12. August 2025
Die Beschäftigten der Dönerfabrik Birtat haben für höhere Löhne und einen Tarifvertrag gestreikt – und gewonnen. Wer jetzt Preissteigerungen beim Döner herbeiredet, macht sich zum nützlichen Idioten des eigenen Chefs.
Die Mitarbeitenden von Birtat haben den ersten Tarifvertrag der Branche erstreikt.
Am Abend des 7. August hat die Gewerkschaft Nahrung Genuss und Gaststätten (NGG) einen Tarifvertrag bei dem Dönerspießhersteller Birtat erkämpft. Nach dreizehn Streiktagen stand das Ergebnis: Der Einstiegslohn wurde rückwirkend auf den 1. August auf 2.600 Euro brutto angehoben. Darüber hinaus wurde eine Lohnerhöhung in zwei Stufen von bis zu 17 Prozent bis Ende 2026 vereinbart. Damit wurde der erste Tarifvertrag in der Döner-Branche erkämpft. Es bleibt abzuwarten, ob der Arbeitskampf der rund hundert Angestellten von Birtat eine Ausnahme bleibt oder bald Arbeitskämpfe in der gesamten Branche zu erwarten sind.
Schon während den Streiks wurde durchgängig ein Zusammenhang zwischen den Arbeitskampfmaßnahmen und den Dönerpreisen behauptet. Von Tagesschau bis FAZ wurde spekuliert, dass ein Erfolg »wohl Folgen für den Verbraucher« hätte und selbst in der von diversen Magazinen übernommenen dpa-Meldung wurde ein solcher Zusammenhang nahelegt, ganz zu schweigen von hunderten Kommentaren unten den Videos, die ich zeitweise täglich von den Streiks und Demonstrationen gepostet habe. Was ist also dran an der vorgeblichen Erhöhung des Dönerpreises durch mehr Lohn?
Allgemein bekannt ist der faktische Anstieg des Dönerpreises seit Ende der 2010er Jahren. Von einem üblichen Preis zwischen 4 bis 5 Euro ist er inzwischen auf durchschnittlich über 7 Euro angestiegen. Es wird prognostiziert, dass der Dönerpreis in den nächsten Monaten die 10-Euro-Marke knacken wird. Das liegt nur bedingt an einer allgemeinen Preissteigerung für die Rohprodukte des Döners, vom Weißbrot bis zu den Tomaten, da sämtliche Döner-Zutaten zwischen von Juli 2023 bis März 2025 lediglich 3,6 Prozent teurer geworden sind.
Entscheidend sei wohl vor allem der Anstieg des Fleischpreises. Der Verband der Dönerproduzenten Deutschlands e.V. (VDD), also der Arbeitgeberverband, gibt hierfür mehrere Ursachen an: strengere Auflagen der EU für Rinderhaltung, aber auch Seuchen wie die Blauzungenkrankheit. Aber vor allem auch die Energie- und Mietpreise, die nicht zuletzt vor allem die Imbisse und Restaurants zu bezahlen haben, werden als Preistreiber genannt.
Um den Einfluss der Personalkosten auf die Dönerpreise herauszuarbeiten, braucht es einen genaueren Blick. Dafür finden sich aktuelle Zahlen des VDD. Dessen Kalkulationen, die der Verband dem Stern zugänglich gemacht hat, stehen kaum im Verdacht, den Anteil der Lohnkosten kleinzurechnen. Der Arbeitgeberverband rechnet mit einem Kostpreis pro durchschnittlichem Döner von knapp 3 Euro. Der VDD empfiehlt bei dieser Kalkulation einen Verkaufspreis von 10,50 Euro, da die Gastrobetriebe das drei- bis vierfache des Einkaufspreises verlangen, um rentabel zu sein. Die meisten Kosten entstehen im Endverkauf: Miete, meistens in Innenstädten, Energie, Personal. Vor allem die ersten beiden Posten sind in den letzten Jahren enorm gestiegen.
»Bei einer angenommenen Lohnerhöhung von 17 Prozent verteuert der Tarifvertrag den Döner um 1,31 Cent.«
Von den knapp 3 Euro Kostpreis ist das Dönerfleisch mit 2 Euro für die 125 Gramm pro Fleischtasche der größte Posten, der Rest verteilt sich auf Brot, Beilagen, Sauce und Gewürze. Will man dem Lohnanteil beim Kebabpreis auf die Spur kommen, sind auch diese 2 Euro pro Fleischportion im Döner noch nicht die endgültige Größe: Immerhin sind die Kebabstecker bei Birtat und Co. nur ein Teil der Wertschöpfungskette, die beim Rohfleisch, also der Landwirtschaft, beginnt, und von der Zerlegung und Zerschneidung der Fleischscheiben in den Schlachthäusern gefolgt wird. Erst danach kommt das Fleisch in die Drehspießfabriken, die den Dönerspieß herstellen. Zahlen sind hier nicht zu finden.
Gehen wir einmal großzügig davon aus, dass die Hälfte der Kosten der Fleischproduktion auf die Drehspießfabriken fällt und die Aufzucht und Schlachtung der Tiere nur die andere Hälfte ausmacht. Dann würde auf die Branche also ein Kostenanteil von 1 Euro fallen. Rechnet man mit einem ebenfalls sehr hohen Lohnkostenanteil von 20 Prozent, dann beliefe sich der Lohnanteil bei den Gesamtkosten des Döners auf 20 Cent. Damit würden sich die tariflichen Lohnerhöhungen von 17 Prozent in einer Erhöhung der Dönerkosten um 3,4 Cent niederschlagen.
Nähern wir uns nun noch einmal ganz anders der Frage, welchen Anteil die nun steigenden Lohnkosten in der Dönerspießbranche auf das fertige Produkt haben. Dafür nehmen wir die Zahlen direkt von Birtat: Ungefähr 130 Beschäftigte stellen pro Tag zwischen 35 und 40 Tonnen Dönerspieße her. Gehen wir, um den maximalen Einfluss der Lohnkosten zu errechnen, von nur 35 Tonnen aus. Wenn man den Bruttoarbeitgeberlohn kennt, dann weiß man, wie viel von deren Lohn in einem Döner steckt.
Wir wissen, dass die meisten Mitarbeitenden bisher weniger als 2.600 Euro verdient haben, nun mindestens 2.600 Euro. Rechnen wir großzügig mit 3.600 Arbeitgeberbrutto für die insgesamt 130 Mitarbeiter, sind wir bei 468.000 Euro. Wir gehen von einer Produktion von 35 Tonnen pro Tag aus, fünf Tage die Woche. Durchschnittliche Wochen pro Monat sind 4,33, woraus sich dann 21,65 Arbeitstage pro Monat ergeben. Die Monatsproduktion beläuft sich nach dieser Berechnung auf 757,75 Tonnen. Wir teilen daher die Lohnkosten durch die Monatsproduktion und landen bei etwa 0,617 Euro pro Kilogramm. Pro Dönerportion stecken daher etwa 7,7 Cent Lohnkosten aus der Dönerspießbranche in einem Döner.
Wenn man von einem Dönerpreis von 8 Euro ausgeht, beläuft sich der Anteil der Lohnkosten mit 0,96 Prozent bereits auf weniger als einen Prozentpunkt. Mit dieser Rechnung verteuert der Tarifvertrag, bei einer angenommenen Lohnerhöhung von 17 Prozent, daher den Döner um 1,31 Cent.
Mit zwei ganz unterschiedlichen Rechnungen haben wir uns also jeweils dem Lohnkostenanteil in der Dönerspießbranche genährt: zwischen 7,7 Cent und 20 Cent pro Döner werden für die Lohnkosten in dieser Branche aufgewendet. Das sind wohlgemerkt die Zahlen, bei denen die Menge des produzierten Fleisches als besonders gering, das Arbeitgeberbrutto und der Lohnkostenanteil in der Branche als besonders hoch angesetzt werden. Zudem sind die durch den Tarifvertrag erhöhten Löhne bereits eingerechnet. Es lässt sich also sehr einfach nachweisen, dass die »Folgen für den Verbraucher« die von ARD, ZDF bis dpa behauptet werden, sich auf geringe Cent-Beträge belaufen. Aber diese kleine Ökonomik ist überhaupt nur der Anfang.
Diesen Meldungen ist nicht nur ein Desinteresse an den tatsächlichen Betriebskennziffern zu attestieren, sondern sind eine ganze Reihe interessierter Fehlschlüsse nachzuweisen. Es beginnt dabei, die Arbeitnehmer und ihren Kampf um bessere Arbeitsbedingungen unmittelbar mit steigenden Produktkosten in Zusammenhang zu bringen. Das unterschlägt, dass der zentrale Akteur der Preisgestaltung nicht die Beschäftigten sind, sondern das Dönerspießunternehmen Birtat. Wer das unter den Tisch fallen lässt, begeht einen durchaus entscheidenden Fehler. Denn die Rechnung des Arbeitgebers muss gar nicht darauf hinauslaufen, die gestiegenen Personalkosten einfach an seine Kunden weiterzureichen. Das muss weder die einzige noch die betriebswirtschaftlich unbedingt beste Entscheidung sein.
»Nach eigener Auskunft nach Abschluss des Tarifvertrages hat das Unternehmen übrigens nicht vor, seine Produktpreise zu erhöhen.«
Ein der Lohnerhöhung entsprechender Anstieg der Dönerspießpreise ist zwar eine Möglichkeit, die die Margen der Dönerspieße in totalen Zahlen gleich groß hält, aber natürlich Einfluss auf den Umsatz haben kann: So kann insgesamt der Absatz an Dönerspießen sinken, wenn diese teurer werden. Darüber hinaus kann der Unternehmer auch Kunden an die Konkurrenz verlieren und damit Marktanteile einbüßen.
Es kann sich für Birtat also durchaus rechnen, die gestiegenen Personalkosten selbst zu tragen, eine geringere Marge pro Dönerspieß in Kauf zu nehmen, um so seine Marktanteile zu halten. Ob sich Birtat für die eine oder andere Rechnung entscheidet oder einen Mittelweg wählt, liegt ganz im Ermessen des Unternehmens. Nach eigener Auskunft nach Abschluss des Tarifvertrages hat das Unternehmen übrigens nicht vor, seine Produktpreise zu erhöhen.
Wenn die Aussage des Geschäftsführers Adem Isbir einfach überhört werden, wenn aus Centbeträgen der Rückschluss über eine Verteuerung des Döners gezogen wird, wenn alle Kalkulationen ausgeblendet werden, die ein Unternehmen daran hindern, seine Preise zu erhöhen, dann steht die Vermutung im Raum, dass sich große Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht einfach nur irren, sondern aus anderen Gründen gegen den Tarifvertrag polemisieren. Ausgerechnet den gewerkschaftlichen Kampf für höhere Löhne identifizieren sie mit höheren Preisen und setzen damit den Kampf um bessere Bezahlung mit dem praktischen Gegenteil gleich: weniger Kaufkraft durch steigende Preise. Das bisschen Selbstwiderspruch, dass die Gewerkschaft um mehr Lohn kaum kämpfen müsste, wenn die Unternehmer ohne Probleme alle Kosten an ihre Kunden weitergeben könnten, ist für diesen interessierten Blick schon gleich egal.
Es ist für diesen Blick ebenso egal, wie konstruktiv das gewerkschaftliche Kampfziel für das Unternehmen und den Standort gedacht ist. Es ist egal, dass es am Ende Birtat sogar noch mehr Umsatz bescheren könnte, dass das Unternehmen sein Produkt als »ersten Dönerspieß mit Tarifvertrag« vermarkten könnte und für »faire Produkte« längst eine zahlungsbereite Klientel existiert: Allein, dass die Arbeitskampfmaßnahmen sich gegen die Macht des Privateigentums über das lebende Inventar der Unternehmen richten, bleibt für diese Sorte interessierte Kritik das Menetekel des gewerkschaftlichen Kampfes – und dafür muss der Tarifvertrag schlechtgeredet werden, auch für diejenigen, die von ihm höhere Löhne haben.
Das bleibt zwar eine Lüge, aber eine produktive: Statt im Lohnkampf anderer Branchen zu erkennen, wieviel man selbst in der nächsten Runde erkämpfen könnte, wird jede andere Lohntüte als Abzug vom eigenen Lohn imaginiert. Wie gezeigt wurde, ist das zwar rechnerisch nicht haltbar, aber es leistet seinen Dienst: Wer nun propagiert »Dank euch kostet Döner morgen 10 Euro«, der irrt sich eben nicht nur, sondern macht sich vor allem zum nützlichen Idioten auch des eigenen Chefs, anstatt dem Kampf bei Birtat die schlichte Botschaft zu entnehmen: Solange wir vom Verkauf unserer Arbeitskraft leben, kann man diesen Verkauf unserer Lebenszeit durch Kampf teurer gestalten.
Peter Schadt ist Gewerkschaftssekretär beim DGB in Stuttgart. Sein Schwerpunkt ist die politische Ökonomie der Digitalisierung, u.a. als Podcast bei 99zuEins.