13. Juni 2021
Im Corona-Jahr mussten einige so viel arbeiten wie noch nie. Andere durften gar nicht. Das Ergebnis ist eine noch tiefer gespaltene Klasse.
ILLUSTRATION Marie Schwab
Eine Krise kann bereits bestehende Ungleichheiten verstärken und gesellschaftliche Trends beschleunigen. So auch die Corona-Pandemie: Während der Online-Handel von Amazon boomt, gehen kleinere Läden in den Innenstädten noch schneller pleite als sonst. Auf Kosten der Arbeitenden, die nicht einmal zum Pinkeln Pause machen dürfen, erobert Jeff Bezos mit einem Vermögen von rund 200 Milliarden Dollar den Titel des reichsten Menschen der Welt von Elon Musk zurück. Er hätte sein Vermögen auch ohne Covid-19 weiter gesteigert – doch mit der Pandemie ging es viel schneller. Tausende Infizierte in seinen Versandzentren waren der Preis, den er dafür gern in Kauf nahm.
Doch hier und da – in Alabama, Italien oder Bad Hersfeld – organisieren sich Amazon-Beschäftigte, weil ihnen dieser Preis zu hoch ist. Sie haben die vielleicht wichtigste Erkenntnis der Arbeiterbewegung für sich angenommen: Hört eine auf zu arbeiten, geschieht nichts – hören aber alle auf zu arbeiten, steht die Wirtschaft still. Wo immer es Ausbeutung gibt und Mitarbeiter in Flaschen pinkeln müssen, wird es früher oder später auch Widerstand geben. Die Frage ist nur, wie aus diesem Widerstand gegen miserable Arbeitsbedingungen eine echte politische Macht wird.
Nicht jede Lohnabhängige bei Amazon tritt ihren Job in dem vollen Bewusstsein an, Teil der riesigen globalen Lieferkette eines der weltgrößten Unternehmen zu sein. Die meisten wollen vermutlich einfach Geld verdienen und ihre Familie über die Runden bringen. Sie heuern also dort an, wo es Jobs gibt. Weil ihnen im Versandzentrum nichts gehört – weder das Computersystem, noch die Fließbänder oder die Produkte – und sie nur für einen Lohn dort arbeiten, an den Profiten aber keinen Anteil haben, sind sie Teil der Klasse der Lohnabhängigen. Das verbindet sie mit allen anderen Lohnabhängigen auf der Welt, egal für welches Unternehmen sie arbeiten.
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Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.