05. Januar 2023
Juan Guaidó sollte dem US-gestützten Regimewechsel in Venezuela ein sympathisches Gesicht verleihen. Seine Absetzung als »Interimspräsident« ist ein weiteres Indiz dafür, dass dieses Unterfangen gescheitert ist.
Der ehemalige Präsident des venezolanischen Parlaments und Oppositionsführer Juan Guaidó bei einer Pressekonferenz, Caracas, 22. November 2021.
IMAGO / Agencia EFEJetzt ist es amtlich: Juan Guaidó ist nicht mehr Präsident von Venezuela. Er war es natürlich auch nie. Seit 2019, als Guaidó seine Position als Präsident des von der Opposition geführten venezolanischen Parlaments nutzte, um sich selbst zum Präsidenten einer »Interimsregierung« zu erklären, die nie wirklich regiert hat, machten sich Beobachter einen Spaß daraus, Memes von Guaidó zu teilen, in denen er verkündete, alles Mögliche zu sein – vom neuen britischen Monarchen bis zum Gewinner der dysfunktionalen Präsidentschaftsvorwahlen in Iowa 2020. Doch seit dieser Woche darf Guaidó nicht einmal mehr den Titel eines fiktiven Präsidenten führen.
Die venezolanische Nationalversammlung stimmte am Montag mit 72 zu 29 Stimmen dafür, Guaidó seine nicht existierende Präsidentschaft zu entziehen und seine Interimsregierung nach fast vier Jahren aufzulösen. Damit ist die Opposition zu dem Schluss gekommen, dass ihre Strategie gescheitert ist. Guaidós »Regierung« sollte nach dem Sturz des amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro durch einen von den USA unterstützten Putsch eingreifen und Neuwahlen organisieren. Doch dazu kam es nicht. Da es der Opposition nicht gelang, das Militär auf ihre Seite zu ziehen, und die Bemühungen um einen Regimewechsel von einer Inkompetenz geprägt waren, die man sonst nur von einer absurden Hollywood-Komödie gewohnt ist, trat Guaidó auf der Stelle. Es gelang ihm kaum, Proteste zu organisieren, die ähnlich groß waren wie jene von 2019, und hin und wieder erinnerte er die Welt daran, dass er immer noch existierte – wie etwa, als er den rechtsextremen Amtsinhaber Jair Bolsonaro bei den Wahlen in Brasilien voriges Jahr unterstützte.
Guaidó – der den Anschein macht, als sei er in derselben politischen Petrischale wie Barack Obama oder Emmanuel Macron gezüchtet worden – sollte den Bemühungen des damaligen US-Außenministers Mike Pompeo und dessen Sonderbeauftragtem für die »Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela« Elliott Abrams, Maduro zu stürzen und durch eine wirtschaftsfreundliche Regierung zu ersetzen, ein freundliches, liberales Gesicht geben. Doch wie seine Unterstützung für Bolsonaro andeutete, war Guaidó alles andere als ein Heilsbringer der Demokratie und Antikorruption, auch wenn ihn ein Großteil der Presse gerne so darstellte.
In Wirklichkeit scheint Guaidó mehr oder weniger eine Marionette des inhaftierten Oppositionsführers Leopoldo López gewesen zu sein. Dieser »arrogante, rachsüchtige und machtgierige« Wirtschaftsboss, wie ihn das US-Außenministerium einmal nannte, hatte beim gescheiterten Putsch gegen Hugo Chávez im Jahr 2002 eine führende Rolle gespielt. Laut der Associated Press telefonierten López und sein »treuer Gefolgsmann« Guaidó jeden Tag ein halbes Dutzend Mal miteinander und stimmten jeden seiner Schritte und Reden genau ab.
Hinzu kommt, dass Guaidós »Interimsregierung« – der die Trump-Regierung die Kontrolle über einige beschlagnahmte venezolanische Vermögenswerte im Besitz der USA übertragen hatte – von einem Korruptionsskandal überschattet wurde, und dass der »Präsident« selbst für schlechte Schlagzeilen sorgte, nachdem er dabei fotografiert wurde, wie er einige Mitglieder eines in den Drogenhandel verwickelten kolumbianischen Paramilitärs umarmte. Das Auslaufen der fünfjährigen Amtszeit der Oppositionsabgeordneten im Januar 2021 und ihr Boykott der Parlamentswahl untergruben die Legitimitätsansprüche seiner Regierung, was im Grunde das einzige gewesen war, was für sie gesprochen hatte. Als er 2022 ein neues Jahr als »amtierender Präsident« begann, hatte Guaidó ungefähr so viel Anspruch auf die venezolanische Präsidentschaft wie ich.
Letztendlich konnte sich Maduro dank der Unterstützung seines Militärs, der Türkei, Chinas und Russlands an der Macht halten. Doch was Guaidós Schicksal letztlich besiegelte, war der Krieg in der Ukraine. Die daraus resultierenden Energieschocks veranlassten die Regierung Joe Bidens und die EU dazu, ihre Opposition gegen Maduro zähneknirschend aufzugeben und sich mit seiner Regierung und ihren beträchtlichen Ölreserven auseinanderzusetzen. Der symbolische Dolchstoß ins Herz von Guaidós Legitimität könnte auf dem COP27-Gipfel im vergangenen November in Ägypten erfolgt sein, wo Maduro mehrere freundliche Gespräche mit dem US-Klimabeauftragten John Kerry und europäischen Staatsoberhäuptern wie dem französischen Präsidenten Macron geführt hatte, der ihn demonstrativ »Präsident« nannte.
Venezuela steht noch immer vor großen Herausforderungen: die massive Korruption und Repression, die Maduros Amtszeit geprägt haben, die Frage, was mit den beschlagnahmten Vermögenswerten geschieht, die der inzwischen aufgelösten Oppositions-»Regierung« zugestanden wurden, und die allgemeine politische Krise, die Guaidó überhaupt erst ins Rampenlicht verholfen hat. Aber ein von den USA unterstützter Versuch, die venezolanische Regierung zu stürzen und durch eine gefügige rechte Marionette zu ersetzen, war gelinde gesagt ein völlig unangebrachter und destruktiver Weg, um das Leiden der Bevölkerung – das zu einem großen Teil auf brutale und unnötige Sanktionen zurückzuführen ist, die die US-Regierung jederzeit aufheben könnte – zu lindern.
Venezuela hat 99 Probleme, aber Juan Guaidó ist immerhin nicht mehr eines davon.
Branko Marcetic ist Redakteur bei JACOBIN und Autor des Buchs »Yesterday’s Man: The Case Against Joe Biden«. Er lebt in Chicago, Illinois.