22. November 2025
Obwohl die Mehrheit der Jugendlichen in Umfragen gegen die Wehrpflicht ist, haben offizielle Schülervertreter keine prinzipielle Kritik geübt. Damit geht die Aufgabe, den Unmut auszudrücken, auf Initiativen wie den Schulstreik am 5. Dezember über.

Demonstration gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht in München, 8. November 2025.
Monatelang wurde über eine neue Wehrpflicht gestritten, vergangene Woche stellte die Bundesregierung klar: Der Staat wird junge Männer bald erneut zum Dienst verpflichten. Hunderttausende Heranwachsende werden ab dem Sommer 2027 wieder gemustert – also darauf untersucht, ob sie körperlich und seelisch taugen, um fürs Vaterland zu kämpfen und zu sterben. Von Freiwilligkeit macht sich der Staat dabei garantiert nicht abhängig: Auch das wurde von den Regierenden verkündet. Es wird eine Bedarfswehrpflicht geben, was bedeutet, dass der Staat so viele junge Männer zum Dienst in der Armee verpflichtet, wie er selbst für nötig erachtet.
In Anbetracht der Tragweite dieser Entscheidung ist es verwunderlich, wie wenig Protest man von jungen Leuten vernimmt. Klar: In Umfragen ist eine Mehrheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen gegen eine Wehrpflicht. Aber hörbar wird dieses Unbehagen bislang kaum. Im Gegenteil: Diejenigen, die angeblich als Sprachrohr junger Leute fungieren sollen, äußern keinerlei Kritik an der Kriegstüchtigkeit.
Blicken wir auf die Bundesschülerkonferenz, die immerhin 7,5 Millionen Schülerinnen und Schüler repräsentiert. Es waren die Vertreter ebenjenes Gremiums, die in den vergangenen Wochen am häufigsten interviewt wurden. Und was brachten diese jungen Leute gegen die Kriegslogik der Regierung vor? Eigentlich gar nichts – außer, dass sie ein bisschen mehr Redezeit forderten.
Quentin Gärtner, bis vor wenigen Tagen Generalsekretär der Konferenz, erklärte Mitte Oktober im Phoenix-Interview: »Dass eine Verteidigungsfähigkeit prinzipiell hergestellt werden muss, das möchte ich persönlich gar nicht infrage stellen.« Einzig und allein die mangelnde Repräsentation junger Leute beim Entscheidungsprozess bemängelte er: »Wenn man so ‘nen Gesetzestext schreibt, kann man den doch eigentlich nur gut schreiben, wenn man auch die relevanten Stakeholder mit einbezieht. Man hat, bevor das im Kabinett beschlossen wurde, kein einziges Mal die Bundesschülerkonferenz angefragt. Das ist nicht in Ordnung, das kann ich nicht nachvollziehen.«
Dass Gärtner kein grundsätzliches Problem mit der Militarisierung junger Leute hat, wurde bald danach auch auf Instagram sichtbar: Nach der Verkündigung der Bedarfswehrpflicht gab es kein kritisches Wort von ihm, stattdessen aber ein lustiges Selfie mit Lena Pütz, die auf Instagram eine der lautesten Stimmen der Bundeswehr ist. Auf einem anderen Bild sieht man Gärtner stolz im Bundestag stehen und mit dem sympathischen Oberstleutnant Marcel Bohnert plaudern, der vor ein paar Jahren dadurch bekannt wurde, dass er ein 17-monatiges Disziplinarverfahren wegen des Likens rechtsextremer Inhalte am Hals hatte.
»Wenn man für den Staat nichts weiter ist als zu verheizendes Menschenmaterial, und wenn man praktisch eh nichts zu entscheiden hat – dann muss man vielleicht auch keine konstruktive Alternative im Angebot haben.«
Mit seiner Meinung, dass junge Leute mitreden sollten, ist Gärtner nicht alleine. Auch sein Vize Leander Heydenreich schlug in Interviews in diese Kerbe: »Es ist uns ganz, ganz, ganz, ganz wichtig, dass egal, was man am Ende wie entscheidet, man es mit den Jugendlichen zusammen machen muss. Denn nur so kann gelingen, dass wir uns ein Stück weit mitgenommen fühlen können.«
Dieser Wunsch wurde erfüllt: Mit Quentin Gärtner durfte in der vergangenen Woche zum ersten Mal ein Jugendlicher vor dem Verteidigungsausschuss vorsprechen. Geändert hat das natürlich überhaupt nichts – die Regierung sagt ganz offen, dass sie vom Wollen der jungen Männer ihre Kriegstüchtigkeit nicht abhängig macht. Das ist dann aber für Quentin Gärtner und Co. anscheinend überhaupt kein Problem, solange man einmal mit den Großen am Tisch sitzen durfte.
Das Kommando der Regierenden ist hochgradig zynisch: Junge Leute dürfen mitreden, solange sie nicht erwarten, dass sie etwas zu entscheiden haben. So ist das mit der Meinungsfreiheit: Hier darf jeder ganz viel meinen. Aber die Regierenden haben eben mehr als nur eine Meinung, sie haben die Gewaltmittel, um Hunderttausende junge Männer in Zukunft wieder kriegstüchtig zu machen. Die Schlussfolgerung, dass man sich dazu feindlich stellen sollte, trauen sich Gärtner und seine Vizegeneralsekretäre leider nicht zu.
Da ist es erfrischend zu sehen, dass sich parallel eine ganz andere Bewegung formiert, die nicht bloß in den Tagesthemen von anderen vertreten werden möchte, sondern sich selbst vertritt: Junge Leute aus ganz Deutschland rufen zum Schulstreik gegen die Wehrpflicht auf. Am 5. Dezember sollen Schülerinnen und Schüler gegen die Kriegstüchtigkeit demonstrieren.
Auch hier gibt es Schwächen: Etwa, dass ans Grundgesetz appelliert wird, das die deutschen Regierenden in der Vergangenheit ganz sicher nicht daran gehindert hat, junge Männer zum Wehrdienst zu zwingen. Auch mutet es ein wenig skurril an, Milliarden für Bildung und bessere Ausbildungsplätze zu fordern, wenn auf der anderen Seite überhaupt niemand ist, der gewillt wäre, auf solche Forderungen einzugehen. Zu hoffen wäre, dass diese Bewegung schnell lernt, dass sie die Kriegstüchtigkeit nicht mit Appellen an die Regierung verhindert, sondern indem junge Leute sich über die Gewalt des Staates aufklären und sich ihr konsequent widersetzen – auch wenn das mediale Dresche gibt.
Die Reaktionen darauf sind absehbar: Politiker und staatstragende Journalisten würden die Heranwachsenden als »unkonstruktiv« oder »naiv« abstempeln. Aber wenn man für den Staat nichts weiter ist als zu verheizendes Menschenmaterial, und wenn man praktisch eh nichts zu entscheiden hat – dann muss man vielleicht auch keine konstruktive Alternative im Angebot haben. Dann ist die kollektive Verweigerung von Partizipation die beste politische Option, die man hat.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei Jacobin. Sein neustes Buch Warum ich nicht für mein Land kämpfen würde ist kürzlich beim Rowohlt Verlag erschienen.