17. August 2020
Der Parteitag der US-Demokraten hat begonnen. Trotz der Niederlage von Bernie Sanders werden über 1.000 Delegierte aus dem Bernie-Sanders-Lager teilnehmen. Mit dabei sind zwei Berliner.
»Germany for Bernie« in Berlin
Vom 17.-20. August 2020 findet der Parteitag der US-Demokraten, die sogenannte Democratic National Convention (DNC), in Milwaukee, Wisconsin, statt. Durch die Corona-Einschränkungen ist die Veranstaltung wesentlich kleiner als in vergangen Jahren. Die tausenden Delegierten werden sich zum ersten Mal virtuell auf Zoom treffen, um über die Details des Parteiprogramms zu entscheiden, und den Kandidaten, der am 3. November gegen Donald Trump antreten wird, offiziell zu küren.
Parteitage in den USA sind eine höchst ritualisierte Angelegenheit, wo die großen Kontroversen bereits im Vorhinein geklärt werden und es vor allem darum geht, den Fernsehkameras ein überzeugendes Politspektakel abzuliefern und die Parteielite in ein möglichst positives Licht zu rücken. Dies hat sich durch die Kandidatur von Bernie Sanders ein wenig geändert. Obwohl bereits klar ist, dass Joe Biden zusammen mit Kamala Harris im November antreten wird, tragen Sanders‘ Delegierte eine andere, kämpferische Stimmung in das Geschehen und versuchen die Parteispitze dazu zu zwingen, Zugeständnisse an die Parteilinke zu machen – ob sie damit Erfolg haben werden, bleibt noch abzusehen.
Jacobin sprach mit zwei Delegierten von Democrats Abroad, dem Dachverband der US-Demokraten im Ausland, die Bernie Sanders unterstützen. Claire Lops ist Juristin und Aktivistin bei Germany for Bernie, einer Gruppe die seit letztem Sommer den Sanders-Wahlkampf von Deutschland aus aktiv unterstützte. Diego Rivas ist Vorsitzender von Democrats Abroad in Berlin. Wir fragten die beiden, wie sie die Kampagne erlebten, was sie auf dem Parteitag vorhaben, und wie es für die »Berniecrats« nach dem Ende von Sanders‘ Kandidatur weitergeht.
JD: Aller Voraussicht nach wird Joe Biden der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei. Was bedeutet es für Euch, in einer solchen Situation Delegierte für Bernie Sanders zu sein?
DR: Democrats Abroad vertreten mehrere Millionen US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner und in unserer Vorwahl stimmten 58 Prozent für Sanders. Für Sanders und Elizabeth Warren haben insgesamt 71 Prozent gestimmt – die Democrats Abroad haben sich also für eine progressive Politik ausgesprochen. Es ist unsere Aufgabe, dieses Mandat in die DNC hineinzutragen.
Welche politischen Positionen unterstützt Ihr als Delegierte für Bernie Sanders?
CL: Ich bin ein sogenanntes »Standing Committee Member«. Das heißt, ich wurde von der Sanders-Kampagne vorgeschlagen, um Bernie in diesem Komitee zu vertreten. Es gibt insgesamt drei solcher Komitees und ich wurde von der Democrats-Abroad-Delegation gewählt. In dem Sinne habe ich persönlich an den Treffen von den Demokraten, also von diesem Komitee, teilgenommen und Bernies Forderungen vertreten.
Was wollt Ihr auf der Democratic National Convention konkret erreichen?
CL: Für mich persönlich ist das Wichtigste, dass wir mehr Austausch über progressive Ideen hinkriegen. Momentan habe ich das Gefühl, dass wir zu wenige Delegierte sind, um wirklich eine ernsthafte Schlagkraft zu entwickeln, weil wir von den Biden-Delegierten schlicht überstimmt werden.
Nichtsdestotrotz haben wir es geschafft, ein paar Themen zu setzen, die vielleicht sonst nicht besprochen worden wären und sie mit vielen Delegierten zu diskutieren – so zum Beispiel das Thema universelle Krankenversicherung und Sachen wie Klimawandel und Justizreform. Darüber hatten wir in unserer Delegation bereits viele Gespräche und ich glaube, das ist das Maximale, was man erreichen kann, wenn man in der Minderheit ist.
DR: In den USA gibt es ja ein Zwei-Parteien-System. Genau deswegen gibt es innerhalb der Demokratischen Partei viele verschiedene Positionen. Wir sind hier zwar in der Minderheit, aber wir bilden eine vergleichsweise große Minderheit und daher ist es wichtig, dass unsere Meinungen auch dort vertreten sind. Und wenn man sich das Programm von Democrats Abroad anschaut, wird klar, dass wir auch wirklich progressiv sind. Das muss auf der bundesweiten Ebene auch Gehör bekommen.
Bei der Kampagne der Demokraten scheint es vor allem um Opposition zu Trump zu gehen und nicht wirklich um Enthusiasmus für Joe Biden. Glaubt Ihr, dass dies ausreichen wird, Trump zu schlagen?
CL: Ich würde Dir auf jeden Fall zustimmen, dass die Identität der Demokraten momentan eher darauf beruht, Trump aus dem Amt zu jagen, und es weniger darum geht, die eigene Politik stark in den Vordergrund zu rücken. Wie Diego schon meinte, sind die Demokraten eben eine von nur zwei Parteien. Viele verschiedene Strömungen müssen vereint werden, die sich nicht unbedingt gut verstehen. Das merkt man bei einem solchen Parteitag.
Ich weiß nicht, ob die Demokraten es schaffen werden, ihren progressiven Flügel mitzunehmen. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Progressive nicht für Joe Biden und Kamala Harris wählen werden. Ich kann mir deswegen auch vorstellen, dass Trump gewinnt. Ich wünsche mir natürlich nicht, dass es so kommt und ich persönlich werde auch für die beiden stimmen, aber ich muss sagen, dass ich von der Haltung, die die Demokraten an den Tag legen, schon ein bisschen enttäuscht bin. Da bekommt man das Gefühl, dass wir Progressive der Partei egal sind.
DR: Ich sehe das ein bisschen anders. Bei der Frage, »Werden wir eine Mehrheit der Stimmen bekommen?«, ist die Antwort ein klares »Ja«. Das sollten wir auch anerkennen – wir stellen als breite progressive Koalition die Mehrheit der Wählerschaft. Dann kommt aber die strukturelle Frage: Können wir innerhalb dieses undemokratischen Wahlsystems gewinnen? Das ist ein bisschen komplizierter und es ist verbunden mit der Frage, wie die Bevölkerung in kritischen Bundesstaaten wie Wisconsin oder Ohio stimmen wird.
Meiner Meinung nach brauchen wir eine progressivere Politik, die die Leute wirklich abholt und mitnimmt, denn nur damit können wir gewinnen. Das ist eine heiße Debatte gerade. Bei manchen Bundesstaaten werden wir zwischen unseren Prinzipien und wahlpolitischen Strategien abwägen müssen – die sind nämlich nicht immer identisch.
Glaubt Ihr, dass Bernie-Sanders-Anhänger für Joe Biden stimmen werden, wenn es darauf ankommt? Spielt das überhaupt eine Rolle?
CL: Ich bin der Meinung, dass nicht alle, die Bernie unterstützen, unbedingt für Biden und Harris stimmen werden. Das liegt aber auch daran, wie mit diesen Personen innerhalb der Demokratischen Partei umgegangen, da man ihnen teilweise nicht richtig Gehör verleiht. Man ist blöd, wenn man nicht wählt. Man muss wählen, es ist ein »Bürgerpflicht« – was ja auch bis zu einem gewissen Punkt stimmt. Aber es wird selten darüber diskutiert, warum denn diese teilweise sehr gebildeten Menschen, nachdem sie öfters gewählt haben, nicht mehr wählen wollen.
Nicht-Wählende werden einfach verspottet, anstatt darüber nachzudenken, dass die progressiven Wählerinnen und Wähler sich mittlerweile ein bisschen erpresst fühlen, weil sie immer wieder das Gleiche vorgesetzt bekommen: »Hier ist ein moderater Demokrat oder eine moderate Demokratin. Entweder ihr wählt die Person oder ihr kriegt jemanden wie Trump«. Viele Menschen haben keine Lust mehr darauf. Ihre einzige Chance, um progressive Politik zu stärken, sehen sie darin, den Demokraten ihre Stimme einfach zu entziehen. Davon kann man halten was man will, aber es ist eine Tatsache und ich finde diese Haltung auch nachvollziehbar.
DR: Wiederum gab es 2008 viele Hillary-Clinton-Anhänger, die Barack Obama nicht unterstützt haben. Für mich ist das eher ein strukturelles Problem, das immer wieder vorkommt. Die Frage lautet also: was machen wir, wenn wir wissen, dass wir den einen oder anderen Flügel nach der Nominierung verlieren könnten? Genau wir Claire meinte, müssen wir uns innerhalb der Partei mehr Glaubwürdigkeit verschaffen und zeigen, dass wir es anders machen könnten, als wir es seit den 1990er Jahren gemacht haben.
Gleichzeitig finde ich aber, dass man wirklich differenzieren muss. Es gibt die Präsidentschaftswahl, aber es gibt auch andere Wahlen. Ich möchte für niemanden sprechen, aber ich finde es wirklich sehr wichtig, dass wir als Delegierte sagen: »Wählt Joe Biden für die Präsidentschaft. Aber worauf es wirklich ankommt ist, dass ihr eure ganze Energie in die Wahlkämpfe von Leuten wie Cori Bush oder Alexandria Ocasio-Cortez steckt. Da finden unsere Kämpfe statt.«
Könnt Ihr uns ein bisschen mehr über die Gruppe Germany for Bernie erzählen?
CL: Germany for Bernie war eine Gruppe, die mit mit einer Handvoll von Leuten in Berlin gestartet ist. Diese Leute haben sich dazu entschieden, per Telefon und Textnachrichten Wahlkampf für Bernie Sanders zu machen. Das hat unter US-Amerikanerinnen in Deutschland – aber auch anderen Leuten, die Bernies progressive Ideen unterstützen wollten – so viel Anklang gefunden, dass die Gruppe ziemlich schnell gewachsen ist und wir irgendwann über 200 Leute waren, die freiwillig für Bernie aktiv geworden sind.
Die Energie, die sich da angesammelt hat, war unfassbar. Es hat viel Spaß gemacht und wir haben viel erreicht. Wir haben auch viel auf der Straße geworben. Eigentlich haben wir überall geworben, damit US-Amerikaner in Berlin und anderswo die Chance nutzen, sich an den globalen Vorwahlen zu beteiligen. Wir haben viele Veranstaltungen organisiert, die sich mit linken Themen auseinandergesetzt haben. Wir haben praktisch alles gemacht, von politischer Bildung bis zu richtiger Kampagnenarbeit – alles, was dazugehört. Es hat mich überrascht, wie viele Leute in Deutschland Bernie Sanders unterstützten und für die außer Frage stand, dass er der Kandidat sein sollte.
Habt ihr beim Telefon-Wahlkampf den Leuten gesagt, dass ihr aus Deutschland anruft?
CL: Nein, aber die meisten Leute, die Telefonate geführt haben, kamen auch aus den USA, sodass in den meisten Fällen kein Akzent zu hören war. Leute, die eine andere Staatsbürgerschaft hatten, haben meistens lieber Textnachrichten verschickt.
Wir haben auch viele verschiedene Perspektiven eingeholt. Wir hatten zum Beispiel eine Gruppe von Medizinstudenten und die konnten dann den Wählerinnen ihre Perspektive auf »Medicare for All« geben und erzählen, wie sie das Gesundheitssystem in Deutschland erleben. Wir hatten also sehr gemischte, aber gute Positionen, aus denen wir schöpfen und die Wählerschaft überzeugen konnten.
DR: Es soll festgehalten werden, dass Germany for Bernie total erfolgreich war – in Berlin ganz besonders, aber eigentlich war ganz Deutschland ein Vorbild für die Bernie-Sanders-Kampagne im Ausland. Nur Großbritannien hatte mehr Teilnehmer als wir, aber dort leben auch viel mehr Demokraten als hierzulande.
Wie sieht die Zukunft von Germany for Bernie nach der Sanders-Kampagne aus?
CL: Aktuell versuchen wir, uns umzustrukturieren. Wir werden die Bernie-Gruppe auflösen und uns dem demokratischen Sozialismus zuwenden. Unser Ziel ist es weiterhin progressive Kandidatinnen und Kandidaten auf allen Ebenen zu unterstützen. Wie Diego schon meinte, geht es uns weniger um die Präsidentschaft, sondern eher darum, progressive Kandidatinnen auf der Senate- und Congress-Ebene zu unterstützen, damit sie Einfluss haben können egal wer Präsident wird. Viele von uns treten auch den Democratic Socialists of America (DSA) bei.
DR: Jetzt geht der Wahlkampf unter US-Amerikaner und -Amerikanerinnen erst richtig los. Alle, die können, sollten per Email oder Fax ihre Stimme abgeben. Dennoch gibt es 21 Bundesstaaten, in denen man den Wahlzettel mit der Post abschicken muss. Darunter zählen wichtige Bundesstaaten wie Michigan, Ohio und Wisconsin. Wegen Corona wird das dieses Jahr besonders kompliziert. Wir empfehlen allen sich jetzt schon bei www.votefromabroad.org registrieren zu lassen, damit sie rechtzeitig einen Wahlzettel bekommen. Deshalb versuchen wir auch so viel wie möglich zu mobilisieren. In Kanada haben an der letzten Wahl nur fünf Prozent der dort lebenden Amerikaner gewählt. Weltweit sieht es nicht besser aus. Hier gilt es noch viel mehr raus zu holen, wenn wir Trump sicher schlagen wollen.