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10. September 2025

Sozialismus in einem Bundesland

Die Linke könnte 2026 bei der Berlin-Wahl triumphieren und sogar die Bürgermeisterin stellen. Aber hat sie auch das Zeug für einen grundsätzlichen Politikwechsel – oder droht sie, die Fehler früherer Regierungsbeteiligungen zu wiederholen?

»Bürokratische Apparate stehen bewegungsorientierten, klassenpolitischen und basisdemokratischen Prozessen diametral gegenüber.«

»Bürokratische Apparate stehen bewegungsorientierten, klassenpolitischen und basisdemokratischen Prozessen diametral gegenüber.«

Illustration: Shiwen Sven Wang

In einem Jahr könnte die Linke bei der Berlin-Wahl als große Gewinnerin dastehen. In Umfragen war sie zuletzt mit 19 Prozent zweitstärkste Kraft in der Hauptstadt – klar hinter der CDU mit 25 Prozent, aber deutlich vor den Grünen mit 15 und der SPD mit 14 Prozent. Sollte diese Rangordnung bis Herbst 2026 bestehen bleiben, hätte die aktuell regierende Große Koalition keine Mehrheit mehr. Rot-Rot-Grün hingegen hätte ausreichend Sitze im Abgeordnetenhaus. Die Linke stände vor der Versuchung, eine solche Regierung anzuführen und mit einer linken Bürgermeisterin ins Rote Rathaus einzuziehen.

Das wäre gewiss ein Meilenstein für die Partei, die noch bis vor Kurzem totgesagt wurde. Doch ist sie darauf vorbereitet, daraus auch einen Erfolg für die Menschen zu machen, die nicht die Linke wählen, einfach nur um die Linke gewinnen zu sehen, sondern weil sie sich davon materielle Verbesserungen ihrer Lebensumstände versprechen?

Aktuell scheint die Partei ihre Rolle in Berlin gefunden zu haben: Sie ist der soziale Stachel im Abgeordnetenhaus, der verlängerte Kleine-Anfragen-Arm der Stadtbewegungen, die Kümmerin im Kiez und aktiver Teil der Bewegungslandschaft von Mieterinitiativen bis hin zu Palästinasolidarität. Sollte sie sich wirklich an der nächsten Berliner Regierung beteiligen oder sie gar anführen, stünde sie vor der Herausforderung, diese Rolle in staatliche Politik zu übersetzen. Dazu müsste sie in einem institutionellen Gefüge agieren, das einer solchen Politik alles andere als zuträglich ist, wie die Berliner Linke schon mehrmals in Regierungsbeteiligungen lernen musste.

Linke Regierungen bewegen sich seit jeher im Spannungsfeld zwischen Radikalität und Machbarkeit. Linke Politik in Deutschland steht mit der beschleunigten Faschisierung der letzten Jahre aber vor einer weiteren Herausforderung: Es geht nicht nur um die Umsetzbarkeit sozialer Politik und Rechenschaftspflicht gegenüber der eigenen Wählerschaft und den eigenen Bündnissen. Eine linke Partei darf sich unter keinen Umständen an einer Austeritätspolitik beteiligen, die die Armutsspirale beschleunigt, Menschen weiter handlungsunfähig macht und von gesellschaftlichen Prozessen ausschließt.

Sie darf nicht zum Rechtsruck beitragen, sondern muss das Gegenteil leisten: Teilhabe und Selbstermächtigung möglich machen, Armut bekämpfen, Transformationen hin zu einer gerechteren Gesellschaft ermöglichen. Sie muss gegen aktuelle Kräfteverhältnisse, gegen bestehende Klassenverhältnisse und auch gegen den Zeitgeist regieren. Ob eine Berliner Linksregierung das leisten könnte, hängt unter anderem davon ab, ob die Linke sich bei ihren Kernthemen durchsetzen kann.

Die Mieten sind zu hoch

Die Mietenpolitik wird mit ziemlicher Sicherheit Kernthema des kommenden Wahlkampfs werden – und das aus gutem Grund: Berlin ist eine Stadt der Mietenden, etwa 84 Prozent der Berliner Haushalte leben zur Miete, nur etwa 16 Prozent in ihrem eigenen Wohneigentum. Der Mietwohnungsanteil liegt in einigen Bezirken wie Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg sogar bei 90 Prozent. Wohnen und Wohnungsnot sind das vereinende Thema der Berlinerinnen und Berliner, bis tief hinein in Milieus, die sonst weniger offen für linke Themen sind.

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Nina Scholz arbeitet als freie Journalistin zu Tech, Arbeit und Gewerkschaften. In ihrer Freizeit ist sie bei Deutsche Wohnen & Co enteignen aktiv.