10. Dezember 2023
Seit der Eskalation im Nahen Osten wird vermehrt auch der Linken vorgeworfen, sie bediene antisemitische Ressentiments. Dabei blickt sie auf eine stolze Geschichte des Kampfs gegen Antisemitismus zurück, wie der österreichische Kommunist Michael Graber im Interview erzählt.
KPÖ-Mitglieder nehmen teil am 71. Feier zur Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, 5. Mai 2016.
Seit dem schrecklichen Angriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung am 7. Oktober und der brutalen und andauernden Reaktion der israelischen Streitkräfte wird weltweit – aber insbesondere in Deutschland und Österreich – intensiv über die Gefahr des Antisemitismus diskutiert. Ein wiederkehrendes Motiv ist dabei eine vermeintliche Mitschuld der Linken, die zu lange Antisemitismus in ihren eigenen Reihen geduldet habe. Jetzt, so lautet der Tenor in vielen bürgerlichen Zeitungen, müsse die Linke reflektieren, sich von solchen Tendenzen lossagen und sich zur unbedingten Solidarität mit Israel bekennen.
Dabei war es die Linke – und vor allem die radikale Linke – die im vergangenen Jahrhundert am entschiedensten gegen den Antisemitismus ankämpfte und sich bemühte, jüdische und nichtjüdische Arbeiterinnen und Arbeiter im gemeinsamen Kampf zu vereinen. Gleichzeitig nutzten die Vorläufer von denjenigen Parteien, sie sich heute am lautstärksten mit Israel solidarisieren, heimlich oder offen antisemitische Ressentiments aus und paktierten bei Gelegenheit auch mit antisemitischen Kräften. Auch das Verhältnis zu Israel war nie so schwarz-weiß, wie es manche gern hätten.
Der Gaza-Krieg sorgt auch in der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) für Debatten. Denn einerseits hat in der KPÖ der Kampf gegen den Faschismus – und damit auch gegen Antisemitismus und Imperialismus – aus historischen Gründen einen besonderen Stellenwert. Aber auch biografisch sind viele KPÖ-Mitglieder mit Israel oder auch Ländern des antikolonialen Befreiungskampfes eng verbunden. Der langjährige KPÖ-Funktionär Michael Graber spricht im Interview über das Verhältnis zwischen Zionismus, Antisemitismus, Antifaschismus und Antiimperialismus in Österreichs zweitältester Arbeiterpartei.
Der Zionismus wurde Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich in Österreich miterfunden. Theodor Herzls Idee eines eigenen »Judenstaates« war dabei eine Antwort auf den grassierenden Antisemitismus in Europa, speziell auch in Wien unter Bürgermeister Karl Lueger. Als die KPÖ im November 1918 gegründet wurde, fand die zionistische Idee also bereits Zuspruch. Welche Bedeutung hatte die KPÖ für Jüdinnen und Juden zu dieser Zeit?
Linksradikale beziehungsweise revolutionäre Linke aus den jüdischen Milieus waren in der österreichischen Revolution 1918 außerhalb der Sozialdemokratie in verschiedenen Gruppierungen vertreten. In der Gründungsgruppe der Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs (KPDÖ) waren es etwa das Ehepaar Friedländer, in der Internationalen Föderation Revolutionärer Sozialisten Johannes Wertheim und Leo Rothziegel, in der Poale Zion Hersch Nagler und Malke Schorr. Im Laufe des Frühjahrs 1919 verschmolzen alle diese Gruppen mit der KPÖ und die genannten Exponentinnen und Exponenten übernahmen führende Funktionen in der Partei. Tragisch endete das Leben von Leo Rothziegel. Er marschierte mit 1.200 Gefährten nach Ungarn, um die Räterepublik zu verteidigen und fiel bei einem Gefecht.
In welchem Verhältnis standen führende KPÖ-Funktionäre anfangs zum Zionismus?
Zionismus hatte in der traditionellen Arbeiterbewegung wenig Widerhall. Es dominierte die Auffassung, dass die jüdisch geprägte arbeitende Bevölkerung sich in der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung assimilieren sollten, was viele auch taten, wie man am Beispiel Rosa Luxemburgs sehen kann. Das war auch der Standpunkt der KPÖ. Diejenigen, die sich nicht assimilieren wollten, bildeten eigene Arbeiterparteien, wie zum Beispiel Poale Zion, die aber bis zur Verschmelzung eng mit der KPÖ zusammenarbeiteten. Ein rechter Flügel lehnte sich an die Sozialdemokratie an, wie Mario Memoli in den AKG-Mitteilungen nachgezeichnet hat.
»Entscheidendes Motiv des kommunistischen Widerstands im In- und Ausland und in den Konzentrationslagern war die Überzeugung, dass die Zerschlagung des Faschismus die Voraussetzung einer späteren sozialistischen Entwicklung in Österreich wäre.«
Kritisch muss man anmerken, dass natürlich auch manche Jüdinnen und Juden der kommunistischen Gründergeneration nicht frei von Antisemitismus waren. Die schon genannte Elfriede Friedländer, in der KPÖ Mitgliedsnummer 1, wurde später KPD-Vorsitzende in Deutschland. Dort polemisierte sie gegen »jüdische« Bankbesitzer, um sich vermeintlich »antikapitalistisch« zu profilieren. Mario Keßler hat dies in seiner Biografie Ruth Fischers zuletzt gut dokumentiert.
1933 wurde die KPÖ von den Austrofaschisten nach deren Machtübernahme sofort verboten. In der Illegalität stieg die KPÖ nach den Februarkämpfen 1934 zu einer Massenpartei auf, die den Kampf gegen den Faschismus in Österreich federführend organisiert. Speziell im Kampf gegen den deutschen Faschismus – und damit auch im Kampf gegen den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung – waren KPÖ-Mitglieder im In- und Ausland aktiv. Selbst in den Konzentrations- und Vernichtungslagern sind es immer wieder gerade österreichische Kommunistinnen und Kommunisten, die den Widerstandskampf organisieren. Wie erklärst Du Dir das?
Die KPÖ hatte schon früh den aufkommenden Faschismus als gefährlichsten Feind der Arbeiterbewegung und für die Demokratie erkannt. Im Unterschied zur Sozialdemokratie, die die faschistische Gefahr in Österreich lange bagatellisierte – frei nach dem Motto »wir werden sie mit nassen Fetzen davonjagen«. Das war eine der Ursachen für die Niederlage im Februar 1934.
Die Konsequenz des Antifaschismus der KPÖ war eine wesentliche Motivation für tausende Linke aus der Sozialdemokratie oder dem Schutzbund nach der schweren Niederlage in den Februarkämpfen der KPÖ beizutreten und in ihren Reihen den Kampf in der Illegalität weiterzuführen. Entscheidendes Motiv des kommunistischen Widerstands im In- und Ausland und in den Konzentrationslagern war die Überzeugung, dass die Zerschlagung des Faschismus die Voraussetzung einer späteren sozialistischen Entwicklung in Österreich wäre. Das festigte auch die Orientierung auf die Sowjetunion als die entscheidende politische und militärische Macht bei der Zerschlagung des Nazi-Faschismus in Europa.
Dazu gehörte natürlich auch, Beweismittel gegen die Nazis zu sammeln. Beispielhaft genannt sei Hermann Langbein, der als österreichischer Kommunist die Kampfgruppe Auschwitz mitgründete. Ziel der illegalen Widerstandsgruppe war es unter anderem, Unterlagen zu sichern, die den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung dokumentieren sollten. Nach 1945 waren diese wichtigen Grundlagen für die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen und dienten zur Verurteilung einiger Kriegsverbrecher.
Aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung im Kampf für ein freies Österreich gehört die KPÖ zu einer der Gründungsparteien der Republik Österreich. Nach 1945 sind es dann auch speziell KPÖ-Politiker, die sich dafür einsetzen, Juden und Jüdinnen zurück nach Österreich zu holen – die Bemühungen des Wiener Kulturstadtrats Viktor Matejka sind ein Beispiel dafür. SPÖ und ÖVP vertraten hingegen die Linie, »die Sache in die Länge zu ziehen«, wie der sozialdemokratische Innenminister Oskar Helmer in Hinblick auf etwa die Entschädigung von Jüdinnen und Juden in einem Ministerrat meinte.
In der KPÖ folgen trotz dieser Regierungspolitik viele Mitglieder dem Ruf der Partei und kommen zurück, um ein demokratisches Österreich auf antifaschistischer Grundlage aufzubauen. In der Folge werden neben Institutionen wie dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) auch etwa die Israelitische Kultusgemeinde von der KPÖ als überparteiliche Interessenvertretungen wiedergegründet. Wie würdest Du die Nachkriegszeit beschreiben, welchen Stellenwert hatte der Kampf gegen Antisemitismus und Aufarbeitung der Shoah in der KPÖ? Welche Lehren wurden aus dem Faschismus gezogen?
Für die meisten kommunistischen Emigrierten, ob jüdisch oder nicht, war es selbstverständlich am Aufbau eines neuen demokratischen Österreichs teilzunehmen, mit der Hoffnung auf eine sozialistische Perspektive. Daran waren aber weder die österreichische Regierung noch die Regierungen der Exilländer, vor allem Großbritannien, interessiert. Viele Kommunistinnen und Kommunisten konnten nur über Umwege und Täuschungsmanöver nach Österreich einreisen. Sie waren zunächst oft auf die Hilfe der Partei angewiesen.
Dabei kehrte nur ein kleiner Teil der geflüchteten wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz überhaupt nach Österreich zurück – wenn doch, dann waren es meistens Personen aus der KPÖ oder ihrem Umfeld wie beispielsweise Mitja Rapoport, Thomas Schönfeld, Engelbert Broda, Otto Tausig, Karl Paryla, das Ehepaar Schütte, Georg Eisler, Axl Leskoschek, Walter Hollitscher.Die KPÖ war die treibende Kraft in der provisorischen Regierung und danach für die Verfolgung der Kriegsverbrecher und die Beseitigung des restlichen nazistischen Einflusses, darunter auch für die Einrichtung der Volksgerichtshöfe. Manfred Mugrauer hat das in seinem Buch Die Politik der KPÖ in der provisorischen Regierung nachgezeichnet. Die Partei führte die politische und ideologische Auseinandersetzung mit faschistischer Ideologie und gegen Antisemitismus. KPÖ-Mitglieder waren wesentlich an der Wiederherstellung der Israelitischen Kultusgemeinde beteiligt, wie Mugrauer beschreibt.
Schon 1945 wurde der überparteiliche KZ-Verband der Opfer des Faschismus gegründet. Mit Beginn des Kalten Krieges verließen diesen sowohl die Sozialdemokratie als auch die ÖVP. Vom damaligen SP-Innenminister Helmer wurde der KZ-Verband sogar zeitweilig verboten. Die KPÖ entwickelte in Folge auch eine Gedenkkultur, um der Tabuisierung des kommunistischen, antifaschistischen Widerstands entgegenzuwirken.
»Die Sicht der KPÖ auf Israel war von Anfang an durch das Prisma des Kalten Krieges geprägt. Da sich die israelische Regierung ziemlich rasch an den USA als wichtigste politische, ökonomische und militärische Stütze orientierte, war vorgegeben, wie Israel in der Weltpolitik einzuordnen war.«
Wichtig für die KPÖ war daher unmittelbar nach 1945 auch die Aufklärung über die Verbrechen der Nationalsozialisten in einer breiten Öffentlichkeit. So berichten überlebende kommunistische Häftlinge in Zeitungsartikeln von den Verbrechen in den Vernichtungslagern, die sie selbst mit ansehen mussten. Auf Initiative des kommunistischen Kulturstadtrats Viktor Matejka, selbst KZ-Überlebender, wird ab 1945 die Wanderausstellung »Niemals Vergessen!« konzipiert. Sie soll in der Bevölkerung aller Bundesländer breit über den Judenmord aufklären und ein antifaschistisches Bewusstsein schaffen.
Später wurde der Aufbau von Gedenkstätten an den Orten der Vernichtung von KPÖ-Mitgliedern maßgeblich initiiert und vorangetrieben. Auch das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) wurde als überparteiliche Institution vom Kommunisten Herbert Steiner initiiert.
1948 wird der Staat Israel gegründet. Wie wurde die Staatsgründung in der KPÖ diskutiert? Wie war das Bild auf Israel in den ersten zwei Jahrzehnten seines Bestehens?
Meines Wissens hat die Gründung des Staates Israel – im Unterschied zum Sechstagekrieg 1967 – kein großes Echo in der KPÖ hervorgerufen. Man teilte die von der Sowjetunion vorgegebene Zustimmung zum UNO-Teilungsplan Palästinas und auch die sofortige Anerkennung Israels. Zwar dominierte selbstverständlich die Anerkennung des Leids der jüdischen Bevölkerung in Europa, aber es war klar, dass es auch um die Zurückdrängung des britischen Einflusses im Mittelmeer ging. Nur so ist zu erklären, dass die Tschechoslowakei im Einvernehmen mit Moskau an die jüdischen Kampfverbände Waffen gegen die britische Mandatsverwaltung lieferte. Die arabischen Länder waren damals durchwegs reaktionäre Monarchien. Außerdem endeten die Erdölpipelines aus dem arabischen Raum bei Haifa.
Die Sicht der KPÖ auf Israel war von Anfang an durch das Prisma des Kalten Krieges geprägt. Da sich die israelische Regierung ziemlich rasch an den USA als wichtigste politische, ökonomische und militärische Stütze orientierte, war vorgegeben, wie Israel in der Weltpolitik einzuordnen war. Die kommunistische Weltbewegung und daher auch die KPÖ blieben aber bei der Haltung, dass beide Volksgruppen in Palästina das Selbstbestimmungsrecht und daher das Recht auf eigene staatliche Existenz haben mussten. Das durchaus auch im Gegensatz zu den arabischen Ländern, für die der jüdische Staat einen Fremdkörper im arabischen Raum bedeutete.
In den 1950er und 1960er Jahren kamen in einigen arabischen Ländern Regierungen mit antiimperialistischem Anspruch, meist durch Putsche von Militärs, an die Macht. In Ägypten etwa der Offizier und spätere Präsident Gamal Abdel Nasser, in Syrien und Irak die Baath-Partei, die sich auch als sozialistisch verstand. Für sie war Israel der verlängerte Arm der USA im Nahen Osten. Höhepunkt dieser Wende war die Verstaatlichung des Suezkanals 1956, der unter britischer Kontrolle stand, durch Nasser. Daraufhin inszenierten Großbritannien, Frankreich und Israel einen Überfall auf Ägypten. Auch dieser Aggressionsakt bestärkte KPÖ-Mitglieder in Österreich in ihrer Ansicht über den politischen Charakter Israels.
Die Fronten waren klar, die meisten arabischen Länder rund um Israel mit der Sowjetunion auf der einen, Israel und die USA mit dem Westen auf der anderen Seite. Aus heutiger Sicht muss man aber kritisch sehen: Die arabischen Länder mit antikolonialem Anspruch waren weit mehr nationalistisch als ihre sozialistischen Einsprengsel hergaben. Im kommunistischen Mainstream war allein schon die Tatsache, dass diese Länder ökonomische und militärische Hilfe Moskaus in Anspruch nahmen, ein Beweis ihrer Fortschrittlichkeit. Darauf folgte ein böses Erwachen, auch für die arabischen Kommunistinnen und Kommunisten, als Nasser sie einsperrte, während die Sowjetunion den Assuan-Staudamm baute. Im Sudan hängte der Machthaber Numeri von einem Tag auf den anderen Mitglieder der Kommunistischen Partei auf – die sudanesische KP war bis dahin die stärkste im arabischen Raum – und Iraks Saddam Hussein liquidierte alle kommunistischen Offiziere.
Mit der Rede Nikita Chruschtschows 1956 werden auch in der KPÖ die Verbrechen Stalins bekannt, die bis dahin von der Partei ignoriert wurden. Noch 1952 wurde in der Tschechoslowakei im Slánský-Prozess der klar antisemitisch konnotierte Vorwurf einer »trotzkistisch-titoistisch-zionistischen Verschwörung« erhoben – elf Mitglieder der KSC in der Folge hingerichtet. Hat das Bekanntwerden dieser Verbrechen auch einen Einfluss auf den Blick auf Israel und Palästina gehabt?
Nein. Die KPÖ-Führung nahm die stalinistischen Prozesse trotz der abstrusen Anklagen ohne Widerspruch zur Kenntnis. Die früheren Beziehungen der damaligen ČSSR zu Israel wurden jetzt den jüdischen Angeklagten im Kontext des Kalten Krieges zur Last gelegt. Ihre Rehabilitation nach 1956 kam leider zu spät.
Der Sechstagekrieg 1967 stellt eine wichtige Zäsur dar. Du warst zu dieser Zeit schon politisch aktiv. Deiner Erinnerung nach, wie und von wem wurde der Krieg in der KPÖ diskutiert?
Der Sechstagekrieg im Juni 1967 spielte in der KPÖ eine große Rolle. In meiner Wahrnehmung nicht so sehr wegen Differenzen zwischen »jüdischen« oder »nichtjüdischen« Mitgliedern in der KPÖ – das natürlich auch –, sondern wegen der weltpolitischen Bedeutung und der verbreiteten Kriegsrhetorik in den Medien. In den 1960er Jahren gab es in Teilen der Linken gewisse Sympathien für Israel, die an die Rolle der Kibbuzim als scheinbar sozialistische Inseln in der israelischen Gesellschaft anknüpften. Auf der anderen Seite stand der damalige Sprecher der Palästinenser, Mufti Mohammed Amin al-Husseini. Der von Großbritannien 1921 eingesetzte Mufti von Jerusalem war wegen dessen Kooperation mit den Nazis schwer diskreditiert.
In Syrien wurde eine linke Regierung installiert, Ägypten und Syrien bildeten eine Konföderation und so nahmen die Spannungen an der syrisch-israelischen Grenze zu. Die chauvinistische Sprache der arabischen nationalistischen Regime gegenüber Israel rief den Eindruck hervor, die Existenz Israels stehe auf dem Spiel. Diesem Eindruck teilten auch manche Mitglieder der KPÖ, obwohl die ökonomische und militärische Überlegenheit Israels klar erkennbar war – die sechste US-Flotte wurde im Mittelmeer stationiert. Der Präventivschlag des israelischen Militärs gegen Ägypten und Syrien am 5. Juni 1967 war ein weiterer Beweis dafür.
»In den 1960er Jahren gab es in Teilen der Linken gewisse Sympathien für Israel, die an die Rolle der Kibbuzim als scheinbar sozialistische Inseln in der israelischen Gesellschaft anknüpften.«
Es gab im Juni 1967 zwei Parteikonferenzen der KPÖ, eine offene der Wiener Stadtleitung und eine statutarische Parteikonferenz. Ich kann mich nur daran erinnern, dass der bekannte kommunistische Journalist Bruno Frei die Verurteilung des Präventivschlags kritisierte und zwei Mitglieder des ZK, darunter der bekannte Ökonom Teddy Prager, einen Aufruf ähnlichen Inhalts unterschrieben. Die große Mehrheit der Partei – einschließlich Prager – stimmte schließlich einer Resolution zu, in der es unter anderem hieß: »Die ungelösten Fragen in den Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten lieferten nur das Pulver, das zur Explosion gebracht wurde. Die Kriegshandlungen haben die Lösung der strittigen Fragen keineswegs erleichtert, sondern neue Bitternis und neuen Zündstoff geschaffen. Auch die verantwortungslos geschürte Kriegshysterie kann an der Tatsache nichts ändern, dass nur die Ausschaltung imperialistischer Einflüsse … zu jenen Beziehungen der Völker das Nahen Osten führen kann, die auf der Grundlage der friedlichen Koexistenz und der Souveränität aller Staaten begründet sind.« In der Folge unterstützte die KPÖ die Resolutionen der UNO, die den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten forderte.
Zur Einordnung: Jordanien hatte die Westbank 1948 annektiert. Dort lebte ein beträchtlicher Teil der 1948 vertrieben und geflüchteten arabischen Bevölkerung Palästinas. Der Gazastreifen gehörte Ägypten, wurde aber von der UNO kontrolliert. Der Sinai kam erst im Gefolge des Jom Kippur Krieges im Oktober 1973 zu Ägypten zurück.
Mit welchen Parteien und Organisationen in Israel/Palästina war die KPÖ zu der Zeit im Austausch? An welchen sozialistischen Parteien, Initiativen und Bewegungen orientierte sich die KPÖ?
Ich glaube nicht, dass es einen regen Austausch gegeben hat. Was es gab, war die Übernahme von Stellungnahmen der israelischen KP in Presseorganen der KPÖ. Und zwar von beiden Gruppen, der damals gespaltenen Partei in Israel. Die palästinensische KP wurde spät gegründet und hieß vorübergehend Volkspartei. Unsere kommunistische Volksstimme stützte sich auf einen Korrespondenten in Israel, der der KP Israels nahestand. Für die progressive Öffentlichkeit im deutschsprachigen Raum spielten die Artikel und Stellungnahmen des 2018 verstorbenen Publizisten und Friedensaktivisten Uri Avneri eine große Rolle, viele seiner Stellungnahmen und Analysen wurden von uns übernommen.
Eine Besonderheit der KPÖ ist, dass unsere Partei auch stark mit den antikolonialen Befreiungskämpfen verbunden ist. In China, in Vietnam beteiligten sich Aktive aus Österreich an den Kämpfen, die schwarze Bürgerrechtsbewegung oder die Anti-Apartheid-Bewegung wurden ebenso von der KPÖ unterstützt. Vor allem aber trat die KPÖ gegen rassistische staatliche wie mediale Hetze gegenüber oppositionellen Studierenden aus Afrika oder Asien, die im Exil in Österreich ihre Befreiungskämpfe durch Protest unterstützen, auf. Einige davon wurden später Mitglieder der KPÖ. Welche Verbindungen der antikolonialen Befreiungsbewegungen mit der KPÖ siehst Du für diese Zeit? Inwiefern haben diese den Blick auf den Nahen Osten verändert?
Es darf das weltpolitische Umfeld nicht vergessen werden: 1967 erlebte der Vietnamkrieg durch die Bombardements der USA einen weiteren Höhepunkt, in Griechenland putschten faschistische Offiziere und in Berlin wurde im Juni Benno Ohnesorg bei einer Anti-Schah-Demo erschossen, was zu ersten Höhepunkten der studentischen Protestbewegung führte. Die KPÖ organisierte zahlreiche Demos gegen den Vietnamkrieg und andere Formen der Solidarität, es gab enge Kontakte zu exilierten griechischen Genossinnen und Genossen und Studierenden, viele von ihnen lebten in Graz.
Die PLO, die 1964 von mehreren Gruppen als palästinensische Befreiungsbewegung gegründet wurde, wurde erst 1969 unter Arafat, soweit ich mich erinnere, zu einem politischen Faktor der Solidarität unter Linken. Die palästinensische Bewegung vorher war zersplittert, die arabischen Staaten argumentierten zwar mit den palästinensischen Flüchtlingen, diese hatten aber in den Auseinandersetzungen mit Israel keine selbstbestimmte Stimme. 1970 wurde die PLO, die sich der palästinensischen Mehrheitsbevölkerung in Jordanien sicher glaubte, nach einem Aufstand in den Libanon vertrieben.
Israel reagierte auf terroristische Aktionen wie üblich mit unverhältnismäßiger Gewalt. 1982 marschierte die israelische Armee in den Libanon ein und zwang die PLO nach Tunesien auszuweichen. In Erinnerung blieb das unter israelischer Aufsicht angerichtete Massaker libanesischer christlich-faschistischer Milizen in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila im Süden Beiruts, bei dem hunderte Menschen getötet wurden.
Nach einer kurzen »dissidenten« Phase mit dem XIX. Parteitag der KPÖ ist die Partei ab 1969 wieder zunehmend auf Moskau-treuer Linie. Welchen Einfluss hatte diese Linie auf die Diskussion zum Thema in der KPÖ? Wie wurde beispielsweise die »jüdische Auswanderung« aus der Sowjetunion – Robert Misik spricht in dem Zusammenhang von einem kommunistischen Antisemitismus in der Sowjetunion – in der KPÖ diskutiert? Österreich war hier ein zentrales Transitland.
Die »Tauwetterphase« der KPÖ zwischen 1965 und 1969 hatte meiner Erinnerung nach in der Publizistik der KPÖ keine grundlegend andere Haltung zu Israel als vorher und nachher. Es zahlt sich für Interessierte aber aus, den sehr nachdenklichen Artikel des eurokommunistischen Vordenkers und damaligen Chefideologen der KPÖ, Franz Marek, in Weg und Ziel 7/8 1967 zu lesen, den er unmittelbar nach dem Sechstagekrieg veröffentlicht hat. Natürlich unterscheidet sich seine Argumentation von der Holzschnitt-Propaganda aus Moskau.
»Ab 1990, also am Ende der Sowjetunion, wanderten etwa eine Million Jüdinnen und Juden aus. Allerdings gingen nicht alle nach Israel, und die, die dort ankamen, blieben nicht alle.«
Die jüdische Auswanderung aus der Sowjetunion in den 1970er Jahren ist sicher mit Unverständnis begleitet worden, die Motive auf sowjetischer Seite waren nicht nur mir unklar. Das Interesse Israels war aber umso klarer. Das von Israel beherrschte Territorium hatte sich nach dem Sechstagekrieg von 14.000 auf über 100.000 km² vergrößert. Ab 1990, also am Ende der Sowjetunion, wanderten etwa eine Million Jüdinnen und Juden aus. Das ist weitaus mehr als in den 1970er Jahren. Allerdings gingen nicht alle nach Israel, und die, die dort ankamen, blieben nicht alle.
In den 1970er Jahren hat die Außenpolitik Bruno Kreiskys die Diskussion um Israel und Palästina in Österreich stark geprägt. Kreisky versuchte, die Neutralität Österreichs zu nutzen, um eine aktive Vermittlerrolle einzunehmen. Wie wurde das in der KPÖ gesehen?
Das war ein positiver Teil von Kreiskys Außenpolitik, die auch von der KPÖ unterstützt wurde und an die wir heute noch erinnern. Dazu passen auch die aktuellen Stellungnahmen aus der KPÖ zu Neutralität und aktiver Friedenspolitik.
Heute tritt die KPÖ für die Zweistaaten-Lösung ein. Anderen Linken schwebt eine Einstaatenlösung in Form einer sozialistischen Föderation vor. Wie siehst Du die Diskussion?
Die KPÖ hat die Zweistaatenlösung auf dem Gebiet Palästinas nie in Frage gestellt und hat immer wieder auf die entsprechenden Beschlüsse der UNO hingewiesen, dass sich Israel von allen 1967 besetzten Gebieten zurückziehen und ein palästinensischer Staat mit der Hauptstadt Ostjerusalem entstehen muss. Zu keiner Zeit gab es – weder in Israel, noch in der palästinensischen Bewegung – starke sozialistische Kräfte. Wie sollte da eine sozialistische Föderation oder gar ein sozialistischer Staat in Palästina entstehen?
Nach vier großen Kriegen und mehreren kleineren, und auch nach den jüngsten Ereignissen, ist ein Zusammenleben der beiden Volksgruppen in einem Staat völlig undenkbar und daher auszuschließen. Die Losung vom »Jordan bis zum Meer« bedeutet aktuell nicht gleiche Bürgerrechte in einem gemeinsamen Staat, sondern entweder die jüdische oder die arabische Bevölkerung zu eliminieren. Heute geht es darum, den palästinensischen Staat auf der Basis der UNO-Resolutionen auf die internationale politische Agenda zu setzen. Dessen Sicherheit, wie auch die Israels, muss international garantiert werden. Ein Zusammenwachsen – wahrscheinlich über viele Generationen – ist nur denkbar, nach Anerkennung der nationalen Souveränität der Palästinenserinnen und Palästinenser und wenn in beiden Staaten gleiche Rechte für alle gelten.
Von rechter wie auch liberaler Seite wird Kritik an der israelischen Regierungspolitik aus durchsichtigen Gründen mit Antisemitismus gleichgesetzt. Das ist eine doppelte Herausforderung im Kampf gegen Antisemitismus. Denn antisemitische Argumentationsmuster gibt es nicht nur gegen Jüdinnen und Juden, sondern tatsächlich auch gegen Israel. So stellt die Jerusalem-Erklärung gegen Antisemitismus fest, dass es etwa klar antisemitisch ist, wenn man Jüdinnen und Juden kollektiv dafür verantwortlich macht, wie der Staat Israel sich verhält oder an Israel doppelte Standards der Kritik anlegt. Dem müssen wir als Kommunistinnen und Kommunisten entgegentreten.
Zugleich hat es in den letzten Jahren eine starke Wende gegeben. Selbst Parteien mit einer langen antisemitischen Vergangenheit – in Österreich etwa ÖVP und FPÖ – solidarisieren sich nun mit Israel. Wie erklärst Du Dir diese Wende?
Dass sich Rechte mit Israel identifizieren, ist nicht ganz neu. Ich kann mich noch erinnern, als 1967 im Sechstagekrieg die militärische »Leistung« der israelischen Armee von Kriegsveteranen bewundert und Mosche Dajan, der damalige israelische Verteidigungsminister, in der Öffentlichkeit als der neue Rommel gefeiert wurde.
»Die Lehre kann nur darin bestehen, dass Sicherheit und Frieden auf Dauer eben nicht mit militärischen Mitteln erreicht und aufrechterhalten werden kann.«
Die FPÖ ist opportunistisch. Heute sind mit antimuslimischer Agitation mehr Stimmen zu gewinnen als mit dem traditionellen Antisemitismus, den noch der ehemalige FPÖ-Obmann Jörg Haider gefrönt hat. Für die ÖVP hat Außenminister Alexander Schallenberg in einem Presseinterview vor wenigen Tagen erklärt, dass diese Regierung die »transatlantischste« seit Jahrzehnten ist. Das erklärt vieles, eben auch die Kritiklosigkeit gegenüber der israelischen Regierung und die Tabuisierung jeder Kritik als antisemitisch oder als Relativierung des Terrors der Hamas. Dass die UNO Israel öfter verurteilt hat als andere Länder, ist auf die andauernde und gegen die UNO-Beschlüsse aufrecht erhaltende Besatzung und die Siedlungspolitik zurückzuführen, nicht auf »antisemitische Doppelstandards«.
Die in Berlin lebende US-Schriftstellerin Deborah Feldman hat zum aktuellen Krieg in einer Talkshow gesagt: »Ich bin der festen Überzeugung, dass es nur eine einzige legitime Lehre des Holocaust gibt. Und das ist die absolute, bedingungslose Verteidigung der Menschenrechte für alle. Punkt.« Unter liberalen Stimmen wie auch in Teilen der Linken ist aber zu beobachten, dass sich immer größere Teile die Regierungspolitik Österreichs und Israels kritiklos zu eigen machen und diese Haltung mit Solidarität verwechseln. Zumeist mit einem Verweis auf den Holocaust und der Verantwortung dafür. Welche Lehren können wir Deiner Meinung nach ziehen?
Die Lehre kann nur darin bestehen, dass Sicherheit und Frieden auf Dauer eben nicht mit militärischen Mitteln erreicht und aufrechterhalten werden kann. Diese können nur den 75-jährigen Status quo, mit Terror und Gegenterror, prolongieren. Die Grundlagen einer politischen Lösung liegen seit Jahrzehnten auf dem Tisch.
Verweise auf die Vergangenheit machen keinen Sinn, wenn damit eine politische Lösung torpediert werden soll. Und wo beginnt die Vergangenheit? Bei Herzls Judenstaat? Bei den Pogromen in Russland, Polen und Österreich-Ungarn? Bei den britischen Imperialisten, die Araber und Juden betrogen haben? Bei den gegenseitigen Massakern vor und nach der Gründung Israels? Bei der Bibel, wie es die Siedler wollen?
Kommunistinnen und Kommunisten können sich heute nur auf jenen Standpunkt stellen, von dem aus am ehesten Frieden im Land und in der Region erreichbar erscheint.
Eine erste Fassung dieses Gesprächs erschien auf der Homepage der Kommunistischen Partei Österreichs.