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14. Juni 2025

Dein Boss, der beste Demokrat

Nein, wenn Unternehmen Medienkompetenz-Trainer anheuern, um ihre Beschäftigten über Fake News zu belehren, dann ist das keine »Initiative für Demokratie am Arbeitsplatz«.

So stellen Chefs es sich vor, wenn sie Beschäftigten ihre Vision von »Demokratie am Arbeitsplatz« unterbreiten.

So stellen Chefs es sich vor, wenn sie Beschäftigten ihre Vision von »Demokratie am Arbeitsplatz« unterbreiten.

IMAGO / Westend61

Mit einiger Wahrscheinlichkeit verschluckt sich gerade in diesem Moment irgendwo eine »junge Führungskraft« an ihrem Hafermilch-Matcha-Latte. Da kommt doch ernsthaft ein Artikel in der neuen Ausgabe ihres Lieblingsmagazins Brand eins mit dem »Proletarier als Souverän« und einem aufwieglerischen Friedrich-Engels-Zitat um die Ecke: Demnach hört am kapitalistischen Arbeitsplatz »alle Freiheit rechtlich und faktisch auf«, weil der Chef dort als »absoluter Gesetzgeber« herrscht.

Ruhig, ruhig – ist doch nur ein Scherz! Es ist natürlich nicht das »Gespenst des Kommunismus« in die Redaktion des Wirtschaftsmagazins gefahren. Das soll einfach nur ein edgy Aufhänger sein, um von der Forderung nach Arbeiterkontrolle über die Wirtschaft ganz schnell in sehr viel seichtere und Unternehmergeist-freundlichere Gewässer weiterzuziehen.

Der Artikel führt vor, wie unbekümmert der linksliberale Verstand Demokratie im eigentlichen Sinne des Wortes »Volksherrschaft« gegen fades Medienkompetenz-Training im Namen der Demokratie einzutauschen bereit ist. Vom »Arbeiterbürger mit demokratischen Rechten, die nicht an der Wahlurne enden, sondern auch im Betrieb gelten« kommt er über den Zwischenschritt »Beschäftigte in Unternehmen mit Betriebsrat sind tendenziell zufriedener mit der Demokratie« irgendwie zu dem Schluss, vom Management in Auftrag gegebene Schulungen, in denen Beschäftigten »ein Skill-Set gegen Desinformation« beigebracht wird, stellten den Gipfel der Wirtschaftsdemokratie dar. Ausgerechnet die Boss-Klasse, die sich jeder Ausweitung der »Demokratie am Arbeitsplatz« erwehrt hat, soll ihr jetzt also die Krone aufgesetzt haben.

»Werden Sie Teil eines Netzwerks für die Demokratie«, spricht das BC4D Arbeitgeber – und nur Arbeitgeber – an, und »schulen Sie ihre Belegschaft«.

Ein wirklich knappes Rennen

Das kann natürlich nicht ganz mit rechten Dingen zugehen. So behauptet der Autor Andreas Molitor kurzerhand, nach Engels’ Anklage von 1845 sei in dieser Angelegenheit erstmal ein Jahrhundert lang nichts geschehen: »Der Gegenentwurf zum autoritären Fabriksystem der industriellen Revolution ließ auf sich warten. 1949 führte der Soziologe Thomas H. Marshall den Begriff ›Industrial Citizenship‹ ein, forderte also industrielle Bürgerrechte.« Als hätten Gewerkschaften, Genossenschaften und Arbeiterräte nicht genau in diesem Zeitraum größte Anstrengungen unternommen und die Demokratie in der Wirtschaft nicht nur theoretisch eingefordert, sondern auch praktisch vorangetrieben.

Der Fairness halber sei bemerkt: Der Autor lässt durchaus gewerkschaftliche und sogar kapitalismuskritische Stimmen wie Bettina Kohlrausch und Klaus Dörre zu Wort kommen. Das hält ihn aber nicht davon ab, zu dem Urteil zu gelangen, dass der Titel »erfolgreichste Initiative für Demokratie am Arbeitsplatz« nicht etwa der Arbeiterbewegung gebührt, sondern dem Business Council for Democracy (BC4D). Dabei handelt es sich um ein gemeinsames Projekt von rund 180 Unternehmen, »darunter Airbus, Bayer, Bosch, die Deutsche Bank, Lufthansa, Mercedes-Benz und Volkswagen«, die ihren Beschäftigten Demokratiekompetenz beibringen wollen. Dass auch Brand eins selbst mit dem BC4D kooperiert, könnte die Entscheidung möglicherweise leicht zu dessen Gunsten beeinflusst haben.

»Wenn Unternehmen sich ernsthaft dafür einsetzen wollen, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen und zu erhalten, dann können sie ja damit anfangen, dass sie den Widerstand gegen die Demokratisierung ihrer eigenen Strukturen aufgeben.«

»Werden Sie Teil eines Netzwerks für die Demokratie«, spricht das BC4D auf seiner Website Arbeitgeber – und nur Arbeitgeber – an, und »schulen Sie ihre Belegschaft«. In den angebotenen Kursen sollen Beschäftigte den richtigen Umgang mit »Online-Hassrede, Desinformation und Verschwörungserzählungen« lernen. Darüber, wie wichtig eine lebendige Arbeitermitbestimmung in Unternehmen für die Demokratie ist – wovon der Brand-eins-Beitrag kurz zuvor sprach – werden sie allem Anschein nach nicht unterrichtet. Ganz zu schweigen von den großen historischen Ambitionen der Wirtschaftsdemokratie, mit denen der Artikel begonnen hatte.

Wie Unternehmer gute Bürger sein können

Es ist natürlich zu begrüßen, wenn Unternehmen etwas gegen die rechte Gefahr tun wollen. Sie müssen sich aber die Frage gefallen lassen, ob sie mit dieser Art von Awareness-Kursen nicht etwas zu kurz greifen. Schließlich bestand die historische Mitverantwortung der Unternehmerschaft am deutschen Faschismus nicht so sehr darin, dass sie ihre Arbeiter nicht genügend aufgeklärt hätte. Vielmehr haben mächtige Vertreter von Großindustrie und Bankwesen – darunter Vorfahren einiger prominenter BC4D-Mitglieder – die Nazis direkt unterstützt.

Als der Deutsche Gewerkschaftsbund in der Nachkriegszeit forderte, Aufsichtsräte von Unternehmen sowie Wirtschaftskammern zur Hälfte mit Vertretern der Arbeiterschaft zu besetzen und die Schlüsselindustrien in Gemeineigentum zu überführen, so tat er das einerseits aus Prinzip. Andererseits ging es aber auch darum, zu verhindern, dass jemals wieder »wirtschaftliche Zusammenballungen, in politische Macht umgesetzt, ein demokratisches Staatsgefüge zerstören«, so der erste DGB-Vorsitzende Hans Böckler.

Offensichtlich hat Deutschland niemals eine solche »demokratische Wirtschaftsverfassung« bekommen. Die »restaurativen Kräfte«, wie man damals in Gewerkschaftskreisen zu sagen pflegte, setzten sich durch – darunter nicht zuletzt die deutschen Arbeitgeberverbände, in denen selbstredend auch die meisten BC4D-Unternehmen organisiert sind. Wenn Unternehmen sich ernsthaft dafür einsetzen wollen, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen und zu erhalten, dann können sie ja damit anfangen, dass sie den Widerstand gegen die Demokratisierung ihrer eigenen Strukturen aufgeben.

Thomas Zimmermann ist Print Editor bei JACOBIN.