02. Oktober 2024
Austerität ist nicht einfach nur »schlechte Politik«. Sie ist ein hundert Jahre altes Projekt, um die Demokratie in dem Bereich zu untergraben, der unser Leben am stärksten beeinflusst.
»Bei der Austerität geht es nicht darum, weniger auszugeben, sondern darum, auf die ›richtige‹ Art auszugeben – zugunsten der Wirtschafts- und Finanzelite.«
Austerität ist allgegenwärtig: in Form von steigenden Zinsen, Privatisierungen, immer flexibleren Arbeitsverträgen, Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen, Senkung der Kapitalertragssteuern und Erhöhung der Konsumsteuern. Jede Wirtschaftsreform wird uns als Notwendigkeit präsentiert. »Wir« müssen den Gürtel enger schnallen, damit »unser« Staat nicht pleitegeht. Wir müssen realistisch sein und schwierige Entscheidungen treffen, wenn die wirtschaftliche Lage das erfordert. Ein Verständnis von Ökonomie als reine, objektive, logische Wissenschaft hält uns in ihrem Bann. Es gibt keine andere Option, als sich auf die Experten zu verlassen.
Aber was genau meinen die Experten, wenn sie diesen Begriff verwenden? Die meisten verstehen darunter eine Wirtschaftspolitik, bei der die öffentlichen Ausgaben gekürzt und die Steuern erhöht werden. Hier liegt die erste Falle: Die Brille der Ökonomen ist die des Aggregats, das heißt des »Ganzen«. Diese Experten sprechen über die US-amerikanische, französische oder brasilianische Wirtschaft als zusammenhängende nationale Einheiten. Bei näherer Betrachtung sind diese Konzepte jedoch grobe Abstraktionen, die die Klassenverhältnisse innerhalb und zwischen den Volkswirtschaften verbergen.
Betrachtet man die »aggregierten« Staatsausgaben in dem Land, in dem wir beide leben und arbeiten, den USA, so ist von Sparsamkeit keine Spur. Vielmehr gibt der Staat ausgiebig Geld aus – vor allem, um durch öffentliche Zuwendungen an private Unternehmen im militärisch-industriellen Komplex und anderen Wirtschaftssektoren die Gewinne von Aktionärinnen und Aktionären zu sichern.
Unter Joe Biden haben sich die USA verschuldet, um Vermögensverwaltern Anreize zu bieten, damit diese in den Übergang zu nachhaltigem Wirtschaften investieren, um den US-Finanzsektor anzukurbeln und um Israel in weniger als elf Monaten mindestens 16 Milliarden Dollar an Militärhilfe zukommen zu lassen. Damit haben sie wiederum die Geschäfte der mehr als fünfzig multinationalen Unternehmen abgesichert, die in das Massaker im Gazastreifen verwickelt sind, das nach manchen Schätzungen bereits bis zu 186.000 Menschen das Leben gekostet haben könnte, davon 70 Prozent Frauen und Kinder.
Die öffentlichen Ausgaben sinken also nicht. Aber das ist ohnehin nicht der Punkt. Denn bei der Austerität geht es nicht einfach darum, ob der Staat Geld ausgibt, sondern wo er es ausgibt – oder, noch genauer, für wen. Die Lüge im Herzen der Austerität soll sicherstellen, dass die Demokratie nicht in das Business as usual eingreift, ganz gleich, welche Partei an der Macht ist oder was die öffentliche Meinung sagt.
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Clara Mattei ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften und Direktorin des Center for Heterodox Economics an der University of Tulsa sowie Autorin des Buches Die Ordnung des Kapitals, das 2025 im Brumaire Verlag erscheint.
Aditya Singh ist Doktorand der Wirtschaftswissenschaften an der New School for Social Research.