07. Dezember 2022
Bolsonaro hat versucht, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl gerichtlich anzufechten. Er behauptet, nur wegen kaputter Wahlmaschinen verloren zu haben. Das Gericht hat die Klage zwar abgewiesen, aber Bolsonaro wird seine Niederlage nicht so schnell eingestehen.
Bolsonaro Anhänger bei einer Protestaktion in São Paulo, auf der ein Eingreifen des Militärs gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl eingefordert wurde, 17. November 2022.
IMAGO / TheNews2Der ehemalige US-Präsident Donald Trump und der amtierende brasilianische Präsident Jair Bolsonaro haben vieles gemeinsam: Beide sind rechte Provokateure, die einen Hang dazu haben, Hass zu schüren und eine grausame Politik zu betreiben.
Sie sind beide aber auch schlechte Verlierer, die nicht zugeben können, wenn sie bei einer Wahl eine Niederlage eingefahren haben.
Letzte Woche brach Bolsonaro sein langes Schweigen nachdem er die Präsidentschaftswahl gegen Lula da Silva verloren hatte und reichte beim Tribunal Superior Eleitoral, dem höchsten Wahlgerichtshof des Landes, eine offizielle Beschwerde ein. Er teilte dem Gericht in seiner Klage mit, dass er ein Unternehmen mit der Untersuchung der Wahlmaschinen des Landes beauftragt habe. Dieses habe einen Fehler in den Maschinen entdeckt, der die Wahlergebnisse ungültig mache. Millionen von Stimmen, die ihm galten, seien fälschlicherweise Lula zugeschrieben worden, weshalb in Wahrheit er die Stichwahl am 30. Oktober gewonnen habe.
Sollte uns das überraschen? Ja und nein. Nein, denn Bolsonaro stellt schon seit Jahren die Weichen dafür, um Lulas Wiederwahl anzufechten – lange bevor der Wahlkampf begonnen hatte und sogar schon bevor überhaupt bestätigt wurde, dass er gegen Lula antreten würde. Überraschend ist es dennoch, da sich Bolsonaro seit seiner Niederlage im Oktober ungewöhnlich ruhig verhalten hat. Nicht nur auf Social Media fanden sich keine neuen Posts: Der amtierende Präsident hat sich nicht einmal in der Öffentlichkeit gezeigt. Bis zur juristischen Anfechtung vor zwei Wochen hatte er lediglich erklärt, dass er Lulas Sieg zwar nicht anerkennen, aber seinen »verfassungsmäßigen« Pflichten nachkommen und den Weg für Lulas Amtsübernahme freimachen werde.
Bolsonaros Anhänger hatten andere Pläne: Sie haben die letzten Wochen damit verbracht, auf den Straßen für ihn zu mobilisieren. Teilweise wandten sie sich direkt an das Militär, dass sie darum baten, Lulas Amtseinführung zu verhindern. Sie haben Straßen und Autobahnen blockiert, sind auf die Motoren vorbeifahrender Lastwagen gesprungen und haben vor Gebäuden des brasilianischen Militärs theatralisch gebetet, um dessen Eingreifen zu erwirken. Zum großen Bedauern der brasilianischen Rechten hat die Militärführung aber bislang kein Interesse an einem solchen Staatsstreich gezeigt.
Auch die Antwort des Gerichts auf Bolsonaros Klage war zügig und entschlossen: Das Wahlgericht wies seine Klage schnell ab. Es stimmte ihm zwar darin zu, dass es den angeblichen Fehler in den Wahlmaschinen wirklich gab. Er sei aber nur die älteste Generation von Wahlmaschinen im Land betroffen und das Wahlergebnis habe sich dadurch nicht verändert. Dem Gericht zufolge war diese Wahl so frei und fair wie keine andere, die Brasilien seit seiner Rückkehr zur Demokratie erlebt hat. Nach dieser erneuten Niederlage hat sich Bolsonaro relativ ruhig zurückgezogen.
Noch schlimmer für Bolsonaro ist aber, dass sein stärkster verbliebener Verbündeter im Militär und in der Regierung nun selbst angeklagt wird. Silvinei Vasques, Leiter der militarisierten Autobahnpolizei PRF, wird des Amtsmissbrauchs beschuldigt, weil er auf der Twitter-Seite seiner Behörde für Bolsonaro warb und dazu aufrief, für ihn zu stimmen. Vasques verstieß auch wissentlich gegen eine gerichtliche Anordnung des Wahlgerichts, als er am Tag vor der brasilianischen Wahl mehrere große Autobahnen und andere Straßen sperrte und Busse in Gebieten anhielt, in denen überwiegend Anhängerinnen und Anhänger von Lula leben. Die Straßensperren wurden bis zum Ende des Wahltages weitgehend abgebaut, und das Wahlgericht entschied, dass sie sich nicht negativ auf das Wahlergebnis ausgewirkt hätten. Diese Entscheidung ist hauptsächlich dem Umstand geschuldet, dass die Blockaden ihr Ziel offensichtlich nicht erreicht haben, nämlich Lulas Sieg zu verhindern.
Man könnte versucht sein, diese beiden Ereignisse – das Scheitern von Bolsonaros Klage und die Anklage seines Verbündeten – als Siege für die brasilianische Linke und für die Demokratie zu betrachten. Da ist etwas Wahres dran. Aber in nur einem Monat hat der amtierende brasilianische Präsident zweimal versucht, die Amtsübernahme des siegreichen Kandidaten zu verhindern – zuerst mit dem passiven Putschversuch von Vasques und dann mit einer Klage wegen angeblichen Wahlbetrugs. Da Bolsonaros Zeit im Amt abläuft (Lulas Amtseinführung ist am 1. Januar), werden der amtierende Präsident und seine Verbündeten wahrscheinlich noch verzweifelter werden.
Die Parallelen zwischen Bolsonaros und Trumps Verhalten sind dabei frappierend. Beide haben demokratische Wahlen verloren und sowohl mit legalen wie außergesetzlichen Strategien versucht, sich an die Macht zu klammern. Beide scheinen durch ihre Verluste ins Straucheln geraten zu sein und wissen nicht, wie sie weitermachen sollen, nachdem ihre Aura der Unbesiegbarkeit verpufft ist. Und beide scheinen ratlos darüber zu sein, wie sie mit ihrer eigenen Basis umgehen sollen, die inzwischen so frenetisch agiert, dass sie eher zu einer Belastung als einem Vorteil geworden ist. Irgendwann wird die brasilianische und die US-amerikanischen Rechte die Niederlage ihrer Anführer akzeptieren müssen. Es ist durchaus möglich, dass die radikalsten und theatralischsten Anhängerinnen und Anhänger der beiden Kandidaten dann wieder abseits des politischen Mainstreams landen.
Wenn wir diesen Vergleich zu Ende denken, sollten wir uns aber auch eingestehen, dass Bolsonaro wahrscheinlich noch nicht am Ende ist. Er ist noch einen Monat im Amt, hat Millionen von Anhängerinnen und Anhängern und weiß, dass er bei seinem Ausscheiden aus dem Amt mit genau der Art von rechtlichen Problemen konfrontiert sein wird, die gerade auf Trump zukommen – und das wahrscheinlich schneller und heftiger, als bei seinem amerikanischen Kollegen.
Seine Niederlage bedeutet, dass Bolsonaro zum ersten Mal in seinem Leben als Erwachsener nicht die Immunität vor Strafverfolgung genießt, die Brasilien seinen Politikern gewährt. Genau das könnte zur Katastrophe für den alternden Möchtegern-Anführer werden. Angesichts dessen, was er und seine Anhängerschaft bereits versucht haben, um die Wahl von Lula zu verhindern, ist wohl keine Taktik auszuschließen – einschließlich dem Einsatz von Gewalt. Die Linke in Brasilien und anderswo muss deshalb bereit sein, ihn zu bekämpfen, wenn er seine verbleibende Macht nutzt, um Lula mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu stoppen. Dank des Drucks von Bernie Sanders und anderen hat die US-Regierung unmittelbar nach der Wahl das Richtige getan und Lula zum rechtmäßigen Sieger erklärt. Wir müssen bereit sein, unsere Regierungen erneut dazu aufzufordern, jeden Versuch Bolsonaros, seine Amtszeit gegen den Willen der Bevölkerung zu verlängern, klar zu verurteilen.
Craig Johnson hat an der University of California Berkeley in Geschichte promoviert und hat sich dort mit der Rechten und der katholischen Kirche in Argentinien, Brasilien, Chile und Spanien beschäftigte. Er ist Host des Podcasts »Fifteen Minutes of Fascism«, einer wöchentlichen Nachrichten- und Analysesendung über den weltweiten Aufstieg der radikalen Rechten.