01. September 2022
Nach der Revolution von 1986 verschrieb sich die politische Elite der Philippinen dem Neoliberalismus, anstatt die Probleme der Bevölkerung anzugehen. Das rächt sich heute.
Die Vereidigung von Marcos Jr. wurde von Protesten begleitet, wie hier in der Hauptstadt Manila, 30. Juni 2022.
IMAGO / ZUMA Wire1986 stand die philippinische Präsidentin Corazon Aquino vor einem schwierigen Dilemma. Sie war gerade als Chefin einer selbsternannten »revolutionären« Regierung vereidigt worden, kurz nach der erfolgreichen »People Power Revolution«, dem Massenaufstand, der die Diktatur von Ferdinand Marcos Sr. zu Fall gebracht hatte. Als Aquino ihre Amtszeit begann, musste sie jedoch feststellen, dass Marcos und seine Vertrauten die Staatskassen geleert hatten.
Schlimmer noch: Bankenvertreter von der Wall Street verlangten von ihrer Regierung die Rückzahlung der 27 Milliarden US-Dollar, die sie dem Land geliehen hatten. Eine Nichterfüllung hätte für die Wirtschaftselite des Landes (zu der auch Aquino selbst gehörte) enorme Verluste zur Folge gehabt: Ihr Zugang zu Krediten hätte sich enorm verschlechtert und der Wert ihrer Aktienportfolios wäre eingebrochen.
Andererseits hätte ein Einlenken bei den Zahlungsforderungen zur Folge, dass nur noch wenig für Sozialleistungen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen übrigbliebe, da Millionen von Filipinos von der tiefsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg betroffen waren. Würde Aquino den Banken die Stirn bieten und sich weigern zu zahlen oder würde sie nachgeben?
Es ist hilfreich, heute auf diesen und andere entscheidende Momente in den Jahren nach dem Sturz des ehemaligen Diktators zurückzublicken, und zwar im Lichte der Debatten, die nach dem Sieg seines Sohnes und Namensvetters bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen immer noch geführt werden.
»Marcos Jr. versprach, die brutale politische Agenda seines Amtsvorgängers Rodrigo Duterte fortzusetzen.«
Der Kandidat Ferdinand »Bongbong« Marcos Jr. weigert sich, sich für die Verbrechen seines Vaters zu entschuldigen. Er versprach auch, die brutale politische Agenda seines Amtsvorgängers Rodrigo Duterte fortzusetzen. Wie konnte es Marcos gelingen, den höchsten Stimmenanteil zu erzielen, den ein Kandidat seit dem Sturz seines Vaters erreicht hat? In einem System, das keine Stichwahl vorsieht, fielen ihm 59 Prozent der Stimmen zu.
Von diesem Wahlergebnis beunruhigt erklärten einige Kommentatorinnen und Kommentatoren den Triumph von Marcos Jr. als Ergebnis einer besonders effektiven »Desinformationskampagne« gegen die liberale Opposition. Andere gaben der zweitplatzierten Kandidatin, der ehemaligen Vizepräsidentin Leni Robredo, die Schuld und behaupteten, sie habe aufgrund der »elitären« Botschaften ihrer Kampagne verloren oder weil sie nicht auf die Forderungen der Gesellschaft »gehört« habe.
Diese Erklärungen haben ihre Berechtigung, aber sie werfen weitere Fragen auf. Was brachte eine deutliche Mehrheit der Wählerschaft dazu, den Lügen von Bongbong Marcos und seinen Verbündeten Glauben zu schenken? Unter welchen Umständen werden massive Vorteile für einen Kandidaten oder das schlechte Messaging einer Gegenkandidatin entscheidend?
Um diese Fragen zu klären, müssen wir verstehen, wie sich die gegenwärtige Situation in der philippinischen Politik historisch ergeben hat und uns auf eine bestimmte Gruppe von Akteuren konzentrieren, die von den gängigen Analysen nicht berücksichtigt werden. Im Folgenden werden wir uns die Bilanz von Aquino und den vielen anderen Liberalen ansehen, die das Schicksal von Millionen von Filipinos in den letzten Jahrzehnten geprägt haben.
Die Frage, wie man mit der Verschuldung des Landes umgehen sollte, war nur eines der vielen Probleme, mit denen sich das postdiktatorische Establishment nach der Rückkehr der Demokratie auseinandersetzen musste. Genauer gesagt handelte es sich um die Restauration dessen, was Benedict Anderson als »Cacique-Demokratie« bezeichnete: ein System, in dem zwar jeder wählen kann, aber die landbesitzenden Familien durch ihre Klientelnetzwerke und die Kontrolle über die Bürokratie das Wahlergebnis effektiv bestimmen. All diese Probleme sind letztlich Aspekte einer Frage, mit der sich die liberalen Reformer seit langem auseinandersetzten: Wie kann es gelingen, die Philippinen in eine moderne, kapitalistische Gesellschaft zu verwandeln?
Im Wesentlichen gab es zwei Optionen. Die erste war der entwicklungs- bzw. industriepolitische Weg, den die Regierungen vor der Diktatur zunächst eingeschlagen hatten, der aber nicht effektiv verfolgt und schließlich aufgegeben wurde. Unter diesem Paradigma wurde die Mehrheit der Bevölkerung – die Arbeiterschaft, die Bauern, etc. – als die wichtigsten wirtschaftlichen Akteure angesehen. Wenn der Staat mehr Wohlstand erzeugen wollte, musste er ihre Kaufkraft durch eine Reihe von Reformen stärken: die Auflösung der riesigen Haziendas des Landes und die Vergabe von Land an diese gesellschaftlichen Gruppen, die Erhöhung ihrer Löhne, die Gewährleistung von Arbeitsplätzen, die Beibehaltung niedriger Preise für grundlegende Güter, Steuerbefreiungen und die Verbesserung der Wohnverhältnisse.
Die nationale Wirtschaft sollte laut diesem Paradigma von innen heraus gestärkt werden, indem die industrielle Kapazität des Landes durch die Förderung und Kontrolle des inländischen Kapitals und durch die Stärkung des Binnenmarktes aufgebaut werden würde. Der Staat würde den Reichen einen größeren Teil des gesellschaftlich produzierten Mehrwerts abnehmen und ihn in produktive Investitionen lenken, um so einen positiven Kreislauf aus höherer Beschäftigung, mehr Konsum und größeren Überschüssen auszulösen. Im Einklang mit diesem Ansatz hätte die neue Regierung die Auslandsschulden, die Marcos Sr. angehäuft hatte, zurückzahlen sollen, um die soziale Infrastruktur zu verbessern und mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Die zweite Option war der neoliberale Weg, den Marcos Sr. selbst in den letzten Jahren seiner Amtszeit eingeschlagen hatte. In diesem wirtschaftspolitischen Regime wurden die herrschenden landbesitzenden Klassen als die Hauptakteure der Wirtschaft betrachtet. Während neoliberale Ideologen oft davon sprachen, »die Grenzen des Staates zurückzudrängen«, würde sich der Staat in der Praxis nicht so sehr zurückziehen, sondern eine andere Rolle übernehmen. Seine Aufgabe wäre es nun, den wirtschaftlichen Eliten des Landes zu helfen, mehr Reichtum anzuhäufen.
Dazu gehört die Konzentration von Land in den Händen größerer Unternehmen und die Beibehaltung niedriger Löhne sowie die »Flexibililisierung« der Arbeit. Auch würde die Grundversorgung dem Privatsektor überlassen, die Steuerlast auf die Schultern der Armen verlagert und der Ausbau der Sozialleistungen eingeschränkt.
Der Weg, den die liberalen Nachfolger von Marcos Sr. einschlagen würden, war keineswegs vorbestimmt. Zu Corazon Aquinos großer Koalition gehörten einige relativ progressive Figuren in einflussreichen Positionen, die darauf drängten, dass sie den ersten Weg einschlagen solle. Sie waren davon überzeugt, dass nur durch die Unterstützung der unteren Schichten mehr Wohlstand entstehen würde, was indirekt auch der Oberschicht zugutekäme. Dagegen wehrten sich die Vertreter der rechten Mitte, darunter auch ehemalige Marcos-Beamte, die von ihrer Trickle-down-Agenda nicht ablassen wollten.
»Eine Umverteilung des Reichtums von unten nach oben hätte bedeutet, dass der Staat sein Gewaltmonopol gegen die herrschende Klasse des Landes durchsetzen müsste.«
Obwohl sich ein Großteil der anschließenden Debatte zwischen den beiden liberalen Lagern auf das wirtschaftliche Paradigma begrenzte, handelte es sich im Kern um eine politische Auseinandersetzung. Denn eine Umverteilung des Reichtums von unten nach oben hätte bedeutet, dass der Staat sein Gewaltmonopol gegen die herrschende Klasse des Landes durchsetzen müsste. Dies wäre unabdingbar gewesen, wenn die Regierung den landbesitzenden Familien ihre riesigen Grundstücke entziehen, die Kapitalisten zu Lohnerhöhungen zwingen oder die Großunternehmen daran hindern wollte, ihre Preise in die Höhe zu treiben.
Eine Umverteilung des Reichtums von unten nach oben würde dagegen erfordern, dass der Staat sein Gewaltmonopol gegen die breite Bevölkerung einsetzt, um regressive Sozialmaßnahmen durchzusetzen. Letztlich war die Entscheidung eine politische: Auf wessen Seite würden sich die Liberalen stellen, und wem würden sie schaden?
Aquino versuchte zunächst, die Interessen beider Seiten auszugleichen, entschied sich aber schließlich für den neoliberalen Weg. Sie beschloss, die Schulden des Landes bedingungslos und in vollem Umfang zu bedienen, auch die privater Kreditnehmer. Bald darauf entfernte sie progressive Kräfte aus ihrem Kabinett, indem sie linke Figuren aus den Spitzenpositionen entließ und sie durch überzeugte Anhänger des freien Marktes ersetzte. In einem symbolträchtigen Schritt entließ Aquino ihren arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsminister und ersetzte ihn durch einen Rechtsanwalt, der die größte Arbeitgebergruppe des Landes vertrat.
In den darauffolgenden Jahren sah Aquino tatenlos zu, wie ein von Großgrundbesitzern dominierter Kongress ein Gesetz über eine vermeintliche »Landreform« verabschiedete, das so viele Lücken aufwies, dass es letztlich die Interessen von Eliten förderte, die in die Agrarindustrie investiert hatten, einschließlich Aquinos eigener Familie. Außerdem bremste sie die Lohnentwicklung aus, förderte »flexible Arbeitsverhältnisse« und setzte Gesetze aus der Marcos-Ära ein, um gegen Gewerkschaften vorzugehen.
»Nachdem Aquino ihre Amtszeit beendet hatte, trieb ihr designierter Nachfolger Fidel Ramos, ehemaliger Polizeichef unter Marcos, den neoliberalen Umbau der philippinischen Wirtschaft weiter voran.«
Da sie nicht gewillt war, die Steuern für Reiche zu erhöhen, verpasste Aquino dem Land ein regressives Steuersystem. In der Hoffnung, mehr Investitionen anzulocken und philippinischen Unternehmen Zugang zu ausländischen Märkten zu verschaffen, lockerte sie auch die Beschränkungen für den Kapitalverkehr und schloss Freihandelsabkommen mit anderen Ländern ab. Es ist bezeichnend, dass die Präsidentin im Laufe der Jahre in ihren öffentlichen Äußerungen nicht einmal mehr die Worte »Revolution« oder »People Power« verwendete.
Nachdem Aquino ihre Amtszeit beendet hatte, trieb ihr designierter Nachfolger Fidel Ramos, ehemaliger Polizeichef unter Marcos, den neoliberalen Umbau der philippinischen Wirtschaft weiter voran. Seine Regierung privatisierte und »re-regulierte« die größte Infrastruktur des Landes und verkaufte grundlegende öffentliche Dienstleistungen wie die Wasserversorgung und die Stromübertragung an einige der größten Konzerne der Philippinen. Ramos, der seine Regierung mit eher rechtsgerichteten Technokraten besetzte, senkte auch Zölle drastisch und hob die regulatorischen Beschränkungen für Großunternehmen auf.
Die Entscheidungen von Aquino, Ramos und den Technokraten um sie herum hatten tiefgreifende Auswirkungen auf Millionen von Menschen. Durch die zahlreichen Maßnahmen zur Wiederherstellung des »Vertrauens der Investoren« gelang es ihnen, mehr Kapital anzuziehen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Infolgedessen stieg ein kleiner Teil der Bevölkerung in dieser Phase des durch externe Impulse bedingten Wirtschaftswachstums auf der sozialen Leiter auf.
»Zwischen 1986 und 1997 sank der Lebensstandard von Dutzenden Millionen Arbeitnehmern.«
Dazu gehörte auch eine aufstrebende Schicht von Großkapitalisten, die ihr Vermögen im Immobiliensektor, im Einzelhandel und in anderen Wachstumsbranchen machten. Auch Fachkräfte, die von diesen Kapitalisten und von transnationalen Unternehmen eingestellt wurden, profitierten davon, ebenso wie Angestellte in der boomenden Callcenter-Industrie. Die Gehälter der Staatsbeamten stiegen, während der Staat seine Einnahmen durch regressive Steuern erhöhte.
Indem die Liberalen jedoch die staatliche Gewalt einsetzten, um dem Kapital bei der verschärften Ausbeutung und Enteignung der Massen zu helfen, schadeten sie der großen Mehrheit. Zwischen 1986 und 1997 sank der Lebensstandard von Dutzenden Millionen Arbeitnehmern. Viele andere verloren im Zuge der Deindustrialisierung ihren Arbeitsplatz. Hunderttausende Lehrerinnen, Ärzte, Krankenschwestern und andere Angehörige der Mittelschicht wurden schlechtergestellt, da ihre Einkommen stagnierten und sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verringerten.
Viele Kleinbauern verarmten, da stark subventionierte Waren aus dem Ausland den inländischen Markt überschwemmten. Zahllose Ladenbesitzer mussten ihre Geschäfte schließen, da im ganzen Land Filialen von Handelsketten aus dem Boden schossen. Hunderttausende von informellen Siedlern wurden aus ihren Häusern vertrieben, und selbst die gebildete Mittelschicht litt darunter, als die Preise für Wasser, Strom, Gas und Grundnahrungsmittel nach der Privatisierung dieser Sektoren in die Höhe schnellten.
Wirtschaftlich prekär und politisch desillusioniert begannen Millionen von Filipinos, die »People Power Revolution« in einem anderen Licht zu sehen. Ab Mitte der 1990er Jahre machte sich in den unteren Schichten langsam eine Welle des Unmuts breit. Viele wurden immer skeptischer gegenüber der Erzählung der Liberalen und wandten schließlich sich von ihnen ab. In der Tat lässt sich ein Großteil der philippinischen Geschichte nach 1997 als die Geschichte der unterdrückten Massen lesen, die sich allmählich gegen die Post-Marcos-Ordnung wandten, wobei verschiedene politische Kräfte versuchten, ihre Ablehnung entweder zu entschärfen oder sie in Richtung ihrer eigenen bevorzugten Politikansätze zu steuern.
Es gibt zahlreiche Beispiele für diesen Prozess der Enttäuschung über das liberale Establishment, der zunächst die untersten sozialen Schichten und später die Mittelklasse ergriff. Der Populist Joseph Estrada besiegte 1998 den designierten Nachfolger von Fidel Ramos, und 2001 kam es zu einem Massenaufstand der urbanen Unterschicht mit dem Ziel, Estrada wieder zum Präsidenten zu machen, nachdem er im selben Jahr von bürgerlichen Kräften abgesetzt worden war. 2016 folgte dann der Wahlsieg von Rodrigo Duterte über den bevorzugten Kandidaten der Liberalen, Mar Roxas. Während der Unmut immer weitere Kreise zog, bemühten sich andere Mitglieder des liberalen Establishments, die Unzufriedenheit der Massen zu beschwichtigen, während verschiedene »Außenseiter« versuchten, sie für sich zu nutzen.
Die Datenlage zur öffentlichen Meinung auf den Philippinen ist schlecht, und so ist es schwierig, endgültige Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, warum sich so viele Menschen aus den unteren Schichten bei den Wahlen im Mai dieses Jahres für einen weiteren »Außenseiter« entschieden haben. Es ist jedoch kaum vorstellbar, dass die Politik der Liberalen, die sich wiederholt der Durchsetzung der Interessen des Kapitals verschrieben haben und die damit verbundenen Auswirkungen auf die materiellen Bedingungen der Menschen keinen Einfluss auf diese Wahl hatten.
»Der Sieg von Bongbong Marcos könnte nicht nur auf die Flut von Desinformationen zurückzuführen sein, sondern auch auf eine Welle von Ressentiments in der Bevölkerung, die er nicht allein hätte heraufbeschwören können.«
Anders als konventionelle reaktionäre Populisten machte sich Marcos Jr. diese Flut politischer Stimmungen zunutze, indem er einen scheinbar antipopulistischen Diskurs der Versöhnung mobilisierte, durch den er sich von der autoritär-demagogischen Persona seines Vorgängers absetzte. Seine Strategie zählte auf recycelte Narrative der »Einigkeit« und Geschichtsverzerrungen. Während er sich selbst als Opfer des postdiktatorischen Establishments darstellte, erwies sich die Mobilisierung dieser Rhetorik für Marcos Jr. als politisch opportun, da sie Fragen der Verantwortlichkeit ausschloss und ihm ermöglichte, ohne klare politische Forderungen zu kandidieren.
Im Mittelpunkt der politischen Botschaft von Marcos Jr. stand die Forderung nach Wiedergutmachung für die Versäumnisse der Jahre nach der Diktatur. Obwohl sein Wahlkampfslogan an die »Einigkeit« appellierte, versprach er die Ablösung der liberalen politischen Oligarchie des Landes. Dies fand bei vielen Anklang, auch bei denen, die mit Duterte unzufrieden waren, ihn aber weiterhin unterstützten. Marcos Jr. bot den Menschen die Wahl zwischen der Geburt einer vage definierten »Neuen Gesellschaft« oder einer Wiederholung desselben Elends, das sie unter liberaler Herrschaft schon einmal erlebt hatten.
Am Ende könnte der Sieg von Bongbong Marcos nicht nur auf die Flut von Desinformationen und Geld, die ihm zugute kam, zurückzuführen sein, sondern auch auf eine Welle von Ressentiments in der Bevölkerung, die er nicht allein hätte heraufbeschwören können, sondern die er geschickt in die von ihm gewünschte Richtung kanalisiert hat.
Angesichts der zunehmenden Ablehnung der liberalen Politik hätte Robredo nur gewinnen können, wenn sie sich vollständig vom liberalen Establishment distanziert hätte. Anstatt jedoch das neoliberale Programm ihres politischen Lagers zugunsten einer explizit arbeitnehmerfreundlichen und sozialen Politik aufzugeben, konzentrierte sich Robredo in ihrem Wahlkampf auf Reformen der Regierungsführung.
Obwohl ihr Lager »Abkommen« mit verschiedenen Sektoren wie den Gewerkschaften und den städtischen Armen unterzeichnete, waren diese Verpflichtungen oft vage und für ihr Programm weitgehend nebensächlich. Wie ihre politischen Vorgänger hat sich Robredo bei den wesentlichsten Punkten zurückgehalten, sei es die Abschaffung von dubiösen Arbeitsverträgen, die Festlegung eines nationalen Mindestlohns, die Einführung einer Vermögenssteuer für Milliardäre oder die Entkriminalisierung der Abtreibung. Dadurch wollte sie ihre reichen konservativen Unterstützer besänftigen.
Können wir es einem Teil der Massen wirklich anlasten, dass er Robredos Kampagne durchschaute und auf ihre Ausflüchte mit Verachtung reagierte? Es gibt nur wenige Daten zum Wahlergebniss, aber die Auszählungen auf lokaler Ebene deuten darauf hin, dass Robredos Niederlage auf »Proteststimmen« mit unbestreitbarem Klassencharakter zurückzuführen ist.
Robredo gewann zwar in einer Reihe von Provinzen mit niedrigem Einkommen, aber die Liste der Gebiete, in denen sie gewann, liest sich wie ein Profil sozialer Gruppen, denen es nach 1986 nicht so schlecht ging: Forbes Park, Bel-Air, Corinthian Gardens, Greenhills, White Plains. Marcos Jr. hingegen gewann praktisch alle informellen Siedlungen (Slums), Arbeiterviertel und Wohngebiete der unteren Mittelschicht, die unter dem wirtschaftlichen Aufschwung nach der Diktatur litten oder wenigstens nicht viel davon profitierten.
Natürlich können die Liberalen nicht allein für die Rückkehr der Marcos an die Spitze der politischen Macht verantwortlich gemacht werden. Wie wir in einem früheren Beitrag dargelegt haben, haben auch viele Progressive auf den Philippinen zu diesem Ergebnis beigetragen, indem sie sich der elitendominierten Koalition anschlossen oder jede sozialistische Rhetorik aus dem Wahlkampf verbannten und dieses Ziel auf einen unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft verschoben.
Damit nahmen sie den Menschen einen alternativen Rahmen, um ihre Situation zu verstehen, und einen emanzipatorischen Horizont, der ihnen Orientierung bieten könnte. Dies bedeutet, dass diese Menschen Akteuren wie Duterte und Marcos überlassen wurden, als sich bei ihnen immer mehr Wut anstaute und sie nach Alternativen suchten. Die Versäumnisse der philippinischen Linken sind jedoch keineswegs mit dem Missmanagement der liberalen Regierungen gleichzusetzen.
Die Unzulänglichkeiten der Linken resultierten im Gegensatz zu den Liberalen aus einer Position der Schwäche und nicht der Stärke. Die politischen Ressourcen der Linken wurden geschwächt und mit der Dezimierung ihrer Anhängerschaft verstärkten sich ihre sektiererischen Tendenzen. Die Repressionen durch die Liberalen an der Macht nahmen ebenfalls zu. Angesichts dieser rasanten Entwicklungen stieß die Linke auch bei der Erneuerung ihrer politischen Analyse auf Hürden.
Auch der liberale Reformismus sah sich in der Zeit nach der Diktatur mit starken Einschränkungen konfrontiert. Da die Produkte anderer sogenannter Schwellenländer den Weltmarkt überschwemmten, war der Wettbewerb inmitten eines langen wirtschaftlichen Abschwungs intensiver denn je geworden. Selbst in den wohlhabenderen Ländern dieser Zeit weigerten sich die Kapitalisten, zu investieren, wenn der Staat ihren Forderungen nicht nachgab. In diesem Kontext hatten die Liberalen wenig Grund, Zugeständnisse zu machen, da die Linke keine große Bedrohung darstellte.
»Viele Menschen sind nur aufgrund ihrer Verzweiflung und des weit verbreiteten Elends empfänglich für Desinformation geworden.«
Dennoch hatten die Reformer eine Wahl. Die Regierungen nach der Diktatur, insbesondere die von Corazon Aquino und Fidel Ramos, hätten die Unterstützung der Massen kultivieren, eine progressive Beamtenschaft ernennen und sich mit anderen Regierungen des Globalen Südens zusammenschließen können, um es mit der Macht des Kapitals aufzunehmen. Die Erfahrungen der Länder, die sich für einen Weg entschieden haben, der stärker auf Umverteilung setzt, zeigen, dass dieser Weg nicht zwangsläufig zum Scheitern verurteilt war.
Stattdessen wählten Aquino, Ramos und ihre Technokraten den anderen Weg. Aus diesem Grund sind sie in erster Linie dafür verantwortlich, die Kette von Ereignissen losgetreten und die politischen Emotionen genährt zu haben, die zum Erdrutschsieg von Marcos Jr. führten. Bongbong trägt natürlich auch Schuld an der Lage (er hat schließlich mit gestohlenem Geld einen Wahlkampf voller falscher Versprechen geführt), aber viele Menschen sind nur aufgrund ihrer Verzweiflung und des weit verbreiteten Elends empfänglich für »Desinformation« geworden. Eine massive Begünstigung der Rechten bei der Wahl und das schlechte Messaging der Opposition wurden nur deshalb entscheidend, weil die Unterdrückten an den Rand des Abgrunds getrieben wurden.
Die Liberalen von jeglicher Verantwortung freizusprechen, hieße anzunehmen, dass die Eliten den Massen unbegrenzt Schaden zufügen können, ohne dass sie eine Gegenreaktion erwarten müssen. Aber wie wir nun so deutlich sehen, wehren sich die enttäuschten Massen, wenn auch manchmal auf eine Art und Weise, die unsere Erwartungen oder Hoffnungen nicht erfüllt. Manchmal geschieht das, indem sie Paläste stürmen oder versuchen, einen Arbeiterstaat zu errichten. Unter anderen historischen Bedingungen, etwa wenn viele Linke mit den Eliten kollaborieren oder die politische Bühne verlassen, reagieren sie, indem sie für unflätige Demagogen oder erbarmungslose Kleptokraten stimmen, die versprechen, die von ihnen verachteten Liberalen von der Macht fernzuhalten.
Eine genaue Analyse dieser Zustände ist wichtig, denn trotz des Wahlergebnisses sind einige Linke immer noch der Meinung, dass die einzige Möglichkeit, Marcos Jr. die Stirn zu bieten und den Autoritarismus in den kommenden Jahren zu besiegen, darin besteht, Robredo weiterhin als »Oppositionsführerin« aufzubauen und auch in Zukunft für die Liberalen als möglichen Ersatz für Politiker wie Marcos und Duterte zu werben. Die Linke muss sich sicherlich mit all jenen zusammenschließen, die gegen das Projekt von Marcos Jr. sind, einschließlich der Liberalen, aber das bedeutet nicht, ihnen bei der Rückkehr an die Macht zu helfen.
Die Millionen von Menschen, die für Marcos Jr. und nicht für Robredo gestimmt haben, hatten verwerfliche, wenn auch teilweise rationale Gründe für ihr Handeln. Das liberale Streben nach »guter Regierungsführung« hat sie nicht aus den Klauen des Neoliberalismus befreien können und wird es auch weiterhin nicht tun. Warum sollten sie Gegenteiliges glauben, und warum sollte die Linke weiterhin versuchen, sie von dieser falschen Behauptung zu überzeugen?
Der Sieg von Bongbong erinnert uns an etwas, das Antonio Gramsci schon vor langer Zeit betont hat: Die Unterdrückten sind weder passive Marionetten noch allmächtige Subjekte, die wir romantisieren sollten. Sie sind in der Lage, Einsicht in ihre Unterdrückung zu gewinnen und praktische Lösungen für ihre Probleme zu finden. Doch diese Einsicht kann auch partiell und widersprüchlich bleiben, von der herrschenden Klasse gehemmt und eher für barbarische als für emanzipatorische Projekte genutzt werden. Die Aufgabe der Linken in den kommenden Jahren wird es sein, dazu beizutragen, diese partielle Einsicht herauszuarbeiten, damit die Unterdrückten die Ursachen ihres Leidens angehen können, anstatt sich nur gegen die Liberalen zu wenden und ihre Gegner innerhalb der Elite zu unterstützen.
»Da die Herrschaft von Marcos Jr. ihr wahres Gesicht zeigt und immer mehr Menschen erkennen, dass der von ihm versprochene Pfad zum Wohlstand in Wirklichkeit nur ein weiterer Weg ins Verderben ist, muss die Linke im Leben der Menschen präsent sein.«
Dazu lohnt es sich, an die begrenzten, aber bahnbrechenden Errungenschaften der ersten offen sozialistischen Präsidentschaftskandidatur von Leody de Guzman und Walden Bello anzuknüpfen. Da die Herrschaft von Marcos Jr. ihr wahres Gesicht zeigt und immer mehr Menschen erkennen, dass der von ihm versprochene Pfad zum Wohlstand in Wirklichkeit nur ein weiterer Weg ins Verderben ist, muss die Linke im Leben der Menschen präsent sein – außerhalb von liberalen und konservativen Bündnissen – und der Öffentlichkeit eine alternative Perspektive bieten, um ihre Notlage zu erklären, sowie ein emanzipatorisches Ziel aufzeigen, das sie anstreben kann.
Die zentrale Frage, mit der sich die Linke konfrontiert sieht, ist, welche Ergebnisse sie bei den Wahlen erreichen will und, in den Worten von Ruth Wilson Gilmore, »welche Arbeit das Ergebnis leisten soll«. Wenn wir die Menschen davon überzeugen wollen, dass nur mit der Linken eine andere Welt möglich ist, müssen wir eine sozialistische Alternative im Hier und Jetzt vorschlagen, anstatt diese Alternative in die Zukunft zu verschieben und die politische Bühne zu verlassen, um kurzfristig etwas zu gewinnen.
Dazu müssen die Schwachpunkte angegangen werden, die in der Kampagne von De Guzman und Bello so schmerzhaft deutlich wurden. Aber auch der Fehler der etablierten Linken, Robredo zu unterstützen, muss aufgearbeitet werden. Der Aufbau einer unabhängigen Organisation und einer starken sozialen Machtbasis für eine Präsidentschaftskampagne ist von wesentlicher Bedeutung. Dazu ist es jedoch zwingend erforderlich, Opportunismus und selbstzerstörerische Bündnisse mit den politischen Eliten aufzugeben.
Andernfalls wird die Welle der Wut und des Unmuts, die in den kommenden Jahren wahrscheinlich wieder aufflammen wird, wieder darauf ausgerichtet sein, die in Ungnade gefallene liberale Ordnung, die nach 1986 herrschte, wiederherzustellen. Im nächsten Abschnitt des Zyklus werden wir dann erneut mit dem Gespenst eines an die Macht zurückkehrenden Despoten konfrontiert werden.
Maria Khristine Alvarez ist kritische Stadtgeografin und -ökologin und Doktorandin an der Bartlett Development Planning Unit, University College London.
Joshua Makalintal schreibt und forscht freiberuflich und ist Masterstudent der sozialen und politischen Theorie an der Fakultät für Soziale und Politische Wissenschaften der Universität Innsbruck.
Herbert Docena, ist promovierter Soziologe und Dozent für Soziologie an der University of the Philippines, Diliman.