13. Juni 2024
Asylsuchende für 80 Cent die Stunde zur Arbeit zu verpflichten, bestraft sie für etwas, an dem sie gar nicht schuld sind. Denn nicht ihre vermeintliche Arbeitsscheu, sondern etliche bürokratische Hürden halten sie davon ab, reguläre Arbeit zu finden.
Durch eine Arbeitspflicht sollen Geflüchtete für nur 80 Cent die Stunde schuften.
Die Migrationspolitik folgt schon seit langem einem menschenverachtenden Kurs. Rechte Narrative, wonach Geflüchtete arbeitsunwillig seien, werden in öffentlichen Debatten immer wieder reproduziert. Doch aktuelle politische Vorschläge treiben es mit noch mehr Rassismus und Diskriminierung auf die Spitze.
Für nur 80 Cent die Stunde sollen im ostthüringischen Saale-Orla-Kreis 150 Menschen, die sich auf Asyl beworben haben, täglich zu vier Stunden gemeinnütziger Arbeit verdonnert werden. Den monatlichen Betrag von maximal 64 Euro will man dann auf eine Bezahlkarte überweisen. Und wer sich der Arbeitspflicht verweigert, dem drohen staatliche Leistungen in Höhe von 180 Euro gestrichen zu werden.
Der CDU-Landrat Christian Herrgott ist davon überzeugt, dass Geflüchteten auf diese Weise ein perspektivischer Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht wird. Viel wichtiger ist aber, »dass diejenigen, die hier sind und vom deutschen Steuerzahler alimentiert werden, auch mit gemeinnütziger Tätigkeit etwas zurückgeben«. Dass das Problem nicht an dem angeblich fehlenden Arbeitswillen liegt, sondern schlichtweg an bürokratischen Hürden, die es Geflüchteten erschweren, in den Arbeitsmarkt einzusteigen, wird dabei außer Acht gelassen.
»Bei einer Entlohnung von nur 80 Cent pro Stunde braucht es über 15 Stunden, bis man sich den Mindestlohn einer Stunde erarbeitet hat.«
Doch die politische Stimmungsmache gegen Geflüchtete ist für Herrgott entscheidend. Ende Januar konnte sich der CDU-Politiker in einer Stichwahl mit 52,4 Prozent der Stimmen gegen seinen AfD-Kontrahenten Uwe Thrum, der auf 47,6 Prozent kam, behaupten. Um seine Wählerschaft halten zu können, meint er wohl, Methoden der AfD übernehmen zu müssen. Und bisher scheint Herrgott damit Erfolg zu haben: Mit rhetorischen Floskeln, Asylbewerber sollten »nicht den ganzen Tag auf einer Parkbank sitzen«, schafft es der CDU-Politiker, Aufsehen zu erregen.
Das Vorhaben, eine Arbeitspflicht einzuführen, ist allerdings älter als Herrgotts Amtszeit. Schon im September 2023, also lange vor seiner Wahl, reichte die CDU den Antrag in den Kreistag ein und erhielt Zustimmung – auch von SPD-Abgeordneten.
Zunächst soll das Arbeitsprogramm nur für Geflüchtete gelten, die dem freiwillig zustimmen. Außerdem sollen noch Schutzsuchende betroffen sein, die nicht in den regulären Arbeitsmarkt eingebunden werden können, also Geflüchtete aus sogenannten sicheren Herkunftsländern. Die Arbeit soll sich auf einfache und »sinnstiftende« Tätigkeiten beschränken, die keine Deutschkenntnisse voraussetzen. Dabei geht es um Reinigungs- und Hilfsarbeiten in den Unterkünften selbst oder gemeinnützige Aufgaben wie Hecken schneiden oder Straßen säubern in Kommunen.
Für Herrgott zählt dabei auch, dass die Arbeitsgelegenheiten keine regulären Arbeitsplätze gefährden. Und das gewährleistet man offenbar am besten, indem man Geflüchtete an prekäre Beschäftigungsverhältnisse bindet, ohne dabei ihre Kompetenzen zu fördern. Im Endeffekt geht es aber eigentlich nur um die Umsetzung von schon geltendem Recht.
Herrgotts Vorschlag baut auf das Asylbewerberleistungsgesetz auf, das 1993 unter einer schwarz-gelben Bundesregierung in Kraft trat. Es entstand als Reaktion auf die Fluchtwelle aus Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre. Aus Sorge, dass Geflüchtete wegen der vergleichsweise hohen Sozialleistungen lieber nach Deutschland kommen würden, sollte für sie ein eigenes Hilfssystem mit geringerer staatlicher Unterstützung eingerichtet werden.
2012 gab das Bundesverfassungsgericht zur Kenntnis, dass das Asylbewerberleistungsgesetz aufgrund des mangelhaften Leistungsniveaus nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Daraufhin wurden die Leistungen erhöht und orientierten sich nun am Arbeitslosengeld II. Doch diese Regelung hielt nur für drei Jahre bis 2015 an, bis das Asylbewerberbeschleunigungsgesetz es wieder möglich machte, Leistungen einzuschränken und stärker zu reglementieren.
Seit das Gesetz in Kraft ist, fordern unzählige zivilgesellschaftliche Organisationen dessen Abschaffung – die Menschenwürde gelte für alle, auch für Geflüchtete. Die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist verfassungsrechtlich verbürgt.
»Das Asylbewerberleistungsgesetz baut auf einer rassistischen Scheindebatte auf und bringt alles andere als zielführende Integration.«
In Paragraf 5 des Asylbewerberleistungsgesetzes heißt es: »Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet.« Dies gilt für bedürftige Asylbewerberinnen, Geduldete und ausreisepflichtige Ausländer.
Ursprünglich wurden 2 D-Mark, nach der Währungsreform dann 1,05 Euro ausgezahlt. Die aktuellen 80 Cent die Stunde wurden 2016 von der damaligen SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles eingeführt, mit der Begründung, dass die Arbeitskräfte nur in Aufnahmeeinrichtungen eingesetzt werden würden. Mehr Geld bräuchte es nicht, da Geflüchtete nur geringe Ausgaben hätten.
Als Antwort auf die vielen neu ankommenden Geflüchteten wurden zudem zwischen 2016 und 2020 im Rahmen des Integrationsgesetzes sogenannte Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM) eingeführt. Damit wollte man jährlich bis zu 100.000 Arbeitsgelegenheiten schaffen – jedoch ohne Erfolg. Was der Umsetzung im Weg stand und steht, ist aber nicht ein Hinterfragen solcher unwürdigen Arbeitsbedingungen, sondern bloß abermalige bürokratische Desorganisation. Die Verantwortung wurde abermals vom Bund auf die Kommunen abgewälzt und die waren mit dem aufkommenden logistischen und bürokratischen Aufwand überfordert.
Seit der Überarbeitung des Asylbewerberleistungsgesetzes 2016 gibt es drei verschiedene Arten von Arbeitsgelegenheiten (AGH nach AsylbLG, AGH nach SGB II und die AGH nach Bundesprogramm), die jeweils von drei zuständigen Institutionen – den kommunalen Sozialämtern, Jobcentern und den Arbeitsagenturen – verwaltet werden. Dass hier niemand durchblickt, ist kein Wunder.
Der Deutsche Landkreistag reagierte damals mit Empörung auf die neue Gesetzesänderung und betonte, dass die unverhältnismäßige Aufwand der administrativen Koordination höher wäre als der tatsächliche Nutzen: Geflüchtete müssten etwa Belege dafür sammeln, dass ein Kostenaufwand entstanden sei, wenn dieser mehr als 80 Cent pro Stunde beträgt. Diese Nachweise müssen dann vom Sozialamt geprüft werden. Deswegen plädierten nicht nur der Deutsche Landkreistag, sondern auch andere zivilgesellschaftliche Institutionen wie der Deutsche Städtetag, weiterhin für eine Entschädigung von 1,05 Euro pro Stunde ohne jegliche Abweichungsmöglichkeiten.
Dass die Debatte sich fast ausschließlich um das bürokratische Chaos drehte und nicht um die Tatsache, dass Geflüchtete in prekäre und unfaire Beschäftigungsverhältnisse gezwungen werden, ist erschreckend. Ob mit 1,05 Euro oder 80 Cent stündlich entlohnt wird – beides ist menschenunwürdig. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist genauso verwerflich wie Ein-Euro-Jobs für Bürgergeldempfänger und -empfängerinnen oder Niedriglöhne in Behindertenwerkstätten.
Mit den Arbeitsgelegenheiten für Geflüchtete wird ein paralleler Arbeitsmarkt geschaffen, der sich nicht an geltendem Arbeitsrecht orientiert. Da im Asylbewerberleistungsgesetz Arbeitsgelegenheiten nicht als ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts festgelegt sind, besteht auch kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Unter dem Deckmantel integrativer Beschäftigung wird so extreme Ausbeutung ermöglicht.
»Ob Geduldete in den Arbeitsmarkt einsteigen dürfen oder nicht, kann teilweise von der Entscheidung nur einer einzelnen Person abhängen.«
Das Asylbewerberleistungsgesetz baut auf einer rassistischen Scheindebatte auf und bringt alles andere als zielführende Integration. Bei einer Entlohnung von nur 80 Cent pro Stunde braucht es über 15 Stunden, bis man sich den Mindestlohn einer Stunde erarbeitet hat. Statt Kompetenzen auszubauen sowie Spracherwerb und nachhaltige Berufswahlen zu fördern, werden Geflüchtete mit Zwang in den Billiglohnsektor gedrängt. Und das wird schon seit November 1993 ausgeführt – Herrgotts Pläne greifen lediglich Mittel auf, die lange Zeit übersehen wurden.
Der Vorschlag des CDU-Landrats blendet zudem aus, dass jede schutzsuchende Person eine Vorgeschichte hat. In großen Teilen sind Geflüchtete Gewalterfahrungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Eine staatlich verordnete Arbeitspflicht zu den unwürdigsten Bedingungen schreibt diese Leidensgeschichte fort, statt ihr ein Ende zu setzen. Um schutzsuchenden Menschen ein gutes und würdevolles Leben in Deutschland zu ermöglichen, sollten zuerst die Arbeitsmarktsperren aufgehoben werden.
Für neu ankommende Geflüchtete ist der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt durch einige haarsträubende Regelungen eingeschränkt. Menschen im Asylverfahren können in den ersten drei Monaten keiner Arbeit nachgehen. Das Arbeitsverbot verlängert sich auf sechs Monate für Personen mit minderjährigen Kindern und auf neun Monate für Personen ohne minderjährige Kinder, solange sie in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen. Asylbewerberinnen und -bewerbern aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten ist der Zugang zum Arbeitsmarkt komplett verwehrt.
Sobald das Arbeitsverbot aufgehoben ist, können die Betroffenen nur durch die Zustimmung der Ausländerbehörde eine Arbeitserlaubnis erhalten. Vor allem in Ballungsräumen führt dies zu praktischen Problemen, da es in vielen Ausländerbehörden nahezu unmöglich ist, einen Termin zu bekommen. Nachdem diese erste bürokratische Hürde überwunden ist, kommt aber gleich die nächste: Die Arbeitsagentur muss arbeitsrechtliche Bedingungen prüfen, erst danach kann die Ausländerbehörde einem Arbeitsangebot zustimmen. Zwischen all diesen Terminen vergehen jedoch mehrere Wochen, sodass Arbeitgeber oftmals das Angebot zurückziehen.
Für geduldete Personen besteht ein Arbeitsverbot für die ersten sechs Monate, sofern sie in einer Aufnahmeeinrichtung leben. Lebt man nicht mehr in einer solchen Einrichtung, kann man eine Arbeitserlaubnis nach dreimonatigem Aufenthalt beantragen. Diesen Prozess können jedoch weitere bürokratische Wartezeiten erschweren, die es auch nach sechs beziehungsweise drei Monaten unmöglich machen, eine Beschäftigungserlaubnis zu erhalten.
Ob Geduldete in den Arbeitsmarkt einsteigen dürfen oder nicht, kann teilweise von der Entscheidung nur einer einzelnen Person abhängen: Eine zuständige Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde kann Geduldeten eine Arbeitserlaubnis verwehren, wenn fehlende Mitwirkung vorliegt, sie also zum Beispiel bei der Passbeschaffung oder Identitätsklärung nicht hinreichend kooperieren.
Das Problem sind also nicht vermeintlich arbeitsscheue Geflüchtete, wie es von rechts immer heißt. Massive verwaltungstechnische Hindernisse schließen Schutzsuchende aus dem Arbeitsmarkt aus. Bevor also irgendwelche Arbeitspflichten eingeführt werden, sollte die Ampel ihre Versprechen halten – denn im Koalitionsvertrag steht, dass Arbeitsverbote für bereits in Deutschland Lebende abgeschafft werden sollen. Asylsuchende wie Geduldete müssen vom Tag ihrer Antragstellung an uneingeschränkt arbeiten dürfen.
Valeria Forshayt ist eine angehende Journalistin aus Berlin und absolviert zur Zeit ein Praktikum bei JACOBIN.