08. Oktober 2018
Die Baslerinnen haben im Juni überraschend das Recht auf Wohnen in die Verfassung gestimmt – und das ist nur eine von mehreren Verbesserungen für Mieterinnen. Ein Teilerfolg, dem viele Kämpfe vorausgingen.
Ein breites Bündnis protestiert gegen steigende Mietpreise in Basel.
Einen derart eindeutigen Sieg hatte in Basel wohl niemand erwartet. Auch jene nicht, die während des Abstimmungskampfes die teils gebeutelte Stimmung unter den Initiatorinnen mit der Behauptung auflockern wollten, dass sich in Schweizer Städten mit wohnpolitischen Anliegen durchaus Mehrheiten schaffen ließen. Am 10. Juni kehrte sich diese Stimmung in große Freude.
Die baselstädtische Bevölkerung sagte zu allen vier der sogenannten Miet- und Wohnschutzinitiativen Ja. Zu drei davon mit einer großen Mehrheit. Und dies der stark aufgestellten Gegnerschaft von Bürgerlichen, Arbeitgeber- und Hausbesitzerverbänden zum Trotz.
Diesem Sieg gingen viele Kämpfe voraus – um abrissbedrohte Häuser und für ein starkes Mietrecht, auf der Straße oder im Parlament. Um der Logik des Marktes in der Frage, wie das Wohnen gestaltet werden soll, kollektive und demokratische Aushandlungsprozesse entgegenzuhalten, müssen an diese Kämpfe aber noch viele weitere anschließen.
In der Schweiz können Stimmberechtigte, Parteien oder Interessenverbände auf Bundes,-Kantons, sowie Gemeindeebene direkt Initiativen lancieren und damit bestehende Gesetze ändern oder neue einführen. Drei der vier Initiativen wurden vom Basler Mieterinnen- und Mieterverband lanciert. Die Vierte kam vom Netzwerk Wohnungsnot, einem Zusammenschluss von verschiedenen sozialen Institutionen im Bereich Armutsbekämpfung und Selbsthilfe.
Mieterinnen haben in Zukunft mehr Rechte: Mit 72 Prozent der Stimmen gelang es dem Mieterinnen- und Mieterverband, per Gesetz eine Formularpflicht einzuführen, bei der Vermieterinnen bei Neuvermietungen Mieterhöhungen transparent machen müssen. Knapp kam das ebenfalls vom Verband eingebrachte Begehren für bezahlbare Mietgerichtsverfahren durch: Neu können der Mieterschaft nicht mehr als 500 Schweizer Franken an Gerichtsgebühren angelastet werden. Abgeschreckt durch enorm hohe Kosten war das finanzielle Risiko überhaupt mietrechtliche Schritte zu unternehmen, für viele Mieterinnen bis dahin zu groß.
Neben diesen zwei konkreten Korrekturen am Gesetz erstaunte zudem das klare Ja zu zwei Verfassungsinitiativen. Die mit über 60 Prozent Ja-Stimmen angenommene Initiative »Wohnen ohne Angst vor Vertreibung (Wohnschutzinitiative)« zielt auf eine Anpassung des kantonalen Wohnraumfördergesetzes (WRFG). Dieses 2014 verabschiedete Gesetz strebt in dem schnell wachsenden, aber durch seine Kantonsgrenzen stark eingeschränkten Basel eine Förderung von Wohnraum an, lockert dagegen aber den Abbruchschutz des oftmals noch kostengünstigen Altbaubestands. Mit Annahme der Initiative wird der Kanton in Zeiten der Wohnungsnot verpflichtet, die baselstädtische Wohnbevölkerung vor Verdrängung durch Kündigungen und Mietzinserhöhungen wirksamer zu schützen. Erstmals wird dem Problem der Verdrängung älterer, langjähriger oder ökonomisch schwächerer Mieterinnen auch auf gesetzlicher Ebene zu begegnen versucht.
Zusätzlich zwingt die Initiative die Verdrängung finanziell schwächer gestellter Bevölkerungsschichten in den öffentlichen Diskurs. Diese wurde lange nur am Rande thematisiert, fand als Problem auf Seiten der kantonalen Verwaltung kaum Anerkennung und wurde von Schlüsselpersonen wie dem leitenden Stadtentwickler Lukas Ott (Grüne) sogar negiert.
Schließlich wird durch die ebenfalls deutliche Annahme der Initiative »Recht auf Wohnen« das Recht auf eine bedarfsgerechte, bezahlbare Wohnung auf kantonaler Ebene in der Verfassung verankert.
Während der Basler Mieterinnen- und Mieterverband dafür bekannt ist, neben seinen juristischen Tätigkeiten immer wieder politisch starke Akzente zu setzen, tritt mit dem Netzwerk Wohnungsnot als Initiatorin ein bisher unbekannter Akteur auf die Bühne der parlamentarischen Kantonspolitik. Neben weiteren, im Bereich der Selbsthilfe tätigen Organisationen gehören dem Netzwerk auch von Massenkündigungen bedrohte Nachbarschaften und Genossenschaftlerinnen, sowie politisch aktive Einzelpersonen an. Vor allem versammeln sich darin aber verschiedene Institutionen aus dem sozialarbeiterischen Milieu wie der Gassenarbeit, der Schuldenberatung oder kirchlichen Organisationen.
»Wohnungslosigkeit, zu hohe Mieten, Überschuldung auf Grund von Wohnkosten oder unwürdige Wohnverhältnisse stellen für immer mehr Menschen ein Problem dar«
Die politische Positionierung von ansonsten in der Einzelfallhilfe tätigen Institutionen ist für Basel und die Schweiz ungewöhnlich. Sie ist Ausdruck davon, wie diese Institutionen in der Wohnvermittlung zunehmend an ihre Grenzen stoßen. Wohnungslosigkeit, zu hohe Mieten, Überschuldung auf Grund von Wohnkosten oder unwürdige Wohnverhältnisse stellen für immer mehr Menschen ein Problem dar und schaffen belastende Folgeprobleme. Die Wohnungsnot ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie die Initiatorinnen argumentieren.
Das »Recht auf Wohnen« bedeutet, dass der Kanton angehalten wird Maßnahmen zu ergreifen, damit alle in Basel-Stadt wohnhaften Personen die Möglichkeit haben, sich einen ihrem Bedarf entsprechenden, für sie bezahlbaren Wohnraum beschaffen können. Der Kanton Basel-Stadt soll damit stärker in die Pflicht genommen werden, der Wohnungsnot zu begegnen. Explizit geht es den Initiatorinnen um den Erhalt und die zusätzliche Förderung bezahlbaren Wohnens. Neben Sofortmaßnahmen für die in der Stadt lebhaften 400 Wohnungslosen fordert das Netzwerk deshalb auch längerfristige Maßnahmen wie die Förderung des kommunalen sowie des genossenschaftlichen Wohnungsbaus.
Die Gründe für die Entstehung der vier Initiativen sind bekannt: Auch wenn die Situation noch nicht so prekär ist wie in anderen deutschen oder europäischen Nachbarstädten, sind stetig steigende Immobilienpreise auch in Schweizer Ballungszentren ein zunehmendes Problem. Die parlamentarischen Vorstöße in Basel sind daher Ausdruck einer Verschärfung auf dem städtischen Wohnungsmarkt, auf dem mit einer Leerstandsquote von 0,7 Prozent besonders günstiger Wohnraum immer rarer wird.
Nach Zürich und Genf ist das wohlhabende Basel die drittgrößte Stadt der Schweiz. Mit der sozialdemokratischen Partei (SP) als stärkste Kraft und einer Mehrheit moderat linker Kräfte im Regierungsrat hat Basel eine gewisse rot-grüne Tradition. Gleichzeitig herrscht ein sehr heterogenes Mehrparteiensystem. Neben rechtskonservativen Kräften wie der Schweizer Volkspartei (SVP), haben eine Vielzahl liberale Positionen vertretende Parteien wie die LDP, CVP, oder FDP eine ebenfalls starke Tradition in der Handels- und Chemiestadt.
Seit den 1970er Jahren kämpft der Kanton zudem mit dem Problem der Abwanderung gutverdienender Schweizerinnen ins Umland. Das kann teilweise auf den Steuerwettbewerb unter den Kantonen zurückgeführt werden. Im Ringen um gute Steuerzahlerinnen setzt die Stadt seit den 2000er Jahren neben der Hochschulentwicklung auf ihre Vorreiterrolle im Bereich der Life-Science. Sie ist wichtigstes europäisches Zentrum für die Chemie- und Pharmaindustrie, neben Novartis und Hoffmann-La Roche sind auch die Firmen wie Syngenta und Lonza Group in der Stadt zu Hause. Ebenfalls hält die deutsche BASF hier wichtige Abteilungen. 94 Prozent des baselstädtischen Warenexports geht auf den Chemie- und Pharmabereich zurück, die Life-Sciences sind seit 2000 für drei Viertel des Wachstums verantwortlich.
Das hat auch Konsequenzen für die Wohnpolitik, da sich die Etablierung eines »Life-Science-Clusters« seit 2000er-Jahren auch in verschiedenen Planungs- und Gesetzesänderungen niederschlägt; zum Beispiel in dem im 2015 vom Regierungsrat veröffentlichten Papier Vision 2020 oder in der Verabschiedung des WRFG. Das Ziel des Gesetzes ist dabei, »modernen, qualitativen Wohnraum« zu schaffen.
In der Stadt am Rheinknie sind es aber im Besonderen die Altbaubestände, die im Vergleich mit anderen Schweizer Städten noch relativ günstige Mieten sichern. Umgekehrt zeigen Statistiken, dass in den seit den 2000ern gebauten Häusern, also im Neubau, die Mieten jene der um dieselben Zeit gebauten Wohnungen im teuren Zürich sogar übersteigen. Insgesamt geht das Gesetz also nur auf die reine Quantität von Wohnungen ein. Es vernachlässigt aber die Frage nach spezifisch bezahlbarem Wohnraum. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass der Grund, warum das Gesetz überhaupt verabschiedet und vom Regierungsrat aktiv beworben wurde, auch der ist, dass die Klassenfrage daraus getilgt wurde: Mehr bauen ist grundsätzlich gut, aber für wen gebaut wird und wer dafür in gewissen Fällen sein Dach über dem Kopf verliert, wird zu wenig Beachtung geschenkt. Laut dem Basler Mieterinnen- und Mieterverband nahmen seit des Inkrafttretens des Gesetzes dann auch Massenkündigungen von Bewohnerinnen alter Bestände auf Grund des vereinfachten Abrissverfahrens zu.
Die in der Mehrheit von migrantischen Bevölkerungsgruppen bewohnten Quartiere St. Johann, Rosental und Klybeck werden auf Grund der kostengünstigen Wohnflächen und ihrer vielschichtigen, urbanen Lebensqualität attraktiv für Investitionen. Der sogenannte Rent Gap ist hier besonders hoch, weil lange nicht investiert wurde, Häuser günstig gekauft und viel Rendite mit Sanierung oder Abriss gemacht werden kann. Der Zuzug gut ausgebildeter, steuerkräftiger Fachkräfte erhöht den Druck und beschleunigt die Transformation der ehemaligen Arbeiterquartiere, auf die auch die Aufwertungsmaßnahmen der Stadt zielen. Diejenigen Bevölkerungsschichten aber, die diese Quartiere Jahrzehnte lang (mit-)geprägt haben, können sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten.
Die Initiativen sind sodann Reaktion auf eine Verknappung des kostengünstigen Wohnraums. Immer größere Teile der Bevölkerung haben Mühe, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Die Initiativen müssen also auch als parlamentarische Ergänzung von Mieterinnenkämpfen gegen Verdrängung und Massenkündigungen verstanden werden.
Solche Proteste haben in den letzten Jahren zugenommen, da sich Mieterinnen ganzer Häuser zusammengeschlossen und mit ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit getreten sind. Beispielhaft dafür kann der Kampf der Bewohnerschaft des Steinengrabens, des Burgwegs oder der Mattenstraße gelten. Anstelle der alten Häuserzeile am Steinengraben plant die Eigentümerin Helvetia Versicherungen einen Bürokomplex, am Burgweg spekuliert die basellandschaftliche Pensionskasse mit ihrer Immobilie auf zusätzliche Rendite, die denkmalschutzwürdige Mattenstraße soll einem Neubau weichen. All diese Kämpfe leben von der Zusammenarbeit der involvierten Nachbarschaften. Sie gemeinsam stärkt zudem die Solidarität der betroffenen Häuser untereinander, die in ihren Kämpfen immer wieder aufeinander verweisen und sich bei sogenannten Häusertreffs regelmäßig austauschen und gemeinsam als Recht auf Stadt Basel Aktionen und Demos lancieren.
»Die Absurdität, als 94-Jährige aus deiner Wohnung geworfen zu werden und auf Grund der Preise in ein komplett fremdes Umfeld aufs Land ziehen zu müssen, wurde von vielen Akteuren während des Abstimmungskampfes wiederholt aufgenommen«
Diese Nachbarschaften bedienen sich oftmals sowohl mietrechtlichen, baurechtlichen, parlamentarischen wie auch aktivistischen Mitteln, um ihre Anliegen zu verteidigen. So hat die Bewohnerschaft der Mattenstraße eine Petition mit über 4000 Unterschriften für den Erhalt des historischen Ensembles bei der Stadt eingereicht, gleichzeitig aber mit 120 Einsprachen gegen das von den Eigentümern geplante Neubauprojekt rekurriert. Die jahrelang immer nur zwischenzeitlich verlängerten Mietverträge haben nicht nur den Zusammenhalt der Bewohnerschaft gestärkt. Die damit verbundene Planungsunsicherheit unter den Mieterinnen hat auch deren Verbindung zu linksalternativen Projekten erhöht.
Durch diese Verschränkungen wurde der für diese Nachbarschaften klassische Innenhof der Mattenstraße zusätzlich belebt, er ist heute eine zentrale soziale Infrastruktur des ganzen Rosental-Quartiers. Während die Zusammenarbeit mit verschiedenen sozialen Organisationen das Netzwerk der Unterstützenden verfeinert, bemühen sich die Bewohnerinnen auf der Ebene der Stadt zudem um eine gewisse Öffentlichkeit; zum Beispiel mit großen Festen oder einer äußerst medienwirksamen, als Marien-Prozession angelegte Petitionsübergabe. Da die abrissbedrohte Liegenschaft dem katholischen Verein Vinzenz St. Marien gehört, haben Künstlerinnen die ursprünglich aus Mexiko stammende Maria La Juarica, Schutzheilige gegen Gentrifizierung, für die Mattenstraße auferstehen lassen. Diese wurde auf einer Trage und unter Psalmen zur Übergabe ins Rathaus prozessiert.
Der Verweis auf vorhergehende oder parallel verlaufende Kämpfe – auch über die Stadt Basel hinaus – wie der ebenfalls viel diskutierte Fall der Mülhauserstraße ermöglicht es, diese Einzelfälle als Beispiel eines größeren Missstandes zu verketten. Versucht, dem Fluch des billigen Geldes zu entkommen, kündigte die zunehmend aggressiv investierende baselstädtische Pensionskasse an der Mülhauserstraße erneut ein ganzes Haus leer. Diesmal traf es vorwiegend ältere Mietparteien, teilweise die eigenen Versicherten. Die Absurdität, als 94-Jährige aus deiner Wohnung geworfen zu werden und auf Grund der Preise in ein komplett fremdes Umfeld aufs Land ziehen zu müssen, wurde von vielen Akteuren während des Abstimmungskampfes wiederholt aufgenommen.
Exemplarisch zeigt das Beispiel der Mülhauserstraße, wie das Wohnungsproblem unterschiedliche soziale Gruppen betrifft und mobilisieren kann. Im Kampf gegen Aufwertungsprozesse kamen Akteure zusammen, die sich vorher nicht gekannt haben oder deren Herangehensweisen der Eigenen jeweils sogar fremd waren. Früh solidarisierte sich mit der langjährigen Bewohnerschaft ein Teil der linksautonomen Szene, welche die Seniorinnen aktiv unterstützte. Damit veränderten sich auch die jeweiligen Methoden; um das individualisierte Wohnen politisieren zu können, mussten starre Bewegungsmuster aufgegeben werden. Umgekehrt erhielten Anlässe wie die Recht auf Stadt-Demo – die vorher stark mit einer jungen, alternativen Szene assoziiert wurde – im eiskalten Januar 2017 durch die Teilnahme der Seniorinnen eine überraschende neue Färbung.
Einerseits sind diese Häuser also Orte, an denen sich nachbarschaftliche Solidarität kristallisiert und erfahrbar wird. Über ihre Grenzen hinaus erzählen sie aber auch Geschichten, welche die Missstände für entfernte Nachbarschaften oder sogar eine ganze Stadt greifbar werden lässt. Diese Orte sind allerdings nur ein Beispiel einer Vielzahl von Akteurinnen, die in erster Linie aufgrund ihrer Vielschichtigkeit der Forderung nach einem Richtungswechsel in der Basler Wohnpolitik überhaupt Gehör verschaffen vermochten. Interessant ist die Verknüpfung von betroffenen Mietparteien, einer aktivistischen, linken Szene, bewegungsnahen karitativen Institutionen wie dem Verein für Gassenarbeit oder dem Netzwerk Wohnungsnot, sowie linken Parteien. Personen, die zwischen unterschiedlichen Positionen Schnittstellen bilden und keine Scheu gegenüber anderen Herangehensweisen zeigen, sind zudem zentral. Dabei geht ein starkes Zusammenspiel und eine gegenseitige Unterstützung der Vielzahl an Praxen – auf der Straße, in der Nachbarschaft, über die Medien, mietrechtlich oder parlamentarisch – voraus.
Es sind die Verschränkungen eines Mosaiks unterschiedlicher Akteure, die auf ihre Weise immer wieder ähnliche oder gleiche Diskurse aufnehmen und sich zuzuspielen versuchen, welche die Basis für die Ermächtigung zusätzlicher Akteure bilden.
Der Mehrheitsentscheid ist Teilerfolg eines langen Kampfes, der den Angriffen gegen das Mietrecht und dem Abbruch kostengünstiger Wohneinheiten etwas entgegenzuhalten versucht. Er ist ein Ereignis, auf das unterschiedlichste Akteurinnen in Zukunft verweisen können: Wurden im Abstimmungskampf immer wieder die Missstände der Massenkündigungen unterstrichen, ist beispielsweise umgekehrt zu hoffen, dass bedrohte Häuser über den Verweis auf den Mehrheitsentscheid eher Unterstützung einfordern können.
Während von der rechtsdominierten Mehrheit auf nationaler Ebene das Mietrecht vehement unter Beschuss steht, verspricht auch die Situation auf dem Immobilienmarkt allerdings wenig Entspannung. Im Besonderen wird der Druck auf die Ballungszentren auf Grund der Suche nach Renditemöglichkeiten nicht abreißen. Auch in Basel reihen sich so immer mehr Massenkündigungen in die bekannten Beispiele von Steinengraben und Mattenstraße ein. Dabei werden die meisten Häuser leergekündigt, ohne dass sich die Bewohnerinnen dagegen wehren können.
»Widerständig sind oftmals Nachbarschaften mit einer Geschichte sozialen Zusammenhaltes«
Um den Erhalt sowie die zusätzliche Schaffung von genügend bezahlbarem und angemessenem Wohnraum zu garantieren, braucht es deshalb kurzfristige, aber vor allem auch mittel- und langfristige Maßnahmen. Dabei muss im Besonderen der gemeinnützige Wohnungsbau – sei dieser durch Genossenschaften oder kommunal realisiert – aktiver gefördert werden. Eine gesetzliche Zielvorgabe zur Erhöhung der Anteile von gemeinnützigem Wohnraum wäre eine, in anderen Schweizer Städten bereits erfolgreich erprobtes, politisches Mittel dafür. Dieses Ziel bedingt auch eine völlig neue Bodenpolitik. Nur wenn die Stadt intensiv selber Boden kauft und über ein Vorverkaufsrecht Immobilien in die öffentliche Hand überführt, kann sie diese für gemeinnütziges Wohnen frei geben. Damit die Einwohnergemeinde Basel ihre Liegenschaften und Areale zudem nach dem Prinzip der Kostenmiete bewirtschaften kann, müssen diese im Verwaltungs- statt im Finanzvermögen geführt werden. Weiter braucht es dringend Maßnahmen für den Erhalt von bezahlbarem Wohnen im Altbaubestand. Beratende, rechtliche sowie finanzielle Instrumente zur genossenschaftlichen Übernahme dieser Bestände müssen gefördert werden. Grundsätzlich haben sich die Gesamtausgaben und Fallzahlen der Subjekthilfe in den letzten zehn Jahren linear vergrößert, alleine zwischen 2011 und 2016 flossen über 351,5 Millionen Franken direkt vom Kanton in die Hände von Vermietenden. Diese verdeckte Subventionierung von gewinnorientierten Liegenschaftsbesitzern kann nur durch einen Ausbau der Objektfinanzierung abgebaut werden.
Die Liste der Schritte in Richtung einer sozial verträglichen Wohnpolitik ist lang, sie ist selbst umkämpftes Gebiet und Gegenstand zukünftiger Aushandlungsprozesse. Eine Abstimmung allein ist nicht in der Lage, alle Probleme zu adressieren. So zeichnet sich bereits heute ab, dass die Forderungen nach sofortigen Notwohnungen für die 400 Obdachlosen zwar umgesetzt werden sollen, solche Lösungen aber gegen grundsätzliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt ins Feld geführt werden.
Der Druck von der Straße und auf die Regierung darf deshalb jetzt nicht nachlassen. Vor allem muss es darum gehen, die geknüpften Verbindungen unterschiedlicher Akteure aufrecht zu erhalten, diese zu vertiefen und so zusätzliche zu schaffen. Denn weiterhin bleiben viele betroffenen Familien individualisierte Einzelfälle. Widerständig sind oftmals Nachbarschaften mit einer Geschichte sozialen Zusammenhaltes und einem hohen Anteil an hochqualifizierten oder in linken Zusammenhängen vernetzten Schweizer Bürgerinnen. Andererseits zeigen die hier aufgeführten Beispiele auch, wie Nachbarschaften Schnittstellen bilden können, welche das Zusammenkommen unterschiedliche Akteure und eine Heterogenität involvierter Parteien ermöglicht. Aufgrund der eng geteilten Lebenswelten in Städten und ihrer Erlebbarkeit als ein existenzielles Grundbedürfnis, mag die Wohnungsfrage als eine der zentralen sozialen Fragen an Bedeutung gewinnen.
Dabei handelt es sich immer um eine Gratwanderung von einer um Inklusion und Heterogenität bemühten Vielheit und eine diese Kämpfe verbindende, grundlegende Kritik. Im Speziellen bedeutet dies einen expliziten Angriff auf das neoliberale Credo und die darüber gefestigten Interessen: Eine durch eine starke Marktgläubigkeit dominierte Wirtschaftspolitik, welche über Jahrzehnte unangefochten verfolgt wurde und sich in der Politik, in der Verwaltung sowie Administration, und in den Köpfen über eine jahrzehntelange Praxis festgesetzt hat.
Verlangt dies eine starke, disruptive, ja tatsächliche Opposition, meint stark dann also sowohl vielschichtig sowie grundlegend: Es muss um das Verbinden von unterschiedlichen Methoden und Kämpfen gehen, darum, verschiedenste Akteure unter denselben Diskursen zu versammeln. Diese Kämpfe können sich in ihrer Forderung nach kollektiven Gemeingütern und einer sozialen Infrastruktur für möglichst viele und zu möglichst geringen Kosten verbinden – bessere Schulen, Mobilität, Gesundheit, Zeit für Regeneration und bezahlbares Wohnen. Es sind diese Grundbedürfnisse, welche die Ausweitung finanzieller Gestaltungsspielräume ermöglichen und die Grundlage für individuelle Freiheit bilden. Vermag es der Neoliberalismus nicht, diese für eine Mehrheit zu garantieren, wird er hier angreifbar. In all diesen Kämpfen muss es deshalb auch zukünftig immer um bezahlbares Wohnen und Fragen der Umverteilung gehen; darum also, Unterschiede anzuerkennen und Gleichheit zu schaffen.
Luisa Gehriger hat Soziologie und Urbanistik studiert und ist Teil verschiedener wohnpolitischer Initiativen