06. Juli 2025
Vor rund fünfzig Jahren gründeten belgische Reinigungskräfte ihre eigene Genossenschaft: Sie fegten ihren Chef weg und verdreifachten ihre Löhne. Die Regisseurin Coline Grando hat diese inspirierende Erfolgsgeschichte auf die Leinwand geholt.
Reinigungskräfte der Universität bei einer Versammlung, Standbild aus Coline Grandos Dokumentarfilm »Le balai libéré«.
Im Jahr 1975 traten über dreißig Reinigungskräfte an der neu gegründeten belgischen Katholischen Universität Louvain-la-Neuve (UCL) in einen dreiwöchigen Streik, »feuerten« ihren Chef und beschlossen, stattdessen eine selbstverwaltete Genossenschaft zu gründen. Ihr Experiment in radikaler Wirtschaftsdemokratie, die sie »Le balai libéré« – der Befreite Besen – nannten, ermöglichte es ihnen, ihre Gehälter zu verdreifachen und die Genossenschaft auf über hundert Arbeitende zu erweitern. Sie bewiesen außerdem, dass die Arbeiterschaft ihre eigenen Angelegenheiten selbst verwalten konnte. Nach vierzehn erfolgreichen Jahren fand das Projekt ein jähes Ende, als ein offenes Ausschreibungssystem durchgesetzt wurde, welches dazu führte, dass private Wettbewerber die Löhne unterboten.
Die Geschichte des Befreiten Besens war so gut wie vergessen, als die französische Dokumentarfilmerin Coline Grando Ende der 2010er Jahre ihr Studium an der besagten Universität begann. Glücklicherweise erfuhr sie von einem Freund von der Geschichte und beschloss kurz danach, die Erinnerungen daran wiederzubeleben. Nach fünf Jahren mühseliger Vorarbeit – Grando durchsuchte Archive, klopfte an Türen, um die Beteiligten der Genossenschaft zu finden und sprach mit den Reinigungskräften, die heute an der Universität arbeiten) veröffentlichte sie 2023 ihren Dokumentarfilm Le balai libéré.
In diesem Interview spricht Grando mit Daniel Kopp über ihren Film, die Erfolge und Herausforderungen der Selbstverwaltung und darüber, ob wir heute eine ähnliche politische Vorstellungskraft entfalten könnten.
Warum traten die Putzfrauen 1975 in den Streik – eine Aktion, die zur Gründung einer selbstverwalteten Genossenschaft führte?
Anfang der 1970er Jahre waren die Stadt und die Universität von Louvain-la-Neuve gerade erst erbaut worden. Das Unternehmen, ANIC, das die Frauen eingestellt hatte, war ein klassischer Subunternehmer – und die Universität hatte beschlossen, die Reinigungsarbeiten an dieses auszulagern. Aber die Gewerkschaft stimmte nicht zu.
Da die Budgets der Universität gekürzt wurden, wollte der Subunternehmer einige der Arbeiter an einen anderen Standort in Recogne in der belgischen Region Luxemburg schicken. Er gab ihnen keinen Kleinbus, um dorthin zu gelangen. Aber in Belgien macht es sowieso keinen Sinn, 80 Kilometer zur Arbeit zu fahren. Sie akzeptierten das nicht, also gingen einige von ihnen zur Gewerkschaft.
Die Reinigungskräfte traten in einen dreiwöchigen Streik. Sie können sich vorstellen, wie es ist, wenn eine Universität, insbesondere eine, die gerade gebaut wird, drei Wochen lang nicht gereinigt wird. Die Arbeiterinnen erzählten mir, dass die Professoren und Studenten während des Streiks auf den Universitätsplatz kamen, um Toilettenpapier zu holen. An jedem Streiktag gab es irgendein Ereignis, beispielsweise fand eine Demonstration statt, bei der sie eine Puppe des Chefs verbrannten und ihn in einen Sarg legten. Es gab immer etwas, das die Einwohner von Louvain-la-Neuve daran erinnerte, dass die Reinigungskräfte streikten.
Die Gewerkschaftsfunktionäre hatten sofort vorgeschlagen, dass die Reinigungskräfte ihre Arbeit selbst verwalten sollten. Sie wurden von einer Initiative in der Uhrenfabrik LIP im französischen Besançon, einige Jahre zuvor, inspiriert, wo genau das umgesetzt wurde. Einige belgische Gewerkschafter, die nach Besançon gereist waren, um zu sehen, wie es bei LIP funktioniert, kehrten mit dem Wunsch zurück, die Selbstverwaltung zu starten. Der befreite Besen ist Teil dieser Geschichte.
War es also die Gewerkschaft, die auf die Idee der Selbstverwaltung kam?
Ja, für die Reinigungskräfte galt: Entweder sie blieben und sind auf den Zug der Selbstverwaltung aufgesprungen oder sie haben sich anderswo Arbeit gesucht. Zum Zeitpunkt des Streiks waren es 42 Reinigungskräfte und 38 nahmen die neuen Bedingungen an. Während des Streiks gab es Workshops, zum Beispiel zu juristischen Themen, wo folgende Frage gestellt wurde: Welche Art von Struktur wollen wir? Studentengruppen von Louvain-la-Neuve machten auf diesen Kampf aufmerksam. Es gab Arbeitsgruppen, die jeden Tag zur Baustelle kamen.
»Während des Streiks beschlagnahmten sie, wiederum auf Antrieb der Gewerkschaften, Reinigungsgeräte. Sie nannten es ›die Kriegsbeute ergreifen‹.«
Wichtig war, dass es bereits ein Beziehungsdreieck zwischen der Gewerkschaft, der Universität und dem Chef gab. Sobald es also zu einem Streit mit dem Subunternehmer kam, wurde die Universität ins Gespräch geholt. Das größte Problem bestand nun darin, die Universität davon zu überzeugen, die Selbstverwaltung zu akzeptieren. Das bedeutete im Klartext: Sie sollte den Vertrag mit dem Subunternehmer brechen und einen Vertrag mit einer neuen gemeinnützigen Organisation, dem »Befreiten Besen«, unterzeichnen. Aber da Gewerkschafter des Christlichen Gewerkschaftsbundes (CSC) Personen im Vorstand der Katholischen Universität von Louvain-la-Neuve kannten, standen die Sterne günstig dafür, dass die Universität einwilligte.
Sie argumentierten unter anderem, dass es das Ansehen der Universität verbessern würde, wenn sie eine solche ungewöhnliche Initiative unterstützte und somit eine neue Form des Managements erprobte. Und tatsächlich funktioniert es gut: Zuerst gab es einen mehrmonatigen Vertrag, der zunächst auf ein Jahr und schließlich auf weitere drei Jahre ausgedehnt wurde. So wurde der Vertrag bis 1989 ständig verlängert.
Die Reinigungskräfte sprachen ständig darüber, »den Chef zu feuern«. War diese Umkehrung der Macht am Arbeitsplatz also symbolisch?
Ja, es war in der Tat eine symbolische Entlassung. Der Gewerkschafter, der die Gründung dieser Genossenschaft angetrieben hatte, schrieb einen Brief an den Chef, welchen ich in den Archiven fand. In dem Brief beschreibt er den Chef als schlechten Chef, der weder Rücksicht auf seine Beschäftigten nimmt noch irgendwelche Regeln einhält. Die Arbeiterinnen erklärten sich bereit, den Brief zu unterschreiben und dann wurde er an den Chef geschickt.
Er beginnt mit folgenden Worten: »Sehr geehrter Herr [Rensonnet], nachdem wir uns eine Woche lang in Arbeitsgruppen und in einer Generalversammlung getroffen haben, haben die Mitarbeiterinnen Ihrer Firma Folgendes festgestellt: Zunächst einmal kommen wir zu dem Schluss, dass wir, nach einer gründlichen Analyse, unsere Arbeit perfekt selbst organisieren können. Wir müssen feststellen, dass Sie absolut nutzlos und ein Nestbeschmutzer sind.«
Ja, dieser Brief liest sich ziemlich gut. In meinem Film wird er zweimal vorgelesen, weil er wirklich sehr lustig ist. Natürlich war das symbolisch, aber es war auch eine Möglichkeit, die Beschäftigten zu motivieren und zu zeigen, dass die Gewerkschaft die Ärmel hochkrempeln kann. Aber in Wirklichkeit bestand die eigentliche Entlassung darin, dass die UCL beschlossen hatte, den Vertrag mit dem Subunternehmer zu brechen, und dass der Subunternehmer dagegen nicht vorgegangen ist. Die Universität hätte tatsächlich wegen Vertragsbruchs haftbar gemacht werden können. Ich glaube, es wurde ausgehandelt, dass der Subunternehmer einen Teil des Universitätsvertrags behält, aber an einem anderen Standort in Brüssel.
Was machten die Reinigungskräfte mit den »Produktionsmitteln«, also den Geräten?
Während des Streiks beschlagnahmten sie, wiederum auf Antrieb der Gewerkschaften, Reinigungsgeräte. Sie nannten es »die Kriegsbeute ergreifen«.
Nach dem Streik gaben sie sie zurück, weil es offensichtlich das Eigentum des Unternehmens war. Während des Streiks verkauften sie Aufkleber, um die Grundausstattung zu kaufen, etwa Lappen und Abzieher. Denn in Wirklichkeit ist es das, was sie zum Reinigen brauchten: Eimer, Lappen und Abzieher. Als dann der neue Vertrag mit der Universität unterschrieben wurde, nutzten sie dieses Geld, um Geräte zu kaufen.
»Die größte Herausforderung bestand darin, den Geist der Selbstverwaltung am Leben zu erhalten: Mitgliederversammlungen und Verwaltungskomitees zu organisieren.«
Alle sollten verstehen, dass man im Befreiten Besen wirklich mit guter Ausrüstung arbeiten wollte. Die Genossenschaftsmitglieder entschieden, was mit dem Geld geschehen sollte. Heute ist das nicht mehr so. Die Beschäftigten haben nicht die Wahl, womit sie arbeiten. Da die Subunternehmer möglicherweise nur fünf Jahre dort sind, weil der Vertrag nur über fünf Jahre läuft, werden sie nichts investieren. Im Film gibt es die Geschichte vom Staubsauger, der nicht saugt. Im Befreiten Besen hatten sie tolle Gerätschaften.
In den 1960er und 70er Jahren erlebte Westeuropa eine Welle von »Besetzungen«. Aber dabei denken wir oft an Produktion und Fabriken. Deshalb ist die Geschichte des Befreiten Besens so einzigartig: Es geht um Reinigungskräfte am unteren Ende der Wertschöpfungskette, nicht um Fabrikarbeiterinnen, die sich entschieden haben, ihre Arbeit selbst zu verwalten. Kannst du uns ein wenig mehr darüber erzählen, wie dieses spezielle Selbstmanagement in der Praxis funktioniert hat und wie sie die Herausforderungen gemeistert haben?
Sie waren bereits ziemlich selbstständig. Es gab viele kleine Teams, die wussten, wie man arbeitet und sich in Eigenregie organisierten. Einmal im Monat fanden Vollversammlungen statt und einmal wöchentlich tagten Verwaltungsausschüsse für praxisbezogene Angelegenheiten. Sie hatten eine Organisationsstruktur aufgebaut: Jeden Montag, zum Beispiel, ging eine Vertreterin aus jedem Team in den Verwaltungsausschuss. Damit die Verantwortung aufgeteilt werden konnte, mussten die Mitglieder rotieren.
Was den Erfolg des Befreiten Besens anbelangt, muss man wissen, dass die Gewinne enorm waren. Nachdem die Mitglieder die Selbstverwaltung gestartet hatten, beschlossen sie in einer Generalversammlung, was mit den Gewinnen geschehen sollte. Müssen wir Personen einstellen, um die Arbeitsbelastung zu verringern? Investieren wir in Ausrüstung, weil sie es den Menschen ermöglicht, besser zu arbeiten, ohne sich das Kreuz zu brechen? Oder geben wir uns selbst einen Bonus und teilen eine bestimmte Geldsumme unter uns auf?
Sie beschlossen eine Gehaltserhöhung. Früher waren es 36 belgische Francs pro Tag. Das Gehalt wurde auf über 95 belgische Francs erhöht. Ein anderes Thema waren die Arbeitszeiten. Die Genossenschaft stellte sicher, dass sie mit dem Bus- und Bahnverkehr nach Louvain-la-Neuve übereinstimmte. Für die Arbeiterinnen taten sie alles, was sie konnten. Wenn es Momente gab, in denen beispielsweise zu viele Leute eingestellt worden waren, gingen alle in die Kurzarbeit, anstatt jemanden zu entlassen: Das heißt, an einem Tag pro Woche wurde nicht gearbeitet, bis sich die Lage wieder ausglich. Sie haben jedoch Leute entlassen, weil manchmal schwerwiegende Fehler gemacht wurden.
Und welche Herausforderungen gab es?
Die größte Herausforderung bestand darin, den Geist der Selbstverwaltung am Leben zu erhalten: Mitgliederversammlungen und Verwaltungskomitees zu organisieren.
Der Wunsch kam auf, dass die Teams gemischter hätten sein sollen. Damit keine Grüppchen entstehen, die sich in der Generalversammlung gegenüberstehen könnten. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Die Arbeiterinnen wollten in ihrem Gebäude bleiben. Wenn man erst einmal die Reinigung in einem Gebäude gemeistert hat, möchte man nichts mehr verändern. Auch heute noch sagen die Arbeiterinnen, dass es (zu) viele Konflikte gibt, wenn etwa jemand in den Urlaub fährt und wieder zurückkommt. In der Zwischenzeit hat dann vielleicht eine Kollegin die Reinigung nicht auf die gleiche Weise durchgeführt.
»Die Gewerkschaft behielt immer einen Fuß im Unternehmen. Dadurch wurden die Arbeiterinnen nicht völlig selbstständig, obwohl das ihr Wunsch war.«
Die Universitätsgebäude wurden über einen längeren Zeitraum gebaut; die Arbeit nahm zu und es mussten Leute eingestellt werden. Wie in vielen Unternehmen wurden Familienmitglieder eingestellt. Und manchmal waren ganze Familien im Unternehmen eingestellt: die Ehemänner als Fensterputzer sowie Schwestern, Töchter und Schwiegertöchter als Reinigungskräfte. Das erleichterte die Selbstverwaltung nicht. Im Gegenteil, bei der Generalversammlung gab es immer noch diese Clanvorstellungen.
Die Gewerkschaft behielt immer einen Fuß im Unternehmen, indem sie Leute zur Buchhaltung oder zur Leitung von Versammlungen entsandte. Dadurch wurden die Arbeiterinnen nicht völlig selbstständig, obwohl das ihr Wunsch war.
In deinem Film wird auch die Geschichte vom Ende des Befreiten Besens im Jahr 1989 erzählt, als die Regeln für die öffentliche Auftragsvergabe zunehmend liberaler wurden. Wie und warum endete die Genossenschaft?
1989 beschloss die Universität eine öffentliche Ausschreibung zu starten, was bis dahin nie der Fall war. Der Befreite Besen bewarb sich und er war erstaunlicherweise immer noch wettbewerbsfähig. Aber aus irgendeinem Grund machte die Universität eine neue Ausschreibung, bis ein flämisches Unternehmen auftauchte und die Preise wirklich drückte.
Wir können davon ausgehen, dass die Situation ein bisschen arrangiert war. Dennoch gab es mehrere Faktoren. Die Universitätsleitung unterstützte die Genossenschaft nicht mehr. Die Gewerkschafter mussten feststellen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter viel weniger motiviert waren, für ihre Rechte zu kämpfen, und dass die Arbeitsqualität offenbar nicht mehr so hoch war. Es gab also mehrere Faktoren, die dazu führten, dass sich die Universität vom Befreiten Besen irgendwann trennen wollte.
Am Ende gewann dieses flämische Unternehmen den Auftrag und stellte die Beschäftigten der Genossenschaft ein. Bei dieser Art von Ausschreibungen wechselt der Chef, aber die gleichen Mitarbeiter werden eingestellt – mit einen Zeitvertrag für sechs Monate. Anschließend hat der Chef sie einfach behalten, weil es keinen Sinn machte, Leute für einen so großen Standort umzuschulen. Aber mir scheint, dass das System nicht richtig funktionieren kann.
Dein Dokumentarfilm ist nicht nur eine einfache Archivarbeit. Du hast die Reinigungskräfte der Genossenschaft aus den 1970er Jahren mit denjenigen ins Gespräch gebracht, die heute an der Universität Louvain-la-Neuve die gleichen Aufgaben übernehmen. Warum hast du dich dazu entschieden?
Ich wollte einen Film mit Gegenwartsbezug machen.
Ich fand es genial und äußerst bereichernd, das Fachvokabular in den Gesprächen zwischen den ehemaligen und aktuellen Arbeiterinnen und Arbeitern, herauszuhören, das – wie in allen Berufen – äußerst fachspezifisch ist. Die Älteren konnten immer noch sagen, ob es sich um Linoleum oder Fliesen in einem bestimmten Gebäude handelte. Der Film zeigt die ganze Arbeit, die die Menschen leisten, die sich um diese Gebäude kümmern. Und selbst die heutigen Arbeiterinnen und Arbeiter haben mir gesagt, dass es bewegend ist, diejenigen zu sehen, die diese Gebäude instand gehalten haben.
»Heute sollen die Fachkräfte nicht mehr putzen; sie werden gebeten, die Arbeit so schnell wie möglich zu machen, damit es sauber aussieht.«
Es ist ein Beruf, auf den alle anderen aufbauen. Ohne Sauberkeit kann niemand arbeiten. Und diese Beschäftigten kommen nie zu Wort. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Austausch zwischen den Generationen uns etwas beibringen würde. Wie sieht die Arbeitswelt heute aus? Als ich anfing, an der Geschichte des Befreiten Besens zu arbeiten, wurde mir klar, dass die Genossenschaft im Film ein Vorwand sein würde, um über die heutigen Arbeitsbedingungen zu sprechen.
Ich ging an die Universität, um das Reinigungsteam zu treffen, kurz nachdem der erste Lockdown im August 2020 aufgehoben wurde. Die Reinigungskräfte waren gerade hart von der Corona-Krise getroffen worden. Sie brauchten dringend das Rampenlicht. Obwohl ich sie kaum kennengelernt hatte, erklärten sich vierzehn Personen dazu bereit, gefilmt zu werden, während sie über ihre Arbeit sprachen. Bei all dem Misstrauen den Medien gegenüber, insbesondere in der Arbeitswelt, ist das nicht unerheblich. Ich dachte: »Sie haben etwas über die Gegenwart zu sagen.«
Dein Film zeigt auch, wie sich die Reinigungsarbeit über die letzten fünfzig Jahre hinweg entwickelt hat. Im Französischen hat sie heute sogar einen anderen Namen. Die Beschäftigten werden nicht mehr »Reinigungskräfte« genannt; sie werden »Oberflächenfachkräfte« genannt. Die Arbeiterinnen in der Dokumentation sprechen sogar von »Fabrikarbeit«. Der Befreite Besen beschäftigte einst hundert Arbeiterinnen und Arbeiter, heute aber reinigen fünfzig Beschäftigte eine viel größere Universität mit einer Fläche von 350.000 Quadratmetern. Wie hat sich die Art der Arbeit seit der Zeit der Genossenschaft verändert?
Ich muss sagen, dass die Arbeitsbedingungen im Befreiten Besen auch in den 1970er Jahren nicht den Normen entsprachen. Aber offensichtlich war das Arbeitstempo nicht das gleiche und es war viel familiärer. Das bedeutet nicht, dass die Arbeitsbedingungen großartig waren oder dass sie unter der Arbeit nicht gelitten hätten.
Mit dem Ausschreibungssystem konnte der Chef nur die Anzahl der Arbeiter anpassen. Das Gehalt konnte nicht geändert werden, weil es Tarifverträge gab und die Ausrüstung nicht viel produktiver gemacht werden konnte. Je weniger Menschen eingestellt werden, desto schneller ist das Tempo und desto schwerer wiegt die Last auf den Schultern der Arbeiter. Im Falle der Universität, die sich über viele Gebäude erstreckt, sind die Menschen den ganzen Tag allein. Sie sehen ihre Kollegen kaum.
Zusätzlich zu den körperlichen Belastungen gibt es enorme seelische Belastungen: Sie können ihre Arbeit nicht mehr ordentlich erledigen. Das ist der große Unterschied zum Befreiten Besen, wo sie stolz darauf waren, mit guter Ausrüstung einen guten Job zu machen. Sie sagten, es habe gefunkelt, dass es keine Anzeichen von Schmutz auf dem Boden gab und dass sie die Wände gewaschen haben. Jeden Sommer wurde in den Büros ein Großputz durchgeführt.
Heute sollen die Fachkräfte nicht mehr putzen; sie werden gebeten, die Arbeit so schnell wie möglich zu machen, damit es sauber aussieht.
Darüber hinaus sind die Arbeiterinnen und Arbeiter heute durch das Outsourcing symbolisch isoliert. Allein ihre Kleidung unterscheidet sich von der der Mitarbeitenden der Universität. Theoretisch dürfen sie ihren Kaffee nicht in der Cafeteria trinken, die von Forschenden und Beschäftigten der Universitätsverwaltung genutzt wird. Sie werden ständig daran erinnert, dass sie nicht Teil der Universität sind. Sie haben seit fünfundzwanzig Jahren an der Universität gearbeitet, und wenn man sie fragt, was sie beruflich machen, sagen sie nicht: »Ich arbeite für ein Unternehmen, das sich in drei Jahren verändern wird.« Sie sagen: »Ich arbeite an der Universität.« Ich fand es sehr hart, dass ihnen dieses Gefühl der Zugehörigkeit verwehrt wird. Sie haben bereits einen abgewerteten Job, und sie dürfen nicht einmal Teil eines recht angesehenen Unternehmens, der Universität, sein.
»Es sind die heutigen Strukturen, die uns dazu drängen, individualistisch zu sein.«
Die Arbeiterschaft äußerte auch das Gefühl, dass Kollektivität, Gemeinschaft und Solidarität abhanden gekommen sind und dass alle Mitarbeitenden eher für ihre eigenen Interessen kämpfen. Dennoch sagen die Beschäftigten des Befreiten Besens, dass Solidarität in Wirklichkeit die Grundlage ihrer Genossenschaft sei. Der Film erweckt den Eindruck, dass es heute viel schwieriger wäre, diese Erfahrung in die Gegenwart zu holen, weil die Arbeitenden viel isolierter und zersplitterter sind.
In Bezug auf die Solidarität im Befreiten Besen möchte ich betonen, dass die Menschen nicht besser miteinander ausgekommen sind oder sich gegenseitig mehr unterstützt hätten. Es gab viele, die sich dort nicht ausstehen konnten. Aber das Unternehmen war so strukturiert, dass das Schiff untergehen würde, wenn es keine Solidarität gäbe. Auch wenn du die Person in deinem Gebäude oder nebenan nicht ausstehen kannst, wirst du kommen und ihr helfen, denn ein ungelöstes Problem bedeutet weniger Geld für alle. Und das zwingt die Menschen, Solidarität zu zeigen.
Die Struktur des Unternehmens prägt also die Solidarität?
Wenn ich höre, dass die Menschen keine Solidarität mehr zeigen, habe ich den Eindruck, dass sie damit andeuten wollen, dass wir uns alle individuell verändert haben. Aber es sind die heutigen Strukturen, die uns dazu drängen, individualistisch zu sein.
Was dachten die Arbeiterinnen, als sie den Film sahen?
Als der Film fertig war und bevor er im Fernsehen und in den Kinos gezeigt wurde, organisierte ich eine Vorführung nur für sie, damit sie ihn in Ruhe sehen konnten. Sie waren alle wirklich glücklich. Sie sagten mir: »Das habe ich nicht erwartet.« Ich weiß nicht, was sie erwartet haben. Aber vielleicht waren sie nicht an diese Art von Film gewöhnt, bei dem man sich die Zeit nimmt, den Leuten zuzuhören. TV-Dokumentationen sind dagegen oft kurzweilige Filme mit einer Off-Stimme.
Ich habe den Film auch in einem Universitätskurs gezeigt. Einige Dozenten beschlossen, den Film in ihren Lehrplan aufzunehmen. Im Sokrates-Hörsaal, dem größten Hörsaal der Universität, zeigten wir 350 Studierenden den Film unter Anwesenheitspflicht. Vielen war es eigentlich egal, aber ich hatte nach einer Diskussion einige großartige Fragen. Ein Student fragte mich, was wir tun könnten, um den Reinigungskräften zu helfen. Ich denke, das ist wirklich eines der Themen – Solidarität untereinander und die Konvergenz der Kämpfe. Schließlich war es das, was die Existenz des Befreiten Besens ermöglichte.
Coline Grando ist Filmemacherin und Regisseurin von Le balai libéré.