11. November 2020
Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung versprach Afrika eine Grüne Revolution, um Hunger und Armut zu bekämpfen. Seither haben sich nur die Profite des Agribusiness erhöht. Die Verlierer sind lokale Kleinbauern.
AGRA fördert ein Handvoll Nahrungspflanzen, vor allem Mais. Das mindert die Saatgutvielfalt und hat schwere Folgen für Kleinbauern und Klima.
Seit fünf Jahren steigt die Zahl der hungernden Menschen weltweit an und seit Jahrzehnten tobt in Fachdebatten ein Streit darüber, mit welchen Ansätzen alle Menschen ausreichend und gut ernährt werden können.
Eine simple These lautet, das internationale Agribusiness – unterstützt von vielen Regierungen aus dem Globalen Norden und einigen Regierungen aus dem Globalen Süden – könne die Produktivität in der Landwirtschaft mit Pestiziden, Hybridsaatgut und anderen externen Inputs erhöhen, und damit den Hunger beenden. Eine Vielzahl von Bewegungen und NGOs haben jedoch dargelegt, dass Hunger kein Problem der Erzeugung ist, sondern vielmehr in ungleich verteilten Machtressourcen und der Kontrolle über landwirtschaftliche Produktionsmittel wie Land und Saatgut wurzelt.
Der Narrativ des Agribusiness ist weiterhin einflussreich. Regierungen im globalen Süden, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, werden lobbyiert, um mit neuen Gesetzen oder Projekten ihre Agrarsektoren zugunsten des internationalen Agribusiness zu verändern. Eine besonders tonangebende Initiative, die die Agenda der Konzerne auf dem afrikanischen Kontinent vorantreibt, ist die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (Alliance for a Green Revolution in Africa, AGRA).
Im Jahr 2006 wurde AGRA durch die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und die Rockefeller-Stiftung ins Leben gerufen. Mit kommerziellem Hochertragssaatgut, synthetischen Düngemitteln und Pestiziden im Gepäck könne das Programm Afrika seine eigene Grüne Revolution in der Landwirtschaft ermöglichen, um Hunger und Armut zu verringern. So lautete zumindest das Versprechen.
AGRA war angetreten, um die landwirtschaftlichen Erträge und die Einkommen von 30 Millionen kleinbäuerlichen Haushalten zu verdoppeln und damit sowohl Hunger als auch Armut in 20 afrikanischen Ländern bis zum Jahr 2020 zu halbieren. Um das zu erreichen, finanziert AGRA verschiedene Projekte und setzt sich bei afrikanischen Regierungen für strukturelle Veränderungen ein, die die politischen Weichen für eine Grüne Revolution in Afrika stellen sollen. AGRA erhielt seit seiner Gründung Beiträge in Höhe von rund einer Milliarde US-Dollar, hauptsächlich von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Große Zuschüsse kamen zudem von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und anderen Ländern, darunter auch Deutschland.
Von diesen Einnahmen vergab AGRA Zuwendungen von mehr als 500 Millionen US-Dollar. Afrikanische Regierungen stützen die AGRA-Ziele mit öffentlichen Mitteln durch Input-Subventionsprogramme für Bäuerinnen und Bauern (Farm Input Subsidy Programmes, FISPs), damit diese das von AGRA geförderte – meist hybride – Saatgut sowie synthetische Düngemittel bezahlen können. Die staatlichen Subventionen für kleinbäuerliche Betriebe bieten einen Anreiz für die Einführung des AGRA-Technologiepakets der Grünen Revolution. In 10 der 13 Schwerpunktländer von AGRA – darunter Äthiopien, Kenia, Mali, Ruanda, Sambia und Tansania – wurden FISPs in erheblichem Umfang eingeführt.
14 Jahre nach der Gründung von AGRA sind wir schlauer und wissen, dass die Initiative gescheitert ist. Statt den Hunger zu bekämpfen, ist er in den AGRA-Schwerpunktländern sogar um 30 Prozent und damit um 30 Millionen Menschen angestiegen. Die landwirtschaftlichen Erträge sind in den 13 AGRA-Schwerpunktländern seit Beginn von AGRA bis 2018 lediglich um 18 Prozent anstatt 100 Prozent gesteigert worden. In der Zeit vor AGRA sind die Erträge in diesen Ländern um 17 Prozent gewachsen. Damit sind die Steigerungen der Erträge ohne AGRA und mit AGRA nahezu identisch.
Die Resultate von AGRA sind verheerend für kleinbäuerliche Erzeugerinnen und Erzeuger, denn in den meisten AGRA-Projekten verkauft man ihnen vor allem teure Inputs wie Hybridsaatgut und synthetische Düngemittel über Agrarchemiehändler. Das ist extrem kostspielig, dadurch steigt das Verschuldungsrisiko drastisch. Beispiele aus Tansania zeigen, dass kleinbäuerliche Erzeugerinnen und Erzeuger nicht dazu in der Lage waren, ihre Schulden für Saatgut und Dünger direkt nach der Ernte zurückzuzahlen. Einige mussten zur Schuldentilgung sogar ihr Vieh verkaufen.
Die AGRA-Formel »doppelte Erträge gleich doppelte Einkommen« geht nicht auf. Etwaige kurzfristige Ertragssteigerungen müssen im AGRA-Modell durch Saatgut, Dünger und oft auch Pestizide teuer erkauft werden. Dabei profitieren lediglich die Saatgut- und Düngemittelkonzerne.
Zudem wird die Wahlfreiheit eingeschränkt: Bei AGRA-Projekten in Kenia dürfen die kleinbäuerlichen Erzeugerinnen und Erzeuger nicht selbst entscheiden, welches Maissaatgut sie verwenden und welche Düngemittel und Pestizide sie nutzen wollen. Die Leitungen von AGRA-Projekten gehen davon aus, dass die Agrarchemiehändler die besten Entscheidungen für die Bäuerinnen und Bauern treffen. Der AGRA-Fokus liegt auf wenigen Nahrungspflanzen wie Mais oder Soja, weshalb traditionelle nährstoffreiche Nahrungsmittel vernachlässigt und sogar verdrängt werden.
Aus Statistiken für die 13 AGRA-Schwerpunktländer geht hervor, dass die Hirseproduktion seit Beginn der Initiative um 24 Prozent zurückging. Bei den Wurzel- und Knollengewächse wurde ein Ertragsrückgang von 7 Prozent verzeichnet. Insgesamt nimmt durch AGRA die Vielfalt auf dem Acker und damit auch die Saatgutvielfalt ab. Das macht die Landwirtschaft noch verwundbarer für die Folgen der Klimakrise.
Die derzeitig gültige AGRA-Strategie beschreibt »Politik und Einflussnahme« als erstes Aufgabenfeld. Sie verfolgt allem voran das Ziel, aktiv eine Politik voranzutreiben, die Hochertragssaatgut, synthetischen Düngemitteln und anderen Inputs der Grünen Revolution die Tür öffnet. Damit wird verhindert, dass alternative Ansätze wie die Agrarökologie unterstützt werden.
So finanzierte AGRA zum Beispiel den Aufbau einer afrikanischen Düngemittel- und Agribusiness-Lobby unter dem Namen African Fertilizer and Agribusiness Partnership (AFAP) mit 25 Millionen US-Dollar. AFAP setzt sich gegenüber afrikanischen Regierungen und Geberorganisationen für die Interessen der Düngemittelindustrie ein. In Ghana, Mosambik und Tansania will AFAP etwa den Düngemitteleinsatz um 100 Prozent steigern. Zu den AFAP-Partnern gehören unter anderem Louis Dreyfus, einer der größten Getreidehändler weltweit, sowie International Raw Materials (IRM), ein großer US-amerikanischer Düngemittelhändler. Zudem sind die Verbindungen zwischen AGRA und AFAP eng: Die Präsidentin von AGRA, sitzt zugleich im Vorstand von AFAP.
Weit oben auf der politischen Tagesordnung stand für AGRA stets die Zurückdrängung von bäuerlichem Saatgut und die Umgestaltung nationaler und regionaler Richtlinien zugunsten kommerzieller Saatgutunternehmen. Mit der Afrikanischen Regionalen Organisation für geistiges Eigentum (African Regional Intellectual Property Organization, ARIPO) hat AGRA in mehreren Ländern wie Burkina Faso, Ghana, Nigeria und Tansania Reformen in der Saatgutpolitik abgestimmt und unterstützt, die afrikanische Länder dem Übereinkommen des Internationalen Verbands zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (International Union for the Protection of New Varieties of Plants, UPOV) von 1991 angliedern. Die UPOV 1991 garantiert Züchtern die Rechte auf neue Saatgutsorten. Mit der damit einhergehenden Etablierung von geistigen Eigentumsrechten auf Saatgut wurde ein rechtlicher Rahmen geschaffen, um pflanzengenetische Ressourcen zu privatisieren, und damit ökonomische Gewinne zu generieren.
Außerdem hat AGRA mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Economic Community of West African States, ECOWAS) im Jahr 2017 eine Absichtserklärung unterzeichnet, um eine formale Partnerschaft aufzubauen. Auch hier sollen Saatgutgesetze an die UPOV 1991 angepasst werden. Die Kriterien, um überhaupt in die UPOV aufgenommen zu werden, sind jedoch für kleinbäuerliche Erzeugerinnen und Erzeuger oft unerreichbar. Saatgut, das nicht die sogenannten DUS-Kriterien zur Unterscheidbarkeit (distinct, D), Einheitlichkeit (uniform, U) und Stabilität (stable, S) von Saatgut erfüllt, kann weder vom System der UPOV geschützt werden noch kann es in die Sortenregister aufgenommen werden, die von der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Economic Community of West African States, ECOWAS) gefordert werden. Das bedeutet, dass dieses Saatgut nicht auf formalisierten Märkten gehandelt werden kann. Damit wird das Recht der Bäuerinnen und Bauern eingeschränkt, ihr bäuerliches Saatgut aufzubewahren, zu tauschen und zu verkaufen. Zugleich wird das Saatgut der Konzerne auf diese Weise gestärkt. Im schlimmsten Fall wird das Saatgut der Bäuerinnen und Bauern kriminalisiert. Bäuerliches Saatgut ist nach wie vor die Hauptquelle für Saatgut in Afrika.
Afrikanischen Bewegungen wie die Coalition for the Protection of African Genetic Heritage (COPAGEN) und viele weitere haben von Beginn an Widerstand gegen AGRA geleistet. Denn AGRA und andere Initiativen der Grünen Revolution vernachlässigen die Bedürfnisse und Rechte kleinbäuerlicher Erzeugerinnen und Erzeuger, die weltweit den größten Teil unserer Nahrung erzeugen.
Landwirtschaftliche Bewegungen in ganz Afrika fordern den Ausstieg aus AGRA und stattdessen eine stärkere Unterstützung der Agrarökologie. Letztere beschreibt eine landwirtschaftliche Praxis, die aus dem Globalen Süden stammt, und von Millionen von Bauern und Bäuerinnen weltweit gelebt wird. Agrarökologie ist eine fundierte Wissenschaft und eine soziale Bewegung zugleich, die sich für die Rechte von Bäuerinnen und Bauern einsetzt und eine rein kapitalistisch organisierte Landwirtschaft zurückweist. Die Agrarökologie bietet kleinbäuerlichen Erzeugerinnen und Erzeugern die Art von Innovation, die sie brauchen: Eine Landwirtschaft, die einen bewussten Umgang mit der Natur und den natürlichen Prozessen pflegt, um bodenbildende Praktiken zu fördern, die dann unmöglich werden, wenn Technologiepakete zum Einsatz kommen, wie sie die Grüne Revolution vorsieht.
Diese Praktiken zeichnen sich zum Beispiel dadurch aus, dass auf ein und demselben Feld mehrere Nahrungsmittelpflanzen angebaut werden. Zur Düngung der Felder werden Kompost, Dung, Mulch, Hülsenfrüchte und Biodünger – anstelle von synthetischen Düngemitteln auf Basis fossiler Brennstoffe – verwendet. Ökologische Schädlingsbekämpfung verringert den Einsatz von Pestiziden. Forschende arbeiten mit Bäuerinnen und Bauern zusammen, um ihr bäuerliches Saatgut zu verbessern, anstatt es durch kommerzielles Hybridsaatgut zu ersetzen, das jedes Jahr erneut gekauft werden muss und das sie zudem dazu zwingt, die Pflanzen auf ihren Äckern mit synthetischem Dünger zu behandeln, um ausreichende Erträge zu erzielen.
Die Widerstände gegen Alternativen zu AGRA sind enorm. Zu groß sind die Interessen und die Einflusssphären des Agribusiness, die am Status Quo profitieren. Alternativen, die die Agrarökologie und die bäuerlichen Rechte stärken, den Einsatz von Pestiziden oder synthetischen Düngemitteln reduzieren oder bäuerliches Saatgut fördern, stehen im direkten Widerspruch zu ihren Kapitalinteressen. Zu oft verstehen sich Regierungen im Globalen Norden als Türöffner für »ihre« Konzerne. Nichtsdestotrotz sind die Alternativen zu AGRA da – jetzt ist es an der Zeit, um für ihre Realisierung zu kämpfen.
Jan Urhahn leitet das Programm Ernährungssouveränität bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ein Großteil dieses Artikels basiert auf der Studie »Leere Versprechen: Die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA)« (2020).
Jan Urhahn leitet das Programm für Ernährungssouveränität bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.