03. Dezember 2021
Lars Klingbeil greift nach dem SPD-Vorsitz. Das ist konsequent. Denn er vereint alles, was ein sozialdemokratischer Karrierist braucht.
Der perfekte Sozialdemokrat: Lars Klingbeil in Berlin, 12. November 2019.
Im Grunde ist Lars Klingbeil genauso langweilig wie sein Wahlkreis. Falls jemand noch nicht im Heidekreis oder im Landkreis Rotenburg unterwegs war: es lohnt sich nicht. Hier hat Klingbeil farb- und formlos zuletzt erst wieder sein Direktmandat verteidigt. Wobei man dazu sagen muss: In der SPD-Hochburg Niedersachsen nicht zu gewinnen, ist fast ein Kunststück.
Klingbeil jedenfalls, der gern auf Instagram Ukulele spielt und sich wann immer möglich für ein Foto lässig an einer Wand im Bundestag anlehnt, kennt sich aus mit den Machtstrukturen der niedersächsischen Sozialdemokratie. Sonst wäre er nicht so schnell aufgestiegen – rekordverdächtig schnell.
Hilfreich waren sicherlich die Tätigkeiten als Wahlkreismitarbeiter bei einem gewissen Gerhard Schröder, der, wie wir wissen, mittlerweile als Energie-Lobbyist Karriere macht. Auch wenn Klingbeil es in seiner offiziellen Vita auf seiner eigenen Homepage gern unterschlägt, war Schröder nicht der einzige Nordstream-Lobbyist, für den er tätig war. Er arbeitete ebenso für den Abgeordneten Heino Wiese, der von Lobbykritikern als »Kontaktschaltstelle im Dreieck Schröder-Putin-Erdoğan« beschrieben wird, und jetzt »beratend« für das Regime in Aserbaidschan tätig ist. Im niedersächsischen Machtfilz der SPD gehört eine gewisse Nähe zu Energieriesen oder autoritären Regimen einfach dazu.
Klingbeils Herz schlägt wiederum für den Bundeswehretat. Der Rheinmetall-Standort Unterlüß grenzt eben auch unwahrscheinlich nah an seinem Wahlkreis. Das legitimiert natürlich die aktive Mitgliedschaft in einem Lobbyverein, der sich selbst ganz zurückhaltend »Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik« nennt. Laut Lobbycontrol mangelt es der Gesellschaft an der gebotenen Distanz zwischen Rüstungsindustrie und Abgeordneten. Auch deshalb macht Klingbeil nicht so viel Wind um diese Kontakte, sondern zündet auf Instagram lieber Kerzen für Soldaten an.
Es ist im Grunde schon beeindruckend: Niemand anderes wechselte so schnell vom Juso-Bundesvorstand in den konservativen und wirtschaftsliberalen Seeheimer Kreis – nicht einmal Kevin Kühnert dürfte das so schnell gelingen. Dabei sind sie ja gerade im Duo so stark. Das letzte, was die Menschheit brauchte, war ein Podcast von Klingbeil und Kühnert, aber die K-Frage kam trotzdem jeden Montag. Im Hoodie und mit Headphones erklärt Lars Klingbeil dann, warum ihn die Koalitionsverhandlungen so ermüden. Eigentlich ist Klingbeil schon dafür, die Sanktionen bei Hartz IV zu behalten. Trotzdem, so betonte er im Podcast, müsse sich das Bürgergeld natürlich von Hartz IV unterscheiden. Armut mit menschlichem Antlitz – da sind sich Klingbeil und Kühnert einig.
Als Generalsekretär hat er schon so einiges »gerockt«, etwa das glorreiche Debattencamp 2018. Damals stand die SPD noch ziemlich schlecht da, aber er arbeitete weiter an der Transformation, der Partei und seiner eigenen. Mit den Debattierrunden zum Parteivorsitz gelang Klingbeil dann schon der zweite Coup. Die SPD zeigte sich zumindest nach außen wie keine andere Partei: diskutierfreudig, mit flachen Hierarchien. Niemandem sonst wäre es so gut gelungen, den Eindruck zu vermitteln, die Partei wäre ein basisdemokratischer Haufen. Wagemutig war es schon, diese kleine Revolution formal möglich zu machen. Klingbeil ahnte vermutlich: so viel Erneuerung wie nötig, so viel Macht in der Parteizentrale wie möglich.
»Lars Klingbeil hat das besondere Talent, sozialdemokratischer zu wirken als er ist.«
Seine eigene Kandidatur scheiterte damals noch an der fehlenden Partnerin. Vermutlich wusste er, dass seine Zeit noch kommen würde. Er musste im Prinzip nur warten, bis sich das linke Duo aus Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken am Machtapparat die Zähne ausbeißen und von alleine aufgeben würde. Und so kam es dann auch. Zumindest Walter-Borjans verzichtete auf eine erneute Kandidatur, um Esken war es in den letzten Monaten still geworden.
Die Nominierung des Kanzlerkandidaten war nach der kurzen basisdemokratischen Chose endlich wieder Chef-Sache. Die Seeheimer und Klingbeil holten sich die Macht dort zurück, wo sie wirklich wichtig war. Als Organisator des Wahlkampfes – das muss man Klingbeil lassen – gab er der SPD zumindest farblich ihr rotes Image zurück und verpasste Olaf Scholz auch noch eine übergroße Faust. Er war erfolgreich damit. Und nichts ist besser für die Karriere als Erfolg.
Lars Klingbeil hat das besondere Talent, sozialdemokratischer zu wirken als er ist. Und auch sympathischer. Man könnte einem Niedersachsen in weißen Sneakern kaum böse sein, auch wenn er Rheinmetall vermutlich näher steht als Geflüchteten an der belarussischen Grenze. Ein versöhnlich wirkender Riese neben den Generälen von Grünen und FDP. Der Mann koaliert »auf Augenhöhe«, fiese Machtpolitik betreiben andere.
»Moin, hier ist Lars« – in seinen Insta-Stories gibt Klingbeil gern den nordischen Kumpelbär, wer denkt da bitte noch an bewaffnete Kampfdrohnen? Müsste man den idealen Gesamtsozialdemokraten schaffen, es wäre Lars Klingbeil.
Deshalb ist es nur folgerichtig, dass er, wie alle guten Juso-Funktionäre, bald den Zenit seiner Karriere erklimmt: den Parteivorsitz. Das Duo Klingbeil-Kühnert wird nun an der Spitze der SPD den Ko-Parteivorsitz und den Generalsekretär stellen. Damit ist eine Allianz gelungen, die den Laden auf Jahre ruhig stellen wird. Chapeau.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.