15. September 2020
In der Corona-Pandemie ist der Neoliberalismus noch weiter in Verruf geraten. Die Antwort der globalen Eliten: Rohe Gewalt und brutale Repression.
»Wir putschen weg, wen wir wollen. Ob es euch passt oder nicht.« Niemand außer dem Tesla-Gründer und Multimilliardär Elon Musk selbst weiß, wie ernst er diesen Tweet über die gewaltsame Vertreibung von Präsident Evo Morales aus Bolivien durch Militär und Sicherheitskräfte im Herbst letzten Jahres gemeint hat. Sicher hat Musk einen sehr eigenen Humor, vielleicht gingen ihm auch zu viele linke Trolle zu lange auf die Nerven. Letztendlich ist es müßig, darüber zu spekulieren, denn die zunehmende Dünnhäutigkeit und Gewaltbereitschaft der Eliten, die aus solchen Aussagen spricht, hat sehr reale Folgen für uns alle.
In Bolivien liegt die größte Salzpfanne der Erde, der Salar de Uyuni, und darin eines der reichsten Lithiumvorkommen der Welt. Laut einer Schätzung der U. S. Geological Survey lagern dort 5,4 Millionen Tonnen des Rohstoffs, der in den Lithium-IonenBatterien von Mobiltelefonen, Laptops, aber eben auch Elektroautos Verwendung findet. Auch wenn Musk angibt, Tesla beziehe sein Lithium derzeit aus Australien, so darf man dennoch annehmen, dass das Unternehmen den Weltmarkt für diese zunehmend strategisch wichtige Ressource sehr genau im Auge behält. Erklärtes Ziel der Morales-Regierung war es, eine komplexe Lithiumindustrie im Land aufzubauen, um einen möglichst großen Teil der Wertschöpfung in Bolivien zu halten.
Während Musk auf Twitter mit US-amerikanischer hard power der alten Schule prahlt, prügelt die Polizei in vielen Städten der USA ohne erkennbare Hemmungen auf Demonstrantinnen und Demonstranten der Black-Lives-Matter-Bewegung ein. Die Szenen aus New York, Chicago, Portland und anderen Städten erinnern dabei stark an die brutale Verfolgung Indigener und Gewerkschafterinnen nach dem Putsch in Bolivien. Die hässlichen Bilder neoliberaler und rassistischer Repression gleichen sich im Globalen Süden und im Norden immer stärker an. Und wenn Donald Trump nun laut darüber nachdenkt, unter dem Vorwand der Pandemie die Präsidentschaftswahlen auf einen für ihn günstigeren Zeitpunkt zu verschieben, dann greift er damit in dieselbe Trickkiste wie die bolivianische Putsch-Regierung, die sich angesichts abstürzender Zustimmungswerte mit der gleichen Ausrede an die Macht klammert.
In der Corona-Pandemie verschärft sich eine lange schwelende Legitimationskrise des globalen Neoliberalismus. Die Eliten können zunehmend nicht mehr darauf vertrauen, dass sich der Kapitalismus von selbst gefügige Subjekte schafft. Deshalb greifen sie jetzt mit brutaler Gewalt durch. Dieser Zustand kündigt sich schon lange an: Auf der ganzen Welt schwindet seit Jahren der Rechtsraum für eine aktive und partizipative Zivilgesellschaft.
Alexander Brentler ist Journalist und Übersetzer.