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Das Online-Magazin von JACOBIN Deutschland

27. September 2025

Austerität, Militarismus und Genozid hängen zusammen

Kürzungen beim Sozialstaat, grenzenlose Rüstungsausgaben und private Profite mit der Zerstörung von Leben – bis hin zum Völkermord – sind keine isolierten Fakten, sondern haben System.

Mindestens 60.000 Palästinenser hat Israel laut offiziellen Angaben seit dem 7. Oktober 2023 getötet. Experten gehen von einer weit höheren Zahl aus.

Mindestens 60.000 Palästinenser hat Israel laut offiziellen Angaben seit dem 7. Oktober 2023 getötet. Experten gehen von einer weit höheren Zahl aus.

IMAGO / APAimages

Über 700 Tage dauert der Genozid in Gaza schon an. Und das Leiden geht weiter. Mit einer breiten parteiübergreifenden Mehrheit hat der US-Senat am 30. Juli erneut den Versuch abgelehnt, den Verkauf von Bomben und Gewehren im Wert von 675 Millionen Dollar an Israel zu stoppen. Eine lächerliche, symbolische Summe im Vergleich zu den jährlichen Ausgaben der Vereinigten Staaten für Waffenlieferungen an dieses Land, die die totale Komplizenschaft der US-Politik mit dem andauernden Massaker bezeugen.

Während die politischen Vertreter an der Seite der Henker stehen, sieht die westliche Gesellschaft tatenlos zu, wie sich der brutalste Völkermord des 21. Jahrhunderts vollzieht. Unterdessen eröffnen die US-amerikanischen Universitäten in einem kulturellen Klima wieder, das in seiner repressiven Intensität sogar den McCarthyismus übertreffen könnte. Viele von ihnen wirken heute wie militarisierte Ghettos mit elektronischen Kontrollpunkten und ständiger Überwachung der Lehrkräfte.

»Die Universität ist ein integraler Bestandteil des Staatsapparats und unverzichtbar für die Konsensbildung zugunsten einer grundlegend undemokratischen sozialen und wirtschaftlichen Ordnung.«

Rashid Khalidi, emeritierter Professor an der Columbia University und Inhaber des Edward-Said-Lehrstuhls, hat kürzlich seine Lehrtätigkeit aufgegeben. In einem offenen Brief an den Präsidenten der Universität beklagte er die Unmöglichkeit, die Geschichte des Nahen Ostens frei zu lehren. Er ging diesen Schritt, nachdem die Universität eine Vereinbarung mit der Trump-Regierung unterzeichnet und die IHRA-Definition von Antisemitismus übernommen hatte, die bewusst mehrdeutig ist und politische Kritik mit rassistischem Hass verwechselt.

»Die Kapitulation der Columbia«, schreibt Khalidi, »hat eine Universität in eine abgeschottete Zone verwandelt, in der Lehrenden und Studierenden von oben vorgeschrieben wird, was sie lehren und sagen dürfen, unter Androhung schwerer Strafen. All dies geschieht schändlicherweise, um eines der schwersten Verbrechen dieses Jahrhunderts zu vertuschen: den Genozid in Gaza, ein Verbrechen, an dem die Leitung der Columbia nun voll und ganz mitschuldig ist.«

Das ist kein Einzelfall. Die Columbia ist das symbolische Zentrum der Ivy League – Eliteuniversitäten, die sich heute als das erweisen, was sie schon immer waren: wie Unternehmen geführte Institutionen, in denen sich Studierende verschulden, um mit dem vorherrschenden Gedankengut indoktriniert zu werden. Trump zeigt diese Realität lediglich in ihrer rohesten Form.

Antonio Gramsci hatte dies bereits erkannt: Die Universität ist ein integraler Bestandteil des Staatsapparats und unverzichtbar für die Konsensbildung zugunsten einer grundlegend undemokratischen sozialen und wirtschaftlichen Ordnung. War da früher die Maske des Pluralismus, so ist das Gesicht heute offen autoritär.

»Ein weitverzweigtes Netzwerk verwandelt die Zerstörung des palästinensischen Lebens in Rekorddividenden für Giganten wie Alphabet, Amazon, Microsoft, Vanguard, BlackRock und die großen Öl- und Rohstoffkonzerne.«

Wir haben daher eine dringende Aufgabe: den Schleier der liberalen Ideologie zu zerreißen und die ökonomischen Wurzeln dieser auf den Kopf gestellten Welt, in der der Gebrauchswert des Lebens dem Geld untergeordnet ist, klar zu analysieren. Es gibt kein eindringlicheres Bild: Skelettkinder, Amputierte, Ermordete... und der Börsenkurs des Rüstungskonzerns Leonardo S.p.A., der seit Oktober 2023 um 274 Prozent gestiegen ist. Ein Wachstum, das auf dem Mehrwert der Arbeit von über 50.000 Menschen aufgebaut ist, die gezwungen sind, ihren Lebensunterhalt bei einem Unternehmen zu verdienen, das den Tod in Profit verwandelt.

Die gesamte Weltwirtschaft ist daran beteiligt. In ihrem außergewöhnlichen Bericht an die UN vom Juli 2025 prangert Francesca Albanese ein dichtes Netz von Mittelsmännern an, die an der Kriegsindustrie teilhaben: Anwaltskanzleien, Beratungsunternehmen, Waffenhändler, Agenten, Börsenmakler. Ein weitverzweigtes Netzwerk, das die Zerstörung des palästinensischen Lebens in Rekorddividenden für Giganten wie Alphabet, Amazon, Microsoft, Vanguard, BlackRock und die großen Öl- und Rohstoffkonzerne verwandelt.

Der Fall Palästina ist keine Ausnahme, sondern ein Schlüssel zum Verständnis. Er ist eine Metapher für unsere Wirtschaft, für ein System, das nur durch Austeritätspolitik und Militarismus überleben kann. Sozialausgaben sind eine Bedrohung für die Klassenordnung: Den Bürgern Sozialleistungen zu geben bedeutet, ihre Abhängigkeit vom Markt zu verringern – jenem unpersönlichen Joch, das uns zwingt, mit gesenktem Kopf zu leben – und Wege für den Aufbau wirtschaftlicher Alternativen zu öffnen.

Militärausgaben hingegen wecken keine Umverteilungsbestrebungen und politisieren die Wirtschaft nicht. Das macht sie für die kapitalistische Akkumulation funktional. Außerdem dienen sie auch dazu, ein chronisches Problem zu lösen: die Überproduktion. Die Unternehmen produzieren mehr Güter, als die Lohnabhängigen kaufen können. Aber die staatliche Nachfrage nach Waffen und sozialer Kontrolle garantiert neue Märkte, neue Investitionen, neues »Wachstum«.

»Austerität ist ein Kontrollmechanismus, der dazu dient, kollektive Bestrebungen zu unterdrücken und sozialen Gehorsam zu gewährleisten.«

Dies bestätigt Trumps jüngster Haushaltsplan: Die am 4. Juli 2025 verabschiedete »One Big Beautiful Bill« ist die perfekte Formel der Austerität. Fast 200 Milliarden Dollar werden bei der Lebensmittelhilfe gekürzt, wodurch 2 Millionen US-Bürger ohne Mahlzeiten bleiben, um Haftanstalten, Grenzkontrollen und Kriegstechnologie zu finanzieren. Über 1.000 Milliarden werden bei Medicaid gekürzt, wodurch 16 Millionen Menschen ihre Krankenversicherung verlieren werden. Im Gegenzug erhalten diejenigen, die mehr als eine halbe Million pro Jahr verdienen, Steuererleichterungen in Höhe von 168 Milliarden. Und anstatt die Staatsschulden zu reduzieren, wird das Gesetz sie in den nächsten zehn Jahren um über 3.000 Milliarden Dollar erhöhen.

Von wegen fiskalische Disziplin! Austerität ist ein Kontrollmechanismus, der dazu dient, kollektive Bestrebungen zu unterdrücken und sozialen Gehorsam zu gewährleisten. Armut, Arbeitslosigkeit und Ungleichheit sind keine »Nebenwirkungen«, sondern Instrumente, mit denen das System sich selbst erhält. Man bedenke nur, dass heute in den USA, dem reichsten Land der Welt, 44 Prozent der Vollzeitbeschäftigten nicht genug verdienen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung ohne wirtschaftliche Sicherheit lebt.

Die Ordnung des Kapitals könnte ohne das untrennbare Duo aus Militarismus und Austerität nicht bestehen. Trump tut uns mit seiner Brutalität einen Gefallen: Er zwingt uns, das zu sehen, was die liberale Rhetorik immer verborgen hat. Jetzt liegt es an uns, zu entscheiden, was wir mit diesem Wissen anfangen.

Dieser Artikel erschien zuerst in il Fatto Quotidiano.

Clara Mattei ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften und Direktorin des Center for Heterodox Economics (CHE) an der University of Tulsa. Ihr Buch Die Ordnung des Kapitals: Wie Ökonomen die Austerität erfanden und dem Faschismus den Weg bereiteten ist 2025 im Brumaire Verlag erschienen.