20. September 2025
Vor etwa 30 Jahren hat die Bundesregierung die Deutsche Bahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt – und dadurch ruiniert. Um sie in eine funktionierende, pünktliche Eisenbahn zurückzuverwandeln, muss die Profitorientierung abgeschafft werden.
Bundeskanzler Helmut Kohl versucht sich als Lokführer, 1985.
Wer in den letzten Wochen und Monaten die Medienberichte über die Deutsche Bahn AG verfolgt hat, wurde im August positiv überrascht. Die Bahn kündigte die Inbetriebnahme des Berliner Abschnitts der Dresdener Bahn pünktlich zum Fahrplanwechsel im Dezember 2025 an. Die zukünftig im Viertelstundentakt verkehrenden Züge vom Berliner Hauptbahnhof verbinden die Innenstadt und den Berliner Süden signifikant schneller mit dem Flughafen Berlin. Dass die DB ihr Versprechen, die Strecke wieder in Betrieb zu nehmen, pünktlich einhielt, ist aber die Ausnahme. In den meisten anderen Bereichen gelang ihr das nicht.
Wir mussten stattdessen eine nicht enden wollende Serie von Negativbotschaften über uns ergehen lassen. Die schlimmsten Meldungen betrafen drei Eisenbahnunfälle mit Todesopfern, die sich im Februar, im März und im Juli ereigneten. Außerdem stellte die DB AG seit Anfang des Jahres immer wieder Unpünktlichkeitsrekorde im Fernverkehr auf. Weil von 2023 auf 2024 die Pünktlichkeit im Fernverkehr der DB AG von 64,0 Prozent auf 62,5 Prozent sank – Verspätungen von 5 Minuten und ausgefallene Züge bleiben dabei jedoch unberücksichtigt – kündigte der DB-Vorstand als Reaktion an, bis 2027 einen Pünktlichkeitskorridor von 75 bis 80 Prozent erreichen zu wollen. Dennoch sanken im laufenden Jahr 2025 die Werte weiter, auf zuletzt 59,6 Prozent für den Monat August. Bei solchen Zahlen würden die verantwortlichen Eisenbahnmanager in Japan wahrscheinlich rituelle Selbstmorde aufgrund des Ehrverlustes begehen.
Diese Unpünktlichkeit der Bahn in Deutschland ist allerdings kein Zufall. Im Gegenteil: Sie ist die Folge der Privatisierungspolitik Helmut Kohls. Mit der von ihm angestoßenen Umwandlung der Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft gingen drastische Rationalisierungsprogramme und massive Personalreduzierungen einher. Damit wurden jene strukturellen Probleme geschaffen, die Bahnfahrten heute regelmäßig zu einer Zumutung machen.
Zur historischen Einordnung: 1993 fuhren 85 Prozent der Fernverkehrszüge der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn pünktlich. 1995, nach Gründung der Deutschen Bahn AG waren es nur noch 77 Prozent. Erst 1998 konnte mit 86,7 Prozent wieder das Vor-Aktiengesellschafts-Niveau erreicht werden. Mit Ausnahme des Coronajahres 2020 (81,8) lagen die Pünktlichkeitswerte der ICEs seit 2012 nur noch zwischen 70 und 80 Prozent und fielen im Jahr 2022 sogar auf 65,6 Prozent.
Aber ihre chronische Unpünktlichkeit ist nicht das einzige Problem der DB. Allein zwischen dem 4. Mai und dem 13. September 2025 blieben sieben ICE-Züge mit insgesamt 5.000 Passagieren unplanmäßig liegen und mussten evakuiert werden. Am 26. Juli traf es dabei einen deutschen ICE, der grenzüberschreitend in Österreich verkehrte und so auch den Fahrplan der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) durcheinander brachte. Solche Ausfälle deuten auf Probleme bei der turnusmäßigen Reparatur bzw. der regelmäßigen Wartung von Schienen und Zügen hin. Die Deutsche Bahn besitzt heute nur noch zwölf Werke zur sogenannten »schweren Instandhaltung«, im Vergleich zu mehr als dreißig Ausbesserungswerken, die Bundesbahn und DDR-Reichsbahn vor 1989 zusammengenommen betrieben.
»Helmut Kohl würde die heutige Praxis der Personalvergraulung sehr gefallen.«
Helmut Kohl hatte den Weg dahin bereits im Kabinettsbeschluss vom 23. November 1983 in den Leitlinien zur Konsolidierung der Deutschen Bundesbahn vorgegeben. Er wies dem Bahn-Vorstand harte Vorgaben zu, unter anderem bezüglich der Rationalisierung. Demnach sollten bis 1990 die Arbeitsproduktivität um 40 Prozent gesteigert und gleichzeitig die Personalkosten um 30 Prozent gesenkt werden. In der Folge wurden die Werke reduziert und technisches Personal entlassen. Das musste früher oder später zu Problemen in der Instandhaltung führen, was wiederum die Pünktlichkeit negativ beeinflusste.
Andere Missstände der Bahn werden öffentlich im Grunde gar nicht thematisiert. Meldungen über Zugausfälle wegen Personalmangels etwa schafften es im letzten Jahr maximal in Regionalmedien – oder sie wurden lapidar auf dem Bahnsteig angesagt. Die Ursachen dafür sind oft erkranktes Zug- oder Stellwerkspersonal. Auf die steigenden Arbeitsbelastungen dieser Berufsgruppen wurde in den letzten Jahrzehnten aber nicht mit vermehrter Ausbildung von Nachwuchskräften reagiert, sondern im Gegenteil mit weiteren Arbeitsverdichtungen, unter anderem durch interne Umstrukturierungen.
Kürzlich hat die DB Cargo AG verkündet, sie wolle 5.000 Stellen abbauen, weil sie keine weiteren Defizite erwirtschaften darf. Die EU-Kommission bewertete den bisherigen Gewinnabführungs- und Verlustübernahmevertrag zwischen der DB AG und ihrer 100-prozentigen Tochter DB Cargo AG als eine unzulässige staatliche Beihilfe. DB Cargo reagierte darauf mit internem Kahlschlag-Plänen. Ungeachtet dessen, dass ein weiterer Personalabbau eine kontraproduktive Maßnahme darstellt, um weitere Umsätze und Marktanteile im Schienengüterverkehr zu gewinnen, kann sich die Bahn den Verlust dieses bewährten Fachpersonals wirklich nicht leisten, es wird dringend gebraucht. Der DB Vorstand sollte daher über Anreize für die Beschäftigten nachdenken, damit diese im Konzern bleiben und nicht zu konkurrierenden Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) wechseln.
Helmut Kohl würde die heutige Praxis der Personalvergraulung sehr gefallen. In seiner Amtszeit als Bundeskanzler sank die Zahl der Beschäftigten bei der Bahn massiv. 1985 arbeiteten noch mehr als 320.000, Ende 1989 nur noch knapp 255.000 Menschen für die Bundesbahn. Als nach dem 3. Oktober 1990 auch die DDR-Reichsbahn in Kohls Fänge geriet, kamen weitere 253.000 hinzu. Die Deutsche Bahn AG startete 1994 aber lediglich mit 388.000 Beschäftigten. Auch diese Zahl wurde in den letzten 30 Jahren stark reduziert. Heute arbeiten noch 225.560 Personen für die Bahn. Die Personalkostenreduzierung, die Kohls 1983 anvisiert hatte, wurde so mehr als erfüllt.
Beinahe unbeachtet blieb kürzlich eine Meldung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die vor der Gefahr stark steigender Ticketpreise warnte. Grund seien die Planungen der Infrastruktursparte der Deutschen Bahn, DB InfraGO, die Trassenpreise massiv zu erhöhen. Trassenpreise sind eine Art Schienenmaut für die Benutzung des Schienennetzes. DB InfraGo war erst zum 1. Januar 2024 als Aktiengesellschaft unter dem Dach der Deutschen Bahn gegründet worden. Damit die neue Gesellschaft die dringend notwendigen Baumaßnahmen im maroden Schienennetz finanziell stemmen kann, stattete die Regierung sie mit einer höheren Eigenkapitaldecke aus, die die Gesellschaft jedoch verzinsen muss – eine Geburt mit Megaschulden. Diese Kosten wird DB InfraGo weitergeben (müssen!), an die privaten Eisenbahnunternehmen ebenso wie an die »Geschwister« innerhalb Holding DB AG. Ergo steigen bald wieder die Ticketpreise im Schienenpersonenverkehr und kein Industriebetrieb wird den Transport seiner Güter von der Straße auf die Schiene verlagern – eher umgekehrt.
So entpuppt sich die als GO abgekürzte »Gemeinwohlorientierung« im Namen der DB InfraGo als Nebelkerze. Sie muss als Aktiengesellschaft in Jahresabschlüssen denken, denn der Ausbau des Schienennetzes in Deutschland folgt einem jährlich im Bundeshalt beschlossenen Budget. Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) e.V. hat schon vor Jahren eine überjährige Finanzierung durch Schieneninfrastrukturfonds vorgeschlagen, die sich an der in der Schweiz erfolgreichen Praxis orientiert. Dann wäre DB InfraGO nicht zum Scheitern verurteilt und würde ihrem Namen hoffentlich gerecht.
»Die Zukunftsstrategie für die Bahn sollte in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs entwickelt werden.«
Aktuell will DB InfraGO in den nächsten Jahren mehr als 4.000 Kilometer Strecke auf 42 sogenannten Korridoren generalsanieren und so ein »Hochleistungsnetz« schaffen. »Größere Bauarbeiten sind über mehrere Jahre hinweg nicht mehr erforderlich«, verkündet DB InfraGO im Internet. Doch gerade Vorhaben wie die Generalsanierung der Strecke von Berlin nach Hamburg lassen Zweifel an einer solchen Aussage aufkommen. Schließlich erfolgten auf dieser 278 Kilometer langen Strecke bereits Ausbauten und Sanierungen von 1995 bis 1998, dann von 2002 bis 2004; im Jahr 2009 wurden 260.000 Schwellen ersetzt und im Jahr 2021 Schienen auf 191 Kilometern. Mit der jetzt begonnenen Generalsanierung sollteneigentlich zwölf Überleitstellen in die Strecke eingebaut werden, damit langsame Züge die schnelleren nicht aufhalten, doch die Hälfte fiel dem Rotstift zum Opfer, ebenso wie das digitale Zugsicherungssystem ETCS. Weil die Strecke aber zum Kernnetz im Transeuropäischen Verkehrsnetz gehört, muss spätestens 2030 das europaweit verwendete Signalisierungssystem nachgerüstet werden. Das Bauchaos wird erneut beginnen.
Um allem die Krone aufzusetzen, entließ der neue CDU-Bundesverkehrsminister, Patrick Schnieder, am 14. August 2025 vorzeitig den DB-Vorstandsvorsitzenden Richard Lutz. Kurioserweise konnte Schnieder zum Zeitpunkt seiner Aktion weder eine Nachfolgeperson noch eine ausgearbeitete Strategie für die Zukunft der Deutschen Bahn präsentieren. Beides will er erst am 22. September 2025 vorstellen.
Dabei sollte die Zukunftsstrategie für die Bahn in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs entwickelt werden, alleine schon aufgrund der immensen Auswirkungen, die das Scheitern einer solchen auf die Umwelt, die Mobilität der bisherigen und zukünftigen Bahnkunden, die Wirtschaft, unsere europäischen Nachbarländer und nicht zuletzt auf über zweihunderttausend Beschäftige hat. Darüber hinaus ist es zweifelhaft, dass eine neue Person an der Spitze des Bahnvorstandes die Situation der Bahn signifikant verbessern kann, wenn sie unter denselben strukturellen Rahmenbedingungen arbeiten muss, wie Lutz zuvor.
Kürzlich forderte der Ökonom Maurice Höfgen, die Deutsche Bahn AG sollte wieder wieder eine Behörde werden. Auch wenn eine Behördenbahn nicht alle Probleme lösen würde, lohnt es sich genauer anzusehen, wie die Umwandlung der DB von der Behördenbahn zur Aktiengesellschaft unter Helmut Kohl eigentlich ablief.
Bereits im Januar (!) 1989 berief Helmut Kohls damaliger Bundesverkehrsminister Wolfgang Zimmermann (CSU) Mitglieder einer Regierungskommission zusammen, die Vorschläge zur Restrukturierung der Deutschen Bundesbahn erarbeiten sollten. Zu diesem Zeitpunkt dachte wirklich noch niemand an eine »Wiedervereinigung« und die Fusion von Bundesbahn und DDR-Reichsbahn. Es ging vorrangig um die Vorbereitung der Bahn-Privatisierung, entsprechend der neoliberalen Linie, die die CDU 1984 auf ihrem Parteitag in Stuttgart beschlossen hatte: »In Bund, Ländern und Gemeinden wird die CDU staatliche Unternehmensanteile und Dienstleistungen so weit wie möglich privatisieren.« Und das tat sie auch. Bis 1990 verscherbelte Kohl als Bundeskanzler beispielsweise die Bundesanteile am Stromkonzern VEBA (heute E.ON), Volkswagen oder Lufthansa. Der daraus erzielte Privatisierungserlös brachte lächerliche 9,4 Milliarden DM in den Bundeshaushalt, machte aber einige CDU-Großspender reicher. Das waren Kohls Fingerübungen für die späteren Privatisierungen der Bundesbahn, der Bundespost und des Volkseigentums in der DDR.
»Die Umwandlung der DB AG in eine funktionierende, pünktliche und bezahlbare Eisenbahn kann nicht funktionieren, solange sie unbedingt schwarze Zahlen schreiben soll.«
Vorsitzender der Regierungskommission Bundesbahn wurde folgerichtig ein eisenbahnfremder Manager, der jedoch Erfahrung mit der Privatisierung von Bundeseigentum besaß. Günther Saßmannshausen hatte im Vorstand der Preussag AG gesessen, als deren Privatisierung endgültig abgeschlossen wurde, und später in den Aufsichtsräten von Shell und VW. Die 1991 unterbreiteten Vorschläge der Regierungskommission Bundesbahn entsprachen im Wesentlichen den Vorstellungen des Wirtschaftsverbands Verkehrsforum Bahn e.V., die Bahn als Behörde der öffentlichen Daseinsvorsorge zu zerschlagen. Ein Börsengang gelang aufgrund öffentlicher Proteste nicht; weder für das Gesamtgebilde DB AG noch für einzelne Teile, z.B. die S-Bahn Berlin. 1998 gelang Helmut Kohl dann doch noch den Verkauf eines wichtigen Assets: 114.000 Eisenbahnerwohnungen. 30.000 davon kaufte die Immobilienfirma WCM, deren Hauptaktionär der Hamburger Kaufmann Karl Ehlerding war. In den Jahren 1998 und 1999 spendete Ehlerding insgesamt 5,9 Millionen DM an die CDU. Ein Schelm, der einen Zusammenhang vermutet. Auch der am 30. April 2025 vollzogene Verkauf der profitablen DB Logistiksparte Schenker an den dänischen Logistiker DSV zeigt, dass es der Privatwirtschaft immer wieder gelingt, sich Salamischeiben aus der Bahn zu schneiden.
Die Umwandlung der DB AG in eine funktionierende, pünktliche und bezahlbare Eisenbahn kann nicht funktionieren, solange sie unbedingt schwarze Zahlen schreiben soll. Es sind viele kleine Stellschrauben, die für Entlastung sorgen könnten, so etwa die überjährige Investitionsfinanzierung, eine Trassenpreisreform, die Reduzierung der Stromsteuer auf das Durchschnittsniveau der anderen EU-Staaten, mehr Firmen-Gleisanschlüsse, mehr Überleitstellen – um nur einen Bruchteil von Maßnahmen zu nennen. Aber all das entfaltet keinen dauerhaften Effekt, wenn keine andere Struktur eingeführt wird, eine einheitliche, eine nicht gewinnorientierte, eine, die die Beschäftigten nicht mehr drangsaliert.
Abschließender Funfact: Das Gehalt des oder der neuen DB-Vorstandsvorsitzenden wird sich wohl an dem des alten orientieren und aus einem Festanteil und einem Erfolgsanteil bestehen. Allein der jährliche Festanteil betrug bisher 1,4 Millionen Euro, oder 116.666,67 Euro monatlich. Das entspricht, grob überschlagen, dem 30-fachen Facharbeitergehalt bei der DB AG. Wäre die Deutsche Bahn heute noch eine Behördenbahn, würde der Erste Präsident der Deutschen Bahn analog dem Präsidenten des Bundesrechnungshofes mit Besoldungsgruppe B 11 und einem monatlichen Grundgehalt von 16.084,36 Euro »abgespeist« und im Bundeshaushalt könnten so allein über 100.000 Euro eingespart werden. Auch diese enorme Ungleichheit zwischen Manager- und Angestelltengehältern bei der Bahn haben wir also Helmut Kohl zu verdanken.
Günter Regneri verdient derzeit seinen Lebensunterhalt als Lokführer einer Werkbahn. Für diese fährt er Güterzüge durch die Lausitz. Der studierte Historiker hat ein neunzig Jahre altes Manuskript von Max Beer redigiert und im Brumaire Verlag als Handlexikon sozialistischer Persönlichkeiten 1932 herausgegeben. Er ist Mitglied einer DGB-Gewerkschaft.