18. September 2023
Der massive Streik der Autogewerkschaft UAW zeigt: Die US-Arbeiterbewegung ist zurück. Nicht zuletzt dank Bernie Sanders, denn seine Präsidentschaftskampagnen motivierten eine neue Generation, gegen Ungleichheit und Konzernmacht anzutreten.
Bernie Sanders und der UAW-Vorsitzende Shawn Fain auf einer Kundgebung.
IMAGO / USA TODAY NetworkNach Jahrzehnten, in denen die Ungleichheit in den USA explodierte und die Superreichen zunehmend die Regierung vereinnahmten, fanden 2016 und 2020 Millionen von Menschen im Präsidentschaftswahlkampf eines etwas schrulligen demokratisch-sozialistischen Senators aus Vermont eine politische Stimme, die ihre Wut zum Ausdruck brachte – und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Bernie Sanders begeisterte Menschen im ganzen Land für eine »politische Revolution« der einfachen Leute gegen die Klasse der Milliardäre, die die US-amerikanische Politik und Wirtschaft zu ihrem eigenen Vorteil manipuliert hat.
Aber heute sind die wichtigsten Reformen, für die Sanders warb – Medicare for All, der Green New Deal, eine Jobgarantie, kostenlose Bildung für alle von der Vorschule bis zum College und so weiter – wieder von der Tagesordnung verschwunden. Obwohl die Regierung von Präsident Joe Biden progressiver ist als erwartet, reichen ihre Erfolge bei weitem nicht an die ehrgeizigen Forderungen der politischen Revolution von Sanders heran.
Doch gleichzeitig geschieht noch etwas anderes. Arbeiterinnen und Arbeiter bei Konzernriesen wie Amazon und Starbucks organisieren sich öffentlichkeitswirksam. Es gibt eine Explosion der Gewerkschaftsarbeit im Hochschulbereich. In großen Gewerkschaften wie den Teamsters und den United Auto Workers (UAW) wurden korrupte Führungspersönlichkeiten der alten Garde gestürzt und auch in Hollywood wird gestreikt. Die lange totgesagte Arbeiterbewegung in den USA zeigt Lebenszeichen.
Die jüngste Episode dieser Art: Letzten Freitag startete die 146.000 Mitglieder starke UAW unter der neuen Führung, die mit dem Versprechen gewählt wurde, die Gewerkschaft in eine demokratische und militante Kraft umzuwandeln, einen Streik gegen die drei großen US-Automobilhersteller (Stellantis, General Motors und Ford). Zu den Zielen der Gewerkschaft gehört es, jahrzehntelange Zugeständnisse zurückzunehmen, die Spaltung der Beschäftigten in verschiedene Vertragsstufen zu beenden, sicherzustellen, dass der von der Regierung geförderte Übergang zu Elektrofahrzeugen tatsächlich gute Arbeitsplätze schafft, und eine kürzere Arbeitswoche durchzusetzen.
Der neue UAW-Präsident Shawn Fain machte die Führungskräfte der Automobilindustrie mit seiner kompromisslosen Rhetorik schon im Vorfeld des Streiks nervös. In seinen öffentlichen Äußerungen schwärmte er poetisch über den Klassenkampf und berief sich auf die Evangelien, als er über die Notlage der Arbeiterinnen und Arbeiter sprach. Außerdem hat er es sich zur Gewohnheit gemacht, Tarifaktualisierungen für die Mitglieder abzuschließen, indem er die Vertragsvorschläge der Autohersteller buchstäblich in den Mülleimer wirft.
Es ist kein Wunder, dass viele eine Verbindung zwischen Fain und Bernie Sanders herstellen, der sich Freitagnachmittag auf einer Kundgebung in Detroit den streikenden UAW-Mitgliedern anschloss. Anfang des Monats schrieb der Gewerkschaftshistoriker Nelson Lichtenstein auf Twitter:
»Ich habe gerade Fains 37-minütige Präsentation über die UAW-Verhandlungen gesehen. Er klang oft wie Bernie Sanders, nur besser, denn am 14. September könnten Fain und der Teil der Arbeiterklasse, den er anführt, wirklich in den Streik treten, um seine Rhetorik in die Tat umzusetzen.«
Seit den 1970er Jahren sind die Beschäftigten in der Automobilindustrie in vielerlei Hinsicht die Kanarienvögel im Kohlebergwerk der US-Arbeiterklasse im Allgemeinen. Früher konnten sie – vor allem dank ihrer Gewerkschaft – mit guten Löhnen, sicheren Arbeitsplätzen und großzügigen Renten rechnen. Doch in den letzten Jahrzehnten mussten viele von ihnen feststellen, dass sich ihr Lebensstandard verschlechterte. Die Autofirmen verlagerten Arbeitsplätze nach Übersee oder in Regionen mit geringerer gewerkschaftlicher Organisierung, verlangten immer mehr Sozialabgaben, schufen Arbeitsplätze auf niedrigeren Ebenen und intensivierten die Ausbeutung in den Betrieben.
»Dass die Militanz in den großen Gewerkschaften wie der UAW zu neuem Leben erwacht, ist essenziell, um die transformativen Veränderungen zu erreichen, für die sich die Sanders-Bewegung eingesetzt hat.«
Die UAW-Reformbewegung, die Fain an die Macht brachte, und der derzeitige Streik zeigen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter zurückschlagen. Sie versuchen, das rückgängig zu machen, was Jahrzehnte des Neoliberalismus in ihrer und anderen Branchen angerichtet haben. So kontextualisierte auch Fain selbst den Streik in einem Video, das die Gewerkschaft am 13. September veröffentlichte: »Dies ist der entscheidende Moment für unsere Generation. Lasst uns für uns selbst und die Arbeiterklasse eintreten. Setzen wir uns für künftige Generationen ein. Lasst uns für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit eintreten.«
Die streikenden UAW-Mitglieder übernehmen die Fackel von Sanders Präsidentschaftskampagnen. Sanders und die UAW teilen nicht nur das Ziel, die Macht der Unternehmen anzugreifen. Dass die Militanz in den großen Gewerkschaften wie der UAW zu neuem Leben erwacht, ist essenziell, um die transformativen Veränderungen zu erreichen, für die sich die Sanders-Bewegung eingesetzt hat.
Die riesige Streikwelle, die die USA in den frühen 1930er Jahren erschütterte, war ein wichtiger Impuls für die zweite Welle der New-Deal-Reformen, mit denen das Recht auf Tarifverhandlungen institutionalisiert, die Sozialversicherung eingeführt und die Arbeitsbeschaffungsbehörde Works Progress Administration ins Leben gerufen wurde. Und die Länder, auf die Sanders gerne verweist, weil sie seine Ideen bereits in die Tat umgesetzt haben – wie Schweden und Finnland – konnten dies nur dank sozialdemokratischer Parteien tun, die auf der Grundlage massiver militanter Gewerkschaftsbewegungen an die Macht kamen.
Die Progressiven und Sozialisten, die im Gefolge von Sanders Präsidentschaftskampagnen in Gruppen wie Democratic Socialists of America (DSA) und die Klimabewegung Sunrise Movement strömten, haben anschließend im ganzen Land verteilt Wahlen gewonnen und legislative Erfolge erzielt. Aber viele haben auch erkannt, wie wichtig die Organisierung in der Arbeiterbewegung ist – so mobilisierte DSA in diesem Sommer zur Unterstützung des möglichen Streiks der UPS-Teamster und plant auch Solidaritätsaktionen mit der UAW. Durch das Emergency Workplace Organizing Committee (EWOC) haben DSA-Mitglieder Beschäftigten bei der Organisierung geholfen, und viele Sozialistinnen und Sozialisten nehmen Jobs in wichtigen Sektoren wie Logistik, Krankenpflege und Bildung an, um dabei zu helfen, die Gewerkschaften in eine kämpferische, demokratische Richtung zu führen.
Die heutige Militanz in der UAW ist zu einem nicht geringen Teil das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen sozialistischer Kräfte und Gruppen wie Labor Notes. Einst spielten linke Basisorganisatoren eine Schlüsselrolle beim Aufbau der US-Arbeiterbewegung auf dem Höhepunkt ihrer Macht in den 1930er und 40er Jahren. Wenn sich der Kampfgeist, den wir jetzt in der UAW und anderswo sehen, ausbreitet, dann wird das wahrscheinlich zu einem großen Teil der von Sanders inspirierten Linken zu verdanken sein, die ihre Bemühungen an den Wahlurnen mit einer kämpferischen Organisierung am Arbeitsplatz verbindet.
Nick French ist Redaktionsassistent bei JACOBIN.