14. April 2020
Für Hilfsprogramme nimmt die Regierung derzeit viel Geld in die Hand. Doch die Mittel müssen so eingesetzt werden, dass sie die Gesellschaft und Europa nicht weiter spalten.
Alle Räder stehen still. Foto: Flickr/Herr Olsen
Beinahe über Nacht wurde die Bekämpfung des Corona-Virus zur obersten Priorität. Massive Infektionsraten, steigende Todesfälle und überlastete Gesundheitssysteme führten zu strengen Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Ein Blick nach Italien oder Spanien genügte, um Kontaktsperren, Ladenschließungen und Reisebeschränkungen auch in Deutschland durchzusetzen. Dadurch ist die Wirtschaft in Sektoren wie denen des Tourismus, der Gastronomie und der Kultur auf einen Schlag zum Stillstand gekommen. Der wirtschaftliche Einbruch ist dabei schärfer als bei der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008. In Deutschland könnte die Wirtschaftskraft in diesem Jahr um bis zu 10 Prozent zurückgehen.
Dabei sind arbeitende Menschen, Selbstständige und Unternehmen in allen Branchen von der Corona-Krise betroffen. Durch die Krise geraten Lieferketten weltweit ins Stocken. Im medizinischen Bereich wirkt sich das schon heute auf die Versorgung mit überlebenswichtigen Gütern aus. Deutsche Firmen aller Sektoren sind durch ihre globale Vernetzung besonders belastet. Auch Dienstleistungsangebote, die sich nicht digitalisieren lassen, werden verknappt.
Doch nicht nur derartige Angebotsschocks sind Ausdruck der Wirtschaftskrise, auch die Nachfrage fällt ab. Im Inland verschieben die Betriebe, deren Umsätze ausbleiben, jegliche neue Anschaffung. Dadurch verlieren weitere Firmen Aufträge; Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in Kurzarbeit geschickt oder entlassen. Wer ein unsicheres Einkommen erwartet oder sogar seinen Job verliert, beschränkt den Konsum auf das Nötigste. Die wegbrechende Nachfrage hat wiederum negative Auswirkungen auf das Angebot, da Firmen weniger produzieren, wenn der Absatz ausbleibt.
So wird aus der Krise ein negativer Kreislauf, der sich selbst verstärkt. Dazu trägt vor allem die große Unsicherheit bei. Denn keiner weiß derzeit, wie lange der Alltag und die wirtschaftliche Tätigkeit beschränkt sein werden oder wie sich die Krise in anderen Ländern auswirkt, mit denen wir wirtschaftlich verwoben sind. Mit der Pandemie sind Szenarien verbunden, die sich von Unternehmen nicht wie normale Risiken berechnen und einpreisen lassen.
Anders als in der Finanzkrise 2008 handelten die Bundesregierung und die Europäische Zentralbank (EZB) diesmal schnell und umfassend, um den Zusammenbruch der Wirtschaft zu mindern. »Jedes Mittel« versprachen die Bundesminister Olaf Scholz und Peter Altmaier gegen die Corona-Krise. Mit einer »Bazooka« solle nun »das Notwendige« getan werden.
Auf die Kredite ohne Beschränkung der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zur Stützung von Unternehmen in Schwierigkeiten – teils mit 100prozentiger Risikoübernahme durch den Staat – folgten weitere Rettungsprogramme: 50 Milliarden Euro Soforthilfe für Selbstständige, Freiberuflerinnen und kleine Unternehmen, 600 Milliarden Euro Garantien und Finanzhilfen zur Stabilisierung größerer Unternehmen, zusätzliche Ausgaben für den Gesundheitssektor sowie die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes. Die »Schwarze Null«, der heilige Gral der deutschen Fiskalpolitik, wurde per Nachtragshaushalt mit 156 Milliarden Euro neuer Kredite über Bord geworfen.
Dazu beschloss die EZB eine Ausweitung ihrer Ankäufe von Wertpapieren von Staaten und Unternehmen aus ganz Europa um 1.100 Milliarden für dieses Jahr. Dadurch sollen Ausgaben der Regierungen und Konzerne in der Krise erleichtert werden. Auch die Banken der EU erhielten weitreichende Vergünstigungen, wenn sie weiter Kredite an Unternehmen vergeben. Und der Finanzmarkt wurde auch dadurch umfassend gestützt, dass die Zentralbank nun selbst wenig werthaltige Wertpapiere als Gegenwert akzeptiert, um Geld zu Nullzinsen zu verteilen.
Die Gretchenfrage ist allerdings, wer von den vielen Rettungsgeldern profitiert. Vielfach wurde in der letzten Finanzkrise die Einseitigkeit der Rettungsmaßnahmen zugunsten der kollabierenden Banken kritisiert. Nach jetzigem Stand gibt es Licht und Schatten. Gerade die ökonomisch Schwächsten und jene, die in der Krise systemrelevant sind, brauchen aber mehr Unterstützung, um durch die Krise nicht ins Elend zu stürzen. Sechs Beispiele zeigen, wie unterschiedlich Deutschland durch die Krise kommt.
Die Kneipen wurden geschlossen, um das Virus in Schach zu halten. Für den alleinerziehenden Kellner etwa ist in Deutschland immerhin nicht der Job verloren, wie z.B. in den USA, wo in drei Wochen 17 Millionen Menschen arbeitslos wurden. Denn durch das Modell Kurzarbeit übernimmt der Staat hierzulande Personalkosten von Unternehmen, um Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden.
Allerdings beträgt das Kurzarbeitergeld nur 67% des vorherigen Nettoeinkommens (für Menschen ohne Kind nur 60%). Dem Kellner bleiben von zuvor 1.200 Euro nur 800 Euro. Davon kommt man schwer mit der Familie über den Monat. In Dänemark übernimmt der Staat bei normalen Einkommen immerhin 75% der Löhne, in Österreich bei kleinen Einkommen sogar 90%.
Noch schlimmer trifft es die Rentnerin, die von Grundsicherung leben muss oder Menschen, die ganz aus dem Sozialsystem fallen und auf der Straße leben. Tafeln und Sozialkaufhäuser sind geschlossen, geringe Verdienste durch Betteln oder das Verkaufen von Straßenzeitungen werden beinahe unmöglich. Diesen Menschen wird bisher durch keinen Rettungsschirm – etwa eine befristete Erhöhung der Sozialleistungen – geholfen. Die Krise droht Elend in Deutschland zu verschärfen und die ohnehin hohe Ungleichheit weiter zu steigern.
Der Pflegenotstand in Deutschland wird von der Krise massiv verschärft. Chronischer Personalmangel sowie fehlende Schutzkleidung und medizinische Ausrüstung sind mit Blick auf die Corona-Pandemie lebensgefährlich.
Die Bundesregierung hat finanzielle Entlastungen und Bürokratieabbau für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen beschlossen. Krankenhäuser erhalten Zuschüsse, wenn sie planbare Operationen verschieben und Intensivbetten freihalten. Auch fließen Gelder, um den Schutz der Angestellten zu verbessern. Die Lockerung des Personalschlüssels mag kurzfristig sinnvoll sein, um flexibel auf steigende Patientenzahlen zu reagieren. Pflegerinnen und Pfleger profitieren jedoch kaum von den Maßnahmen und sind steigendem Druck ausgesetzt. Bei zu geringer Bezahlung und stetiger Überlastung im Arbeitsalltag hilft auch die gesellschaftliche Anteilnahme wenig.
Laut der PflegeComeBack-Studie wäre knapp die Hälfte der ausgebildeten Pfleger bereit, in ihren Beruf zurückzukehren. Hierfür müssten Arbeitsbedingungen und Strukturen verändert, der Personalschlüssel erhöht und die Bezahlung verbessert werden. Der Pflegeberuf wird wie andere Berufe, die sich spätestens jetzt als systemrelevant zeigen, besonders von Frauen geschultert. Sorgearbeit wird gesellschaftlich zwar wertgeschätzt, jedoch nach wie vor zu gering entlohnt.
Um den unterfinanzierten Heldinnen entgegenzukommen, erhalten Pflegerinnen und Pfleger in Bayern nun immerhin 500 Euro Sofortzuschlag; in Berlin steht ein ähnlicher Vorschlag in Rede. Auch die gesetzlichen Versicherungen haben sich bereit erklärt, bis zu 1.500 Euro Corona-Bonus an die Pflegeberufe zu bezahlen. Auf Bundesebene hält man bislang die Füße still.
Um den Pflegenotstand besonders in Krisenzeiten zu reduzieren, wäre es notwendig, etwa die Bezahlung nach Tarif zu garantieren und den Personalschlüssel dauerhaft zu erhöhen. Helfen würde hier eine Stärkung der Gewerkschaften und eine ausnahmslose, branchenweite Anwendung der geschlossenen Tarifverträge.
Eine selbständige Fotografin konnte vor der Krise mit Aufträgen für große Veranstaltungen, Hochzeiten und Messen den Lebensunterhalt verdienen. Diese sind seit drei Wochen gestrichen. Der Umsatz fällt auf Null.
Nun fallen etwa weiter die Miete des Studios oder die Rückzahlung des Kredits für eine neue Ausrüstung aus dem letzten Jahr an. Aber der Bund bezahlt Selbstständigen ohne Angestellte 9.000 Euro Soforthilfe zur Deckung ihrer gewerblichen Kosten. Manche Bundesländer legen noch etwas drauf. Die Soforthilfe ist nicht rückzahlbar, sondern lediglich zu versteuern, falls im Krisenjahr doch Gewinne erzielt werden.
Im Falle zu geringer Rücklagen kann unsere Fotografin außerdem während der Krise leichter Grundsicherung erhalten. Der Regelsatz ist zwar niedrig, aber nun wird die Miete für die derzeitige Wohnung komplett übernommen und das eigene Vermögen bleibt unangetastet. Auch das Finanzamt wirkt unterstützend. Sonst fällige Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer sind ausgesetzt, Zinsen fallen nicht an. Wenn dann noch die ausgefallenen Umsätze nach der akuten Krise teilweise aufgeholt werden können, weil abgesagte Veranstaltungen nachgeholt werden, ist der Schaden für die Fotografin insgesamt überschaubar.
Durch den allgemeinen Stillstand brechen auch einem mittelständischen Baumaschinenhersteller die Aufträge weg. Der Ausblick ist kurzfristig unsicher, weil viele geplante Bauprojekte auf Eis liegen.
Allerdings bekommt das Unternehmen für laufende Kosten von der staatlichen KfW-Bank großzügige Überbrückungskredite. Löhne fallen ohnehin kaum noch an, denn der Staat übernimmt diese mit dem Kurzarbeitergeld. Sollte der Hersteller doch in finanzielle Nöte kommen, kann der Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Bundesregierung Firmen mit mehr als 250 Beschäftigten direkt durch den Erwerb von Anteilen stützen und unmittelbar frisches Kapital zuführen. Allein dafür stehen 100 Milliarden Euro bereit.
Und auch die mittelfristige Aussicht der Baubranche ist gut. Die Kräne werden nicht dauerhaft stillstehen und die Bundesregierung hat bereits ein großes Investitionsprogramm zur Ankurbelung der Wirtschaft und der Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur nach der Krise angekündigt. Durch die positiven Geschäftsaussichten für den Baumaschinenhersteller werden auch private Geldgeber in der Krise nicht so schnell abspringen. Und wenn Profite wieder steigen, kann der Staat seine direkte Beteiligung in wenigen Jahren möglicherweise sogar mit Gewinn auslösen.
Noch besser läuft es für diejenigen, die unmittelbar von der Krise profitieren. Während der Einzelhandel durch staatliche Anordnung vielerorts geschlossen ist, kündigte Amazon die Einstellung von 100.000 zusätzlichen Mitarbeitern in den USA an.
Damit droht die Krise eine ohnehin starke Tendenz in der Wirtschaft noch zu befeuern: In Sektoren wie dem Online-Handel haben es kleinere Plattformen zunehmend schwer, während einzelne Tech-Giganten wie Amazon ungebremst wachsen. Überdies boomen in Zeiten des Homeoffice auch Technologiefirmen, die das Arbeiten von zuhause erleichtern. So verdoppelte sich etwa seit Jahresbeginn der Aktienkurs des amerikanischen Videokonferenz-Anbieters Zoom.
Klar ist: Gute Geschäftsideen für das digitale Zeitalter sind zu begrüßen und erhalten durch die derzeitige Situation Auftrieb. Allerdings verschärft sich bei den großen Digitalkonzernen ein weiteres Problem: Amazon und Co. zahlen noch immer viel weniger Steuern als der Buchladen um die Ecke. Ihre Server und Programmierer sind global verteilt und ihre wahren Schätze – Algorithmen und Daten – lassen sich vergleichsweise einfach in Steueroasen verbuchen, um dort Gewinne aus der ganzen Welt zu sammeln.
Auch bei klassischen Betrieben trifft die Krise nicht alle gleichermaßen. So schütten deutsche Konzerne wie BMW derzeit Milliarden an Dividenden an ihre Eigentümer aus, obwohl sie staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen. Dabei fließt allein die Hälfte der BMW-Dividende jedes Jahr den beiden reichsten Deutschen Stefan Quandt und Susanne Klatten zu, die zusammen 47% des Konzerns besitzen.
Am Finanzmarkt ist die starke Hand des Staats – genauer der Zentralbanken – derzeit ebenfalls gefragter als die unsichtbare Hand des Markts. Denn während Mitte März die Börsen weltweit in den Keller rauschten und viele Kleinanlegerinnen überrascht Altersvorsorge einbüßten, können Reiche durch den Einsatz professioneller Vermögensverwalter oft schneller auf Krisen reagieren und ihr Geld rechtzeitig in sichere Anlagen umschichten.
Dass die Finanzmärkte sich rasch wieder stabilisierten, ist zuvorderst den Zentralbanken zu verdanken, die über Nacht begannen, große Mengen an Wertpapieren auf die eigene Bilanz zu nehmen. Das stützt Preise und sichert so die Vermögen von Investoren. Eine besondere Rolle spielten sogenannte Leerverkäufe. Dabei verstärken zumeist risikobereite Investoren wie Hedge-Fonds durch Wetten auf fallende Kurse die Börsentalfahrt und erwirtschaften dabei Gewinne. Gewinne aus Leerverkäufen sind daher im wahrsten Sinne des Wortes Profite aus dem Leid anderer.
Viele Staaten in Europa sind noch härter von der Pandemie betroffen als Deutschland. In Italien oder Spanien gibt es doppelt bzw. dreimal so viele Infektionen pro Einwohner. Tausende Ärzte und Krankenschwestern sind infiziert. Die Gesundheitssysteme beider Staaten wurden auch durch die Kürzungspolitik infolge der Finanz- und Eurokrise nach 2008 beschädigt. Und auch in der Corona-Krise ließ die Europäische Union die besonders betroffenen Staaten zunächst allein, während andere Staaten Ärzte und Material schickten. In Italien befürwortet durch die Krise mittlerweile fast die Hälfte der Bevölkerung laut Umfragen einen EU-Austritt.
Wirtschaftspolitisch hat die EU in dieser Krise vernünftigerweise orthodoxe Glaubenssätze wie die strengen Fiskalregeln oder das Verbot staatlicher Unterstützung von Firmen ausgesetzt. Sonst wäre im Übrigen auch die Krisenbekämpfung der Bundesregierung europarechtswidrig.
Die Konstruktionsfehler der Eurozone bleiben allerdings bestehen. So verfügen die Mitgliedstaaten einerseits nicht mehr wie Großbritannien oder Schweden über eine eigene Zentralbank, die im Zweifelsfall die Schulden der eigenen Regierung und somit deren Handlungsfähigkeit im Krisenfall garantiert. Denn der EZB ist die direkte Finanzierung der Euro-Länder verboten. Andererseits mangelt es an Koordination zwischen geldpolitischen und fiskalischen Maßnahmen. Während die Geldpolitik durch die EZB für alle Euro-Länder bestimmt wird, sind Staatsausgaben weiterhin Sache der Mitgliedstaaten. Nicht zuletzt aufgrund des Widerstands der Bundesregierung gibt es in Brüssel kein hinreichend großes Budget, um in der Krise gegenzusteuern.
Obwohl Olaf Scholz die Einigung der Finanzminister der Euroländer auf Unterstützungsprogramme durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), die Europäische Investitionsbank (EIB) und die EU-Kommission als »großen Tag europäischer Solidarität und Stärke« bezeichnete, droht die Krise die Spaltung der Euro-Staaten zu vertiefen. Denn die drei Säulen sind zu klein um die Krisenkosten von laut EZB geschätzt 1.500 Milliarden Euro in allen Staaten gleichmäßig abzufedern. Auch würde sich die Verschuldung der Staaten deutlich erhöhen, obwohl natürlich niemandem die Verantwortung für die Krise zuzurechnen ist. Mittelfristig droht der Einsatz des ESM außerdem zu Kürzungsauflagen zu führen, die die Krise verschärfen.
Dabei ginge es auch anders. Wer wie Deutschland von einer gemeinsamen Währung profitiert, sollte auch Risiken teilen und gemeinsam Mittel für Staatsausgaben mobilisieren, etwa durch Corona-Bonds. Dies wäre schon heute fast kostenfrei ohne Risiko möglich, wenn eine europäische öffentliche Bank wie die EIB in großem Stil Corona-Anleihen ausgibt, die EZB diese aufkauft und die EIB die Mittel an die Regierungen der Staaten weiterreicht, um Krankenhäuser zu finanzieren und die Menschen in der Wirtschaftskrise zu schützen. Dies wäre eine Krisenbekämpfung, die Europa zusammenführt, statt die bestehenden Ungleichgewichte zu verstärken.
Carmen Giovanazzi und Stefan Herweg sind Ökonomen und arbeiten im Bundestag. Auf Twitter: @c_giovanazzi und @stefan_herweg.