10. September 2025
Will die Linke eine Klassenpartei werden, muss sie sich in der Arbeitswelt verankern. Doch es mangelt an konkreten Konzepten. Ein Vorschlag, wie linke Betriebsarbeit aussehen könnte.
»Gespräche an der Haustür oder am Infostand sind nicht dasselbe wie Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz, aber vieles lässt sich übertragen.«
Die Linke hat sich vorgenommen, organisierende Klassenpartei zu werden. »Wir möchten Konzepte entwickeln, wie unsere Genoss*innen an ihrem Arbeitsplatz die Gewerkschaftsbewegung stärken können«, heißt es im Leitantrag des letzten Bundesparteitags. Dafür muss sie in den Betrieben Fuß fassen. Doch wie soll das gehen?
Wenn man sich mit gewerkschaftlicher Arbeit in sozialistischen Organisationen befasst, fällt einem zuallererst auf, wie wenig es dazu zu lesen gibt. Man findet Bücher wie Keine halben Sachen von der amerikanischen Gewerkschafterin Jane McAlevey, die einem die Grundlagen davon beibringt, wie man seine Kolleginnen und Kollegen organisiert – oder zumindest, was man darüber durchs Bücherlesen lernen kann. Und auch Texte dazu, wie sozialistische Organisationen sich grundsätzlich zu den Gewerkschaften verhalten sollten, gibt es viele. Aber wie der Marxismushistoriker Hal Draper schon 1970 feststellte, findet sich so gut wie keine Literatur dazu, wie eine systematische Arbeit in den Betrieben für organisierte Sozialistinnen und Sozialisten aussehen könnte.
Warum zu so einem zentralen Bestandteil sozialistischer Politik bisher wenig Worte verloren wurden, ist kein allzu großes Rätsel. Zur Blütezeit der alten Arbeiterbewegung konnte man leicht davon ausgehen, dass die zunehmende Organisierung der arbeitenden Klasse einfach eine Konsequenz der Entwicklung des Kapitalismus war, die man nicht forcieren musste. Sozialistische Parteien hatten ihre Basis in den Nachbarschaften und an den Arbeitsplätzen der Menschen. Klassenpolitik war keine Frage, denn die arbeitende Klasse war längst organisiert.
Von dieser Welt ist heute nicht viel übrig. Die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ist weder gewerkschaftlich noch politisch organisiert. Wo es sie noch gibt, haben die Parteien der alten Linken ihre oppositionelle Haltung gegenüber dem Kapital aufgegeben und sind zu Verwalterinnen des Status quo geworden. Linke gibt es immer noch. Aber sie stehen größtenteils am Rande von Politik und Gesellschaft. Selbst da, wo es hin und wieder zu erstaunlichen Wahlerfolgen kommt, gehen sie nicht mehr mit derselben tiefen Organisation einher. Aber es gab auch Versuche, wieder Wurzeln in der Klasse zu schlagen.
An einigen Orten waren diese Versuche durchaus von Erfolg gekrönt. Es gibt bis heute Betriebe, in denen kommunistische Parteien, die in der nationalen Politik ihrer jeweiligen Länder kaum noch eine Rolle spielen, eine merkbare Präsenz aufrechterhalten. Und selbst einige der studentischen Vorstöße in die Produktion aus der 68er-Bewegung heraus, wie zum Beispiel bei Opel in Bochum, prägten eine Zeit lang Arbeitskämpfe an bestimmten Standorten. Aber diese lokalen Erfolge geschahen im Kontext eines offenbar unaufhaltsamen Niedergangs der Arbeiterbewegung und der organisierten Linken in den entwickelten kapitalistischen Ländern. In Deutschland ist die Gewerkschaftsdichte allein seit dem Jahr 2000 von etwa 25 Prozent auf 16 Prozent gesunken.
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Jonas Thiel ist Mitglied der Linken und Contributing Editor bei »Jacobin«.