13. Dezember 2021
Kaum etwas ist schlimmer, als eine Bahn, die nicht kommt. Ein Kampagnenvorschlag.
Eine junge Frau steht am Strand, der Wind weht ihr die Haare ins Gesicht. In Nahaufnahme schaut sie in die Kamera, im Hintergrund sind Windräder zu sehen. Daneben der Schriftzug: »Willkommen im erneuerbaren Zeitalter.« Mit Werbung wie dieser versucht der Energieriese RWE, sich ein nachhaltiges Image zu geben. Während die sich abzeichnenden Bilder unserer Zukunft immer düsterer werden, setzen fossile Konzerne in ihren Werbekampagnen auf Helligkeit, Nahbarkeit und Transparenz – vor allem aber auf mehr Grün. So wimmelt es in der Selbstdarstellung der Energiekonzerne von Windrädern, VW wirbt mit einem Foto von Greta Thunberg und die Deutsche Bahn, die weiterhin mit Kohlestrom fährt, brüstet sich mit der Behauptung von 100 Prozent grüner Mobilität. In anderen Worten: Die maßgeblichen Verursacher der Klimakrise werben nun mit dem Versprechen, sie zu bewältigen.
Dass die Bilder einer klimaneutralen Zukunft heute vor allem von Unternehmen vorgegeben werden, ist ein Grund für die Schwäche der Linken. Für viele Menschen ist nicht greifbar, wie sich ein ökologischer Wandel unter sozialistischem Vorzeichen in ihrer Lebenswelt ausdrücken würde. Während die fossile Industrie und ihre Verbündeten jahrzehntelang erfolgreich gegen die notwendige Umstellung der Wirtschaft angekämpft haben, hat man es versäumt, ein dezidiert linkes Transformationsprojekt voranzubringen. Im Ergebnis fehlt ein Gegengewicht zu den Erzählungen von RWE und Co.
Für einen sozialistischen Aufbruch braucht es konkrete Vorhaben, die die Interessen der Arbeitenden ins Zentrum stellen. Gesellschaftliche Mehrheiten lassen sich nur organisieren, wenn sich Menschen lebhaft vorstellen können, wie sich Politik positiv auf ihren Alltag auswirken würde. Der Bereich Mobilität ist dafür wie gemacht: Erstens steht die Verkehrswende im Zentrum ökologischer Politik, und zweitens beschäftigt die Frage, wie und zu welchen Kosten man von A nach B kommt, vor allem arbeitende Menschen sowohl auf dem Land wie in den Städten.
Die Autogesellschaft ist in der Bundesrepublik seit den 1950er Jahren Konsens. Während die Infrastruktur für das Automobil immer weiter ausgebaut wurde, verlor die Bahn an Bedeutung. Heute verursacht der automobile Kraftverkehr fast ein Fünftel der deutschen Treibhausgasemissionen. Zugleich gehen in der Autoindustrie die Aufträge zurück – Werke schließen, Zehntausende Beschäftigte werden gefeuert. Gute Arbeitsbedingungen gibt es, wenn überhaupt, nur noch für die Kernbelegschaften. Die Umstellung auf E-Mobilität könnte laut Schätzungen der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität in den nächsten zehn Jahren bis zu 400.000 Arbeitsplätze kosten.
Es ist jedoch nicht die Mobilitätswende, die diese Arbeitsplätze gefährdet, sondern ihre Unterlassung. Der Ausbau öffentlicher, für alle leistbaren Mobilität wäre nicht nur ein Klimaschutz-, sondern auch ein Infrastruktur- und Arbeitsplatzprogramm. Dennoch versuchen fossile Konzerne und Lobbyverbände im Akkord mit den Parteien des politischen Zentrums (und teils sogar Gewerkschaften) auch heute noch, die Vorherrschaft der Autoindustrie mit aller Kraft zu verteidigen. Das gelingt ihnen auch deshalb, weil die Bahn heute in einem desaströsen Zustand ist.
Die Suche nach den Ursachen für diese Misere führt zu einem riesigen Privatisierungsprojekt: der Bahnreform. 1994 fusionierten die beiden deutschen Bahnsysteme zu einer Aktiengesellschaft. Es entstand die Deutsche Bahn AG. Der Bahnverkehr wurde dereguliert und war fortan auf Gewinnmaximierung ausgerichtet. In der Folge konzentrierte sich die Bahn darauf, Kosten zu senken und die Bilanzen aufzuhübschen, indem sie systematisch Arbeitsplätze und Infrastruktur abbaute. Mit dem Börsengang der DB AG war 2008 ein weiterer Privatisierungsschritt vorgesehen, der Sparmaßnahmen und Gewinnorientierung noch verstärkt hätte. Dieser wurde aber durch die Finanzkrise verhindert.
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Franziska Heinisch ist Kolumnistin bei JACOBIN.