13. Juni 2023
Silvio Berlusconi degradierte die italienische Politik zu einem Fernsehspektakel und brachte die extreme Rechte an die Regierung. Er bleibt die ultimative Symbolfigur für die Aushöhlung der Demokratie durch private und mediale Macht.
Silvio Berlusconi, der Medienmogul und Staatsmann, starb am Montag im Alter von 86 Jahren.
IMAGO / Ulmer/Teamfoto»Das Ende einer Ära« titelte La Repubblica zum Tod von Silvio Berlusconi und unterstrich damit, dass der ehemalige Ministerpräsident die italienische Politik über Jahrzehnte geprägt hat. Dieser Blick auf Berlusconi als »historische« Figur ist insofern geschönt, als er seine Geschichte von kriminellen Machenschaften, Amtsmissbrauch und dem Missbrauch des Parlaments zur Verteidigung seines Fernsehimperiums größtenteils ausblendet. Doch von einem Ende der Ära Berlusconi zu sprechen, bedeutet auch, den Wandel misszuverstehen, den er verkörperte. Denn vom Aufstieg der extremen Rechten in Italien an die Spitze der Regierung bis zum Phänomen Donald Trump in den USA leben wir noch immer in der Welt Silvio Berlusconis.
Der erste Wahlkampf des Medienmoguls im Jahr 1994 brachte viele Veränderungen mit sich, die westliche Demokratien bis heute prägen. Berlusconi wetterte gegen eine vermeintlich übermächtige Linke – als Anführer nicht einer Massenpartei, sondern eines Polit-Startups namens Forza Italia. Auf den Wahllisten standen seine Geschäftspartner, sein eigener Privatsender verbreitete die Botschaft seiner neuen Partei, die ein »liberalisiertes« Italien der freien Märkte forderte, während er als Ministerpräsident die Staatsmacht gebrauchte, um seine eigenen wirtschaftlichen Interessen zu fördern. Berlusconi brachte, kurz gesagt, eine schleichende Privatisierung der italienischen Demokratie.
Ermöglicht wurde diese durch die Verkommenheit der alten Ordnung, die sich im Korruptionsskandal »Mani pulite« niederschlug, der zwischen 1992 und 1994 das Ende der traditionellen Massenparteien mit sich brachte. In einem politischen Umfeld, in dem das Vertrauen in Institutionen zunehmend schwand, präsentierten sich die Forza Italia und ihre Verbündeten als Kraft der Erneuerung und »Liberalisierung« und schimpften auf die abgehobene politische Elite. Die neofaschistische Partei Movimento Sociale Italiano erfand sich neu als Repräsentantin von »la gente« – den ganz normalen Leuten – im Gegensatz zu »tangente« – der Bestechlichkeit.
Als langjähriges Mitglied der Geheimorganisation Propaganda Due hatte Berlusconi durch seinen Bekannten Marcello dell’Utri Verbindungen zur Mafia. Sein Auftreten als Saubermann, der neue Zeiten mit sich bringen würde, entbehrte also nicht einer gewissen Ironie. Während seiner Regierungen knüpfte der Staat noch engere Beziehungen zur undurchsichtigen Geschäftswelt. Doch die neue rechte Koalition, die Berlusconi schmiedete, konnte regelmäßig eine deutliche Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hinter sich versammeln, während die Basis der Linken bröckelte. Berlusconis juristische Probleme bremsten seine politische Karriere nach Jahren aus, doch er hinterlässt dem Land eine permanent verkümmerte politische Öffentlichkeit und eine radikalisierte Rechte.
Auch das Ende des Kalten Krieges spielte eine entscheidende Rolle beim Kollaps des alten italienischen Parteiensystems, denn es entfesselte die Kräfte, die Berlusconi zur Macht verhalfen. Während die Medien triumphierend das »Ende der Geschichte« und der ideologischen Grabenkämpfe verkündeten, sprachen sie auch von der historischen Chance, ein »modernes«, »normales«, »europäisches« Italien zu schaffen, dass sich aus der Asche der alten politischen Ordnung erheben würde. Reuige Kommunistinnen und Kommunisten wurden zu Sozialdemokratinnen oder Liberalen, und die alteingesessene Christdemokratie sowie die Sozialistische Partei versanken im Strudel der Korruption. Das Morden der Mafia in den frühen 1990er Jahren unterstrich die dringenden Bedarf nach Wandel in der italienischen Politik – und nach einer effizienten und rationalen Staatsmacht, die endlich für Ordnung und Gesetzestreue sorgen würde.
Berlusconis erster Vorstoß in die Politik fand in diesem Moment der Neugründung des politischen System statt. Doch während er dessen »postideologischen« Geist ebenfalls verkörperte, deutete er die Situation doch auf seine eigene Art um. Die Implosion der Massenparteien und ihrer gesellschaftlichen Machtblöcke brachte keine Moralisierung der politischen Öffentlichkeit und keine Überwindung der Korruption mit sich, sondern eine Übernahme der Politik durch Figuren wie Berlusconi, die bereits über signifikante außerparlamentarische Macht verfügten.
Während in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit die Legislative und der öffentliche Rundfunk von den Parteien dominiert wurden, die den Widerstand gegen den Faschismus angeführt hatten, nahm deren Bedeutung damals bereits ab. Berlusconi begründete sein Imperium als Immobienmagnat, im von Yuppies geprägten Mailand der 1980er Jahren stand er für den Geist des dynamischen, hedonistischen Unternehmertums. Dank seiner Verbindungen mit Bettino Craxis sozialistischer Partei gelang es ihm in diesen Jahren, aus seinen lokalen TV-Studios nationale Privatsender zu machen.
Das Verschwinden der alten Parteien führte auch zu einer neuen Personalisierung der Politik, die in der Suche nach Präsidentenfiguren nach US-amerikanischem Vorbild mündete. Neben Berlusconi empfahlen sich damals eine ganze Reihe von Geschäftsmännern, Richtern und Technokraten für diese Rolle und traten bei Wahlen als angebliche Retter der Nation an, die versprachen, Italien von den Zumutungen seiner Politiker – und der Politik als solcher – zu befreien.
»Die Kräfte der linken Mitte tappten regelmäßig in die Falle, vor allem das persönliche Fehlverhalten Berlusconis zu thematisierten.«
Diese Entwicklung gipfelte sicherlich während Berlusconis insgesamt neun Jahren als Premierminister, die sich auf verschiedene Amtszeiten zwischen 1994 und 2011 verteilen. Seine andauernden sexistischen und rassistischen Ausfälle, seine Trivialisierung der Geschichte des Faschismus und seine Tiraden gegen angeblich »kommunistische« Richter, die es auf ihn abgesehen hätten, brachten seine Gegner zur Weißglut und mobilisierten seine Basis.
Die Kräfte der linken Mitte tappten in dieser Zeit regelmäßig in die Falle, vor allem das persönliche Fehlverhalten Berlusconis zu thematisierten – inklusive endloser Versuche, die vermeintlich »moderaten« Teile von Berlusconis Basis zu erreichen, die seiner angeblich irgendwann überdrüssig werden würden. Doch dabei glitt Berlusconis ökonomische »Liberalisierung«, die Interessen von Unternehmen knallhart priorisierte und für die Wählerschaft der Linken ein sehr viel ernsteres Problem darstellte, aus dem Fokus.
In einem eingeschränkten Sinn war Berlusconis persönliche Schwäche für Korruption tatsächlich seine politische Achillesferse. 2013 wurde ihm untersagt, öffentliche Ämter zu bekleiden, da er wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde, was ihn von der Spitze der rechten Allianz verdrängte und Matteo Salvinis Lega den Weg bereitete. Doch zu diesem Zeitpunkt war die linke Mitte in Italien bereits Bündnisse mit Berlusconi eingegangen – die Sparpolitik nach der Finanzkrise ließ sich nur durch »große Koalitionen« durchsetzen, die die alten politischen Trennlinien angeblich überwanden.
Heute ist Forza Italia nicht mehr die dominante Kraft auf der italienischen Rechten, sondern nur noch ein relativ kleiner Koalitionspartner von Giorgia Melonis Postfaschisten. Veteranen der Partei, wie ihr Vorsitzender in Sizilien, Gianfranco Miccichè, haben bereits angekündigt, dass die Forza Italia ohne ihren Gründer vermutlich nicht überleben wird. Doch während seine Partei im Sterben liegt, lebt Berlusconis Transformation der italienischen Öffentlichkeit fort.
Der Fokus auf Berlusconis Eigennutz und seine exzentrische Persönlichkeit kann auch den Blick darauf verstellen, wie er das Parteiensystem veränderte. 2019 sprach er darüber in einer Rede, in der er – lange nach dem Zenit seiner politischen Karriere – damit prahlte, dass er die gegenwärtige rechte Koalition erst geschmiedet habe. »Wir waren es, die die Lega und die Faschisten legitimiert und in die verfassungsgemäße Ordnung integriert haben«, erklärte Berlusconi und verwies darauf, dass er 1994 als erster bereit gewesen sei, mit diesen Parteien zu koalieren, was ihnen alle anderen Parteien bis dahin verweigert hatten. In derselben Rede distanzierte er sich jedoch vom »souveränistischen« italienischen Nationalismus. Er habe diese Kräfte moderiert, indem er sie in hohe politische Ämter gebracht habe. Doch sein wahres politisches Erbe ist deutlich komplexer.
Obwohl sie zahlreiche Veränderungen und gelegentliche Brüche erlebte, besteht das rechte Bündnis zwischen Berlusconis Forza Italia, den Nord-Regionalisten von der Lega und den politischen Erben des Faschismus, die sich heute in Melonis Fratelli d’Italia versammeln, grundsätzlich betrachtet seit fast drei Jahrzehnten. Während sich der Mogul in den letzten Jahren als »proeuropäischer« Garant gegen den »Populismus« präsentierte, hat sich die nationalistische Identitätspolitik im Bündnis unter Salvini und Meloni insgesamt durchgesetzt und radikalisiert.
Damit einher ging eine Welle des historischen Revisionismus, der die Geschichte des Faschismus zu trivialisieren versuchte. Die Behauptungen des Milliardärs, Benito Mussolini habe »nie irgendjemanden umgebracht« waren sicherlich ein Schlag ins Gesicht für Antifaschistinnen und alle, die sich an sein Regime noch erinnern konnten. Doch hierbei ging es nicht nur um die Interpretation der Geschichte, sondern auch darum, Italien und seine Bevölkerung als Opfer politisch korrekter Linker darzustellen, die eine kulturelle Hegemonie innehätten, die nicht durch Wahlsiege legitimiert sei.
»Die Trivialisierung von Berlusconis politischem Vermächtnis zeigt, zu welchem Grad der politische Mainstream nach Rechts gedriftet ist.«
Auch wollte Berlusconi die angeblich »sowjetisch inspirierte« Verfassung des Landes, die die Parteien des Widerstands 1946 und 1947 verfasst hatten, umgestalten und sie durch ein Präsidialsystem ersetzen. Heute verspricht Meloni dieselbe Agenda: Nicht nur im Hinblick auf historischen Revisionismus, sondern auch was die endgültige Abwicklung der politischen Nachkriegsordnung mit ihren Massenparteien anbelangt.
Am vergangenen Freitag sagte die TV-Moderatorin Lucia Annunziata, dass Melonis Pläne für eine neue Verfassung, inklusive der Besetzung wichtiger Posten des öffentlichen Rundfunks RAI mit politischen Verbündeten, eine »kopflastige Ordnung mit ihrem eigenen Istituto Luce« schaffen würde. Sie verglich Melonis Medienpolitik also mit dem faschistischen Regime Mussolinis und übertrieb dabei etwas; üblicher sind Vergleiche der neuen Regierung mit Viktor Orabáns Ungarn. Doch in diesen Entwicklungen spiegelt sich auch die jüngere italienische Geschichte wider, von der dramatischen Abnahme der Beteiligung am demokratischen Prozess bis zum Aufstieg eines ressentimentgeladenen Nationalismus und »Antikommunismus«, der die Existenz einer realen kommunistischen Bewegung längst überdauert hat.
Berlusconi hat die italienische Demokratie sicher nicht eigenhändig ausgehöhlt oder höchstpersönlich der extremen Rechten ausgeliefert. Doch er steht mit wie kein Zweiter für diese Entwicklung – eine lächerliche und doch dunkle Figur, die grinsend rassistische Witze mit harten Gesetzen zur Unterdrückung von Einwanderern verband, Verständnis für Mussolini zeigte und die Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua mit brutaler Härte unterdrückte. Ähnlich wie George W. Bush, an dessen Krieg im Irak sich Italien unter Berlusconi beteiligte, wurde Berlusconi in späteren Jahren oft vorteilhaft mit den rechtsextremen politischen Figuren, die auf ihn folgten, verglichen. Dabei wurde absurderweise seine Liebe für Pudel zum Topthema im öffentlichen Fernsehen.
Doch seine Regierungszeit lässt sich kaum verklären – sie legte den Grundstein für die heutigen Zustände in der italienischen Politik. Die Trivialisierung seines politischen Vermächtnisses – als »Proeuropäer«, Unterstützer der NATO und Gegner des »Populismus« – zeigt, zu welchem Grad der politische Mainstream nach Rechts gedriftet ist und wie tief die Standards für eine »liberale Demokratie« inzwischen gesunken sind. Berlusconi ist nicht mehr unter uns, aber wir leben weiterhin in seiner Welt.
David Broder ist Europa-Redakteur von JACOBIN und Autor von Mussolini’s Grandchildren: Fascism in Contemporary Italy (Pluto Press, 2023).