23. Mai 2024
Das Attentat auf den slowakischen Premier Robert Fico folgt aus einer jahrelangen Verrohung der Politik. Die gegnerischen Lager sollten jetzt aufhören, sich als »amerikanische« und »russische Agenten« zu beschimpfen und den Menschen Mut statt Panik machen.
Der slowakische Premierminister Robert Fico gestikuliert während einer Pressekonferenz am 25. Januar 2024 in Bratislava.
Wie legt eine politische Gemeinschaft die Grenzen der legitimen politischen Debatte fest? Für den rechten Staatsrechtler Carl Schmitt war Politik durch die Unterscheidung zwischen Freund und Feind definiert. Die unterschiedlichen Vorstellungen vom Gemeinwohl – und die Konflikte um diese Vorstellungen – waren für Schmitt so gegensätzlich, dass sie nicht durch einen rationalen Dialog gelöst werden könnten. Es handele sich dabei um existenzielle Fragen, die nur mit Stärke und, wenn nötig, mit Gewalt gelöst werden könnten.
Schmitts Thesen sind radikal, werfen aber wichtige Fragen für jede liberale Demokratie auf: Wo ist die Grenze für zulässige (wenn vielleicht auch unliebsame) politische Meinung und ab wann wird die Auseinandersetzung zu einem existenziellen Kampf um die grundlegende Definition einer politischen Gemeinschaft?
Diese Fragen traten in der vergangenen Woche in den Vordergrund, als der slowakische Premierminister Robert Fico nach einem Attentat um sein Leben kämpfte. Politikerinnen und Politiker aus dem gesamten Parteienspektrum kritisierten einhellig und unmissverständlich den Anschlag auf Fico, der die linksnationalistische Partei Smer führt. Doch hinter dieser vermeintlichen Einigkeit hinaus verbergen sich viel tieferliegende Probleme im Kern der politischen Gemeinschaft der Slowakei. Der Staat hat mehr als drei Jahrzehnte lang Schwierigkeiten gehabt, diverse Formen des Dissenses gegen den postsozialistischen Status quo konstruktiv zu berücksichtigen und zu integrieren.
Die Wurzeln liegen in der entpolitisierten Periode, dem »Ende der Geschichte«, in der die slowakische Demokratie nach der Gründung des Staates im Jahr 1993 erwachsen wurde. Nach dem Sieg im Kalten Krieg füllte die neue liberale Elite die Chefetagen der Medien und des (meist vom Ausland finanzierten) NGO-Sektors und krönte sich selbst zum Hüter der neuen politischen Ordnung. Doch als diese Ordnung nach den brutalen neoliberalen Reformen unter Druck geriet und dies Fico seinen ersten Wahlsieg im Jahr 2006 bescherte, begannen die Liberalen zunehmend, politische Konflikte in existenziellen Begriffen zu formulieren. Politische Konflikte wurden so zum Ringen zwischen Gut und Böse – anstatt sie als ein zentrales Merkmal einer jeden Demokratie zu akzeptieren.
Um ein polarisiertes Land nun auf ein gemeinsames Verständnis und Gefühl zu einen, müssten all diejenigen, die zur Delegitimierung »unmoderner« und unliebsamer politischer Ansichten beigetragen haben – einschließlich des Premierministers selbst – ihr bisheriges Handeln gründlich überdenken. In den kommenden Monaten muss in der Slowakei nicht so sehr die Demokratie gerettet werden, sondern vielmehr muss die Gesellschaft erstmalig lernen, zu akzeptieren, was Demokratie nun einmal bedeutet und mit sich bringt.
Die Einzelheiten des Anschlags vom 15. Mai waren schon bald nach dem Ereignis bekannt. Fico hatte an einer Kabinettssitzung in der ehemaligen Bergbaustadt Handlová, rund 180 Kilometer von der Hauptstadt Bratislava entfernt, teilgenommen. Damit wollte er sein Versprechen einlösen, die Regierungsarbeit bürgernäher zu gestalten. Zwischen den Sitzungen ging der Premier zu seiner Anhängerschaft vor dem örtlichen Haus der Kultur, wo die Regierung tagte.
Dort näherte sich der Angreifer – ein 71-jähriger Amateurdichter und Ex-Wachmann mit eklektischen politischen Ansichten –und schoss fünf Mal auf Fico. Er traf den Premierminister am Bein, der Hand und im Bauch. Es dauerte nicht lange, bis Informationen darüber bekannt wurden, der Angreifer habe sich klar gegen die jüngere Politik der Regierung geäußert. Die Polizei und das Innenministerium bestätigten daher auch bald, die Attacke sei als politisch motiviert einzustufen.
»Legitime politische Fragen – wie die aktuelle Debatte über die Reaktion der EU auf die russische Invasion in der Ukraine – als existenzielle Konflikte um die Zukunft des Landes darzustellen, ist seit den 1990er Jahren Teil des liberalen Playbooks in der Slowakei.«
Die Reaktionen erfolgten umgehend. Ficos Verbündete machten die »Hexenjagd« der Mainstream-Medien gegen den Premierminister für den Anschlag verantwortlich. Liberale Politikerinnen und Journalisten zeigten zunächst ein untypisch hohes Maß an Zurückhaltung und wollten nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Einige wenige Kommentatoren begannen freilich schnell damit, den Rücktritt des Innenministers sowie des Chefs des slowakischen Geheimdienstes (beides Vertraute Ficos) für das angebliche Versagen des Sicherheitsteams zu fordern.
Die anfängliche Zurückhaltung wich bald einer gewissen liberalen Selbstgerechtigkeit: Mehrere bekannte Persönlichkeiten sahen die kämpferische Reaktion Ficos Verbündeter als ein Beweis für deren toxische Politik an. Was gebraucht werde, sei hingegen »Zivilisation« in der Politik, betonten sie. Dabei gab es einen offensichtlichen Fehler in ihrer Argumentation: das Facebook-Profil des Schützen zeigt, wie dieser selbst kürzlich noch die Oppositionspartei Progressive Slowakei unterstützt hatte, die wie ein Paradebeispiel für vorgetäuschte liberal-zivile Haltung erscheint.
In gewissen Kreisen auf Social Media wurde derweil die Vermutung geäußert, Ficos Team schlachte das Attentat übertrieben aus oder habe es selbst inszeniert, um eine kommende Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten zu rechtfertigen.
Internationale Medien, Kommentatorinnen und Verschwörungsfans schlossen sich dem Hype um das Attentat an und fügten den Vorfall in ihre bestehenden Narrative ein, ohne sich sonderlich für das Land zu interessieren, in dem sich der Vorfall ereignet hatte. Mainstream-Medien, von Sky News und dem Guardian in Großbritannien bis hin zum Spiegel und Politico in der EU, waren ebenfalls nahe dran, Fico selbst die Schuld zu geben. Sie schrieben dem slowakischen Premier und seinen »extremen Positionen« zumindest eine Mitschuld an der »giftigen« und »polarisierten« Atmosphäre zu, die zu dem Anschlag geführt habe. Rechte Kulturkämpfer, angeführt von Andrew Tates Bruder Tristan – der einst selbst in der Slowakei lebte – spekulierten, Ficos Widerstand gegen die NATO-Politik in der Ukraine sowie seine Ablehnung des jüngsten Pandemieabkommens der Weltgesundheitsorganisation habe ihn zur Zielscheibe einer »globalen Elite« gemacht.
Der Angriff auf Fico kam zu einer Zeit, in der die slowakischen Liberalen zunehmend frustriert waren. Im Oktober 2023 war Fico nach drei Jahren Opposition an die Macht zurückgekehrt. Zuvor hatte er einen erfolgreichen Wahlkampf geführt, in dem seine Partei in kulturpolitischen Themenfeldern konservativ auftrat, wirtschaftspolitisch hingegen linksnationalistisch agierte. Weiter gestärkt wurde Ficos Machtposition durch die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen im April, die sein Verbündeter und Koalitionspartner Peter Pellegrini gewann.
Ficos erste Monate an der Macht waren von einer beachtlichen Zielstrebigkeit geprägt: Die neue Regierung verhängte eine Sondersteuer auf Bankengewinne, behielt die meisten Sozialleistungen bei und stellte gleichzeitig einen Plan zur Haushaltskonsolidierung vor, der auch von den Finanzmärkten mitgetragen wurde. Die Sonderstaatsanwaltschaft USP, die für die Verfolgung von Korruptionsfällen auf höchster Ebene zuständig war (und von einem prominenten Oppositionspolitiker geleitet wurde), wurde aufgelöst und die Fälle an regionale Staatsanwaltschaften übertragen. Angeblich war letzteres eine Reaktion auf Verstöße gegen die verfassungsmäßigen Rechte einzelner Personen, die die USP unter der vorherigen Regierung begangen hatte. Anzumerken ist dabei aber, dass die Institution insbesondere auch gegen mehrere hochrangige Mitglieder der Smer ermittelt hatte.
Die Strafen für Wirtschaftsdelikte wurden gesenkt, aber auch die Strafen für kleinere Drogendelikte. In den letzten Monaten hatte die Regierung außerdem Pläne zur Umstrukturierung des öffentlichen Rundfunks RTVS ausgearbeitet, um mehr Kontrolle über die Ernennung der dortigen Belegschaft zu erlangen.
»Für große Teile des postsozialistischen liberalen Milieus war Fico mehr als nur ein politischer Gegner: Er war ein Staatsfeind, der das Land daran hinderte, sich in Richtung Zukunft zu bewegen.«
Die Reaktion der Opposition war weitgehend planlos. Michal Šimečka, der junge Vorsitzende der zentristischen Progressiven Slowakei (der stärksten Oppositionspartei), nahm sich die harsche Kritik der Mainstream-Medien an seiner früheren politischen Leistung zu Herzen und wechselte zu einem aggressiveren politischen Ton. Es war sein Versuch, Ficos politisches Trommelfeuer zu unterbinden. Dieser führte allerdings zu nicht viel mehr als diversen Demonstrationen und viel Angstmacherei über die angeblich existenzielle Gefahr, die Fico für die Slowakei darstelle – und nicht zu einem alternativen politischen Angebot, mit dem Šimečka die ganze Bevölkerung ansprechen und deren Unterstützung gewinnen könnte.
Ein gutes Beispiel dafür zeigte sich am 1. Mai, der in der Slowakei nicht nur als Tag der Arbeit, sondern auch als Datum des EU-Beitritts im Jahr 2004 gefeiert wird. Während Fico die Nacht zuvor bei einer Schicht in einer Autoteilefabrik verbrachte, um für neue Zuschläge für Nachtarbeit zu werben, predigte Šimečka online über die Vorteile der EU-Mitgliedschaft. Diese Vorteile seien nun bedroht, weil Fico sich gegen die Militärhilfe für die Ukraine ausgesprochen habe. Aus Sicht des Oppositionsführers bewege Fico mit seinem Beharren auf Verhandlungen zur Beendigung des Krieges das Land weg von seinen EU-Partnern – und sogar in den Dunstkreis von Wladimir Putins Russland.
Legitime politische Fragen – wie die aktuelle Debatte über die Reaktion der EU auf die russische Invasion in der Ukraine – als existenzielle Konflikte um die Zukunft des Landes darzustellen, ist seit den 1990er Jahren Teil des liberalen Playbooks in der Slowakei. Damals war dies in gewisser Weise wohl auch gerechtfertigt. Vladimír Mečiar nutzte die Ängste der Wählerschaft vor einer Marktliberalisierung, um 1992 die Macht zu ergreifen und ein international isoliertes autoritäres Regime mit engen Verbindungen zum organisierten Verbrechen aufzubauen. Unter Mečiar schüchterte der Geheimdienst politische Gegnerinnen und Gegner ein und entführte sogar den Sohn des Präsidenten. Die Slowakei begann, im EU-Integrationsprozess deutlich hinter Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik zurückzufallen.
Nachdem Mečiar 1998 endgültig besiegt worden war, wurden die aufgeschobenen neoliberalen Reformen schließlich umgesetzt. Man wollte sich schnellstmöglich auf den nun als unumgänglich dargestellten EU-Beitritt im Jahr 2004 und die Einführung des Euro fünf Jahre später vorbereiten.
Nachdem dieser Prozess abgeschlossen und ein erheblicher Teil der Regierungsbefugnisse vom Staat weg verlagert worden war, schien es, als seien Zweck und Ziele des postsozialistischen liberalen Projekts weitgehend erfüllt. Um diese Tatsache zu kaschieren, fanden die Liberalen in Fico bald einen neuen Paria, der nun (trotz eines gänzlich anderen politischen Programms als Mečiar) von den Sorgen der ländlichen Slowakei profitierte.
»Smer sollte konkret darlegen, wie die Souveränität des slowakischen Staates seit 1989 ausgehöhlt wurde, anstatt nur eigene Feindbilder zu erfinden und politische Gegner ihrerseits als ›ausländische Agenten‹ darzustellen.«
Damit halte er das Land vom vollständigen »Übergang« ab – eine für die Zeit unmittelbar nach dem Kalten Krieg typische Vorstellung, wie der kroatische Philosoph Boris Buden argumentiert. Demnach würde ein ehemals sozialistisches europäisches Land wie die Slowakei seinen rechtmäßigen Platz unter den »zivilisierten« Ländern des demokratischen Westens einnehmen und seine dunkle »östliche« Geschichte des Kommunismus hinter sich lassen – solange es nur das tut, was die neuen Verbündeten von ihm erwarten.
Für große Teile des postsozialistischen liberalen Milieus war Fico mehr als nur ein politischer Gegner: Er war ein Staatsfeind, der das Land daran hinderte, sich in Richtung Zukunft zu bewegen. Der so bedrängte und oft isolierte Fico reagierte mit einer Verschärfung seiner Rhetorik. Im Laufe der Jahre griff er zunehmend Journalistinnen und Journalisten, politische Gegner und NGOs verbal an. Als der Journalist Ján Kuciak 2018 ermordet wurde, wurde dies weithin als Folge des von Fico tolerierten toxischen politischen Umfelds im Land angesehen. Er sah sich angesichts der Proteste zum Rücktritt gezwungen.
Spätestens Pellegrinis Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im April bestätigte nun, dass das liberale politische Angebot nach drei Jahren Mitte-Rechts-Regierung, die von Inkompetenz, Machtkämpfen und sinkendem Lebensstandard geprägt war, bei großen Teilen der Wählerschaft erneut keinen Anklang mehr fand. In Reaktion kochte die liberale Rhetorik auf ihren Siedepunkt hoch.
Großstädte, in denen die Smer traditionell unbeliebt ist, wurden zu einem feindseligen Umfeld für alle, die öffentlich erklärten, dass sie nicht bereit seien, sich vorbehaltlos hinter die Opposition zu stellen. Als der Smer-Abgeordnete Erik Kaliňák Tage nach der Präsidentschaftswahl auf den Straßen von Bratislava verbal angegangen wurde, äußerte Fico die Sorge, »dass die von den liberalen Medien geschürte Frustration« früher oder später zur Ermordung eines Regierungspolitikers führen werde. Nur wenige nahmen seine damalige Warnung ernst.
Vor zehn Jahren schrieb der tschechische Verfassungsrechtler Jan Komárek, der Beitritt der ehemaligen sozialistischen Staaten zur EU habe zu Schwierigkeiten beim Aufbau einer »demokratischen Kultur« in diesen Ländern beigetragen. Grund dafür war laut Komárek, dass die EU-Beitrittskriterien die Parlamente dieser postsozialistischen Staaten zu »Angleichungsmaschinen« machten. Deren wichtigste Aufgabe war es demnach, große Mengen an EU-Rechtsvorschriften in nationales Recht umzusetzen, wohingegen vom heimischen »politischen Prozess nicht erwartet wurde, dass er eigene Lösungen für Probleme hervorbringt«.
Diese Erklärung ist Teil eines größeren Narrativs, das oft mit der These vom »Ende der Geschichte« umschrieben wird. So entstand eine neue unipolare Welt unter Führung der USA, die das Spektrum akzeptabler politischer Entscheidungen drastisch einschränkte. Ein Großteil der heutigen Frustration der Liberalen in Mittel- und Osteuropa beruht – bewusst oder unbewusst – auf einer falschen Annahme über die Rolle, die die liberale Demokratie nach der Niederlage des Sowjetkommunismus spielen würde: Für viele slowakische Liberale sollte die Revolution von 1989 eine freie Marktwirtschaft und eine prowestliche geopolitische Ausrichtung festigen, so wie das sozialistische Regime zuvor das Gegenteil verankert hatte.
Größtenteils ist dies auch tatsächlich geschehen. Doch je mehr die Politik vom Ausland vorgegeben wurde, desto mehr verkümmerte die slowakische nationale Politik von innen heraus. Legitimität wurde eher bei internationalen Partnern und ausländischen NGOs gesucht, als dass man im eigenen Land über das nationale Interesse nachdachte. Als Fico im Laufe des Jahres 2022 begann, sich der Ukraine-Strategie der NATO zu widersetzen, lautete der größte Vorwurf der Opposition, er schädige damit dem »internationalen Ruf der Slowakei«.
»Alle in der Slowakei, die in einer demokratischen Gesellschaft leben wollen, müssen akzeptieren, dass nicht jede unliebsame politische Meinung gleich eine Bedrohung für die politische Gemeinschaft an sich darstellt.«
Die intuitive Reaktion von Politikerinnen und Kommentatoren nach dem Attentat auf Fico war es, zur Einigkeit zu mahnen. Kurzfristig mag das zwar sinnvoll sein, aber langfristig ist das Gegenteil erforderlich: Die Slowakei muss politischer werden und sich das zu eigen machen, was die politische Theoretikerin Chantal Mouffe als »agonistischen Pluralismus« bezeichnet – eine Auffassung von Politik, in der der politische »Andere« kein »zu vernichtender Feind«, sondern lediglich ein »Gegner« ist; also jemand, »mit dessen Ideen wir nicht übereinstimmen, aber dessen Recht, diese Ideen zu verteidigen, wir nicht in Frage stellen«. Präsident Pellegrini sagte nach dem Mordanschlag in ähnlicher Weise: »Die Slowakei muss die Rahmenbedingungen für Dialog und demokratischen politischen Wettbewerb schaffen.«
Was bedeutet das in der Praxis? Statt ständiger Panikmache täten die Liberalen gut daran, eine positive Vision für das Land zu entwickeln, die unter anderem auf einem wirtschafs- und sozialpolitisch attraktiven Programm beruht. Die Außenpolitik und die geopolitische Ausrichtung der Slowakei sollen und müssen hinterfragt und debattiert werden. Meinungsverschiedenheiten über die angemessene Reaktion auf Russlands illegale Invasion in der Ukraine müssen ausgetragen werden, ohne dass diejenigen, die Vorbehalte gegen die Vorgehensweise der NATO in diesem Krieg haben, einfach als »russische Agenten« abgestempelt werden.
Ebenso muss sich aber auch die Smer verändern. Wenn sie sich als souveränitätsorientierte Partei profilieren will, muss sie damit beginnen, konkret darzulegen, wie die Souveränität des slowakischen Staates seit 1989 ausgehöhlt wurde, anstatt nur eigene Feindbilder zu erfinden und politische Gegner ihrerseits als »ausländische Agenten« darzustellen. Beispielsweise wurde die Ex-Präsidentin Zuzana Čaputová im Laufe ihrer Präsidentschaft von Fico und seinen Verbündeten routinemäßig als »im Dienste der amerikanischen Interessen handelnd« bezeichnet. Auch der Kulturkampf (eine weitere Methode, um die politische Gemeinschaft dauerhaft zu spalten) wurde vor allem von der Smer und ihren nationalkonservativen Partnern immer wieder angefacht. Dieser Kampf muss unterbunden werden.
Demokratie erfordert eine definierte politische Gemeinschaft, die durch gewisse Bande zusammengehalten wird, sodass die Gemeinschaft es aushält, wenn es unterschiedliche Auffassungen vom Gemeinwohl gibt. Demokratie erfordert oft, dass man sich kollektiven politischen Entscheidungen unterwirft, die einem selbst unangenehm oder sogar höchst zuwider sein können. Ohne diese Art der Akzeptanz gibt es einfach keine politische Gemeinschaft und keine Demokratie.
Alle in der Slowakei, die in einer demokratischen Gesellschaft leben wollen, müssen akzeptieren, dass nicht jede unliebsame politische Meinung gleich eine Bedrohung für die politische Gemeinschaft an sich darstellt. Eine wirkliche Bedrohung ist es vielmehr, wenn man sich weigert, andere Meinungen zu respektieren.
Jakub Bokes ist Doktorand der Rechtswissenschaften an der London School of Economics.