ermittelt wurde, sind bis heute in der Polizei aktiv.
Wenige Tage bevor sich der Anschlag zum fünften Mal jährt, hat Armin Kurtovic zum dritten Mal eine Strafanzeige gestellt. Er ist überzeugt, dass sein Sohn Hamza heute noch am Leben wäre, wenn der Notausgang der Arena Bar – dem Tatort des Anschlags, an dem neben Hamza auch Said Nesar Hashemi ermordet wurde – nicht verschlossen gewesen wäre. Aus dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses vom 28. November 2023 wird ersichtlich, dass auch die Staatsanwaltschaft Hanau zu dem Schluss kam, »dass die Notausgangstür in der Tatnacht mindestens geklemmt habe oder sogar verschlossen gewesen sei«.
Die Rechercheagentur Forensic Architecture hat auf Anfrage der Angehörigen der Opfer und der »Initative 19. Februar Hanau« die Tatnacht untersucht und rekonstruiert. Dabei wurde ersichtlich, dass die Opfer genug Zeit gehabt hätten, um zu fliehen, wenn der Notausgang offen gewesen wäre. Die Staatsanwaltschaft Hanau erläuterte hingegen dem Untersuchungsausschuss gegenüber, dass nicht rekonstruierbar wäre, ob die Opfer tatsächlich in Richtung des Notausgangs geflohen wären. Die Staatsanwaltschaft sah zudem keine eindeutige Kausalität zwischen dem geschlossenen Notausgang und den Todesfällen. Aus dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses geht hervor, dass es eine Absprache zwischen der Polizei und dem ehemaligen Betreiber der Arena Bar gegeben habe, die Tür des Notausgangs zu verschließen, um die Arbeit der Polizei bei Razzien und regelmäßigen Kontrollen zu erleichtern. Hierdurch sollte etwa eine mögliche Flucht von Gästen im Zuge von Polizeikontrollen verhindert werden. Der ehemalige Betreiber als auch sämtliche Polizeikommissare bestreiten jedoch, dass es eine solche Absprache gegeben habe.
»Ich und Herr Păun, der Vater von Vili, sind fest davon überzeugt, dass der Fall irgendwann in Straßburg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen wird.«
Armin Kurtovic ist dennoch davon überzeugt, dass die Stadtverwaltung über die Missstände der Arena Bar im Bilde war, jedoch nichts dagegen unternommen habe: »Ich und Herr Păun, der Vater von Vili, sind fest davon überzeugt, dass der Fall irgendwann in Straßburg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen wird.« Der Untersuchungsausschuss kam zu dem Schluss, dass die Hauptverantwortung für die verschlossene Notausgangstür bei dem damaligen Betreiber der Arena Bar liegt. Gleichzeitig habe die Stadt Hanau wiederholt Hinweise auf den verschlossenen Notausgang ignoriert und dadurch »ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern im Hinblick auf die bauordnungsrechtlichen Vorgaben vernachlässigt«. Der Vorwurf der fahrlässigen Tötung, den Armin Kurtovic in seiner Strafanzeige erhob, richtet sich demzufolge an den damaligen Betreiber der Arena Bar, aber auch an städtische Bedienstete, allen voran Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky von der SPD. Dieser wies jedoch die Vorwürfe der Untätigkeit bereits in der Vergangenheit zurück.
Lange Zeit wurde darüber diskutiert, welcher Ort für das Mahnmal geeignet wäre. Einige Angehörige der Opfer forderten, es auf dem Marktplatz zu errichten, darunter auch Armin Kurtovic und seine Familie, weil es sich hierbei um einen zentralen Ort handelt: Zahlreiche Menschen gedachten dort den Opfern des Anschlags. Hanaus Oberbürgermeister sowie andere politische Funktionäre waren jedoch gegen diesen Vorschlag, da der Platz eine historische Verbindung zu den Brüdern Grimm hat und regelmäßig für Märkte genutzt wird. JACOBIN gegenüber teilte Oberbürgermeister Kaminsky schriftlich mit, dass man den Marktplatz aufgrund dessen als Standort nicht in der Stadtgesellschaft hätte durchsetzen können. Armin Kurtovic erklärt im Gespräch mit JACOBIN hingegen, dass es diesbezüglich nie eine Befragung der Stadtgesellschaft gegeben habe.
»Für Kurtovic ist das Denkmal zur Farce geworden, das über das Versagen der Behörden hinwegtäuschen soll. Es ist überzeugt: Wer den Opfern aufrichtig gedenkt, der übernimmt auch Verantwortung.«
Letztlich entschieden sich die meisten Angehörigen der Opfer für den Kanaltorplatz als Standort des Denkmals. Konkret soll es vor dem geplanten »Haus für Demokratie und Vielfalt» errichtet werden, nur wenige Gehminuten von einem der beiden Anschlagsorte entfernt. Der Bereich um das Denkmal soll offiziell den Namen »Platz des 19. Februar« erhalten.
Kurtovic kritisiert, dass ein Denkmal wenig Bedeutung habe, wenn die Stadt nicht Verantwortung für die Missstände der Terrornacht übernimmt: »Was nutzen Denkmäler, wenn es keine Konsequenzen gibt? Was nutzt mir ein Denkmal?«, fragt er. Kurtovic hat sich auch mit dem Künstler, Heiko Hünnerkopf, in Verbindung gesetzt, der das Mahnmal gestalten wird: eine Stahlkonstruktion mit den Namen aller neun Anschlagsopfer. Kurtovic bat ihn, den Namen seines ermordeten Sohnes Hamza nicht für die Installation zu verwenden. Für Kurtovic ist das Denkmal zur Farce geworden, das über das Versagen der Behörden hinwegtäuschen soll. Es ist überzeugt: Wer den Opfern aufrichtig gedenkt, der übernimmt auch Verantwortung. In Hanau ist das bis heute nicht passiert.
Elias Feroz hat die Fächer islamische Religion und Geschichte auf Lehramt studiert und ist zudem als freier Schreiber tätig. Er befasst sich unter anderem mit den Themen Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie, sowie Geschichtspolitik und Erinnerungskultur.